Fundamentalismus

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Der Begriff Fundamentalismus im weiten Sinn bezeichnet eine religiöse oder weltanschauliche Strömung, deren Ziel eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der Religion oder Ideologie ist. Im engeren Sinn bezeichnet das Wort eine im nordamerikanischen Protestatismus entstandene konservativistische Bewegung. Ihre Wurzeln sind die Eschatologie (Endzeitlehre) der Brüderbewegung.

Sprachgebrauch

In seiner ursprünglichen Bedeutung geht der Begriff Fundamentalismus auf die Protestbewegung gegen "modernistische" Tendenzen innerhalb des US-amerikanischen Protestantismus zurück und wurde in diesem Zusammenhang erstmals verwendet. Christen (siehe Christlicher Fundamentalismus).

Der Begriff ist vor 1920 belegt und entstand durch die Schriftreihe "The Fundamentals" bzw. "The Fundamentals of Truth", die Anfang des 20. Jahrhunderts (1915-1919) in den Vereinigten Staaten erschien. Sie richtete sich gegen die moderne Theologie, bzw. insbesondere gegen die Anwendung der historisch-kritischen Methode auf die Bibel und gegen die Rezeption der Evolutionslehre. Die hinter der Schriftenreihe stehende Bewegung stammt aus der amerikanischen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts und verband mit der Verbreitung konservativ-protestantischen Schrifttums eine durch fromme Industrielle unterstützte öffentliche Propagandatätigkeit. Deren Höhepunkt war der sogenannte "Scopes-Prozess" (in ihm ging es um die Lehre der Abstammung des Menschen vom Affen) 1925 in Dayton, Tennessee.

Die transreligiöse Verwendung verdankt der Begriff des "Fundamentalismus" der islamischen Revolution im Iran 1979. Unter dem Einfluss des Ayatollah Khomeini (s.u.), der auf Grund einer wörtlichen Auslegung des Korans Körperstrafen wie Auspeitschen, Handabhacken und Steinigungen wieder einführte, griffen Publizisten auf diesen Begriff zurück, weil sich auch der protestantische Fundamentalismus auf eine wörtliche Auslegung ihrer heiligen Schrift bezog. Das gemeinsame "Fundament" der Fundamentalisten ist also ursprünglich jeweils ein wörtlich verstandener religiöser Basistext gewesen. Und es ist zu fragen, ob man nicht angesichts des späteren, inflationären Gebrauches zu seiner engeren Ursprungsbedeutung (von Fundamentalisten als 'Textfetischisten') zurückkehren soll. Im Bezug auf den Islam könnte so eine Differenzierung verschiedener Strömungen und Ursachen aufgedeckt werden, die durch den mittlerweile instrumentalisierten Begriff des Fundamentalismus eher verdeckt werden.

Im populären Sprachgebrauch werden unter dem Begriff Fundamentalismus zuweilen unterschiedslos konservative religiöse Gruppen, gewalttätige Mitglieder einiger Volksgruppen mit mehr oder weniger religiöser Motivation oder Terroristen zusammengefasst, was diesen Begriff heute problematisch macht. Während es unbestreitbar unter diesen Gruppentypen Überschneidungen gibt, lassen sie sich nicht prinzipiell gleichsetzen. Fundamentalisten charakterisiert man im allgemeinen dadurch, dass sie sich auf bestimmte konkrete Grundlagen (oder dem, was sie darunter verstehen) ihrer Religion (oder auch im politischen Sinne: ihrer Partei) beziehen und darüber keine Diskussion zulassen.

Der Begriff Fundamentalismus hat sich im Allgemeingebrauch stark aufgefächert, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA und in der europäischen Presse besonders nach der iranischen Revolution 1979, als nun auch von einem islamischen Fundamentalismus gesprochen wurde.

Der Begriff Fundamentalismus wird heute im allgemeinen Sprachgebrauch oft als diskursiver Allgemeinplatz verwendet. Im sprachpsychologischen Gebrauch wird der Begriff Fundamentalismus auch zum Ausdrücken eines Diskussionsabschlusswunsches verwendet, in dem eine andere Meinung als Fundamentalismus etikettiert und abqualifiziert wird.

