Herausforderung (Schulprojekt)

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Beim Schulprojekt Herausforderung verlassen Schüler meist für zwei bis drei Wochen im Schuljahr das gewohnte Lernumfeld Schule, um das Lernen am anderen Ort fortzusetzen. Sie begeben sich dazu in herausfordernde Bewältigungssituationen, also echten Problemstellungen, die sie möglichst eigenaktiv lösen, wodurch bestenfalls eine Selbstwirksamkeitserfahrung entsteht. Dieses Lernen konzentriert sich dann naturgemäß nicht auf Fachinhalte, sondern meint den Ausbau von sozialen und personalen Fähigkeiten und Fertigkeiten, nimmt die Schüler in die Verantwortung für den eigenen Lernprozess. Das Schulprojekt Herausforderung breitet sich seit Mitte der 2000er-Jahre in der deutschen Schullandschaft aus. Besonders reformpädagogisch orientierte Schulen interessieren sich für dieses Projekt.[1]

Ursprünge der Idee Herausforderung als Schulprojekt

Reformpädagogische Vorstellungen von ganzheitlicher Bildung und dem Lernen an und in der Natur sind als Vorläufer der Herausforderung zu nennen, insbesondere die Wandervogelbewegung. Hinzu kommen Vorstellungen von Entschulung und Bewährung, die vor allem durch Hartmut von Hentig mit Schule neu denken[2] und Bewährung[3] wieder neu in die Diskussion gebracht wurden. Von Hentig geht es insgesamt darum darzustellen, dass schulische Bildung vor allem in der Phase der Pubertät mehr sein muss als reine Wissensvermittlung, dass veränderte Kindheit und veränderter Medienkonsum zu einem Mangel an Primärerfahrungen führt, worauf Schule mit entsprechenden Angeboten reagieren sollte, damit notwendige Entwicklungsaufgaben weiter durch die Jugendlichen bewältigt werden können. Hinzu kamen in den letzten Jahren vermehrt die Ideen der Erlebnispädagogik, in welcher Herausforderungen als wesentliches Mittel zur Generierung von Bewältigungssituationen eingesetzt werden.[4]

Die Hamburger Winterhuder Reformschule kann rückblickend als eine der ersten Schulen gelten, die in mit einem schulischen Projekt Herausforderung auch medienwirksam in Erscheinung trat.[5] Parallel dazu entwickelten andere Schulen eigene Konzepte, wie beispielsweise die Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ)[6] oder die Bielefelder Laborschule[7]. Vor allem die STS Winterhude und die ESBZ waren in der Folge Inspiration für weitere Schulen bundesweit, das Projekt Herausforderung zu erproben und zu implementieren, so dass inzwischen über 50 Schulen das Projekt umsetzen.[8]

Konzeptioneller Ansatz und gewünschte Kompetenzentwicklung

Mit dem Ansatz des Schulprojekts Herausforderung ist die Hoffnung verbunden, den pubertären Schülern mittels Primärerfahrungen in außerschulischen Bewährungssituationen Kompetenzzuwächse im sozio-emotionalen und personalen Bereich zu ermöglichen. In der Regel geht es in den ganz unterschiedlich ausgestalteten Projekten für die Schüler darum, die eigene Komfortzone zu verlassen. Dazu verlassen die Schüler das Klassenzimmer, um in selbstgewählten und selbstgestalteten Projekten mehrere Wochen unterwegs zu sein, dabei möglichst die eigenen Grenzen zu erfahren. Um die Verantwortungsübernahme durch die Schülergruppe zu ermöglichen halten sich die erwachsenen Begleiter einer solchen Unternehmung zurück, greifen nur in wirklichen Gefahrensituationen ein. Viele der Herausforderungen sind sportlich, beispielsweise längere Fahrradtouren oder Wanderungen bis hin zur Alpenüberquerung. Vor allem geht es aber darum, dass die Jugendlichen die häusliche und schulische Sicherheit verlassen und sich selbst auf die selbstverantwortete Reise begeben. Es geht darum, dass gewohnte Handlungsroutinen durchbrochen werden, eine gewisse Unsicherheit entsteht, ob die Situationen bewältigt werden kann, wodurch alle verfügbaren Kräfte und Fähigkeiten mobilisiert werden. Das pädagogische Setting hält dabei häufig absichtlich Entbehrungen bereit, indem etwa mit begrenztem Geld, improvisierten Schlafplätzen oder ohne Technik ausgekommen werden muss. Dies soll dazu beitragen, dass die Schüler gemeinsam Lösungen für die unterwegs entstehenden Probleme finden, dies soll unter anderem die Frustrationstoleranz und das Durchhaltevermögen schulen. Insgesamt geht es um die Selbstwirksamkeitserfahrung, die damit verbunden ist, eine schwierige Situation bewältigt und das selbstgesteckte Ziel erreicht zu haben.[9][10][11] Inwiefern das Schulprojekt diese hochgesteckten pädagogischen Ziele erreichen kann, ist durchaus umstritten. Seit 2011 beschäftigt sich der Forschungsverbund HeRiS neben der Frage der Ausbreitung des Innovationsprozesses Herausforderung auch mit der Frage der Wirksamkeit des Projekts.[12]

