Belle Époque
Belle Époque (IPA: [ ],[1][2][3] ; französisch für „schöne Epoche“) ist ein nostalgisches, retrospektives Chrononym[4][5] für eine von politischen, sozialen, wirtschaftlichen, technologischen, kulturellen und wissenschaftlichen Umbrüchen und Fortschritten geprägte Periode von etwa vier Jahrzehnten. Sie umfasst die 1870er, 1880er, 1890er und 1900er Jahre um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und wird hauptsächlich als eine lebensfrohe durch Frieden, wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand gekennzeichnete Kulturepoche in Europa, insbesondere in Frankreich, dargestellt und interpretiert.[6] In England entspricht diese Periode dem späten Viktorianischen Zeitalter und der Edwardianischen Epoche, in Deutschland der Gründerzeit und dem Wilhelminismus, in den USA dem Gilded Age. Für die Zeit vor der Jahrhundertwende wird der Begriff Fin de Siècle („Jahrhundertende“) verwendet. All diese zeitgenössischen Epochenzuschreibungen kennzeichnen einen Zeitraum, der mehr in seiner Zerrissenheit als in seiner Ganzheitlichkeit begriffen werden kann.[7]
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 gilt allgemein als das Ende der Belle Époque.[8][9][10]
Begriff „Belle Époque“
Der zeitlich und räumlich zunächst unbestimmte Begriff der „schönen Zeit“ ist das Muster eines retrospektiven Epochenbegriffs – im Nachhinein erschaffen, um „die Welt, die wir verloren haben“ zu betrauern. Der Begriff schöpft aus verschiedenen Quellen imaginärer Referenzen und besitzt eine enorme Plastizität.[11] Er wurde in Frankreich und anderswo seit den 1930er Jahren in unterschiedlichen Kontexten verwendet und vage auf das extravagante mondäne Leben von tonangebenden Pariser Schichten und die Blütezeit von Kunst und Kultur in den Jahren vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs bezogen. Die Stadt Paris zog Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler aus aller Welt an und wurde zum Epizentrum kultureller und wissenschaftlicher Innovationen. Die Belle Époque ereignete sich im Wesentlichen auf den Boulevards, in den Cafés und Cabarets, den Ateliers und Galerien, den Konzertsälen und Salons von Paris. Aber auch andere europäische Metropolen wie Brüssel, Wien, Berlin, London, Sankt Petersburg und Mailand waren in dieser Zeit Hochburgen von Kunst, Kultur und Wissenschaft. Der Lebensstil und die Moden der mondänen Gesellschaft in diesen Metropolen dehnte sich darüber hinaus auch auf weitere Orte aus, insbesondere auf Kurorte, Seebäder und andere gehobene touristische Zentren in Europa, die von der gesellschaftlichen Oberschicht der Metropolen besucht wurde. In Frankreich waren es unter anderem Orte wie Aix-les-Bains, Deauville, Vichy, Biarritz und Dinard; in der Schweiz Montreux und Genf; in Österreich Salzburg und Bad Ischl; in Deutschland die Bäderstädte Wiesbaden, Baden-Baden und Bad Nauheim. Geprägt wurde das Bild der Belle Époque von einem mittleren und gehobenen Bürgertum, das vom technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt am meisten profitierte. Trotz der nach wie vor bestehenden großen Ungleichheiten imaginierte man (Belle Époque imaginaire),[12] so Dominique Kalifa, dass die Armut zurückging, die Sitten weicher wurden, Wohlstand und Konsum stiegen und damit auch die Lebensfreude (Joie de vivre). Niemand war zwar so naiv zu glauben, dass diese Welt die Gesellschaft als Ganzes verkörperte, aber man wollte glauben, dass das Bild dieser Gesellschaft den Ton angab. Die Freizeit- und Unterhaltungsindustrie entwickelte sich rasant. Die Belle Époque galt als „Fest des Lebens“.[13]
Historischer Kontext
Der französische Schriftsteller Charles Péguy notierte in seinem 1913 erschienenen Essay L’Argent (Das Geld):[14]
„Le monde a moins changé depuis Jésus-Christ qu’il n’a changé de puis trente ans.“
Dass sich die Welt in den vorangegangenen Jahrhunderten seit Jesus Christus weniger verändert habe als in den drei Jahrzehnten vor 1913 war ein weit verbreitetes Lebensgefühl in Europa Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Belle Époque war eine Zeit des Übergangs, eine Zeit der Dekadenz und eine Zeit von radikalen Neuanfängen. Die Beschleunigung und Anhäufung von sozialen, wirtschaftlichen, politischen, technologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Veränderungen, Umbrüchen und Innovationen in diesen Jahrzehnten war historisch beispiellos.
Internationale Politik
Auf den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 folgte eine ungewohnt lange Zeit des Friedens in Europa. Der Frieden ermöglichte einen nachhaltigen Aufschwung von Wirtschaft und Kultur in den europäischen Kernländern Vereinigtes Königreich, Frankreich, Belgien, Deutsches Reich, Italien und Österreich-Ungarn. In Österreich-Ungarn herrschte Kaiser Franz Joseph I. über einen Vielvölkerstaat, der jederzeit auseinanderzubrechen drohte. In Großbritannien wurde nach der 63-jährigen Herrschaft Queen Victorias, die 1901 starb, ein ganzes Zeitalter benannt.
Die Periode von 1870 bis 1914 war eine Zeit intensiver diplomatischer Aktivitäten in Europa. Die Mächte auf dem europäischen Kontinent versuchten, durch Bündnisse ihre Sicherheit zu gewährleisten, wobei sich Allianzen mehrmals änderten. Die Gründe für diese Bündnisse waren vielfältig und entsprachen geopolitischen Interessen, wirtschaftlichen Bedenken und dem Bedürfnis nach nationaler Sicherheit. Wichtige Bündnisse waren:
- Dreikaiserabkommen (1873): Ein lockerer Bund zwischen dem Deutschen Reich, Russland und Österreich-Ungarn. Ziel war es, das Gleichgewicht in Europa zu bewahren und radikalen Nationalismus oder Sozialismus zu verhindern.
- Zweibund (1879): Ein Verteidigungsbündnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn. Das Bündnis richtete sich ausdrücklicht gegen Russland, mit dem beide Länder Spannungen hatten.
- Dreikaiserbund (1881): Eine Erneuerung des Dreikaiserabkommens zwischen Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn. Ziel war es erneut, das Gleichgewicht in Europa zu erhalten und gemeinsame Interessen zu verfolgen.
- Dreibund (1882): Ein Militärbündnis zwischen dem Deutschen Reich, Österreich-Ungarn und Italien. Es war eine Erweiterung des Zweibunds. Das Bündnis war vor allem gegen Frankreich gerichtet, das mit dem Deutschen Reich wegen des Verlustes Elsass-Lothringens in Folge des Deutsch-Französischen Krieges (1870–1871) im Streit lag.
- Französisch-Russische Allianz (1894): Ein Militärbündnis zwischen Frankreich und Russland. Die beiden Länder schlossen sich zusammen, um sich gegen ein drohendes deutsches Machtzentrum in Europa zu wehren.
- Entente Cordiale (1904): Ein Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien, das eine Reihe von kolonialen Streitigkeiten klärte und den Weg für eine engere Zusammenarbeit gegen das Deutsche Reich ebnete.
- Triple Entente (1907): Ein Bündnis zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland. Es war keine formelle Militärallianz, aber eine enge diplomatische Verständigung, die ausdrücklich gegen die Macht des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten gerichtet war.
Die Entstehung dieser Allianzen wurde durch eine Kombination aus traditionellen geopolitischen Rivalitäten, wirtschaftlichen Interessen, kolonialen Bestrebungen und einer allgemeinen Unsicherheit in einer sich schnell verändernden internationalen Umgebung beeinflusst. Diese Allianzen trugen jedoch auch mit dazu bei, die Spannungen in Europa zu verschärfen und damit den Weg zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu ebnen.
Ab den 1890er Jahren ist eine zunehmende Isolation des Deutschen Kaiserreiches in Europa zu beobachten, welche durch die Abkehr von der Politik des „ehrlichen Maklers“ und einer aggressiven militaristischen Rhetorik gekennzeichnet war. Das mangelnde Interesse des Deutschen Kaiserreichs an der Fortführung der Beziehungen zu Russland gab Frankreich die Möglichkeit, mit dem Zarenreich eine Defensivallianz zu bilden, womit es seine außenpolitische Isolation durchbrechen konnte. Deutschland konzentrierte sich hingegen auf die Beziehung mit Österreich-Ungarn, den Zweibund, der zu einem Dreibund mit Italien erweitert wurde. Dieser Dreibund zeigte jedoch schon 1896 mit der Annäherung des Königreichs Italien an die französische Republik erste Risse. Zwischen Frankreich und Großbritannien bestanden in den 1890er Jahren Spannungen aufgrund ihrer kolonialen Rivalität. Eine Annäherung beider Rivalen Frankreichs, dem britischen Königreich und Deutschland, scheiterte jedoch 1900, da sie sich nicht auf eine gemeinsame Koordination ihrer Flottenpolitik einigen konnten. So deuteten sich schon 1900 die beiden politischen Blöcke an, die später im Ersten Weltkrieg gegeneinander kämpfen sollten.[15]
Nationalismus unterschiedlicher Schärfe war ein verbindendes Element unter den verschiedenen politischen Strömungen der europäischen Ländern in dieser Epoche. Neue Strömungen kamen auf, die einen „völkischen“ Nationalismus propagierten. Minderheiten wie Juden oder Einwanderer aus dem Ausland sollten dabei aus diesem Nationalverband ausgeschlossen bleiben.
Deutschland: Gründerzeit und Wilhelminismus
Im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich herrschte nach dem Sieg im Deutsch-Französischen Krieg eine Epoche allgemeiner Aufbruchstimmung, die später als Gründerzeit beschrieben wurde. Von 1862 bis 1890 – mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 1873 – war Otto von Bismarck in Preußen Ministerpräsident, von 1867 bis 1871 zugleich Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes. Von 1871 bis 1890 war er erster Reichskanzler des Deutschen Reiches, dessen Gründung er selbst maßgeblich vorangetrieben hatte. Nach der Reichsgründung eskalierte der sogenannte „Kulturkampf“ zwischen dem neuen protestantisch geprägten Nationalstaat und der römisch-katholischen Kirche. Diese Auseinandersetzung wurden bis 1878 beendet und 1887 diplomatisch beigelegt. Bismarck gilt als Vollender der deutschen Einigung und als Begründer des Sozialstaates der Moderne. In den späten 1870er Jahren leitete Bismarck die Schutzzollpolitik ein und griff zu staatsinterventionistischen Maßnahmen. Dazu zählte insbesondere die Schaffung des Sozialversicherungssystems. 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1891 die Rentenversicherung. Parallel dazu riefen viele Unternehmen eine eigene betriebliche Sozialpolitik ins Leben.