Allgemeines

Fundamentalismus, der als eine grundsätzliche Gegenbewegung gegen die Moderne gesehen werden kann, sieht die grundlegenden Prinzipien einer Religion durch Relativismus, sexuelle Selbstbestimmung, Pluralismus, Historismus, Toleranz und das Fehlen von Autorität gefährdet. Er propagiert die Rückkehr zu traditionellen Werten und striktes Festhalten an religiösen Dogmen. Ein Mittel dazu sieht er im politischen Engagement. Typisch für ihn ist, dass er die in westlichen Ländern übliche Trennung von Kirche und Staat aufgibt, um seine Ziele auch mit politischen Mitteln durchsetzen zu können.

Die fundamentalistische Weltanschauung ist in der Regel durch ein dualistisches Konzept des Niedergangs, nach dem die Anhänger des Wahren und Guten im Kampf gegen die Schlechten, das "Böse", anders Denkenden und anders Gläubigen begriffen sind, geprägt. Dazu vertreten sie eine Lehre, der zufolge Sünde weniger das persönliche Fehlverhalten, sondern eine gesellschaftliche Kraft darstellt. Dieser politisch verstandenen Sünde kann in der Konsequenz nur mit der Errichtung einer Theokratie entgegengewirkt werden.

Strittig ist insbesondere die Abgrenzung zu Anhängern konservativer oder orthodoxer Richtungen von Religionen oder Ideologien. Diese stehen ebenfalls gegenwärtigen Entwicklungen kritisch oder ablehnend gegenüber, nehmen dabei aber eine eher moderate Haltung ein. Konservative und Orthodoxe wollen auch eher die real existierenden Traditionen ihrer unmittelbaren Vorfahren fortsetzen, während Fundamentalisten zu einem angenommenen "Urzustand" vergangener Zeiten zurücklenken zu können meinen.

Charakteristisch für den Fundamentalismus ist ferner die oft unkritische Rezeption heiliger Texte bzw. die Ablehnung kritischer, wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit religiösen Texten (siehe Verbalinspiration).

Typisch ist auch die "Annahme einer in baldiger Zukunft bevorstehenden Weltwende", etwa durch die - buchstäblich vorgestellte - Wiederkunft Christi (christlich), die Ankunft des 12. Imam (schiitisch), die apokalyptische Endschlacht zwischen Gut und Böse oder den Beginn des Jüngsten Gerichts.

Religionssoziologisch bilden die Fundamentalisten oft kleinere Gruppen innerhalb großer Religionen, die sich von der Mehrheit absetzt, weil diese die grundlegenden Prinzipien der Religion verraten habe. Versteht man Fundamentalismus als eine Bewegung zurück zu den Quellen der Religion, so waren die Reformatoren in vergröberter Sicht ebenfalls eine Art Fundamentalisten. Islamwissenschaftler wie zum Beispiel Oliver Roy unterschieden im Islamismus unter anderem einen militanten Islamismus (oder islamistischen Terrorismus) und einen Neofundamentalismus.

Das wesentliche Charakteristikum totalitärer religiöser Gruppierungen ist eine vollständige Einbindung der Mitglieder bezüglich aller Lebensbereiche, die sich derart umfassend auf Betroffene auswirkt, dass kritischen Gedanken kein Freiraum bleibt. Solche Gruppen können theologisch Fundamentalisten sein, aber sie kommen ebenso unter neuen religiösen Bewegungen vor. (Siehe auch: Totalitarismus)

Terroristische Gruppen üben Gewalt undifferenziert gegen Unbeteiligte aus, um ihre, gewöhnlich politischen, Ziele zu erreichen. Die Motivation kann ganz oder teilweise aus einer religiösen oder ideologischen Überzeugung stammen; diese ist aber nicht notwendigerweise fundamentalistisch.

