Stammlinie

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Vier Generationen einer Väterlinie: Sohn, Vater, Großvater und Urgroßvater (Punjab, Pakistan 2012)

Stammlinie oder Stammreihe bezeichnet in der Familiengeschichtsforschung (Genealogie) eine Abstammungs- und Erbfolge, die nur über die Vorväter an ihre ältesten ehelichen Söhne führt. Dabei werden Familienname, Verwandtschaftsbeziehungen, Ansehen, soziale Stellung, Privilegien und Eigentum von einer Generation an die nächste einlinig nach der Abstammung des Mannes übertragen und vererbt. Eine Tochter kann die Stammlinie ihres Vaters nicht fortsetzen, weil ihre Kinder (Enkel ihres Vaters) zur Linie des Ehemannes gehören und dessen Namen tragen.

Stammlinien finden sich bei allen Adelshäusern und Herrschergeschlechtern des europäischen Kulturraums (sowie weltweit), ebenso in vielen bürgerlichen Familien. Eine Stammlinie verläuft in aufsteigender Reihe über den Vater, seinen Vater (Großvater), dessen Vater (Urgroßvater), und so weiter zurück bis zum Begründer dieser Väterlinie, dem „Stammvater“. Im Allgemeinen umfasst eine Stammlinie mindestens vier Vorfahren-Generationen bis zum väterseitigen Ururgroßvater, oft aber zehn und mehr Generationen; zum Nachweis der Ehelichkeit der Nachkommen werden meist auch die Ehefrauen der Vorväter namentlich genannt:

 
EhefrauEhefrau
 
Ehefrau
 
Ehefrau
 
Ehefrau
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Stammvater
Ahnherr
 
 
 
 
Ururgroßvater
ältester Sohn
 
 
Urgroßvater
Ältester
 
 
Großvater
Ältester
 
 
Vater
Ältester
 
 
Sohn
 
 
 
 
 
 
 

In absteigender Folge (hier von links nach rechts) ist der „Stammhalter“ der Linie immer der erstgeborene oder älteste Sohn aus einer legitimen Eheverbindung (siehe Erstgeburtsrechte, Unehelichkeit). Für den Fall, dass es in der Stammlinie keinen männlichen Nachkommen gibt, entwickeln Adelsfamilien komplizierte Regelungen bezüglich der Erb- und Rechtsnachfolge, wie das Majorat (Ältestenrecht), oder in seltenen Fällen ein Erbtochter- oder Erbjungfernrecht; durch solche Abfolgen kann allerdings die als Mannesstamm bezeichnete Hauptlinie gänzlich „erlöschen“ (siehe dazu das Wappenrecht).[1]

Stammlinien beinhalten keine Geschwisterteile der Vorväter (Seitenverwandte wie Onkel, Großtanten oder Urgroßonkel), sowie keine Verwandten der Ehefrauen (affine Verwandte, verschwägert).

Anschauliche Beispiele für eine sehr lange Stammlinie bilden die beiden erfundenen „Stammbäume von Jesus Christus“ in den biblischen Evangelien: reine (Erbsohn-)Vater-Abfolgen bis zu 78 Generationen zurück (sogenannte „fiktive Genealogie“).

Eine wichtige Rolle spielt, ob die Vaterschaft biologisch oder nur rechtlich begründet ist (durch Vaterschaftsanerkennung oder Adoption); allerdings muss die jeweilige blutsverwandte Abstammung vom Vorvater nicht immer den Tatsachen entsprechen (siehe Kuckuckskinder), vor allem bei nur mündlich überlieferten Vorväter-Generationen (siehe Herkunftssagen).

Stammlinien werden auch als agnatisch bezeichnet, ein Begriff aus dem alten römischen Recht für ausschließlich männliche Blutsverwandte, die Agnaten (lateinisch agnatus „der Hinzu-/Nachgeborene“). Die Agnation war Teil der römischen Vorstellung von „väterlicher Gewalt“ (patria potestas) und betrachtete männliche und weibliche Seitenverwandte als nur kognatisch („mitgeboren“). Agnatisch gesehen ist ein Sohn nicht mit den Schwestern seines Vaters (Tanten) verwandt, streng genommen nicht einmal mit seinen eigenen Schwestern.