1888 kam es in Deutschland zum sogenannten Dreikaiserjahr: Nach dem Tod Kaiser Wilhelm I., der am 9. März 1888 im Alter von fast 91 Jahren in Berlin verstarb, folgte ihm sein ältester Sohn Kronprinz Friedrich Wilhelm als Kaiser Friedrich III. auf den Thron. Dieser starb jedoch bereits nach 99 Tagen Regentschaft am 15. Juni 1888 in Potsdam, woraufhin dessen ältester Sohn Friedrich Wilhelm als Wilhelm II. Kaiser des Deutschen Reiches und König von Preußen wurde. Wilhelm II. regierte bis 1918.
1890 führten Meinungsverschiedenheiten mit dem seit knapp zwei Jahren amtierenden Kaiser Wilhelm II. zur Entlassung Bismarcks als Reichskanzler, Nachfolger wurde der politisch unerfahrene General Leo von Caprivi.
Am 5. Dezember 1894 eröffnete Kaiser Wilhelm II. das Reichstagsgebäude in Berlin.
Die Politik Wilhelms II. beruhte auf dem im ostelbischen Junkertum verhafteten preußischen Militarismus und war, bedingt durch seine Ambitionen in der Blütezeit des Imperialismus, auch auf eine Etablierung Deutschlands als Weltmacht gerichtet, nachdem Deutschland Mitte der 1880er Jahre den Großteil seiner kolonialen Besitzungen in Afrika und der Südsee erworben hatte. Wilhelm war fasziniert von der Marine und bestrebt, sie massiv zu stärken. Dafür stand sein Satz: „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser.“ Dies spiegelte sich auch im alltäglichen Leben des Volkes wider: Knaben wurden in Matrosenanzüge gekleidet und sollten sich früh mit der Nation identifizieren, der Matrosenanzug wurde daher für alle Schichten der Gesellschaft als Kinderkleidung übernommen. Mädchen trugen dementsprechend Matrosenblusen mit blauen Faltenröcken oder ein entsprechendes Kleid, das später als Damen-Tennisdress erhalten blieb.[16]
Am 28. März 1898 beschloss der deutsche Reichstag im Flottengesetz den Aufbau einer Schlachtschiffflotte und löste damit ein Wettrüsten zur See mit Großbritannien aus.
Am 1. Januar 1900 traten im Deutschen Reich das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Handelsgesetzbuch (HGB) in Kraft.
1904 trat ein Kinderschutzgesetz in Deutschland in Kraft, das die Arbeit von Kindern unter 12 Jahren in allen gewerblichen Betrieben verbot. Allerdings wurde bereits 1906 die Arbeit von Kindern unter 10 Jahren in Familienbetrieben wieder erlaubt. 1908 wurde in Deutschland der Zehnstundentag eingeführt.
Frankreich: vom Zweiten Kaiserreich zur Dritten Republik
Nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 zog sich der französische Kaiser Napoleon III. ins Exil nach England zurück. Die Niederlage hatte das Zweite Kaiserreich von Napoleon III. zum Einsturz gebracht und es den Radikalen der Pariser Kommune ermöglicht, für kurze Zeit die Macht zu übernehmen. In Paris kam es zu Gewaltausbrüchen und Chaos, während die französische Armee um die Rückeroberung der Stadt kämpfte. Zahlreiche bedeutende Gebäude wurden während der Kampfhandlungen in Brand gesetzt und teilweise oder vollständig zerstört, darunter der Tuilerienpalast und das Hôtel de Ville, das Pariser Rathaus. Im Juni 1871 wurde die Pariser Kommune gestürzt. Auf das Zweite Kaiserreich folgte in Frankreich die Dritte Republik. Die neue Regierung bemühte sich um die Wiederherstellung der Ordnung und den Wiederaufbau vieler Gebäude in Paris. Außenpolitisch hatte es die französische Regierung zunächst schwer, da der Kanzler des Deutschen Reiches, Otto von Bismarck, bis 1890 mit seiner Bündnispolitik für eine außenpolitische Isolierung Frankreichs sorgte, das als einzige große Republik in Europa mit dem Misstrauen der monarchischen Mächte in Europa zu kämpfen hatte.
Österreich-Ungarn
Mit einer Fläche von rund 676.000 km² war die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina 1908 flächenmäßig das zweitgrößte (nach dem Russischen Reich) und mit 52,8 Millionen Menschen (1914) das bevölkerungsmäßig drittgrößte Land Europas (nach dem Russischen und dem Deutschen Reich). Als der Berliner Kongress 1878 Österreich-Ungarn die Okkupation Bosniens und der Herzegowina, beide formal weiterhin Bestandteile des Osmanischen Reiches, gestattete, wollten Österreich und Ungarn das neue Verwaltungsgebiet in ihren Staat eingliedern. Die salomonische Lösung bestand darin, dass Bosnien und Herzegowina weder zu Cis- noch zu Transleithanien geschlagen, sondern vom gemeinsamen Finanzministerium verwaltet wurden. Kaiser und König Franz Joseph I. war nach dem Ausgleich penibel darauf bedacht, seine beiden Monarchien gleich zu behandeln.
1898 wurde die österreich-ungarische Kaiserin Elisabeth in Genf von dem italienischen Anarchisten Luigi Lucheni ermordet. Als Reaktion auf die Tat fand vom 24. November bis 21. Dezember die Internationale Konferenz von Rom für die soziale Verteidigung gegen Anarchisten statt.
In Prag und Laibach kam es 1908 zu Ausschreitungen gegen die Deutschen als herrschendes Volk in der österreichischen Reichshälfte.
Schweizer Bundesstaat
Die neue schweizerische Bundesverfassung trat am 12. September 1848 in Kraft. Mit der neuen Verfassung wurde die Schweiz vom Staatenbund zum Bundesstaat geeint.[17] Sie wurde im Juli und August 1848 vom Schweizer Volk (nur Männer) in kantonalen Abstimmungen[18] mit 145'584 Jastimmen (72,8 %) gegen 54'320 Neinstimmen (27,2 %) angenommen. 1873 brach auch in der Schweiz in Folge des Unfehlbarkeitsdogmas des Ersten Vatikanischen Konzils der «Kulturkampf» zwischen dem Staat und der katholischen Kirche aus. Es ging primär um den Einfluss der Kirche im neuen liberal-säkularen Staatswesen. Starke Spannungen zwischen der röm.-katholischen Kirche und den liberalen Kantonen gab es im Bereich des Bistums Basel, besonders im vom reformierten Bern beherrschten katholischen Nord-Jura. Die Konflikte verschärften sich, bis der Bundesrat im Dezember 1873 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan abbrach.
1870/71 machte der Deutsch-Französische Krieg eine Grenzbesetzung unter General Hans Herzog erforderlich. Im Februar 1871 überquerten unter den Augen der Schweizer Armee etwa 87 000 Mann der geschlagenen französischen «Bourbaki-Armee» in den Kantonen Neuenburg und Waadt die Grenze und wurden interniert. Die Aufnahme und Pflege der entkräfteten Soldaten stellte die größte humanitäre Aktion dar, welche die Schweiz je durchgeführt hat.[19][20][21][22] (siehe Schweiz im Deutsch-Französischen Krieg).
Insbesondere seit den 1870er Jahren wurde die Schweiz zu einem Zentrum der anarchistischen Strömung der internationalen Arbeiterbewegung. Dazu gehörten Personen wie z. B. Michail Bakunin, Peter Krapotkin oder Johann Most, aber auch unorganisierte Anarchisten wie der Mörder der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, Luigi Lucheni.[23]
1897 fand in Basel unter der Leitung von Theodor Herzl der erste Zionistische Weltkongress statt. Als Sitz des Roten Kreuzes wurde Genf zu einer Metropole mit internationaler Ausstrahlung und zog bis ins 20. Jahrhundert weitere wichtige internationale Organisationen an.(siehe Liste der internationalen Organisationen in Genf).
1907 unterzeichnete die Schweiz das Haager Abkommen über Rechte und Pflichten von neutralen Staaten im Krieg. Das Abkommen untersagt neutralen Ländern, u. a. kriegsführende Staaten mit Truppen, Waffen oder Munition zu versorgen. Darauf basiert auch das Schweizer Kriegsmaterialgesetz. Das bedeutendste Recht aus dem Abkommen ist das Recht auf Unverletzlichkeit des eigenen Territoriums.(siehe Neutralität der Schweiz)
Königreich Italien
Während einer langen liberaleren politischen Phase stieg das Königreich Italien unter König Umberto I. 1878 zur Großmacht auf. Italien beteiligte sich ab den 1880er Jahren am kolonialen Wettlauf um Afrika und führte mehrere Kolonialkriege in Ostafrika sowie von 1911 bis 1912 einen Krieg um das spätere Italienisch-Libyen gegen das Osmanische Reich. 1882 wurde mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Allianz des Dreibundes geschlossen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich Italien von einem Agrarstaat, ähnlich wie Frankreich und Österreich-Ungarn, zum bedeutendsten Industrieland des Mittelmeerraums. Unter Umbertos Nachfolger Viktor Emanuel III. kam es ab 1900 in den großen industriellen Ballungszentren Oberitaliens zum Aufstieg einer organisierten Arbeiterschaft und des Bürgertums sowie zum Entstehen von Massenverbänden und -parteien. Im Süden Italiens hielt der wirtschaftliche Aufschwung dagegen nur langsam Einzug. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs erklärte Italien seine Neutralität, trat aber nach dem Londoner Vertrag von 1915, in dem umfassende territoriale Zugeständnisse gemacht wurden, an der Seite der Entente in den Krieg ein.
