Zeuge
Als Zeuge wird eine natürliche Person bezeichnet, die hinsichtlich eines aufzuklärenden Sachverhaltes durch eigene Wahrnehmung Angaben zur Sache machen kann (Zeugnis ablegen). Eine Zeugenschaft gibt es vor allem im Bereich der Polizei, Staatsanwaltschaft, Verwaltung, bei der Aufnahme einer Urkunde und vor Gericht, aber auch bei Ritualen oder Zeremonien (z. B. Trauungen). Zur Problematik der Zeugenaussage nach Verkehrsunfällen siehe Zeuge (Verkehrsunfall).
Eine Sonderbedeutung besitzt das Wort im Zusammenhang mit Grenzsteinen (siehe Artikel „Grenzstein“ und „Marksteinzeuge“).
Kategorisierung
Je nach Art der Zeugenschaft und der Rolle des Zeugen sind dessen Aussagen bei der Entscheidungsfindung mehr Gewicht gegenüber anderen Zeugen zuzumessen:
- Amtszeuge ist eine Person, die während der Amtsausübung Zeuge eines Vorfalles geworden ist und als Zeuge aussagen kann;
- Erkennungszeuge ist der Zeuge, der einen Täter wiedererkennen kann;
- Augenzeuge ist derjenige, der einen Vorgang optisch wahrgenommen hat;
- Ohrenzeuge ist, wer etwas gehört, aber nicht gesehen hat;
- Zeuge vom Hörensagen ist, wer dasjenige berichtet, was ein anderer ihm aufgrund seiner Wahrnehmung kundtat.
- Alibizeuge ist ein Zeuge, der bestätigen kann, dass sich der Verdächtige während der Tatzeit an einem anderen Ort, als dem Tatort aufhielt.
Ein Sonderfall der Ohrenzeugen sind Knallzeugen, die einen (Verkehrs-)Unfall nicht beobachtet haben, sondern sich erst in dem Moment umgedreht haben, als es „geknallt“ hat. Sie behaupten aber oft im Nachhinein, den Unfall gesehen zu haben. Ihre Aussage ist dabei in der Regel nicht nur wertlos, sondern kann das erkennende Gericht sogar bei der Wahrheitsfindung behindern.
Berufszeugen sind Personen, die während der Ausübung des Dienstes Angaben zu einer Tat oder einem Täter machen können.
Qualität
Ein Forschergruppe der University of New South Wales im australischen Sydney berichtete im August 2004 von der überraschenden Entdeckung, dass zum Zeitpunkt der aufzuklärenden Ereignisse misslaunige Augenzeugen genauere Aussagen beibringen als solche, die sich gerade in guter Stimmung befanden. Der Sozialpsychologe Prof. Joseph P. Forgas, Leiter der Studie, führte das auf die Hypothese zurück, dass „Stimmungszustände evolutionäre Signale dafür sind, wie mit bedrohlichen Situationen umgegangen werden soll.“ Eine wegen der Bedrohlichkeit des Geschehens ins Negative gerutschte Stimmungslage begünstigt demnach eine systematische, aufmerksame Informationsverarbeitung.
Rechtslage in Deutschland
Die Zeugeneinvernahme ist der häufigste Strengbeweis. Der Zeuge schildert dem Gericht eigene sinnliche Wahrnehmungen, keine Rechtsmeinungen oder Erfahrungswissen. Fehler der Fragetechnik der Verhörsperson, Mängel in der Wahrnehmung und Speicherung des Erlebten beim Zeugen, aber auch etwaige Lügenhaftigkeit eines Zeugen müssen bei der Würdigung der Zeugenaussage berücksichtigt werden. Zeuge kann jedermann sein, der nicht als Partei bzw. Angeklagter vernommen werden kann. Auch ein Minderjähriger kann Zeuge sein, sofern er nur die erforderliche Verstandesreife besitzt.