Eine Stammlinie kann sich aufspalten und eine Seitenlinie bekommen, bei Adelsfamilien wird zwischen der Hauptlinie und möglichen Nebenlinien unterschieden. Die Hauptlinie eines Hauses wird normalerweise vom ältesten Sohn fortgeführt. Wird aber dieses Erstgeburtsrecht oder das Ältestenrecht nicht umgesetzt, kann ein jüngerer Sohn eine Nebenlinie begründen (Sekundogenitur), geregelt über ein jeweils eigenes Hausgesetz. Bei der Anwendung dieser Erbfolge erhält der jüngere Sohn keine normale Abfindung, sondern zusätzlichen Besitz und soziales Ansehen (siehe auch Minorat).

In der Ethnosoziologie wird die Abstammung und Erbfolge in rein männlicher Linie als patrilinear bezeichnet (lateinisch „in der Linie des Vaters“: Väterlinie). Rund 50 Prozent der weltweit erfassten 1300 Ethnien und indigenen Völker ordnen sich patrilinear,[2] fast alle wohnen nach einer Heirat patri-lokal beim Ehemann oder seinem Vater, die Ehefrau muss hinzuziehen.[3] Die eigenen Töchter heiraten hinaus (siehe Exogamie), während die Söhne ihre Ehefrauen aus anderen Familien hereinholen. Dieser Praxis folgen auch an Stammlinien ausgerichtete Familien. Der direkte Gegensatz zu einer Stammlinie ist die matri-lineare Abstammungsfolge über die Mütterlinie (13 Prozent aller ethnischen Gesellschaften[2]). Daneben gibt es gemischte Linien, die aus der väterlichen und der mütterlichen Abstammung gebildet werden, wie die auch in modernen Gesellschaften übliche kognatisch-bilaterale Abstammung von beiden Elternteilen.

Die ältere Ahnenforschung beschränkte sich oft auf die männliche Stammreihe, aber vor allem für die medizinische Diagnose von vererbbaren Krankheiten sind sowohl die weibliche wie die männliche biologische Abstammungslinie entscheidend. Die neuere Genealogie strebt deshalb nach umfangreichen Ahnenlisten, die kognatisch-bilateral beide Abstammungslinien zusammenbringen, ohne Hervorhebung der Väterlinie. In der biologischen Vererbungslehre (Genetik) werden die beiden Abstammungslinien als paternal (vaterseitig) und maternal (mutterseitig) unterschieden.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Zum Thema „Mannesstamm und Namensstamm“ siehe ausführliche Angaben bei Bernhard Peter: Rund um die Wappenführung: Weitergabe von Wappen in der Familie. Eigene Webseite, 2011, abgerufen am 24. Januar 2014.
  2. a b J. Patrick Gray: Ethnographic Atlas Codebook. In: World Cultures. Band 10, Nr. 1, 1998, S. 86–136, hier S. 104: Tabelle 43 Descent: Major Type (PDF-Datei; 2,4 MB; ohne Seitenzahlen; eine der wenigen Auswertungen aller damaligen 1267 Ethnien): „584 Patrilineal […] 160 Matrilineal […] 349 Bilateral“ (= 46,1% patrilinear; 12,6% matrilinear; 27,6% kognatisch-bilateral). Ende 2012 waren im Ethnographic Atlas by George P. Murdock weltweit genau 1300 Ethnien erfasst.
  3. Hans-Rudolf Wicker: Leitfaden für die Einführungsvorlesung in Sozialanthropologie. (PDF; 532 kB) Institut für Sozialanthropologie, Universität Bern, 2005, S. 13, abgerufen am 24. Januar 2014. Die Zahlen auf S. 13:
    589 patrilineare Ethnien (46 Prozent) – ihr Wohnsitz nach der Heirat (Residenzregel):
    000563 (95,6%) wohnen viri/patri-lokal beim Ehemann, dessen Vater, Familie, Abstammungsgruppe (Lineage) oder Clan
    000025 0(4,2%) wohnen vor allem neo-lokal („am neuen Ort“)
    000001 0(0,2%) wohnt matri-lokal bei der Mutter der Ehefrau