Kleitarchos (Historiker)

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Kleitarchos (griechisch Κλείταρχος Kleítarchos) war ein antiker griechischer Geschichtsschreiber. Er lebte vermutlich Ende des 4./Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. und verfasste eine Darstellung der Taten Alexanders des Großen. Zwar ist das Werk heute nur in einigen Fragmenten überliefert, es hatte aber bedeutenden Einfluss auf die Tradition zu Alexander dem Großen, insbesondere den Alexanderroman.

Leben

Das Leben des Kleitarchos ist aufgrund der mangelhaften Quellenlage nur ansatzweise zu rekonstruieren und mit vielen Unsicherheiten behaftet. Aufgrund einiger Bemerkungen bei antiken Historikern sowie Hinweisen in den erhaltenen Fragmenten geht eine Mehrzahl der Forscher von folgender Version aus:

Kleitarchos war ein Sohn des Geschichtsschreibers Dinon von Kolophon.[1] Seine im mittelalterlichen byzantinischen Lexikon Suda enthaltene Vita ist verloren, und so existieren nur wenige verstreute Angaben zu seiner Biographie. Schon seine ungefähre Lebenszeit ist nur sehr annähernd zu bestimmen. Sein Vater schrieb wohl unter Alexander dem Großen (regierte 336–323 v. Chr.) eine bis mindestens 344 v. Chr. reichende Geschichte Persiens. Der Philosoph Stilpon soll Lehrer des Kleitarchos gewesen sein, nachdem er diesen als Schüler vom Kyrenaiker Aristippos abgeworben hatte.[2] Es ist unbekannt, ob Kleitarchos den Makedonenkönig, dessen Leben er beschrieb, noch kennenlernte und ob er am Alexanderzug teilnahm;[3] wenigstens letzteres ist sehr unwahrscheinlich. Laut Plinius dem Älteren verfasste er seine mindestens 12, eher 14 Bücher umfassende, nur sehr fragmentarisch erhaltene Alexandergeschichte nicht allzu lange nach dem im späten 4. Jahrhundert v. Chr. schreibenden Historiker Theopompos.[4] Nach der proptolemäischen Tendenz von Kleitarchos’ Werk zu schließen, verfasste er es wohl im von den Ptolemäern beherrschten ägyptischen Alexandria.[5]

Werk und Forschungsfragen

Die von einigen Althistorikern vertretene Ansicht, dass Kleitarchos erst wesentlich später im 3. Jahrhundert v. Chr. geschrieben habe,[6] bleibt eine Minderheitsmeinung. Auch die Angabe eines erst 2007 erstveröffentlichten Papyrus aus Oxyrhynchos,[7] dass Kleitarchos der Lehrer des ägyptischen Königs Ptolemaios IV. (regierte 221–204 v. Chr.) gewesen sei, hält Luisa Prandi, eine der wichtigsten Kleitarchos-Forscherinnen, für falsch; sie hält an der Frühdatierung von Kleitarchos fest.[8] Für die bisherige Mehrheitsmeinung (communis opinio) der früheren Datierung spricht unter anderem, dass Kleitarchos von antiken Schriftstellern meist in die Nähe der ersten Generation von Alexanderhistorikern gestellt wird, von denen die meisten Zeitgenossen Alexanders waren. Besonders gewichtig ist daneben die als verlässlich geltende Nachricht Plinius des Älteren, dass Kleitarchos’ Vater Dinon war, dessen Geschichtswerk (allerdings mit eigenen Unsicherheiten) in das 4. Jahrhundert v. Chr. datiert wird.[9]