Vereinigtes Königreich von Großbritannien und Irland
Zum Zeitpunkt seines Bestehens war das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland das größte Kolonialreich der Erde und nach dem Ende der Napoleonischen Ära bis zum Ersten Weltkrieg die führende Weltmacht. Das Vereinigte Königreich umfasste die vier Landesteile England, Wales, Schottland und Irland. Unter der Herrschaft des Vereinigten Königreichs waren zudem Dominions, Kronkolonien, Protektorate, Mandatsgebiete und sonstige abhängige Territorien auf allen Kontinenten vereint. Die Außenpolitik des Königreichs war vom Prinzip der splendid isolation geprägt: Andere Mächte waren durch Konflikte in Europa gebunden, während die Briten sich aus diesen Konflikten heraushielten und durch die Konzentration auf den Handel ihre Vormachtstellung weiter ausbauten.[24] Das Königreich übte nicht nur die Kontrolle über eigene Kolonien aus, sondern beeinflusste dank seiner führenden Position in der Weltwirtschaft auch die Innenpolitik zahlreicher nominell unabhängiger Staaten.[25]
Als Viktorianisches Zeitalter (auch Viktorianische Epoche, Viktorianische Ära) wird in der britischen Geschichte der lange Zeitabschnitt der Regentschaft Königin Victorias von 1837 bis 1901 bezeichnet. Während des Viktorianischen Zeitalters florierte Großbritanniens Wirtschaft. Das lag vor allem daran, dass die industrielle Revolution nun auch im Bergbau und Maschinenwesen ihre Folgen zeigte und Großbritannien lange Zeit einen technologischen Vorsprung gegenüber anderen Ländern sicherte. Besonders der Ausbau des Eisenbahnnetzes hatte weitreichende Auswirkungen.
Der Erwerb von Kolonien hatte, neben der Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten, auch ideologische Gründe. Man betrachtete die Neuordnung „unzivilisierter“ Verhältnisse, ebenso wie die Missionierung, als Aufgabe. Nach dem erneuten Amtsantritt des britischen Premierministers Benjamin Disraelis 1874 begann die „Ära des (neuen) Imperialismus“. Zwar besaß Großbritannien zu dieser Zeit bereits ein großes Kolonialreich, stand aber nunmehr in starkem Wettbewerb mit anderen Kolonialmächten. Das Sendungsbewusstsein nahm in der Politik wie in der Massenpresse rassistische und jingoistische Züge an, ohne Selbstverwaltungen zu erwägen. Nachfolgende liberale Regierungen bemühten sich ebenfalls um eine – zunehmend defensive – Sicherung des Britischen Weltreichs. Allerdings unterlag die Politik vor Ort oftmals keiner zentralen Strategie, sondern wurde maßgeblich von den jeweiligen Gouverneuren bestimmt. In den 1890er Jahren übernahm der Staat die koloniale Erwerbspolitik vollständig, die vorher auch von privaten Gesellschaften getragen worden war.
Russisches Kaiserreich
Zur Zeit seiner größten Ausdehnung Mitte des 19. Jahrhunderts war das Territorium des Russischen Kaiserreichs das drittgrößte Reich der Weltgeschichte (nach dem Britischen Weltreich und dem Mongolischen Reich).
Zar Alexander II. nahm weitreichende Reformen in Angriff, nachdem die Rückständigkeit Russlands während des Krimkrieges deutlich geworden war. 1861 wurde die Leibeigenschaft aufgehoben sowie das Justizwesen und die kaiserlich russische Armee reformiert. Alexander setzte diese Reformen gegen große Widerstände durch. 1867 verkaufte er Alaska an die USA.
Nach dem Türkisch-Russischen Krieg 1877–1878, in dessen Verlauf Russland die Unabhängigkeit Bulgariens vom Osmanischen Reich erreichte, verbreitete sich die Idee des Panslawismus, der kulturellen, religiösen und politischen Vereinigung aller slawischen Völker in Europa unter russischer Herrschaft. Der Frieden von San Stefano bestimmte die sofortige Unabhängigkeit von Serbien, Montenegro und Rumänien. Bulgarien sollte neben den Vilâyet Tuna, um die osmanischen Provinz Edirne sowie große Teile der Landschaft Makedonien bis an die Ägäis, die Teil der Provinzen Saloniki, Manastır und Prizren waren, ausgedehnt werden. Der neugeschaffene bulgarische Staat sollte zwei Jahre unter russischer Besatzung stehen und anschließend ein autonomes, aber dem Osmanischen Reich tributpflichtiges Fürstentum werden. Russland sollte in Europa Teile von Bessarabien (für die Rumänien mit der Dobrudscha entschädigt werden sollte) und in Kleinasien Teile von Armenien sowie die osmanischen Provinzen Kars, Batum und Ardahan erhalten. Die europäischen Mächte wollten diesen Diktatfrieden aber nicht akzeptieren. Mit der Schaffung des großbulgarischen Fürstentums hatte Russland den Vertrag von Budapest mit Österreich-Ungarn gebrochen, das daher eine Revision des Vertrags von San Stefano forderte. Auch Großbritannien wollte mit allen Mitteln verhindern, dass Russland – wie im Frieden von San Stefano festgelegt – über den Satellitenstaat Bulgarien Zugang zum Mittelmeer erhielt, und versprach dem Osmanischen Reich in der Konvention zur Verteidigungsallianz zwischen Großbritannien und der Türkei in Istanbul vom 4. Juni 1878 gegen die Abtretung von Zypern Beistand. Die drohende Kriegsgefahr konnte durch die Einberufung des Berliner Kongresses gebannt werden, der den Frieden von San Stefano praktisch komplett zu Lasten Russlands und Bulgariens revidierte.
Nach der Ermordung seines Vaters 1881, folgte Alexander III. auf den Zarenthron. Alexander III. schlug einen reformfeindlichen Kurs ein und regierte streng autokratisch, wobei er sich vor allem auf die Armee und auf die Geheimpolizei, die Ochrana, stützen konnte. Die Armee nahm im Inneren Russlands traditionell auch Polizeiaufgaben wahr. Alexanders Sohn Nikolaus II., der ihm 1894 auf den Thron folgte, setzte dessen Politik fort.
In diese Epoche fiel auch die Erschließung des russischen Ostens. Von 1891 bis 1901 wurde die Transsibirische Eisenbahn zwischen Wladiwostok und Tscheljabinsk gebaut, die den Westen und den Osten des Reiches miteinander verbinden sollte, wodurch auch die Besiedlung Sibiriens begünstigt wurde. 1896 erhielt Russland durch den Bau einer Abzweigung, der Transmandschurischen Eisenbahn, Einfluss auf die Mandschurei, was aber zu kollidierenden Interessen mit Japan führte; beide suchten sich auf Kosten Chinas zu vergrößern.
Der Russisch-Japanische Krieg um Einfluss in der Mandschurei und Korea begann im Februar 1904 mit dem Angriff des Japanischen Kaiserreichs auf den Hafen von Port Arthur und endete nach einer Reihe verlustreicher Schlachten im Sommer 1905 mit der Niederlage des Russischen Kaiserreichs. Der Krieg wurde dabei weitgehend auf dem Territorium des nicht an den Kämpfen beteiligten Chinas ausgetragen. Der unter US-amerikanischer Vermittlung ausgehandelte Friedensvertrag von Portsmouth vom 5. September 1905 besiegelte den ersten bedeutsamen Sieg einer asiatischen über eine europäische Großmacht in der Moderne. Der Russisch-Japanische Krieg wird als ein Vorläufer des Ersten Weltkriegs betrachtet, weil hier zahlreiche militärtechnische Neuerungen erstmals in einem Krieg in großem Maßstab eingeführt wurden: Der Grabenkrieg mit Maschinengewehrstellungen und Stacheldraht, Gefechtsfeldbeleuchtung, Feldtelefon und Hochsee-Funktelegraphie. Massenangriffe mit aufgepflanztem Bajonett endeten tödlich gegenüber einem Gegner, der über Maschinengewehre verfügte. Die Japaner, die nach den Infanterieregeln des 19. Jahrhunderts kämpften, mussten deshalb hohe Verluste hinnehmen. Im Russisch-Japanische Krieg wurde die strategische Bedeutung der Eisenbahn deutlich, als die Transsibirische Eisenbahn nicht rechtzeitig und nicht ausreichend russische Truppen zuführen konnte. Die Analyse der Seegefechte trug erheblich zur Entwicklung der sogenannten Großkampfschiffe oder Dreadnoughts und damit zu einem neuerlichen Wettrüsten bei.
In Kischinew/Russland kam es 1903 zu dreitägigen Massenpogromen von russischen Christen gegen Juden, bei denen die Polizeikräfte nicht eingreifen. Nach internationalen Protesten erklärte das russische Innenministerium die Judenverfolgung mit deren sozialistischen Aufruhr gegen Zar Nikolaus II. Journalisten vermuteten eher eine Sündenbock-Politik angesichts der Wirtschaftsmisere, der weitverbreiteten Armut und wachsenden Arbeiterunruhen in Russland.
Die 1883 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands spaltete sich auf einem Exilparteitag, der 1903 in Brüssel stattfand, in Bolschewiki („Mehrheitler“) und Menschewiki („Minderheitler“).
Der Russisch-Japanische Krieg und der Petersburger Blutsonntag führten zur Russischen Revolution 1905 und zur Einberufung der ersten Duma, so stimmte Zar Nikolaus II. im Oktobermanifest der Schaffung einer Staatsduma als zweiter Kammer neben dem Reichsrat zu. Die Maßnahmen, mit denen die Regierung des Zaren die Revolutionäre zu besänftigen versuchte, wurden jedoch bald wieder zurückgenommen, weshalb die Revolution als gescheitert angesehen werden kann.
Der Aufstieg der USA zur Weltmacht
Auf der internationalen Bühne brachte kein anderer Vorgang solch weitreichende Konsequenzen mit sich wie der Aufstieg der USA nach dem amerikanischen Bürgerkrieg Ende des 19. Jahrhunderts. Um 1870 waren die USA eine allgemein respektierte Wirtschaftsmacht ohne größeren Einfluss auf das Weltgeschehen außerhalb des eigenen Kontinents. 1870 betrug der britische Anteil an der weltweiten Industrieproduktion 32 Prozent, derjenige der USA 23 Prozent, der deutsche 13 Prozent. 1913 war Großbritannien mit 14 Prozent auf den dritten Platz hinter Deutschland (16 Prozent) und den USA (36 Prozent) zurückgefallen. Die Industrie wuchs in den USA mit der Landwirtschaft. Nur außerordentliche Produktivitätszuwächse in der Agrarwirtschaft machten es möglich, eine dank hoher Geburtenraten und immenser Einwanderung schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren und zugleich Arbeitskräfte für die Industrie und den Dienstleistungssektor bereitzustellen.[26]
Ein schnelles Wirtschaftswachstum bescherte den USA ein „vergoldetes Zeitalter“ (Mark Twain: Gilded Age). Dies war möglich dank einer scheinbar unbeschränkten Verfügbarkeit von Land, Arbeit und Energie, dank umfangreicher europäischer Investitionen und einer hohen einheimischen Sparquote und dank der Existenz eines riesigen inländischen Marktes, den der Staat nach außen durch Zollmauern schützte. Die individuellen Vermögen, die in den USA durch Unternehmer wie den Ölmagnaten John D. Rockefeller (1839–1937) oder den Stahlindustriellen Andrew Carnegie (1835–1919) angehäuft wurden, überstiegen alles aus Europa Bekannte. Die arbeitende Bevölkerung profitierte von steigenden Reallöhnen, hatte aber kaum die Möglichkeit, ihre Interessen durch Gewerkschaften und politische Parteien zu vertreten.
Durch die Zweite Welle der Industrialisierung 1865–1914 stiegen die Vereinigten Staaten von Amerika zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht auf. Namen wie Bell, Edison, Carnegie, Westinghouse, Vanderbilt, Rockefeller, J. P. Morgan und William Jennings Bryan prägten von nun an die Geschichte. 1869 wurde durch die Verbindung von Central Pacific Railroad und Union Pacific Railroad die erste Transkontinentale Eisenbahn vollendet.
Der Sherman Antitrust Act von 1890 war ein erster Versuch, die Monopolbildungstendenzen der amerikanischen Wirtschaft einzuschränken. In dieser Zeit entstanden erste große Gewerkschaften, darunter die American Federation of Labor. Streiks wie der Große Eisenbahnstreik von 1877, der Haymarket Riot von 1886, der Homestead-Streik von 1892 oder der Pullman-Streik von 1894 erregten landesweites Aufsehen.
Als Progressive Era (Fortschrittliche Ära) wird der Zeitabschnitt der Geschichte der Vereinigten Staaten bezeichnet, welcher von den 1890er Jahren bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg 1917 reicht. Zum Ende des Gilded Age waren die Vereinigten Staaten durch eine extreme soziale Ungleichheit gekennzeichnet, so hatten die sogenannten Räuberbarone, zu denen Unternehmer wie John D. Rockefeller, J. P. Morgan oder Cornelius Vanderbilt gehörten, einen bedeutenden Teil des nationalen Wohlstands an sich gerissen und industrielle Monopole errichtet. Im Jahr 1890 kontrollierte das reichste Prozent der Amerikaner mehr als die Hälfte des nationalen Eigentums.[27] Die rasante Industrialisierung des Landes hatte die USA zu einer der größten Wirtschaftsmächte gemacht, bewirkte aber gleichzeitig katastrophale Zustände in städtischen Armenvierteln, Überlastung der Infrastruktur, Umweltverschmutzung und unsichere Arbeitsverhältnisse und gefährlichen Arbeitsbedingungen. Daneben war das politische System des Landes von Patronage und Korruption geprägt.
Infolge des Spanisch-Amerikanischen Krieges von 1898 konnten die USA ihren Einflussbereich auf die Philippinen, Puerto Rico, Hawaii und Kuba ausdehnen.
Mit der Präsidentschaft Theodore Roosevelts (1901–1909) begann der Siegeszug des Progressivismus. 1904 legte er mit dem Roosevelt-Corollary, einem Zusatz zur Monroe-Doktrin, den Grundstein für eine expansionistischere Außenpolitik, wonach die Vereinigten Staaten als internationale Polizeigewalt auftreten sollten. Ein wichtiger Baustein dieser Politik war der Bau des Panamakanals zwischen 1903 und 1914 (Eröffnung: 1920), durch den der amerikanische Export beflügelt und der amerikanischen Flotte eine höhere Flexibilität verliehen wurde. Zahlreiche Interventionen der USA in Lateinamerika folgten. Die Präsidentschaft William Howard Tafts (1909–1913) markiert den Übergang der USA zur Dollar-Diplomatie.
Imperialismus, Liberalismus und Kolonialismus
Die Jahrzehnte der Belle Époque gelten auch als Zeitalter des Hochimperialismus[28] und als Höhepunkt des europäischen Liberalismus und Kolonialismus.[29][30] Seit den 1880er Jahren konnte in ganz Europa ein Drang zu einer überseeischen Expansionspolitik beobachtet werden. Die Industrialisierung hatte den europäischen Ländern zwar einerseits Fortschritt gebracht, andererseits aber auch für konjunkturelle Krisen gesorgt. Diese Krisen glaubte man fortan besser in den Griff bekommen zu können, wenn es gelang, außereuropäische Absatzmärkte und neue Rohstoffquellen zu erschließen. Die Kolonialmächte nutzten daher die von ihnen beherrschten Gebiete als Lieferanten für Rohstoffe sowie als Absatzmärkte für Produkte, die in ihren eigenen Ländern hergestellt wurden. Die imperialistischen Bestrebungen wurden zudem durch den Wunsch der einzelnen Nationen angetrieben, das eigene Prestige durch den Besitz von Kolonien in Übersee zu steigern. Konservative wie Liberale und nicht wenige sozialistische Politiker verteidigten den Imperialismus und den Kolonialismus. Sie hielten es für selbstverständlich, dass der „weiße Mann“ zur Herrschaft über die „farbige Welt“ berufen sei und eine solche Herrschaft auch ein Glück für die Kolonisierten darstelle, die auf diese Weise „zivilisiert“ würden.
Die portugiesische Kolonialgeschichte erstreckt sich über einen Zeitraum von mehr als 500 Jahren. Das portugiesische Kolonialreich kann als das erste tatsächliche Weltreich angesehen werden und war das am längsten bestehende Kolonialreich Europas. Die Geschichte des portugiesischen Kolonialreichs begann 1415 mit der Eroberung von Ceuta und dem Zeitalter der Entdeckungen. Seit dem 17. Jahrhundert jedoch entrissen England, Frankreich und die Niederlande den Portugiesen nach und nach einen Großteil ihrer Kolonien und wurden ihrerseits zu den führenden Kolonialmächten Europas.
Im Jahr 1900 kontrollierte Europa, in dem damals ein Viertel der Weltbevölkerung lebte, 62 Prozent der weltweiten Produktion. In China hingegen waren es nur sechs Prozent und in Indien weniger als zwei Prozent. Die europäischen Mächte setzten ihre wirtschaftliche Macht in militärische Stärke um und starteten eine Welle kolonialer Expansionen. Bis 1914 besetzten oder kontrollierten die europäischen Staaten über 80 Prozent der Landfläche der Erde. Die europäischen Staaten waren dazu in der Lage, weil die Industrielle Revolution die Machtverhältnisse verändert hatte, indem sie die Produktion von Kohle, Stahl und Öl zu den entscheidenden Faktoren des militärischen Erfolgs der europäischen Mächte machte.
Aus den Kolonien wurden in dieser Zeit zahlreiche Kunst- und Kulturgüter unter oft zweifelhaften Umständen außer Landes gebracht und in den völkerkundlichen Sammlungen vieler europäischer Museen ausgestellt.
Afrika
Als Wettlauf um Afrika wird die Kolonialisierung des afrikanischen Kontinentes in der Hochphase des Imperialismus von 1880 bis zum Ersten Weltkrieg bezeichnet. Ab dem Jahr 1880 veränderten sich die Vorzeichen des europäische Imperialismus. War bis dahin ein vor allem „informeller“ Imperialismus angewandt worden, geprägt durch militärische und wirtschaftliche Überlegenheit, kristallisierte sich um das Jahr 1880 immer mehr ein direkter Imperialismus heraus, der sich durch eine direkte Einflussnahme europäischer Staaten in die Angelegenheiten Afrikas auszeichnete. Die Konflikte um die afrikanischen Kolonien waren Teil des weltpolitischen Machtstrebens vieler europäischer Staaten, welche letztlich mit zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitragen sollten.
Zwischen 1881 und 1890 geriet der größte Teil des afrikanischen Kontinents unter europäische Kontrolle. Bereits ab 1830 hatte sich Frankreich auf Afrika konzentriert. Beginnend an der Gegenküste des Maghreb, eroberte Frankreich zwischen 1845 und 1897 große Gebiete der Sahara, sowie den größten Teil West- und Zentralafrikas. Nach dem Einmarsch französischer Truppen wurde das bisher dem Osmanischen Reich zugehörige Tunesien 1881 durch den Vertrag von Kasr el Said, auch Bardo-Vertrag genannt, zu einem Protektorat Frankreichs. Muhammad III. al-Husain, Bey von Tunis, wurde zur Unterzeichnung des Vertrages gezwungen. Die Elfenbeinküste (später Côte d'Ivoire) wurde 1889 französisches Protektoratsgebiet.
1886 wurde am Witwatersrand südlich von Pretoria in Transvaal Gold gefunden und machte den Landstrich zum wirtschaftlich wertvollsten Teil des afrikanischen Kontinents. Um 1900 avancierte die Transvaal-Republik zum größten Goldproduzent der Welt.
Das Anglo-Französische Abkommen von 1890 war ein Vertrag, der die britischen und französischen Interessenssphären in Westafrika absteckte.
In der Hochphase des Imperialismus war Cecil Rhodes einer der führenden Akteure des Wettlaufs um Afrika. Die von ihm für das Britische Weltreich in Afrika erworbenen Kolonien wurden nach ihm Nordrhodesien und Südrhodesien genannt. Letztere wurde der international nicht anerkannte Staat Rhodesien, das heutige Simbabwe. Rhodes sah die Briten als „erste Rasse der Welt“ und träumte von einer Wiedervereinigung der anglo-amerikanischen Welt unter einer gemeinsamen, imperialen Regierung. 1888 gründete Rhodes mit Geschäftspartnern wie Alfred Beit und der Rothschild-Bank in Paris die De Beers Consolidated Diamond Mines,die letztlich das Monopol über die Diamantenproduktion im südlichen Afrika erreichte. Im Jahre 1889 bekam Rhodes von der britischen Regierung einen Freibrief: Er sollte die Britische Südafrika-Gesellschaft (BSAC) gründen, die die Entwicklung vom südlichen Afrika aus vorantreiben sollte. 1890 wurde Rhodes zum Premierminister der Kapkolonie gewählt. Seine Koalitionsregierung stützte sich wesentlich auf den burischen Afrikanerbond mit Jan Hendrik Hofmeyr als bestimmender Figur. Während seiner Regierungszeit setzten sich die Konflikte mit der RepublikTransvaal, in der die Buren gewaltsam dominierten, fort. Rhodes’ Vision war eine Vereinigung der südafrikanischen Republiken und der Kapkolonie in einer Südafrikanischen Union unter britischer Fahne. 1895 unterstützte Rhodes eine Verschwörung, die die Regierung von Paul Kruger im Transvaal stürzen sollte. Rhodes kümmerte sich nach dem Scheitern des sogenannten Jameson Raid im Jahr 1895 verstärkt um den Aufbau sowie die Weiterentwicklung Rhodesiens und trieb unter anderem den Eisenbahnbau voran (Kap-Kairo-Plan).