Christlicher Fundamentalismus

Der christliche Fundamentalismus ist zu sehen als ein Teil der evangelischen Erweckungsbewegung in den USA, die besonders im 19. Jahrhundert stark war. Gegen die moderne Bibelkritik auf den Kanzeln der protestantischen Hauptkonfessionen in den USA wuchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschiedener Widerstand, der zunächst unorganisiert war. In Deutschland war dafür vor dem Aufkommen des Begriffs Fundamentalismus der Ausdruck Repristinationstheologie üblich.

Eine lose Schriftenreihe "The Fundamentals - A Testimony to the Truth" erschien von 1910-1915 in einer Auflage von je 175.000-300.000, welche verschiedene wertkonservative christliche Gedanken umfasste und eher ökumenisch und nicht separatistisch gedacht war. Finanziert wurden die Traktate von den kalifornischen Ölmagnaten Lyman und Milton Stewart.

Als Erfinder des Begriffes "Fundamentalismus" gilt Curtis Lee Laws (1858-1946) in der Zeitschrift "Watchman Examiner" in der Ausgabe vom 1. Juli 1920. Mit Fundamentalisten bezeichnete Laws eine Gruppe innerhalb der Northern Baptists, die an der Irrtumslosigkeit der Bibel festhielt.

1919 wurde eine "World's Christian Fundamentals Association" WCFA gegründet, die jedoch unbedeutend blieb.

Als Klassik des christlichen Fundamentalismus in den USA kann man die ökumenisch-pazifistische Grundausrichtung von 1910-1918 ansehen.

Durch die russische Revolution, die beiden Weltkriege und die Angst vor dem Kommunismus (Kalter Krieg) wurde die amerikanische und die westliche Gesellschaft stark verändert. Diese Angstkultur war der Nährboden für die spätere fundamentalistische kirchliche Splitterbewegung in den USA, die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg lauter wurde und einen rigorosen konfessionellen Separatismus umzusetzen begann, als innerkirchliches Pendant zum Kalten Krieg auch als Separatismus innerhalb der protestantischen Erweckungsbewegung. Die Erweckungsbewegung als Ganzes und insbesondere der Evangelikalismus setzte sich zwar auch von vielen theologisch-bibelkritischen Strömungen ab, verzichtete aber meist auf die beissende Polemik und die als unbiblisch empfundene Rechthaberei.

Viele fundamentalistische Gruppen sehen ihrerseits den Evangelikalismus als zu verweltlicht und zu ökumenisch an. In Fragen von Ökonomie und Politik besteht beim christlichen Fundamentalismus eine starke Affinität zu ultraliberalen oder rechtsradikalen Auffassungen. So wird die Todesstrafe meist befürwortet im Unterschied zu den Evangelikalen, die hier gespalten sind und ein sehr breites politisches Spektrum aufweisen. Viele Evangelikalen empfinden das Aufrechterhalten der Todesstrafe als theologisch unhaltbar, da man nicht für sich selbst die Gnade Christi beanspruchen und gleichzeitig anderen gegenüber ungnädig sein kann. (Lukasevangelium 6,37: "Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.")

Hinter dem Fundamentalismus und Evangelikalismus verstecken sich unterschiedliche soziale Hintergründe. Die Fundamentalisten sind oft die Landmenschen aus dem Mittleren Westen, die Evangelikalen oft die Stadtmenschen aus Kalifornien und den Neu-England-Staaten. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Komplexität der sozialen Hintergründe der unterschiedlichen Richtungen in der protestantischen Erweckungsbewegung extrem groß ist und die Kategorisierungen daher nur kommunikatorische Hilfsgrößen sein können und nicht Tatsachen.

In der evangelischen Welt außerhalb der USA gibt es nur wenige Entsprechungen zur fundamentalistischen Bewegung. Sie ist ein typisch US-amerikanisches Phänomen, welches durch die typische kommunikatorische Radikalität entstanden ist, welche durch die Größe der US-Gesellschaft (heute ca. 300 Mio. Einwohner) vorgegeben ist und in allen Lebensbereichen wahrzunehmen ist.

Filialen der US-amerikanischen Missionsgesellschaften fundamentalistischer Prägung wurden in Europa durch den pietistisch geprägten Evangelikalismus gezähmt und kulturspezifisch umgeformt. Die fundamentalistische Mission ist weltweit mehr oder weniger erfolglos geblieben. In Südamerika ist die charismatisch-pfingstlerische Bewegung sehr erfolgreich.