Bei der Datierung ist auch die schwer zu klärende, aber von der Forschung eifrig diskutierte Frage relevant, ob Kleitarchos nach oder vor der Veröffentlichung des Berichts Ptolemaios’ I. schrieb. Ptolemaios hatte als hoher Offizier und enger Freund Alexanders am Alexanderzug teilgenommen, wurde anschließend König von Ägypten und Begründer der Ptolemäer-Dynastie und schrieb außerdem einen eigenen Bericht über den Alexanderzug. Der bedeutende Sammler und Herausgeber der Fragmente antiker griechischer Geschichtsschreiber, Felix Jacoby, stellte die These einer relativen Chronologie der ältesten Alexanderhistoriker auf, nach der Kleitarchos um 300 v. Chr. und somit sicher nach Kallisthenes von Olynth und wohl auch nach Onesikritos sowie Nearchos schrieb, aber vor Ptolemaios I. und Aristobulos.[10] Zur Begründung der Annahme, dass Kleitarchos vor Ptolemaios schrieb, dient etwa die Beobachtung, dass die Fragmente des Ptolemaios sehr wenig Übereinstimmung mit jenen des Kleitarchos aufweisen. So polemisiert Quintus Curtius Rufus gegen die Darstellung des Kleitarchos, dass Ptolemaios einer der Lebensretter Alexanders bei dessen gefährlichem Kampf in einer Burg des indischen Stamms der Maller gewesen sei, da Ptolemaios selbst in seinen Erinnerungen dies verneinte.[11] Auch berichtete Kleitarchos über den angeblichen Besuch der Amazonenkönigin Thalestris bei Alexander als historische Tatsache, während Ptolemaios diese Erzählung als fiktiv zurückwies.[12] Die erwähnten auffälligen Diskrepanzen sind am ehesten damit erklärbar, dass Kleitarchos sein Werk vor Ptolemaios verfasste und dieser ausdrücklich die Darstellung seines Vorgängers korrigierte.[13]

Kleitarchos gab den populär-romanhaften und dramatischen Episoden den Vorzug vor einer wenigstens ansatzweise kritischen Durchsicht seiner Quellen. Er schilderte nicht nur die rein militärischen Geschehnisse, sondern flocht auch ethnographische und geographische Ausführungen ein. Nicht selten waren ihm literarische Effekte wichtiger als die historische Realität. Für die „Gegenrichtung“ steht die Anabasis Arrians.

Sein Material entnahm Kleitarchos unter anderem der Geschichte des Kallisthenes. Er stützte sich auch auf Berichte von Teilnehmern des Alexanderzugs, darunter einfachen Soldaten, aber auch den heute nur fragmentarisch erhaltenen Berichten von Nearchos und Onesikritos, Offizieren Alexanders, die selbst am Alexanderzug teilgenommen hatten und später als Historiker darüber berichteten. Für eine Verwendung der letzteren beiden Autoren spricht vor allem die Ausführlichkeit des Berichts des Kleitarchos über den Indienfeldzug Alexanders, an dem Nearchos und Onesikritos beide teilnahmen, bei gleichzeitiger Nähe mit den vor allem über Arrian erhaltenen Zeugnissen der beiden Offiziere.[14] Eine weitere Quelle könnte Polykleitos von Larissa gewesen sein, ein makedonischer Historiker und Geograph, der wie Kleitarchos davon ausging, dass das Kaspische Meer ähnlich groß sei wie das Schwarze Meer.[15]

Zwar schrieb Kleitarchos viel Unglaubhaftes nieder, doch bewahrte er auch manch interessante Episode. Sein Urteil über Alexander war kritisch, denn er schrieb ihm tyrannenhafte Züge zu. Dennoch wollte er den König anscheinend nicht in ganz ungünstigem Licht zeigen, denn er billigte ihm durchaus Herrschertugenden wie Milde, Tapferkeit und Großzügigkeit zu.