Rechtsgebiete
Die zentralen Normen über den Zeugenbeweis nach dem jeweiligen Verfahrensrecht:
- Zivilprozess: §§ 383, 384 ZPO, Ausnahmen in § 385 ZPO
- Strafverfahren: §§ 48 ff. StPO
- Ordnungswidrigkeiten: es gilt sinngemäß das Recht des Strafverfahrens (§ 46 OWiG)
- Verwaltungsprozess: es gilt das Recht des Zivilprozesses entsprechend (§ 98 VwGO)
- Verwaltungsverfahren: § 26 VwVfG für den Bereich des Bundes und entsprechende landesrechtliche Regelungen
Manchmal werden bei der Errichtung einer Urkunde vorsorglich Zeugen hinzugezogen, die die Urkunde mit unterschreiben (z. B. Trauzeugen) - hier wird von Zeugen gesprochen, obwohl diese letztlich nicht über die Urkunde aussagen, sondern nur den Vorgang als solchen bestätigen.
Zeugeneinvernahme
Das Gericht hat sich eine eigene Überzeugung über die Zeugenaussage zu bilden. Die bloße Einführung und Verlesung einer Niederschrift eines Verhörs durch die Polizei, Staatsanwaltschaft oder einer sonstigen Behörde genügt nicht. Das erkennende Gericht soll sich seine eigene Meinung über die Glaubwürdigkeit des Zeugen bilden und Fragen stellen, die es zur Erforschung des Sachverhalts für geboten hält. Nur die persönliche und sachliche Unabhängigkeit des Richters und die Öffentlichkeit der gerichtlichen Zeugenvernehmung sichert die Erschöpfung des Beweismittels. In Sonderfällen kann das erkennende Gericht im Zivilverfahren die Zeugeneinvernahme einem Mitglied des Gerichts oder einem anderen Gericht übertragen. Im Zivilverfahren ist der Zeuge als einziges Beweismittel von dem Antrag einer Partei abhängig.
In Deutschland erfolgt, bezogen auf das gerichtliche Verfahren (Hauptverhandlung, mündliche Verhandlung), die Vernehmung des Zeugen in der Regel durch den Richter und nicht durch die Parteien bzw. ihre Prozessbevollmächtigten (im Zivilprozess) oder durch den Staatsanwalt bzw. den Verteidiger des Angeklagten. Ihnen ist aber gestattet Fragen zu stellen. Eine Ausnahme gilt für das Kreuzverhör.
Über Zeugen können im Hauptverfahren auf Antrag Glaubwürdigkeitsgutachten eingefordert werden, diese werden durch Sachverständige erstellt. Antragsteller kann jeder Prozessbeteiligte sein.
Zeugen haben im Zeugenstand kein Fragerecht. Das „Rederecht“ wird ihm nur vom Gericht eingeräumt. Ist ein Zeuge zugleich Nebenkläger und fungiert nicht als Zeuge (ergo ist im Zeugenstand), steht ihm jedoch ein Fragerecht zu.
Rechte und Pflichten
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Zeuge die Pflicht, auf eine gerichtliche Vorladung hin vor Gericht zu erscheinen, wahrheitsgemäß und vollständig über die von ihm wahrgenommenen Tatsachen und Zustände zu berichten und gegebenenfalls seine Aussage zu beeiden oder eidesgleich zu bekräftigen. Eine Pflicht zum Erscheinen besteht entsprechend vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Auch einer staatsanwaltschaftlichen Ladung hat der Zeuge Folge zu leisten (§ 161a Abs.1 StPO). Diese Verpflichtung besteht jedoch nicht bei polizeilichen Ladungen.
Ein Zeugnisverweigerungsrecht (Aussageverweigerungsrecht) besteht nur, wenn der Zeuge glaubhaft machen kann, mit einer Partei oder – im Strafprozess – mit dem Angeklagten verwandt, verschwägert oder verlobt zu sein oder wenn berufliche Schweigepflichten (z. B. Arzt, Seelsorger) bestehen (§§ 52 ff StPO). Wird der Zeuge auf dieses Recht im Rahmen der Vernehmung nicht hingewiesen, hat dies gegebenenfalls ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich des dadurch gewonnen Beweises zur Folge, sofern der Zeuge nicht bereits nachweisbar anderweitig Kenntnis seiner diesbezüglichen Rechte hatte.