Bei der Berichterstattung über die evangelische Erweckungsbewegung wird in der allgemeinen Presse der Begriff Fundamentalismus auch als Oberbegriff für die ganze Bewegung verwendet, was religionshistorisch und -soziologisch jedoch nicht haltbar ist.

In der Außenwahrnehmung wird es in jüngerer Zeit oft als christlicher Fundamentalismus bezeichnet, wie evangelisch-konservative Christen in den USA ihre Glaubensidentität stark mit der amerikanischen Kultur- und Nationalidentität überlagern, und damit eine Art von Antipathie ernten, welche man in Europa der Kategorie "Unheimliche Patrioten" (im Sinne eines übersteigerten Nationalismus) entgegenzubringen pflegt. In der europäischen Presse wird diese Antipathie oft am Thema Kreationismus kondensiert. Grund hierfür ist auch der medien-ökonomische Sachzwang, mit möglichst wenig Aufwand bei der Leserschaft möglichst viel emotionales Engagement hervorzurufen. Auch der so genannte christliche Zionismus wird heute meist als fundamentalistisch wahrgenommen.

Islamischer Fundamentalismus

Hauptartikel: Islamischer Fundamentalismus.

Der islamische Fundamentalismus, oft auch als Islamismus bezeichnet, versteht sich als ein kritischer Moment am vermeintlichen Niedergang des Islam in der islamischen Welt und der Diaspora.

Sowohl im Glaubenssystem als auch in den Handlungsanweisungen stellt er Abweichung von den wörtlich verstandenen Texten aus Koran und Hadith fest, u. macht sie als ideen- und sozialkritische Bewegung für Unmoral, Korruption und andere politische Übel der islamischen Länder ihre "Verwestlichung" verantwortlich. Sayyid Qutb (1906 - 1966), Mitglied und Vordenker der Muslimbruderschaft, propagierte einen islamischen Staat als Garant sozialer Gerechtigkeit. Hierbei unterscheiden sich Fundamentalisten von "Konservativen" in der Verwerfung der historischen, bis an die Gegenwart gewachsenen islamischen Traditionen als "degeneriert".

Der islamische Fundamentalismus ist eine Reaktion auf den Identitätsverlust, den viele arabische Länder durch die Kolonisierung erlebten, und auf eine durch den Westen dominierte Globalisierung, die westliche Werte wie Individualismus oder Säkularismus absolut setze und traditionelle orientalische Werte, wie Gemeinschaftssinn und Familie, verdrängen wolle.

Im Islam bildeten sich fundamentalistische Bewegungen im engeren Sinne in den 1930er Jahren, gleichwohl hatte es in der Geschichte des Islam immer wieder radikale religiöse Bewegungen gegeben, so beispielsweise die Wahhabiten im 18. Jahrhundert, die später den heutigen Staat Saudi-Arabien prägten. Ein wichtiger "geistiger Ahne" ist der Damaszener Rechtsgelehrte Ibn Taimiya (1263-1328). Bis heute maßgeblich ist zum einen die 1928 vom Lehrer Hasan al-Banna (1906-1949) in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft (Al-Ikhwan al-muslimun). Der zweite wichtige Vordenker ist der in Indien und (ab 1947) in Pakistan wirkende Abû l-A’lâ al-Maudûdî (1903-1979) mit seiner 1941 gegründeten Kaderpartei Jama'at-e islami. In Iran entstand eine von der schiitischen Imamatslehre geprägte Sonderform des islamischen Fundamentalismus. Unter der Führung des Ayatollah Ruhollah Musawi Khomeini (1906-1989) errang sie in der islamischen Revolution 1979 nach dem Sturz des Schahs die Macht.

Die islamischen Fundamentalisten opponieren dem säkularen Staatsmodell und fordern die Einführung des islamischen Rechts, da in ihrem Verständnis die Einheit von Religion, Gesellschaft, Familie, und Staat integral zum Islam gehört. Die Parallelen ihres Staatsmodells zu totalitären Systemen säkularer Prägung sind offensichtlich. Verschwörungstheorien sind ein zentrales Element der islamisch-fundamentalistischen Ideologie.

Besonderen Zustrom findet der islamische Fundamentalismus durch die soziale Situation: wegen der Landflucht gibt es in den Slums der Riesenstädte von Kairo und Ghaza-Stadt, Jakarta und Islamabad entwurzelte Massen, die beim Islamismus nicht nur einen geistigen Halt sondern auch soziale Hilfe finden. Islamistische Organisationen predigen nicht nur in den Moscheen, sie führen auch Spitäler und Schulen, die den Ärmsten offen stehen - ein wichtiger Faktor in Ländern mit hoher Analphabetenrate. Die Stärke des islamischen Fundamentalismus in Saudi-Arabien und den wohlhabenden Golfstaaten zeigt jedoch, dass die Entstehung des islamischen Fundamentalismus nicht einseitig durch sozio-ökonomische Faktoren erklärt werden kann.

Fundamentalistische Gruppen des Islams werden nicht durch eine hierarchische Organisation zusammengehalten, sondern sie treten quer durch die islamische Welt in einzelnen, hierarchisch strukturierten Gruppen auf. Viele davon erhalten finanzielle Unterstützung vom Staat Saudi-Arabien beziehungsweise Iran.

In Deutschland wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht berichtet, dass es derzeit 24 aktive islamistische Organisationen im Bundesgebiet gibt. Sie hatten im Jahr 2003 nach Schätzungen der Behörden insgesamt 30 950 Mitglieder. Davon sind 27 300 türkischer und 3300 arabischer Herkunft. Insgesamt entspricht dies nur einem Prozent der über drei Millionen hier lebenden Muslime. Deutschland gilt vor allem als "Ruheraum" für potenzielle islamische Terroristen.

Die wichtigsten islamistischen Gruppierungen in Deutschland im Überblick:

  • Die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) ist mit rund 26 500 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in Deutschland. Der 1985 in Köln gegründete Verein steht islamistischen Parteien in der Türkei nahe, z.B. der "Partei der Glückseligkeit" (SP). Bundesweit unterhält die Vereinigung mehr als 300 Einrichtungen. Sie fördert laut Verfassungsschutz "die Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus in Deutschland".
  • Extrem gewaltbereit sind die 200 Mitglieder der Islamisten-Partei "Hisb el Tahrir el Islami" (Partei der islamischen Befreiung). Die straff organisierte Gruppe strebt eine Vereinigung aller Moslems in einem Gottesstaat an. Hauptfeind ist Israel. 2003 wurde die Organisation in Deutschland verboten.
  • Die 800 Mitglieder starke libanesische "Hisbollah" und die 300 Anhänger der palästinensischen "Islamische Widerstandsbewegung" (Hamas) sind gewaltbereit und unterstützen von Deutschland aus den Terror im Libanon und in Palästina.
  • Die rund 800 Anhänger des Ende 2001 verbotenen "Kalifatstaats" von Metin Kaplan bekämpfen die freiheitlich demokratische Grundordnung und streben die weltweite Herrschaft des Islam an.

Der Anteil der vor religiös motivierter Gewalt besorgter Deutscher lag in einer Umfrage 2006 bei 40 %.[1]

Jüdischer Fundamentalismus

Auch im Judentum ist zwischen liberalen, konservativen, orthodoxen und fundamentalistischen Richtungen zu unterscheiden (letztere werden oft auch als ultra-orthodox bezeichnet), die das gesamte Spektrum von engerer oder weiterer Auslegung des Religionsgesetzes, des so genannten "Zauns um die Tora" abdecken.

In der Beziehung zum Staat Israel gibt es unter den ultra-orthodoxen Juden zwei diametral entgegengesetzte Sichtweisen:

  • Gewisse chassidische Strömungen lehnen den Zionismus als Ketzerei ab und nehmen eine militant feindselige Haltung zum Staat Israel und zu allen sich mit Israel identifizierenden Juden ein, da die Existenz Israels die Ankunft des Messias verhindere. Auch die Neuhebräische Sprache lehnen sie strikt ab und sprechen stattdessen weiter Jiddisch.
  • Der religiöse Zionismus hingegen, mit dem geistigen Vater Abraham Isaak Kook (1865-1935), sieht im Staat Israel den Anbruch der messianischen Zeit und interpretiert Ereignisse wie den Sechs-Tage-Krieg als Zeichen der Bestätigung. Politisch bedeutsam ist der von jüdischen Fundamentalisten, beispielsweise der Bewegung Gush Emunim (Block der Gläubigen), vertretene göttliche Anspruch der Juden auf Eretz Israel, das heilige Land. Territoriale Zugeständnisse werten sie als Sakrileg, was 1995 zur Ermordung Jitzhak Rabins führte.

Hinduistischer Fundamentalismus

Das grundlegende gemeinschaftsbildende Element des hinduistischen Fundamentalismus ist der Glaube an die Einzigartigkeit der indischen Erde.

Indien, dazu zählen die heutigen Staaten Indien, Pakistan, Bangladesch, Nepal, Sri Lanka, Bhutan und große Teile Burmas, wird als "heiliges Land" mit hervorgehobener Bedeutung für die Weltgeschichte betrachtet. Dieser geographische Raum ist im eigentlichen als Beginn der menschlichen Schöpfung anzusehen. Die Götterwelt hat daher in Indien ihr zu Hause.

Hinduistischer Fundamentalismus sieht das Leben „als integriertes Ganzes”. Indien und die Welt befänden sich im Zuge der Moderne in einem Zustand des Chaos und der Richtungslosigkeit. Dies mache die Rückbesinnung auf die eigene Kultur notwendig, die durch das religiöse Konzept des ‚Dharma‘ gestützt würde. Dieses Dharma war als außerweltliche, auch göttliche Ordnung, die der einzelne Mensch nicht beeinflussen könne und die das Handeln des Menschen von ihr abhängig mache, zu verstehen. Der Hinduismus hat durch dieses ordnende Prinzip des Dharmas auch eine für die gesamte Erde zukunftsweisende Bedeutung. Ein Hindu ist ein 'vertrauensvoller, den Traditionen verpflichteter, recht handelnder Mensch’.

Zu den Verhaltensregeln eines Hindus zählen die vom Vishwa Hindu Parishad vorgeschriebene und sanktionierte Teilnahme an gewissen Feiern und Zeremonien. Unabdingbar ist das Engagement, für den Bau eines Tempels an der angeblichen Geburtsstätte von Gott Rama in Ayodhya am Ort der am 6. Dezember 1992 von Freiwilligen des VHP zerstörten Babri-Moschee zu wirken.

Der hinduistische Fundamentalismus wirkt organisatorisch mit der politischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP) und der ideologischen Kader- und Freiwilligenorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) zusammen. Die nationalistische Bharatiya-Janata-Partei oder die militante Vishwa Hindu Parishad sind Beispiele für Fundamentalismus im Hinduismus. Der Hindu-Fundamentalismus versucht vor allem alle vermeintlichen ehemaligen hinduistischen Inder (Muslime, Christen, Sikhs) wieder zum Hinduismus "zurückzubekehren", Hindi zur alleinigen Sprache all jener Hindus zu machen, die eine dem Hindi verwandte Sprache sprechen (beispielsweise Nepali, Pandschabi) und ein Groß-Indien, vor allem unter Einschluss ganz Kaschmirs aber auch Teilen anderer angrenzender Länder, zu schaffen. Außerdem tritt der Hindu-Fundamentalismus dafür ein, die Republik Indien von einem laizistischen Staat zu einem Staat mit hinduistischer Staatsreligion zu machen.

Buddhistischer Fundamentalismus

Durch die starke Tendenz zur Zersplitterung unter den buddhistischen Denkrichtungen, ist es schwierig, eine offizielle "Lehrmeinung", auf die Fundamentalisten harren könnten, festzustellen. Am ehesten sind Fundamentalisten jedoch unter westlichen Konvertiten zu finden. Als einheimische Fundamentalisten bezeichnen kann man gewisse Teile der japanischen Nichiren-Schule, beispielsweise die Nichiren Shoshu und die Soka-Gakkai-Bewegung. Auch der mittelalterliche Schulgründer Nichiren selbst kann mit gewisser Berechtigung als Fundamentalist bezeichnet werden.

Gemäß Robert Liftons Definition des "fundamentalistischen Selbst" zeigt eine Studie von David N. Kay, dass die Neue Kadampa Tradition wegen ihrer gleichförmigen organisatorischen Struktur, ihrem Versuch, einen uniformen Glauben und eine einheitliche Praxis innerhalb der Organisation zu schaffen und die Betonung nur einer einzigen Tradition, verbunden mit einer kritischen Einstellung gegenüber anderen Traditionen, in Lifton’s Kategorie von "Fundamentalismus" passt.[2] In der Studie wird zudem aufgezeigt, wie der Kampf um die Kontrolle des Instituts und die Unterdrückung der Erinnerung an die Konflikte im Institut zur späteren "fundamentalistischen" Identität der NKT beitrugen.[3]

Im Himalaya-Königreich Bhutan ist der Mahayana-Buddhismus Staatsreligion. Andere Religionen finden keine offizielle Anerkennung und werden, sofern ihre Praxis öffentlich bekannt wird, verfolgt. Muslimen, Christen und anderen Andersgläubigen ist es z.B. nicht gestattet, in der Öffentlichkeit zu beten oder zu feiern. Religiöse Versammlungen in nicht-buddhistischen Häusern, an denen mehrere Familien beteiligt sind, sind verboten. Die Einfuhr von gedrucktem religiösen Material ist eingeschränkt. Auch Festnahmen dienen der Polizei als Druckmittel gegenüber Andersgläubigen. Neben dem behördlichen Druck gibt es auch Druck von Seiten buddhistischer Geistlicher und gewaltsame Übergriffe auf Andersgläubige. Die Gesellschaft übt somit einen starken Druck aus, buddhistischen Normen zu entsprechen.

Politischer Fundamentalismus

Im späten 20. Jahrhundert erlangten einige fundamentalistische Bewegungen vor allem wegen ihrer Verbindung mit Gewalt und Terrorismus weltweite Aufmerksamkeit. Der sich gewaltsam äußernde Fundamentalismus wird deshalb von einigen als eines der größten weltpolitischen Probleme des 21. Jahrhunderts gesehen (siehe auch Huntingtons Theorie vom Kampf der Kulturen). Gewalttätige politische fundamentalistische Gruppen sind beispielsweise die deutsche RAF, der griechische 17. November, Al-Qaida, die libanesische Hisbollah (Hizb Allah "Partei Allahs"), der peruanische Sendero Luminoso ("Leuchtender Pfad") und die US-amerikanischen Ku Klux Klan und Jewish Defense League. Auch der Begriff Marktfundamentalismus ist bei Kritikern des Neoliberalismus gebräuchlich.

Umgang mit dem Fundamentalismus

Eine Verteufelung des Fundamentalismus führt zu verstärkter Radikalisierung und Selbstisolation fundamentalistischer Gruppen und bringt keine Lösung - auch wenn es für die westliche Kultur, die sich für Toleranz und Dialog einsetzt, wesentlich ist, sich klar von terroristischen Gruppen und Systemen abzugrenzen.

Andererseits ist es aber auch nötig, die Kulturen des Islam, des Christentums und des Judentums zu respektieren, ihnen das Recht auf eine eigene Identität zuzugestehen, gerade dort, wo sie sich gegen Säkularismus, Relativismus, und Verfall moralischer Werte abgrenzen wollen. Wer differenziert und mit den pragmatischen, gemäßigt konservativen Gruppen einen konstruktiven, auf Zusammenarbeit zielenden Dialog auf "gleicher Augenhöhe" führt, gräbt dem Fundamentalismus das Wasser ab.

Weiterhin muss nicht alles schlecht sein, was als im gängigen Sprachgebrauch schnell einmal als fundamentalistisch gebrandmarkt wird. Manche Entwicklungen innerhalb der anerkannten Gesellschaft, die der Fundamentalismus anprangert, können mit Recht hinterfragt werden, und nicht alle Werte, die Fundamentalisten vertreten, sind allein deshalb schon negativ.

In einigen Fällen spricht der Fundamentalismus Probleme an, die tatsächlich existieren, zumindest für einen gewissen Personenkreis - und dort hat der Fundamentalismus dann ein Rekrutierungspotential. Es sollten also auch manche der Probleme, die Fundamentalisten aufgreifen, nicht einfach negiert, sondern als Probleme ernst genommen und, wo nötig, aktiv behandelt werden.

Im Grundsatz problematisch ist in der Mediengeschichte die Transponierung des Fundamentalismus-Begriffes durch säkulare Zeitungen von der im Grunde genommen pazifistisch orientierten christlich-fundamentalistischen Bewegung auf militante Kreise im Islamismus, Pseudo-Islamismus oder Terrorismus.

Siehe auch

Literatur

  • Stephan H. Pfürtner: Fundamentalismus - Die Flucht ins Radikale. Herder, Freiburg 1991, ISBN 345104031X
  • Kevin Phillips: American Theocracy. The Peril and Politics of Radical Religion, Oil, and Borrowed Money in the 21st Century. Viking Books, März 2006. - ISBN 0-67003-486-X (Rezension: [2]; auch als Audiobuch erhältlich)
  • Martin Riesebrodt: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung: amerikanische Protestanten (1910-28) und iranische Schiiten (1961-79) im Vergleich. Tübingen 1990, ISBN 3-16-145669-6
  • Hubert Schleichert: Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. München 1997, ISBN 3406419895
  • Hubertus Mynarek: Denkverbot - Fundamentalismus in Christentum und Islam. 1992, ISBN 3-926901-45-4
  • Beverley Milton-Edwards: Islamic fundamentalism since 1945. Routledge, London 2005, ISBN 0-415-30172-6
  • Bassam Tibi: Die Krise des modernen Islam - Eine vorindustrielle Kultur im wissenschaftlich-technischen Zeitalter C.H. Beck, 1981 (ISBN 3-406-06028-5), Suhrkamp, 2001 (ISBN 3518284894)
  • Thomas Meyer: Fundamentalismus: Aufstand gegen die Moderne. Reinbek bei Hamburg 1989, ISBN 3-499-12414-9
  • Martin E. Marty, R. Scott Appleby (Hg.): Fundamentalisms and the State. Remaking Polities, Militance, and Economies. (The Fundamentalism project; v. 3). University of Chicago Press, Chicago u.a. 1996, IX, ISBN 0-226-50884-6
  • Martin E. Marty, R. Scott Appleby (Hg.): Fundamentalisms observed. (The Fundamentalism project; v. 1). University of Chicago Press, Chicago u.a. 1994, XVI, ISBN 0-226-50878-1
  • Clemens Six, Martin Riesebrodt, Siegfried Haas (Hg.): Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung. StudienVerlag, Innsbruck u.a. 2004, ISBN 3-7065-4071-1
  • Raúl Páramo-Ortega: Fundamentalisten sind immer die Anderen. Freud im Zeitalter des Fundamentalismus. 2005. http://psydok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2005/560/
  • Karen Armstrong: Im Kampf für Gott. Fundamentalismus in Christentum, Judentum und Islam. Siedler Verlag, München 2004.
  • Der Fundamentalist, in: Mitternachtsruf, Mai 2006, S. 11-15 (PDF)
  • Gisbert Gemein/Hartmut Redmer: Islamischer Fundamentalismus, Aschendorf, Münster 2005, ISBN 3-402-06556-8

Fußnoten

  1. http://derstandard.at/?url=/?id=2508165
  2. Tibetan and Zen Buddhism in Britain: Transplantation, Development and Adaptation by David N. Kay, London and New York, ISBN 0-415-29765-6, S. 111-113, speziell S.110
  3. Inken Prohl, FU Berlin in einer Buchbesprechung zu David N: Kays Studie, [1]