Rezeption

Gerade die romanhafte Ausschmückung und die dramatisierende effektvolle Darstellung, die gezielt den Leser erstaunen sollte, sorgte wohl für den Erfolg des Werks, das anscheinend die am meisten gelesene antike Alexandergeschichte war. Es entfaltete bei einigen späteren Alexanderhistorikern eine beträchtliche Wirkung und bildete den Ausgangspunkt der sogenannten Vulgatatradition, in der das erzählerische Element stark in den Vordergrund trat (siehe auch Alexanderroman). Viele spätere Autoren schöpften direkt oder indirekt aus dieser Quelle. So basiert das 17. Buch von Diodors Weltgeschichte weitgehend auf ihr, und auch Pompeius Trogus und Quintus Curtius Rufus verwerteten in erster Linie Material aus der Darstellung des Kleitarchos, das ihnen möglicherweise von einer Zwischenquelle vermittelt wurde. Noch in späterer Zeit war das Werk sehr beliebt, was etwa Plinius der Ältere in seiner Naturalis historia festhielt.[16]

Textausgaben

Literatur

Anmerkungen

  1. Plinius der Ältere, Naturalis historia 10, 136.
  2. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren berühmter Philosophen 2, 113.
  3. Rüdiger Schmitt: Cleitarchus. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica. Band 5, 1992, ISBN 0-939214-79-2, S. 703–704 (englisch, iranicaonline.org, Stand: 21. Oktober 2011 [abgerufen am 8. August 2023] mit Literaturangaben).
  4. Plinius, Naturalis historia 3, 57.
  5. Felix Jacoby: Kleitarchos 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XI,1, Stuttgart 1921, Sp. 622–654, hier: Sp. 622 f. (Digitalisat).
  6. Vgl. etwa V. Parker: Source-Critical Reflections on Cleitarchus’ Work. In P. Wheatley, R. Hannah (Hrsg.): Alexander and His Successors: Essay from the Antipodes. Regina Books, Claremont, California 2009, S. 28–55, der Kleitarchos’ Werk um 270 v. Chr. datiert.
  7. Erstveröffentlichung in: A. G. Beresford, P. J. Parsons, M. P. Pobjoy: 4808. On Hellenistic Historians. In: R. Hatzilambrou, P. J. Parsons, J. Chapa u. a. (Hrsg.): The Oxyrhinchus Papyri. Band 71, London 2007, S. 27–36. Vgl. dann: F. Landucci, Luisa Prandi: Un nuovo catalogo di storici ellenistici (POxy LXXI 4808). In: Rivista di filologia e d’istruzione classica. Band 141, 2013, S. 61–104.
  8. Luisa Prandi: New Evidence for the Dating of Cleitarchus (POxy LXXI. 4808)? In: Histos. Band 6, 2012, S. 15–26, insbesondere S. 23.
  9. Zu diesen Argumenten Luisa Prandi: New Evidence for the Dating of Cleitarchus (POxy LXXI. 4808)? In: Histos. Band 6, 2012, S. 15–26, hier: S. 16f.
  10. Felix Jacoby: Kleitarchos 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XI,1, Stuttgart 1921, Sp. 622–654, hier: Sp. 625 ff.
  11. Curtius Rufus, Historia Alexandri Magni 9, 5, 21.
  12. Plutarch, Alexander 46, 1 f.
  13. So Felix Jacoby: Kleitarchos 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XI,1, Stuttgart 1921, Sp. 622–654, hier: Sp. 625 ff. Vgl. dazu auch aus der neueren Literatur Luisa Prandi: New Evidence for the Dating of Cleitarchus (POxy LXXI. 4808)? In: Histos. Band 6, 2012, S. 15–26, hier: S. 20–23.
  14. Luisa Prandi: Fortuna è realtà dell’ opera di Clitarco. Stuttgart 1996, S. 61–63, 75–83. Indien behandeln die Fragmente 6 und 17–27 des Kleitarchos in der Zählung von Brill’s New Jacoby.
  15. Zu Kleitarchos und Polykleitos siehe Luisa Prandi: Fortuna è realtà dell’ opera di Clitarco. Niemeyer, Stuttgart 1996, S. 77–79 und dieselbe: Commentary zu Fragment 12. In: Kleitarchos of Alexandria (137). In: Jacoby Online. Brill’s New Jacoby. Part II, herausgegeben von Ian Worthington. Brill, Leiden 2016 (DOI:10.1163/1873-5363_bnj_a137).
  16. Plinius, Naturalis historia 10,70,136.