Im geheim gehaltenen Vertrag von Windsor erkannten 1899 Großbritannien und Portugal gegenseitig ihre kolonialen Besitzungen in Afrika an. Großbritannien erhielt das Recht auf freie Truppenbewegungen in den portugiesischen Kolonien gegen die Verpflichtung, Portugal bei deren Verteidigung zu helfen.
Als besonders berüchtigt galten die Zustände im „Kongo-Freistaat“, einer Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II., die er nach den Kongogräueln 1908 dem belgischen Staat überlassen musste. Im Zuge des belgischen Kolonialismus gründete König Leopold II von Belgien 1898 das „Kongo-Museum“, das 1952 in Königliches Museum für Zentral-Afrika umbenannt wurde.[31]
Auf der Westafrika-Konferenz in Berlin 1884/85 versuchte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck die Aufteilung Afrikas in Interessensphären im Sinne des europäischen Gleichgewichts zu beeinflussen. Das Deutsche Reich hatte mehrere Kolonien in Afrika: Togo und Kamerun in Westafrika, Deutsch-Südwestafrika und in Ostafrika große Teile des heutigen Tansania.
Bis etwa 1890 war die deutsche Kolonialpolitik vor allem dadurch geprägt, dass man gegenüber den übrigen europäischen Kolonialmächten aufholen und es vor allem besser machen wollte. Das Deutsche Reich verfügte jedoch über keinerlei koloniale Erfahrungen und kaum über genügend Kapital zur Bewältigung derartiger Vorhaben. Schnelle Erfolge stellten sich in der Folge nicht ein und die frühe Vorstellung, Länder zu kolonisieren und dabei schnelle Erträge und Gewinne zu erzielen, geriet mit der Wirklichkeit zunehmend in Widerspruch. Um erforderliches Kapital zu mobilisieren, kam es zur Gründung der Deutschen Kolonialgesellschaft im Jahr 1887. 1890 wurde im Auswärtigen Amt eine Kolonialabteilung aufgebaut, um die entsprechende koloniale Politik umzusetzen.[32]
„Die Zeiten, wo der Deutsche dem einen seiner Nachbarn die Erde überließ, dem anderen das Meer und sich selbst den Himmel reservierte, wo die reine Doktrin thront – diese Zeiten sind vorüber … Mit einem Worte: Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“[33]
Im Juli 1890 schlossen das Deutsche Reich und Großbritannien den Helgoland-Sansibar-Vertrag, in welchem die Einflusssphären beider europäischer Mächte in Afrika festgelegt und die Schutzherrschaft Großbritanniens über die Inseln Sansibar und Pemba formal anerkannt wurden. Die deutsche Kolonie Wituland wurde an Großbritannien abgetreten, das Deutsche Reich verzichtete auf weitere koloniale Ansprüche in Afrika und erhielt im Gegenzug die Insel Helgoland von Großbritannien. Der Vertrag löste unter deutschen Kolonisten einen Sturm der Entrüstung aus.
Im Januar 1904 begann in Deutsch-Südwestafrika der Aufstand der Herero und Nama. Im Verlauf des Kolonialkriegs erließ der deutsche General Lothar von Trotha seinen berüchtigten Schießbefehl „Aufruf an das Volk der Herero“. Dabei kam es zum Völkermord an den Herero und Nama.
Das 1904 zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich geschlossene Abkommen Entente cordiale (französisch für „herzliches Einvernehmen“) regelte die kolonialen Einflussgebiete Großbritanniens und Frankreichs in Afrika. Schwerpunkt des Abkommens waren dabei die Kolonien Ägypten und Marokko. Durch die Entente cordiale wurde Marokko Frankreich und Ägypten dem Vereinigten Königreich zugeschrieben. Die Großmächte versicherten einander, den politischen Status der jeweiligen Kolonie nicht zu verändern und die Interessen des Vertragspartners in der Kolonie zu beachten. Zudem sicherten sie einander den freien Verkehr durch den Sueskanal sowie durch die Straße von Gibraltar zu.
Asien
In Asien vergrößerte Frankreich seine Besitzungen und vollendete die Gründung von Französisch-Indochina. Zwischen 1870 und 1914 konnte Frankreich sein Kolonialreich insgesamt um das Elffache vergrößern. Die Ausbeutung der Kolonialgebiete eröffnete der französischen Wirtschaft neue Absatzmärkte und sorgte gleichzeitig für große Rohstoffreserven. Frankreich hatte bereits seit dem späten 18. Jahrhundert ein grundsätzliches Interesse an den Gebieten des heutigen Vietnam. Damals begann der französische Missionar Pigneau de Béhaine, französische Freiwillige zu rekrutieren, welche Gia Long auf den Thron Vietnams helfen sollten, wo dieser später die Nguyễn-Dynastie begründete. Durch die Unterstützung Gias erhoffte Pigneau, Privilegien für die katholischen Missionare und für Frankreich zu erlangen. Im Jahr 1858 führte Frankreich erstmals eine Expedition nach Vietnam und annektierte 1862 mehrere Provinzen im Süden des Landes, aus welchen sie 1864 die Kolonie Cochinchina formten. Bald darauf begannen französische Entdecker, den Roten Fluss zu befahren und durch das nördliche Vietnam in dessen Quellgebiet nach Yunnan vorzudringen. Sie hofften, über diesen Fluss ein Handel mit dem inneren Chinas etablieren zu können, welcher die von China freigegebenen Vertragshäfen umgehen würde. Dies wurde jedoch durch die Schwarzen Flaggen verhindert, eine chinesische Banditengruppe, welche sich ab 1865 in Nordvietnam festgesetzt hatte. Die vietnamesische Regierung, deren eigene, schlecht ausgerüstete und trainierte Armee nicht in der Lage war, den Franzosen effektiven Widerstand zu leisten, wandte sich an die Schwarzen Flaggen. Parallel bat die Regierung in Hanoi auch die Chinesen um Hilfe. Da Vietnam seit langem ein Vasallenstaat Chinas war, stimmte dieses zu, die Truppen der Schwarzen Flaggen auszurüsten und politisch gegen die französischen Aktionen in Tonkin vorzugehen. Zwischen August 1884 und April 1885 wurde im Gebiet von Tonkin, Taiwan und entlang der südostchinesischen Küste der Chinesisch-Französische Krieg ausgetragen. Da die Franzosen ihre ursprünglichen Kriegsziele erreichten, wird der Krieg allgemein als französischer Sieg angesehen.[34][35] Da die Chinesen jedoch auf dem Schlachtfeld einige Siege erringen konnten und sich besser schlugen als in vorangegangenen Kriegen gegen fremde Mächte, wird der Krieg dort häufig als unentschieden oder sogar chinesischer Sieg verstanden.[36]
Das Deutsche Reich wurde 1884 ebenfalls zu einer Kolonialmacht mit verschiedenen Kolonien in China, Afrika und Ozeanien. In Ozeanien kamen noch Neuguinea und Samoa hinzu. In China kam 1898 das Pachtgebiet Kiautschou (heute: Jiaozhou) um die Hafenstadt Tsingtau (heute: Qingdao) hinzu.
Das gewaltsame Vorgehen der Yihetuan, die aufgrund ihrer traditionellen Kampfkunstausbildung im Westen als „Boxer“ bezeichnet wurden, gegen christliche Missionare und andere Vertreter westlicher Staaten, entwickelte sich zu einem Krieg zwischen dem Kaiserreich China und den europäischen Großmächten sowie den USA und Japan. Im Frühjahr und Sommer 1900 führten die imperialistischen Vereinigten acht Staaten einen Krieg gegen das Chinesische Kaiserreich.
Anlässlich der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps (China-Expedition) zur Niederschlagung des Boxeraufstandes hielt Kaiser Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven seine berüchtigte „Hunnenrede“, die wegen ihrer drastischen Aussagen weltweite Bedeutung erlangte. In seiner Rede forderte er die deutschen Truppen zu einem rücksichtslosen und energischen Rachefeldzug in China auf. Die Rede war jedoch nur eine von mehreren Reden, die der Kaiser anlässlich der Ausschiffung der Truppen hielt.[37] Aufgrund der Rede sollte sich später der Ethnophaulismus „the huns“ (die Hunnen) für Deutsche ableiten, der erstmals in der Propaganda im Ersten Weltkrieg von der Entente gegenüber Deutschland verwendet wurde. Nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzung wurde die chinesische Regierung dazu gezwungen, das sogenannte Boxerprotokoll zu unterzeichnen, das China zu weitgehenden Zugeständnissen gegenüber den Kolonialmächten zwang.
Im Jahr 1900 wurde in London das Jangtse-Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien zur Regelung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen im Kaiserreich China geschlossen, dem später weitere Großmächte beitreten sollten. Das Abkommen deklarierte das bereits im Jahr zuvor vom US-amerikanischen Außenminister John Hay eingeforderte „Prinzip der offenen Tür“ für den Handel und die sonstige wirtschaftliche Tätigkeit auf den Flüssen sowie an der Küste Chinas für die europäischen Länder und die Vereinigten Staaten.
Am 1. Januar 1901 formierten sich auf dem Australischen Kontinent die zuvor voneinander unabhängigen Kolonien – New South Wales, Queensland, South Australia, Tasmanien, Victoria und Western Australia – zum Commonwealth of Australia.[38] Erste Hauptstadt Australiens wurde Melbourne.[39] Am 26. September 1907 erlangte der Australische Bund mit dem Dominionstatus die nahezu vollständige Unabhängigkeit vom Mutterland Großbritannien.
1907 stimmten im Vertrag von Sankt Petersburg das Vereinigte Königreich und Russland ihre Interessensphären in Zentralasien ab. Persien wurde in drei Zonen aufgeteilt. Afghanistan wurde zur britischen Einflusszone. Tibet wurde in der Anglo-Russischen Konvention (1907) zur neutralen Zone erklärt. Die Ansprüche Chinas wurden anerkannt. Der Vertrag bildete darüber hinaus die Grundlage für das britisch-russische Kriegsbündnis von 1914 und die Erweiterung der Entente cordiale zur Triple Entente.
Wirtschaft, Handel und Finanzen
Der europäische Kontinent erlebte während der Belle Époque ein Wirtschaftswachstum ohnegleichen, wovon vor allem das Bürgertum profitierte. Es kam zu einem Bauboom in den Städten und an den Stadträndern. In diesen Gebieten entstanden zahlreiche Mehrfamilienhäuser und Villenquartiere.[40]
Triebkraft für den wirtschaftlichen Aufschwung in Europa war die zweite Welle der Industriellen Revolution. Ihre Schwerpunkte waren: Energiewirtschaft, chemische Industrie, Elektrotechnik, Stahlindustrie und das Verkehrswesen. An den Standorten der neuentstandenen Fabriken wuchsen neue und größere städtische Ballungsräume. Damit entstanden jedoch auch neue Gesundheitsprobleme, aber auch neue Ansätze zu ihrer Lösung.
Die Industrialisierung Frankreichs im 19. Jahrhundert verlief langsamer als in Großbritannien und Deutschland, obwohl noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts das französische Kaiserreich unter Napoleon die führende Wirtschaftsmacht Europas gewesen war.
In Berlin wurde 1909 der Hansabund zur Vertretung der Interessen von Handel, Gewerbe und Industrie gegründet, um dem konservativen und protektionistischen Einfluss des Bundes der Landwirte (BdL) einen Verband der modernen Wirtschaft entgegensetzen zu können.
Landwirtschaft
Die europäische Kolonisation während der Belle Époque war der Beginn einer globalen Ausweitung der Agrarwirtschaft und des Welthandels mit Agrarprodukten. Dies umfasste die Übertragung von Produktionsformen in andere Kontinente, die Entstehung einer neuen export- und kapitalorientierten Betriebsform (Plantagenwirtschaft) – oft auf Kosten der Selbstversorgung der Bevölkerung – und die Verbreitung von Kulturpflanzen und Nutztieren weit über ihre ursprünglichen Herkunftsgebiete hinaus (Columbian Exchange).
Die Epoche war auch geprägt von einer fortschreitenden Technisierung und Spezialisierung in der Landwirtschaft. Bereits 1840 beschrieb Justus von Liebig in seinem Werk Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie die Möglichkeit des Einsatzes von Mineraldünger. Zwischen 1905 und 1908 entwickelte der deutsche Chemiker Fritz Haber die katalytische Ammoniak-Synthese aus den Elementen Stickstoff und Wasserstoff. Dem Industriellen Carl Bosch gelang es daraufhin, ein Verfahren zu entwickeln, das die massenhafte Herstellung von Ammoniak ermöglichte. Das Haber-Bosch-Verfahren bildete die Grundlage der Produktion von synthetischem Stickstoff-Dünger und ermöglichte ebenso wie die Erfolge in der Pflanzen- und Tierzucht sowie die Entwicklung neuer Maschinen eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge um ein Vielfaches.
Mit landwirtschaftlichen Maschinen wie dem Dampfpflug konnten Felder effizienter und in größerem Maßstab als zuvor bearbeitet werden. Ab den 1870er Jahren wurden Lokomobile, fahrfähige Dampfmaschinen, zum unmittelbaren Zug von landwirtschaftlichen Geräten eingesetzt. Der Einsatz von Dampftraktoren in der Landwirtschaft zum direkten Zug des Pfluges oder anderer Ackergeräte war in Europa aufgrund der Beschaffenheit der zumeist tiefgründigen Böden in Europa nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, da die schweren Maschinen einsanken. Der Einsatz eines Dampfpfluges sah in Europa daher meist so aus, dass der Pflug von zwei am Feldrand stehenden Dampftraktoren an einem Seil hin- und hergezogen wurde. Auf den wesentlich tragfähigeren Prärieböden Amerikas waren Dampftraktoren jedoch häufiger als Zugmaschinen im Einsatz. Der Betrieb gestaltete sich jedoch als aufwendig und umständlich, da große Mengen Kohle und Wasser herbeigeschafft werden mussten.
Energiewirtschaft
Mit der Industrialisierung nahm die Kohlewirtschaft ihren Aufschwung. Kohle entwickelte sich als Brennstoff zur wichtigsten Energiequelle für die Befeuerung von Dampfkesseln und somit für den Antrieb von Dampfmaschinen, die wiederum Dampflokomotiven und --schiffe sowie alle Arten von Produktionsmaschinen in Fabriken und Generatoren in Kraftwerken antrieben. Mit dem zuvor dominierenden Brennstoff Holz konnte der wachsende Energiehunger von Industrie, Gewerbe, Transport und Verkehr nicht mehr gedeckt werden.[41]
Stadtgas bezeichnet ein ab der Mitte des 19. Jahrhunderts weithin übliches Brenngas, das zumeist in städtischer Regie durch Kohlevergasung hergestellt wurde. Es diente zur Beleuchtung von Straßen und Wohnungen und dort auch zum Betreiben von Gasherden und Gasdurchlauferhitzern. 1875 erfolgte die Herstellung von Wassergas unter Luftabschluss. Das CWG-Verfahren (blue water gas, erfunden 1850 von Carl Wilhelm Siemens) war das übliche Verfahren der Stadtgaserzeugung ab den 1880ern bis etwa 1950. Mit der Entwicklung des Glühstrumpfs durch Carl Auer von Welsbach im Jahr 1885 wurde das Licht von Gaslampen mit nun wesentlich höherer Leuchtkraft auch konkurrenzfähig zur elektrischen Beleuchtung. Da die Elektrizität im Vergleich zum Stadtgas allerdings sauberer, ungefährlicher und einfacher zu handhaben war, wurde der Gebrauch von Stadtgas als Leuchtmittel immer weiter zurückgedrängt und verblieb vor allem zum Kochen und Heizen.
Die Verwendung von Leuchtgas hatte weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen. Zunächst profitierte vor allem die Industrie davon, deren Fabriken in der Mitte des 19. Jahrhunderts zuerst beleuchtet wurden und dort eine deutliche Verlängerung der Arbeitszeiten ermöglichten, bis hin zu durchgehenden Nachtschichten (insbesondere in den Spinnereibetrieben in England). Die Straßenbeleuchtung erlaubte einen sichereren städtischen Verkehr. Das Lesen von Büchern verbreitete sich als Abendbeschäftigung. Gaswerke entstanden in nahezu jeder Stadt in Großbritannien. Über Druckgasleitungen wurden die Städte mit Gas versorgt und beleuchtet. Mit der Erfindung des Gaszählers in den späten 1880ern wurde Stadtgas auch in Privathaushalten üblich und fand zunehmend weitere Verwendungen.
Die großtechnische Ausbeutung der Erdöllagerstätten begann ebenfalls im 19. Jahrhundert. Es war bereits bekannt, dass bei Bohrungen nach Wasser und Salz gelegentlich Erdöl in die Bohrlöcher einsickerte. Die ersten Bohrungen wurden 1844 vom russischen Ingenieur F. N. Semjonow mit einem Schlagbohrsystem im heute noch genutzten Ölfeld von Bibi-Eibat bei Baku durchgeführt. Der Bericht über diese weltweit erste industrielle Ölbohrung blieb jedoch mehrere Jahre in der Bürokratie des Zarenreichs hängen und gelangte erst in einem Bericht vom 14. Juli 1848 an den Zarenhof.
Die 1863 von John D. Rockefeller gemeinsam mit einigen Geschäftspartnern (u. a. Henry M. Flagler) gegründete US-amerikanische Standard Oil Company war bis zu ihrer Zerschlagung das größte Erdölraffinerie-Unternehmen der Welt. Das Geschäftsgebaren des Unternehmens führte zur ersten Anti-Monopol-Gesetzgebung der USA und schließlich zur Entflechtung des Unternehmens.
Die Geschichte der British Petroleum Company begann in Deutschland. 1904 wurde in Berlin die Deutsche Petroleum-Aktiengesellschaft (DPAG) gegründet, die 1906 in die Europäische Petroleum-Union (EPU) überging.
Das Mineralölunternehmen Shell entstand 1907 aus einem Zusammenschluss der N.V. Koninklijke Nederlandse Petroleum Maatschappij (Royal Dutch Petroleum Company), Den Haag, und The „Shell“ Transport and Trading Company p.l.c., London.
Die Entdeckung eines großen Ölfeldes um Masdsched Soleyman im Iran führte 1909 zur Gründung der Anglo-Persian Oil Company, womit die Geschichte der modernen Mineralölindustrie im Nahen Osten ihren Anfang nahm.
Bis zum Ersten Weltkrieg gab es beispielsweise in Frankreich keine nationale Erdölpolitik. Zu Beginn des Krieges erkannte die französische Regierung jedoch die Bedeutung von Öl zur Kriegführung. Ohne Öl bzw. Benzin flogen weder Flugzeuge, noch rollten LKW oder Artillerietraktoren. Zwar beruhte das Transportwesen während des Ersten Weltkrieges in Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland größtenteils auf Pferdefuhrwerken und der Eisenbahn, aber die Bedeutung von Öl und Benzin war bereits beträchtlich.
Währungssystem
Das Währungsregime des sogenannten Goldstandards hatte sich um das Jahr 1870 herum weltweit durchgesetzt und war ab 1880 in den Industriestaaten das anerkannte System geworden. Mit der vermehrten Nutzung von Banknoten und Giralgeld entfernte sich die Geldmenge bereits Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr vom reinen Goldstandard in Richtung auf ein Proportionalsystem.
Die Reparationszahlungen, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg ab 1871 vom besiegten Frankreich an Deutschland flossen, waren die Grundlage der neuen deutschen Goldwährung, der Mark. Frankreich musste Reparationen in Höhe von fünf Milliarden Franc zahlen. Dies geschah zu 273 Millionen Franc in Form von Goldmünzen. 4,2 Milliarden Franc wurden in Form von Wechseln beglichen, die in britischen Pfund Sterling notiert waren. Diese Wechsel wurden bei der Bank of England in Gold umgetauscht.[42] In Deutschland wurde dieses Gold geschmolzen und zu eigenen Münzen geprägt beziehungsweise als Goldreserve bei der Reichsbank hinterlegt. Gleichzeitig verkaufte Deutschland seine Silberbestände und kaufte weiteres Gold auf dem Weltmarkt zu. Um einer Abwertung der Silberwährungen durch die hohe Silbermenge auf dem Markt entgegenzuwirken, limitierten Frankreich und die Lateinische Münzunion die Prägung von Silbermünzen. International sank jedoch der Silberwert – die Silbermünzen der Münzunion wurden faktisch von vollwertigen Kurantmünzen zu Scheidemünzen.
In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts führten die Vereinigten Staaten, Russland und Japan den klassischen Goldstandard ein. 1898 wurde die indische Rupie an das Pfund Sterling gebunden, darauf folgten auch Ceylon und Siam. In Lateinamerika gab es eine Lobby der Silberminenbetreiber, aber trotz deren Aktivitäten führten auch Mexiko (damals unter Porfirio Díaz), Peru und Uruguay den Goldstandard ein.[43] Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Einlösungspflicht von Banknoten in Gold von vielen Staaten ausgesetzt, so dass der Goldstandard in den Jahren ab 1914 praktisch aufgehoben war.
Welthandel
Am 17. November 1869 wurde der Suezkanal mit einer Länge von 164 km feierlich eröffnet. 1888 wurde mit der Konvention von Konstantinopel der völkerrechtliche Status des Suezkanals vertraglich geregelt. Der Suezkanal verkürzte den Seeweg zwischen Europa und Asien erheblich und förderte damit den Welthandel.
Am 6. August 1893 wurde der Kanal von Korinth für den Schiffsverkehr geöffnet und ersparte Schiffen bis 8 Meter Tiefgang den Umweg um die Halbinsel Peloponnes.
1895 wurde der Kaiser-Wilhelm-Kanal, der heutige Nord-Ostsee-Kanal, nach 8 Jahren Bauzeit durch Kaiser Wilhelm II. eingeweiht[44] und ist heute die meistbefahrene künstliche Seeschifffahrtsstraße der Welt.
Am 15. August 1914 wurde der Panamakanal eröffnet, der die Landenge von Panama in Mittelamerika durchschneidet und den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Schiffen blieb somit die die deutlich längere Fahrt um das Kap Hoorn oder durch die Magellanstraße an der Südspitze Südamerikas erspart.
Die industrielle Revolution führte zu einem Produktionsboom in vielen Ländern, was zu einem erhöhten Bedarf an Rohstoffen und einem Anstieg der produzierten Waren führte, die auf den Weltmärkten gehandelt wurden.
Viele Staaten verfolgten eine liberale Handelspolitik und reduzierten Zölle und Handelsbarrieren, um den internationalen Handel zu fördern.
Die Expansion und Integration der globalen Finanzmärkte, insbesondere in London, trugen mit dazu bei, Kapital internationaler verfügbar zu machen und somit Investitionen und Handel weltweit zu unterstützen.
Viele Länder adoptierten den Goldstandard, wodurch ihre eigenen Währungen an eine feste Menge Gold gebunden waren. Dies sorgte für Preisstabilität und erleichterte den internationalen Handel, da dadurch Wechselkursrisiken minimiert wurden.
Mit dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden Verstädterung stieg auch die Nachfrage nach importierten Waren.
Kolonialwaren
Der Welthandel war von kolonialen Strukturen geprägt. Die als Kolonialwaren bezeichneten überseeischen Lebens- und Genussmittel, wie Zucker, Kaffee, Reis, Tabak, Kakao, Gewürze und Tee wurden von Kolonialwarenhändlern in großem Stil importiert und in sogenannten Kolonialwarenläden verkauft. Streng genommen war das Kernangebot der Kolonialwarenläden an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nichts Neues, denn Kaffee, Kakao, Tee, Zucker und Gewürzen wurden bereits seit Jahrhunderten nach Europa importiert und bereicherten als exotische Luxuswaren das Leben an den europäischen Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts. Neu war allerdings, dass nun auch ganz normale Bürger diese Güter erwerben konnten.
Kolonialwarenläden waren beliebt und die Anzahl der Kolonialwarenhandlungen und -großhandlungen in den Städten stieg rasant an: In der badischen Stadt Mannheim waren es 1850 beispielsweise 14, 1875 bereits schon 30 Geschäfte. Im Jahr 1900 gab es 265 Kolonialwarenläden und 29 Großhändler im Mannheim. Auch der Konsum, eine von der Arbeiterbewegung getragene Genossenschaft, verkaufte Kolonialwaren.[45][46] Die erste Edeka-Genossenschaft entstand 1898, als sich 21 Kaufleute aus dem Deutschen Reich im Hallesches-Tor-Bezirk in Berlin zur Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin – kurz E. d. K. – zusammenschlossen.[47] 1893 gründet Franz Zentis in Aachen ein Kolonialwarengeschäft, aus dem das Konfitüren, Süßwaren und andere Lebensmittel produzierende Unternehmen Zentis hervorgeht.
Während 1875 bereits rund 185.000 Kolonialwarenläden in Deutschland existierten, stieg ihre Zahl 1895 auf über 300.000 und im Jahr 1914 auf 540.000 Geschäfte an. Dem Historiker Uwe Spiekermann zufolge, bildete die Vielzahl von kleinen Einzelhandelsgeschäften die Basis der entstehenden Konsumgesellschaft.[48]
Nahrungs- und Genußmittel
Im ausgehenden 19. Jahrhundert kamen erste Fertiggerichte auf den Markt. Bereits in den 1860er Jahren wurde erstmals aus dem Muskelfleisch von Rindern Fleischextrakt auf industrieller Basis gewonnen, was den Beginn der Lebensmittelindustrie markierte.[49] Die Maggi-Würze wurde am 8. Juni 1886 von Julius Maggi als preiswerter Ersatz für Fleischextrakt entwickelt. Die Maggi-Flasche mit dem typischen eckigen Design und gelb-rotem Etikett wurde 1887 ebenfalls von Julius Maggi entworfen und wird bis heute mit nur geringfügigen Veränderungen verwendet.
Die Erbswurst zählt zu den ältesten industriell hergestellten Fertiggerichte und wurde zwischen 1889 und 2018 bei Knorr in Heilbronn hergestellt. Das preiswerte und nahrhafte Produkt aus getrockneten Erbsen war fast unbegrenzt haltbar und konnte mit Wasser in nur drei Minuten zu einer warmen Suppe angerührt werden. Der russische Ingenieur Yevgeny Fedorov erfand 1897 die selbsterhitzende Mahlzeit in Form von Konservendosen, die ohne die Zuhilfenahme einer Kochstelle allein durch chemische Prozesse erhitzt werden konnte.
Die Lebensmittelkonservierung stellte eine wichtige Voraussetzung für die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion im 19. Jahrhundert dar. Zucker wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer billiger, nachdem es gelungen war, diesen industriell und kostengünstig aus der einheimischen Runkelrübe zu gewinnen, was zur Verbreitung der Herstellung von Gelee und Marmelade im privaten wie im industriellen Bereich führte. Das Einlegen von Lebensmitteln in Essig, Öl und Salz war ebenfalls bekannt, ebenso wie die Konservierungsmethode des Einkochens und Einmachens. Der speziell für letztere Konservierungsmethode weit verbreitete Begriff „einwecken“ geht dabei auf eine Erfindung von speziellen Vorratsgläsern mit geschliffenen Rändern und Gummiringen zum Verschließen mit Blechdeckeln aus dem Jahr 1892 zurück. Für den überregionalen Vertrieb von Lebensmitteln war vor allem die Erfindung der Konservendose von entscheidender Bedeutung.
Der Karlsruher Physiker Heinrich Meidinger entwickelte 1870 nach dem Prinzip der Kältemischung eine einfache Maschine für die Herstellung von Eis für den Hausgebrauch.
Der erste gekühlte Fleischtransport fand 1875 von New York nach London statt, bereits ein Jahr später erfand Carl von Linde die Kompressionskältemaschine, welche die Grundlage der modernen Kühltechnik darstellt. In der Folgezeit konnten so Kühlhäuser in Fleischfabriken sowie Bierbrauereien entstehen und Frachtschiffe und Eisenbahnwaggons mit Kühlräumen ausgestattet werden.
1876 entwickelte der deutsche Ingenieur und Unternehmer Carl von Linde das für die Wissenschaft und Technik fundamentale Linde-Verfahren. Seine Erfindung erlaubte es, die Zuverlässigkeit des Kompressors und der gesamten Kältemaschine so zu verbessern, dass diese industrietauglich wurden. Nun konnte man Wassereis ganzjährig industriell herstellen und war nicht länger auf Natureis angewiesen. Seine Kältemaschine wurde damals noch mit Ammoniak betrieben, einer Substanz, die giftig und ätzend ist und nicht nur Lecks, sondern auch einen üblen Geruch verursachte. Für den Hausgebrauch geeignete Kühlschränke waren daher erst nach der Entwicklung von Ersatzchemikalien in den 1920er Jahren verfügbar.
Der älteste synthetische Süßstoff Saccharin (altgr. σάκχαρον sakcharon „Zucker“) wurde 1878 von den Chemikern Constantin Fahlberg und Ira Remsen an der Johns Hopkins University (USA) entdeckt.
In New York City wurde 1885 eine Cafeteria als weltweit erstes Selbstbedienungsrestaurant eröffnet, das jedoch nur Männern vorbehalten war. Die Young Women’s Christian Association eröffnete in New York und in Chicago ähnliche Einrichtungen für Frauen. Die frühen Cafeterias nahmen die Stelle von Betriebskantinen ein, die damals in vielen Unternehmen noch nicht vorhanden waren. Eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Schnellrestaurants spielte die Weltausstellung 1893 in Chicago, auf welcher eine Cafeteria vorgestellt wurde.
John Stith Pemberton, der eigentlich einen Sirup zur Linderung von Kopfschmerzen herstellen wollte, erfand am 8. Mai 1886 durch Zufall das Erfrischungsgetränk Coca-Cola. Der Name Coca-Cola leitet sich aus den ursprünglichen, mittlerweile jedoch nicht mehr verwendeten Zutaten Kokablatt (englisch coca leaves) und Kolanuss (englisch cola nut)m ab. Der Apothekengroßhändler Asa Griggs Candler konnte kurz vor dem Tod des Erfinders John Stith Pemberton die Rechte an Coca-Cola für 2.300 US-Dollar erwerben und gründete 1892 The Coca-Cola Company. Ein Jahr später ließ er Coca-Cola als Marke schützen und vermarktete das Produkt anschließend zunächst in den USA und ab 1896 auch im benachbarten Ausland.
Am 20. Juni 1893 gründete Franz Zentis in Aachen ein Kolonialwarengeschäft, aus dem später das Konfitüren, Süßwaren und andere Lebensmittel produzierende Unternehmen Zentis hervorgehen sollte.
1895 gründete Luigi Lavazza in Turin den italienischen Kaffeeveredler und -vertreiber von Kaffeebohnen und -mehl Lavazza.
Das Flaschenbier wurde um 1900 eingeführt und führte zu einem Anstieg des Alkoholkonsums, da zum Ausschank von Alkohol nun nicht mehr eine Gastwirtschaft aufgesucht werden musste.[50]
Der amerikanische Arzt und Erfinder John Harvey Kellogg ließ den Patienten seines Sanatoriums in Battle Creek (Michigan) 1897 erstmals Cornflakes servieren, die er zuvor zusammen mit seinem Bruder Will Keith Kellogg erfunden hatte. Beide hatten ein gesundes vegetarisches Grundnahrungsmittelfür ihre Patienten gesucht, welches deren Genesungsprozesse fördern sollte. Ihr Rezept bestand aus gekochtem Weizen, der anschließend gepresst und wärmegetrocknet wurde. Der so zubereitete Weizen wurde in dünnen, knusprigen Flocken mit etwas Salz gegessen.