Ein Zeuge braucht nicht auf Fragen zu antworten, wenn er bei wahrheitsgemäßer Auskunft eine eigene Straftat einräumen müsste (§ 55 StPO). Ihm steht insofern also ein Auskunftsverweigerungsrecht zu. Kommt der Zeuge seinen Pflichten nicht nach, können gegen ihn Ordnungsmittel wie Ordnungsgeld, Vorführung oder Ordnungshaft in Betracht kommen. Die vorsätzliche Falschaussage ist immer dann strafbar, wenn die Aussage vor Gericht oder vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss getätigt wurde. Die Strafbarkeit hängt hinsichtlich der Strafhöhe nur davon ab, ob sie unter Eid (vgl. Meineid) oder uneidlich geleistet wurde. Im Falle des Eides ist auch der fahrlässige Falscheid strafbar.
Der Zeuge kann einen anwaltlichen Zeugenbeistand hinzuziehen, der bei umfangreichen Aussagen oder solchen mit Vorbereitungsaufwand (mehrseitige Aktenvermerke) sinnvoll ist. Im übrigen sind ihm seine Kosten und Auslagen (Anfahrtskosten, Verdienstausfall u. a.) zu ersetzen. Unter bestimmten Umständen (Gefahr für den Zeugen u. ä.) kann dem Zeugen Zeugenschutz gewährt werden.
Zu den Pflichten eines Zeugen zählt ferner die Duldung von körperlichen Untersuchungsmaßnahmen (§ 81 c StPO).
Abgrenzung zum Sachverständigen
Der Sachverständige stellt dem Gericht Fachkunde auf der Grundlage von Erfahrungswissen zur Verfügung, über das die Berufsrichter als Juristen und die Laienrichter nicht verfügen. Ein Sachverständiger ist also austauschbar, weil über seinen abstrakten Sachverstand regelmäßig mehrere Sachverständige verfügen, während ein Zeuge nicht ersetzt werden kann, weil nur er eine konkrete Wahrnehmung, nämlich seine Wahrnehmung schildern kann. Weiterhin muss ein Sachverständiger durch das Gericht bestellt werden.
Soweit ein vor Gericht erscheinender Sachverständiger über Wahrnehmungen berichtet, die er nur aufgrund seiner besonderen Fachkunde machen konnte (z. B. DNA-Untersuchungen), wird er als sachverständiger Zeuge vernommen (Zivilprozess: § 414 ZPO). Das Zusammentreffen von speziellem Sachverstand und der konkreten Wahrnehmung ist hier in der Regel rein zufällig.
Dieselbe Beweisperson kann Zeuge und Sachverständiger sein. Als was sie jeweils bezüglich einzelner Aussageninhalte anzusehen ist, richtet sich insbesondere nach der Qualität der Aussage. Die Unterscheidung ist nicht nur für die Höhe der Entschädigung gem. JVEG bedeutsam, sondern vor allem wegen des Rechts zur Ablehnung des Sachverständigen in § 406 ZPO.
Polizeiliche Zeugenfindung
Bei Zeugen müssen nach einem Polizeieinsatz, also beim Sicherungsangriff nach einer strafbewehrten Handlung, zunächst informatorische Befragungen vorgenommen werden. Zeugen sind so bald als möglich über ihre Rechte und Pflichten zu belehren.
In polizeilichen Großlagen werden Zeugensammelstellen eingerichtet. Sie dienen dazu, alle (potentiellen) Zeugen an einen Ort zu bringen, um eine Ordnung in das Einsatzgeschehen vor Ort zu schaffen. Dies dient auch der Effizienz bei der Informationsgewinnung und ist dem Arbeitsablauf förderlich.
Weblinks
- Jonathan Adler: Epistemological Problems of Testimony. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy.
- Christopher R. Green: Testimony. In: J. Fieser, B. Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy.