Minderwert
Ein nach einer Reparatur einer beschädigten Sache eventuell verbleibender Wertverlust wird als Wertminderung oder in der Fachliteratur als Minderwert bezeichnet. Er wird vor allem im Zusammenhang mit der Regulierung von Unfallschäden bei Kraftfahrzeugen verwendet. Der Begriff ist auch in der Liegenschaftsbewertung bekannt und eingeführt.
Der Minderwert ist ein fiktiver Wert. Er soll berücksichtigen, dass ein Kraftfahrzeug nach einer unfallbedingten Reparatur als sogenanntes Unfallfahrzeug einen geringeren Wert auf dem Gebrauchtwagenmarkt hat als ein unfallfreies Fahrzeug. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind der technische und der merkantile Minderwert zu unterscheiden und der Schadensumfang sowie das Fahrzeugalter zu berücksichtigen.
Eine Liegenschaft kann z. B. dadurch an Wert verlieren, dass sie untertunnelt wird, oder sonstige Beeinträchtigungen in der Nutzungsmöglichkeit auftreten.
Technischer Minderwert
Eine technische Wertminderung liegt vor, wenn es nicht möglich ist, das Fahrzeug wieder in denselben technisch funktionsfähigen Zustand zu versetzen, den es vor dem Unfall hatte. Es bleibt mithin also noch ein Schaden zurück, der nicht repariert werden kann. Der technische Minderwert kann sich auf die Gebrauchsfähigkeit, die Betriebssicherheit oder das Aussehen des Fahrzeugs beziehen. Automobile heutiger Bauart können durch qualifizierte Karosseriebetriebe in aller Regel technisch einwandfrei instand gesetzt werden.
Rückverformung statt Austausch, besonders tragender Fahrzeugteile ("Rahmen") etwa auf Richtbänken, ist ein zulässiger Instandsetzungsweg. Bei starken Beschädigungen, die keine vollständige Rückverformung zulassen, sind die betroffenen Bauteile jedoch auszutauschen. Sind die beschädigten Rahmenteile aus hochfesten Stählen ausgeführt, kann durch Rückverformen die Metallstruktur verändert und die Festigkeit herabgesetzt werden. Auch in diesem Fall sind die betroffenen Bauteile in der Regel auszutauschen.
Es ist jedoch auch beispielsweise möglich, dass sich das Leergewicht eines Lkw durch eine fachmännische Rahmenreparatur erhöht und damit die Nutzlast sinkt. Das stellt dann eine technische Wertminderung dar.
Merkantiler Minderwert
Der merkantile Minderwert bezieht sich auf den theoretischen Wertverlust, welcher beim Verkauf des Autos anfallen würde. Unter dem Aspekt, dass zwei identische Gebrauchtwagen im Markt angeboten werden, erzielt das unfallfreie Fahrzeug in aller Regel einen besseren Verkaufspreis als das reparierte Fahrzeug.
Gerichte berechnen die Wertminderung in schwierigen Fällen mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens. Die Berechnung mit Berechnungsmethoden geht oft an der Realität vorbei, da hier zwar Alter des Kfz, Kilometerstand, Wiederbeschaffungswert und Reparaturkosten berücksichtigt werden, jedoch nicht der Zustand des Fahrzeuges, Anzahl der Vorbesitzer, Anzahl der Vorschäden und vor allem die Marktgängigkeit. In der in Österreich etablierten Formel nach Sacher-Wielke werden diese Faktoren berücksichtigt.
In der älteren Rechtsprechung wurde die Auffassung vertreten, Wertminderung könne nur bis zu einem Alter des Fahrzeugs von höchstens fünf Jahren und einer Laufleistung von bis zu 100.000 km gewährt werden. Diese Auffassung gilt heute als überholt, da diese Begrenzungen zu Zeiten (60er Jahre) eingeführt wurden, in denen Fahrzeuge kaum älter als 10 Jahre wurden und auch kaum mehr als 100.000 km hielten. Das heißt, bei guten Fahrzeugzuständen können auch ältere Fahrzeuge merkantile Wertminderungen erleiden (Halbgewachs in NZV 2008, 125). Das LG Berlin hat sogar für ein elf Jahre und drei Monate altes Auto mit einer Laufleistung von 183 502 km einen merkantilen Minderwert bejaht (LG Berlin; Urteil vom 25. Juni 2009, AZ 41 S 15/09). Eine konkrete Entscheidung des BGH zu dieser Frage steht noch aus, allerdings hat er bereits in seiner Entscheidung VI ZR 357/03 vom 23. November 2004 (NZV 2005, 82) zu erkennen gegeben, diese Grenzen ebenfalls für nicht mehr zwingend zu halten.
Nicht als Minderwert bezeichnet wird eine mangelhaft ausgeführte Reparatur. Ist die Instandsetzung nicht einwandfrei ausgeführt worden, muss der Fahrzeughalter im Rahmen einer Mängelrüge im Reparaturbetrieb reklamieren.
Berechnung
Der BGH (NJW 1980, 281 = VersR 1980, 46) hat Grundsätze zu Ermittlung des Minderwertes aufgestellt und verlangt, dass der Minderwert insbesondere unter kontinuierlicher Beobachtung des regionalen und überregionalen Marktes festgestellt werden soll. Er hat damals die Berechnungsmethode von Ruhkopf-Sahm (VersR 1962, 593f.) als sachgerecht bezeichnet, die auch andere Gerichte anwenden. Nach dieser Methode ist der Minderwert ein prozentualer Anteil der Summe von Wiederbeschaffungswert und voraussichtlichen Reparaturkosten.
Dieses Schema wurde jedoch seit 1962 nicht mehr angepasst und überarbeitet und wird zusehends von den Instanzgerichten als überholt angesehen. Es berücksichtigt die neueren Entwicklungen auf dem Reparatursektor (Tauschen statt Richten) nicht und enthält keine Beurteilung des Verhältnisses der Arbeitskosten zu den Materialkosten. Die Sachverständigenorganisation DEKRA beispielsweise wendet die Methode Ruhkopf-Sahm grundsätzlich nicht mehr an, sondern bevorzugt die Methode Halbgewachs (Der merkantile Minderwert, begr. v. E.Halbgewachs, (Zeisberger/Neugebauer-Püster), 13. Aufl.). Diese berechnet die obere Bemessungsgrenze des merkantilen Minderwertes aus dem Neupreis (UPE) und dem Veräußerungswert des Fahrzeugs, dem Alter und der Laufleistung , den Gesamtreparaturkosten sowie Lohn- und Ersatzteilkosten. Auch Vorschäden und die Anzahl der Vorbesitzer sind bei Verwendung dieser Methode zu berücksichtigen. Daneben existieren noch andere Methoden, wie z.B. das sog. Hamburger Modell (OLG Hamburg, VersR 1981, 1186) und die des BVSK (Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V.). Keine Methode hat sich bisher als verbindlich durchgesetzt.
Situation in anderen Staaten
Belgien:
Wertminderung kommt in Betracht, wenn das Fahrzeug nicht älter als ein Jahr ist und ein schwerer Schaden vorliegt.
Österreich:
Es stehen im Wesentlichen drei Formeln zur Verfügung, mit denen die merkantile Wertminderung berechnet werden kann.
Die sog. Verbandsformel, eine Methode die vom "Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs" angewendet wird, wurde Ende der 1970-er Jahre entwickelt. Sie ist mathematisch einfach und lehnt sich an die Formel von Ruhkopf-Sahm (1962) an. Das Alter und die Reparaturkosten sind wesentliche Parameter.
Die Sacher-Wielke-Formel[1] wurde von den beiden Gerichtssachverständigen Sacher und Wielke entwickelt und wird seit den 1980-er Jahren vor allem in Gerichtsverfahren angewendet. Sie wird dem sich ändernden Konsumverhalten laufend angepasst und perfektioniert. Das nach österreichischer Judikatur als rechtliche Prämisse zugrunde liegende „Misstrauen und Unbehagen“ eines potenziellen Käufers vorbeschädigten, wenn auch ordnungsgemäß reparierten Fahrzeugen gegenüber schränkt den Käuferkreis ein. Daher tritt für höchstens vier bis fünf Jahre alte Fahrzeuge (ohne starre Alters- oder Kilometerbegrenzung) mit maximal einem Vorschaden durch ein schädigendes Ereignis eine „merkantile Wertminderung“ ein. Faktoren der Bewertung sind Fahrzeugalter, Besitzeranzahl, Laufleistung, Art und Umfang der Beschädigung, Vorschäden (Schäden an lackierten Stoßstangen bleiben unberücksichtigt), Lackierungskosten und Marktgängigkeit (Jahresabwertung).
Die zugrunde liegenden Ideen und der mathematische Algorithmus können dem Handbuch zur Sacher-Wielke-Formel entnommen werden[2]. Ein Artikel, der sich mit wesentlichen neueren Entwicklungen befasst, wurde von den Gerichtssachverständigen Kamelreiter, Kersche und Wielke in der Zeitschrift für Verkehrsrecht 1/2011 publiziert[3]. Die Formel ist dem Problem entsprechend mathematisch komplex und aktuell (kostenlose Downloadmöglichkeit siehe Weblinks). Drei andere Gerichtssachverständige vertraten in derselben Zeitschrift[4] hingegen die Auffassung, dass die Salzburger Formel vorzuziehen sei.
Im Jahr 2010 wurde mit der Salzburger Formel von einer Gruppe unabhängiger Gerichts-Sachverständiger für Kfz-Reparaturen und -Bewertungen eine neue Methode zur Quantifizierung der merkantilen Wertminderung entwickelt, die vor allem den Verschleißzustand des Fahrzeuges in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt und sich durch den Wegfall von fixen Alters- und Laufleistungsgrenzen auszeichnet. Mittlerweile wird auch die Salzburger Formel sowohl bei Gericht als auch außergerichtlich verwendet. Für die Wertminderungsberechnung von Motorrädern steht mit der Freitag-Pfeffer-Formel eine speziell für Zweiräder abgeleitete Variante der Salzburger Formel zur Verfügung. Sowohl die Salzburger Formel als auch die Freitag-Pfeffer-Formel können nach Registrierung kostenlos auf der Website www.autopreisspiegel.at verwendet werden.
In der praktischen Anwendung unterscheiden sich die Resultate der Formeln, die ja eine Schätzung repräsentieren, in den meisten Fällen nur wenig. Oft wird ein Mittelwert als Basis für die außergerichtliche Schadensregulierung herangezogen.
Schweiz:
Wertminderung wird nur bei Kraftfahrzeugen gezahlt, die noch einen Zeitwert von mind. 60 % des Neuwertes haben, neueren Baujahrs sind und schwer beschädigt wurden. Die Höhe der Wertminderung wird vom Sachverständigen ermittelt.
Weblinks
- Technischer Minderwert
- Merkantiler Minderwert
- Sacher-Wielke-Formel zum Download
- individuelle Online Berechnung eines merkantilen Minderwerts
- Demo-Beispiel eines merkantilen Minderwerts
- Aufsatz: Die Entschädigung des merkantilen Minderwerts bei Kraftfahrzeugen von RA Alexander Jaeger
- Crashverhalten unfallreparierter Fahrzeuge
Quellen
- ↑ Details siehe R. Fucik et al. (Hrsg.): Handbuch des Verkehrsunfalls, Teil 2, Manz-Verlag 2008.
- ↑ Bernhard R. Wielke: "Schätzung von Wertminderung und Wiederbeschaffungswert, Händlereinkauf (Prognosewert)"; Wert 2013; Beschreibung und Handbuch
- ↑ Friedrich Kamelreiter, Franz Kersche, Bernhard Wielke: "Merkantile Wertminderung – ein fiktives Problem". In: Zeitschrift für Verkehrsrecht, 1/2011, S. 4–8
- ↑ Friedrich Nagl, Gerwich Riautschnig, Ludwig Gwercher: merkantile Wertminderung. In: Zeitschrift für Verkehrsrecht, 12/2011, S. 384–389. Online.