Neben der gewünschten Kompetenzentwicklung bei den Schülern korreliert das Vorhandensein des Projekts Herausforderung häufig auch mit der Innovationsfreudigkeit einer Schule in anderen Bereichen, so ist häufig eine Form des Schulfaches Verantwortung oder die Unterrichtsorganisation in Lernbüros an Herausforderungsschulen zu finden.[8][13]

Beispiele für durchgeführte Herausforderungsprojekte

Je nach Bedingungsfaktoren und jeweiligem Herausforderungskonzept der Schulen sind die Herausforderungen sehr unterschiedlich. Grundsätzlich muss zwischen gebundenen und freien Herausforderungen unterschieden werden. Hierbei meint gebunden, dass eine Schülergruppe in Begleitung schulischen Personals unterwegs ist. Die Lehrkräfte oder Schulsozialarbeiter sind hierbei zwar formal Fahrtenleitung, was auch versicherungstechnische Gründe haben kann[14], halten sich aber im Sinne einer Lernbegleitung zurück und überlassen den Schülern den größten Teil der Planung und Durchführung ihrer Herausforderung, unterstützen aber gegebenenfalls bei der Reflexion. In der Regel bewältigt eine heterogene, häufig inklusive Schülergruppe gemeinsam eine Herausforderung, wodurch neben den genannten Aspekten zur Kompetenzentwicklung das soziale Lernen eine größere Rolle spielt. Beispiele für Schulen mit konzeptionell gebundenen Herausforderungen sind die Reformschule Winterhude oder die Berliner Heinz-Brandt-Schule. Daneben existiert der Ansatz der freien Herausforderung, der vor allem von der Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ) vertreten und im Schulnetzwerk Schule im Aufbruch verbreitet wird. Hierbei ist es Teil der tendenziell kleineren Schülergruppe, bestehend meist aus zwei bis fünf Teilnehmern, selbst das Projekt zu initiieren und sich hierfür auch selbst eine außerschulische Begleitung zu organisieren. Dies sind dann häufig Studenten oder auch Mitglieder des Familien- und Bekanntenkreises.[15][16] Die freien Projekte liegen damit noch deutlich stärker in der Hand der Jugendlichen, weisen daher mitunter auch ein größeres Risiko des Scheiterns auf.[17]

gebundene Herausforderungen freie Herausforderungen
Alpencross bzw. Alpenüberquerung von Bayern nach Italien[18][5] Mit dem Rad nach Holland[19]
Pilgern auf dem Jakobsweg in Spanien[11] Arbeit auf dem Pferdehof[20]
Survival in Norwegen[21] Kanutour[17]
Mit dem Longboard zur Ostsee[1] Wandern[22]
Mit dem Rad nach Paris[23] Leben im Kloster[24]

Schulen mit Herausforderung (Auswahl)

Begleitforschung: Forschungsverbund HeRiS

Das Forschungsprojekt Herausforderungen als eigenständige Reformaktivität innovativer Schulen (HeRiS) ist eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Schulprojekts Herausforderung. Initiiert und durchgeführt wird die Begleitung seit 2011 durch ein Netzwerk deutscher Schulforscher unter Federführung von Matthias Rürup, Institut für Bildungsforschung (IfB) an der School of Education, Bergische Universität Wuppertal. Inzwischen erwuchs aus dem ursprünglichen Forschungsprojekt ein Netzwerk aus Forschenden und Schulen.[8]

Im April 2019 wurden der Forschungsverbund HeRiS und vor allem die Zusammenarbeit zwischen Bildungsforschung und Schule im Rahmen der 28. Trinationalen EMSE-Tagung an der FH Nordwestschweiz in Solothurn vorgestellt.[25][26]

Durch den regelmäßigen Austausch innerhalb des Forschungsverbundes entstand in den letzten Jahren ein Netzwerk aus Forschern und Lehrkräften, die gemeinsam auch Problemstellungen wie beispielsweise mögliche aufsichtrechtliche Einschränkungen für das Projekt diskutierten. Im Dezember 2022 erscheint eine durch den Forschungsverbund in Zusammenarbeit mit vielen Praktikern der vernetzten Schulen erarbeitete Publikation mit dem Titel Herausforderung – eine Projektidee macht Schule bei Beltz.[27]

Konzeption

Der Forschungsverbund HeRiS sucht den direkten Austausch mit den Schulen und bietet für diese eine Begleitforschung an, wobei hier die Schulen aus unterschiedlichen Modulen wählen können, um das Projekt Herausforderung zu evaluieren. Es werden quantitativ längsschnittartige als auch summativ evaluative Befragungen an den Einzelschulen durchgeführt. Die Einzelschule erhält im Auswertungsbericht eine Rückmeldung zu den Erfahrungen und Einschätzungen der Teilnehmenden. Durch die Beteiligung von Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet mit jeweils sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen lassen sich durch den Forschungsverbund Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Umsetzung der Idee der „Herausforderungen“ herausarbeiten. In den Vergleich werden auch die Erfahrungen von Studierenden eingebunden, die im Rahmen teilnehmender Beobachtungen als Coaches von Herausforderungen studentische Forschungsarbeiten beisteuern.[8]

Die Untersuchung der Wirksamkeit der Herausforderungsprojekte stellt die erste systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Projekt Herausforderung dar, welches von etlichen Schulen als Vorzeigeprojekt zur Persönlichkeitsentwicklung der Schüler beworben wurde, ohne dass hierfür bisher eine wissenschaftliche Evidenz vorlag. Dass Effekte im Bereich der persönlichen und sozialen Fähigkeiten der Schüler zu messen sind, konnte bereits durch erste Auswertungen gezeigt werden. Welche Wirkungszusammenhänge vorliegen, welche Stellschrauben existieren, um gewünschte Effekte zu verstärken bedarf der weiteren Untersuchung.[28]

beteiligte Institutionen und Ansprechpartner

Einzelnachweise

  1. a b Lernen am anderen Ort – Das Projekt „Herausforderung“. In: Deutsches Schulportal. Abgerufen am 8. August 2022.
  2. Hartmut von Hentig: Die Schule neu denken. Eine Übung in praktischer Vernunft. Hanser, München 1993.
  3. Hartmut von Hentig: Bewährung. Von der nützlichen Erfahrung, nützlich zu sein. Hanser, München 2006.
  4. Arne Göring: "Herausforderung" als Schlüsselkategorie der Erlebnispädagogik. Eine lerntheoretische Annäherung. In: Erleben und lernen. Nr. 2/2013, S. 9–12.
  5. a b Manfred Dworschak: Helden auf Bewährung. In: Der Spiegel. Nr. 15/2010. Hamburg 2010, S. 124–134 (spiegel.de [PDF; abgerufen am 8. August 2022]).
  6. Neue Lernformate. Evangelische Schule Berlin Zentrum, abgerufen am 8. August 2022.
  7. Herausforderung an der Laborschule | Projektseite der Laborschule Bielefeld. Abgerufen am 8. August 2022.
  8. a b c d Matthias Rürup: Eine innovative Idee macht Schule. In: Das Deutsche Schulportal. Abgerufen am 8. August 2022.
  9. Dorothee Roth: „Herausforderungen“ als Projektunterricht im Hinblick auf persönliche Entwicklung bei Schülern. Hamburg 2014.
  10. Kerstin Helker: Das Konzept „Herausforderungen” als Training in Ungewissheit – Zukunftsperspektiven für die Schulpraxis. In: Fachkulturen in der Lehrerbildung weiterdenken. V&R unipress, Göttingen 10. April 2022, S. 563–582.
  11. a b Anja Dilk: An Grenzen gehen. In: Magazin Schule 6/2016. Abgerufen am 8. August 2022.
  12. Dudda, Fabian, Hecht, Michael, Helker, Kerstin, Herrmann, Carolin, Nienaber, Franziska: "Herausforderungen" als Schulprojekt. Evaluationsbericht zum Projektdurchlauf 2018. 1. November 2019, doi:10.25656/01:17998 (pedocs.de [abgerufen am 8. August 2022]).
  13. Herausforderungen wagen – Schule öffnen – Von einem Projekt an der Berliner Heinz-Brandt-Schule. In: Schule leiten Nr. 21 / 2020. Abgerufen am 8. August 2022.
  14. Mit der Schulklasse sicher unterwegs – Empfehlungen für Unterrichtsgänge, Exkursionen, Wanderungen, Klassenfahrten und Heimaufenthalte. DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, September 2019, S. 26, abgerufen am 9. August 2022.
  15. Miriam Pech, Stefan Grzesikowski, Jörn Langer: Das Projekt Herausforderung als Schulfach? München 2017, S. 21.
  16. (dpa): "Die Herausforderung": Schüler sind drei Wochen „raus“. 1. September 2016, abgerufen am 8. August 2022.
  17. a b Dieter Wulf: 17 Tage, null Bock. In: Zeit Online. 27. Oktober 2016, abgerufen am 8. August 2022.
  18. Regina Köhler: Wenn Berliner Sekundarschüler über die Alpen laufen. 2. September 2013, abgerufen am 8. August 2022.
  19. Mit dem Fahrrad nach Holland statt zum Unterricht | neuneinhalb – Deine Reporter | WDR. Abgerufen am 8. August 2022.
  20. Herausforderung 2017 (Schuljahr 2016/17) « Wilhelm von Humboldt. Abgerufen am 8. August 2022.
  21. Lisa Kuner: Schule: Ein Fach namens Herausforderung. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 8. August 2022]).
  22. Antenne Münster: Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer. Abgerufen am 8. August 2022.
  23. Michael Beer: Gemeinschaftsschule Ommersheim: Trotz Temperaturen von fast 40 Grad und fünf Stürzen: Saarländische Schüler erreichen Paris auf dem Rad. 27. Juli 2022, abgerufen am 8. August 2022.
  24. Christian Kratzin: „Ich bin stolz, was wir in der Gruppe geschafft haben!“ - Erfahrungen mit dem Herausforderungsprojekt an einem Göttinger Gymnasium. In: Klasse leiten. Nr. 7/2019. Friedrich-Verlag (ohg-goe.net [PDF]).
  25. Programm der trinationalen EMSE-Tagung am 4. und 5. April 2019 an der Pädagogischen Hochschule der FHNW in Solothurn Forschung und Praxis auf Augenhöhe – Wie evidenzbasierte Schul- und Unterrichtsentwicklung möglich wird –. Pädagogische Hocheschule der FH NW, abgerufen am 11. August 2022.
  26. Mattias Rürup: Atelier V. "Herausforderungen begleiten. Forschung als Unterstützung des Projekts Herausforderung an deutschen Schulen". Universität Bielefeld, abgerufen am 11. August 2022.
  27. beltz: Herausforderung – eine Projektidee macht Schule. Abgerufen am 11. August 2022 (deutsch).
  28. Fabian Dudda, Michael Hecht, Kerstin Helker, Carolin Herrmann, Franziska Nienaber: "Herausforderungen" als Schulprojekt. Evaluationsbericht zum Projektdurchlauf 2018. Bergische Universität Wuppertal & RWTH Aachen, 2019 (fachportal-paedagogik.de [abgerufen am 11. August 2022]).