Melitta Bentz meldete 1908 das Patent für Rundfilter mit vorgefertigtem Filterpapier zur Zubereitung von Kaffee an, zuvor wurde für die Zubereitung von Kaffee ein herkömmliches Sieb verwendet, in das ein Leinentuch oder ausgeschnittenes Löschpapier eingesetzt wurde.
Organisationen und Konferenzen
Im Zeitalter der Belle Époque wurden viele nationale und internationale Organisationen, Verbände und Institutionen gegründet. Die Anzahl nationaler und internationaler wissenschaftlicher Konferenzen nahm in dieser Zeit ebenfalls deutlich zu.
Gewerkschaften und Parteien
Die Ideen von Karl Marx und Friedrich Engels hatten großen Einfluss auf politische Bewegungen, Parteien und Ereignisse in Europa und darüber hinaus. Innerhalb der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen kam es zu tiefgreifenden Debatten über die Interpretation und Anwendung der Marxschen Theorien. Es gab Spannungen zwischen Reformisten, die glaubten, dass Sozialismus durch demokratische Mittel erreicht werden könne, und Revolutionären, die eine radikalere Veränderung anstrebten.
Paul Lafargue gründete 1882 zusammen mit Jules Guesde den Parti ouvrier, die erste marxistische Partei Frankreichs. Im Jahr 1889 eröffnete er den Internationalen Arbeiterkongress in Paris. Als einer der profiliertesten Verfechter des Reformsozialismus auf humanistisch-pazifistischer Grundlage setzte sich Jean Jaurès am Vorabend des Ersten Weltkrieges leidenschaftlich für die Belange des Pazifismus und gegen den drohenden Krieg ein. Bei Friedensdemonstrationen und im Parlament trat er für eine politische Verständigung mit Deutschland ein, was ihm den Hass der politischen Rechten einbrachte. Sein Denken wurde von so unterschiedlichen Personen wie Pierre J. Proudhon, Auguste Blanqui, Karl Marx, Henri de Saint-Simon, Auguste Comte, Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Ferdinand Lassalle, Leo Tolstoi oder Pjotr Alexejewitsch Kropotkin geprägt.
1884 wurden die Gewerkschaften in Frankreich legalisiert. Die Gründung der Gewerkschaft CGT (Confédération générale du travail) fand auf einem Kongress vom 23. bis 28. September 1895 in Limoges durch den Zusammenschluss der Fédération des bourses du travail und der Fédération nationale des syndicats statt. Im Oktober 1906 wurde auf dem 9. Kongress der CGT die Charta von Amiens verabschiedet.
In ganz Europa organisierten sich Arbeiter in Gewerkschaften und politischen Parteien, wie den Vorgängerparteien der Parti Socialiste (PS) in Frankreich, der Labour Party in England, der SPD in Deutschland und der SDAP in Österreich. Diese Organisationen gewannen bis 1914, trotz mancher Rückschläge, zunehmend an Einfluss in ihren jeweiligen Heimatländern.
1889 wurde die Zweite Internationale als Verband sozialistischer Parteien gegründet. Sie vertrat eine breite Palette von sozialistischen Strömungen, einschließlich marxistischer. Die Internationale förderte die Solidarität unter den Arbeitern und setzte sich für Reformen wie den Achtstundentag ein.
Vom 19. bis 26. September 1896 fand in Berlin der Internationale Kongress für Frauenrechte und Frauenbestrebungen statt, auf dem sich über 1 000 Teilnehmerinnen aus Europa und den USA trafen, es gab zahlreiche Vorträge und Diskussionen zu unterschiedlichen Themen wie politische Frauenrechte, Bildung, soziale Tätigkeiten, Prostitution und Kleidermode.
Die wachsende Popularität marxistischer Ideen führte zu vehementer Kritik und Gegnerschaft von Seiten konservativer und liberaler Kräfte. Viele Regierungen betrachteten sozialistische Bewegungen mit Misstrauen, begegneten ihr mit offener Feindseligkeit und ergriffen Maßnahmen, um sie zu unterdrücken.
Wissenschaft und Technik
Im August 1881 wurde in Paris erstmals der Internationale Elektrizitätskongress, auch Elektrotechnischer Kongress genannt, abgehalten, gleichzeitig fand auch die Erste Internationale Elektrizitätsausstellung statt. Die Aufgabe des Kongresses, an dem zahlreiche Gelehrte, Industrielle und hohe Beamte aus 22 Staaten teilnahmen, war die Definition von elektr(otechn)ischen Einheiten. Am 21. September 1881 konnten so die teilweise schon zuvor verwendeten Einheiten Maßeinheiten Ohm, Volt, Ampere, Coulomb und Farad als elektr(otechn)ische Einheiten festgelegt werden.
An Ostern 1893 fand in München die „Erste Versammlung Deutscher Historiker“ statt, bei der Wissenschaftler und Schulpraktiker gemeinsam gegen den neuen preußischen Geschichtslehrplan von 1892 protestierten. Danach fanden Deutsche Historikertage unregelmäßig alle ein bis zwei Jahre in deutschen (und bis 1927 auch in österreichischen) Städten statt.
Der erste deutsche Bibliothekartag fand auf Anstoß von Karl Dziatzko 1897 in Dresden als Deutsche Bibliotheksversammlung statt. Als Deutscher Bibliothekartag firmiert die seit 1900 jährlich (mit Unterbrechungen) stattfindende Versammlung der Bibliothekare in Deutschland.
Die Deutsche Orient-Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte des antiken Vorderen Orients wurde 1898 in Berlin gegründet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterstützte die Deutsche Orient-Gesellschaft zahlreiche archäologische Großprojekte und trug mit dazu bei, die Altorientalistik und Vorderasiatische Altertumskunde als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren. Im gleichen Jahr wurde ebenfalls in Berlin die Deutsche Gesellschaft für Heereskunde zur Pflege und des Studiums der kulturgeschichtlichen Entwicklung der deutschen und internationalen Heere gegründet.
Auf der 1901 in Berlin stattfindenden Orthographischen Konferenz wurde erstmals eine gemeinsame deutsche Orthographie für alle deutschsprachigen Staaten festgelegt. Die Orthographie beruhte zu großen Teilen auf der preußischen Schulorthographie, es wurden aber darüber hinaus auch Vorschläge der Orthographischen Konferenz von 1876 übernommen, die zuvor von Preußen noch nicht umgesetzt worden waren.
In Frankfurt am Main wurde 1903 der Bund Deutscher Architekten (BDA) gegründet, dessen Ziel es war, die Interessen freischaffender Architekten gegenüber Immobilienspekulanten und Bauunternehmern zu schützen und die Qualität der Architektur insgesamt zu fördern. 1907 wurde der Deutsche Werkbund als wirtschaftskulturelle „Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen“ in München gegründet.
Auf der Internationalen Funkkonferenz in Berlin wurde am 3. Oktober 1906 das SOS an Stelle des bisher verwendeten CQD zum internationalen Notrufsignal erklärt.
1911 wurde die „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (ab 1948: Max-Planck-Gesellschaft) zur Förderung der Wissenschaften“ in Berlin gegründet. Sie konzentrierte sich auf die naturwissenschaftliche Forschung.[51]
Die Zeitschrift Technology Review wurde 1899 vom US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology gegründet und als Zeitschrift für die eigenen Absolventen herausgegeben. In der Zeitschrift wird über Technologien berichtet, die das Leben verändern.
Internationale Organisationen
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhren Internationale Organisationen durch die Gründung zahlreicher Verwaltungsunionen eine erste Blütezeit. Zu den bedeutendsten dieser sog. Internationalen Ämter zählen die Internationale Fernmeldeunion (1865) und der Weltpostverein (1874). Ab 1878 konnten auf der Grundlage des Weltpostvertrags Postkarten zwischen den meisten Ländern der Welt verschickt werden.
In Stockholm und Oslo wurde am 5. Todestag des schwedischen Erfinders und Industriellen Alfred Nobel 1901 erstmalig der vom ihm gestiftete Nobelpreis verliehen. Die Preise wurden in den Kategorien: Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und Frieden vergeben.
Im Jahr 1901 erhielt Henri Dunant für die Gründung des Roten Kreuzes und die Initiierung der Genfer Konvention zusammen mit dem französischen Parlamentarier und Humanist Frédéric Passy den erstmals verliehenen Friedensnobelpreis.
Am 8. September 1873 wurde das Institut de Droit international (Institut für internationales Recht) in Gent, Belgien gegründet. Die Organisation, eine Vereinigung von Juristen, welche die Entwicklung des internationalen Rechts, sprich des Völkerrechts und des Internationalen Privatrechts, wissenschaftlich verfolgen und durch Vorschläge beeinflussen, erhielt für ihr Engagement 1904 den Friedensnobelpreis.
Die auf Initiative des französischen Poeten und Autors Victor Hugo erarbeitete Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst wurde 1886 von acht Staaten unterzeichnet. Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweiz, Spanien und Tunesien erkannten damit erstmals das Urheberrecht zwischen souveränen Nationen an.
Am 13. November 1891 wurde in Rom das Bureau International Permanent de la Paix (Internationales Ständiges Friedensbüro) gegründet. Aufgabe der Organisation war es, Fragen und Anträge für künftige Friedenskonferenzen zu erarbeiten. Für das von diesem Büro ausgehende Engagement wurde 1910 der Friedensnobelpreis verliehen.
Das Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken wurde am 14. April 1891 geschlossen.
Durch internationale Absprachen kam es zur Standardisierung von Gewichten und Längenmaßen. Mitte der 1870er-Jahre setzte sich das metrische System weitgehend durch.
Die Belgier Paul Otlet und Henri La Fontaine gründeten 1898 das Internationale Büro für Bibliographie (Bureau International de Bibliographie, BIB) mit dem Ziel, eine Universelle Bibliothek – das Mundaneum – zu schaffen und zogen damit in das Gebäude Mundaneum in Mons, Belgien.[52] Im Mundaneum waren damals 15 Millionen Werke handschriftlich verzeichnet und nach Themengebieten geordnet. Bereits 1912 konnten 1500 schriftliche Anfragen zu zahlreichen Wissensgebieten beantwortet werden.
Internationale Konferenzen
Auf der Internationalen Meridian-Konferenz in Washington 1884, an der Vertreter aus 25 Nationen teilnahmen, wurde das bis dahin bestehende Durcheinander regionaler und lokaler Zeitmessungen durch die Einteilung des Globus in Zeitzonen sowie eine internationale Datumsgrenze beseitigt.[53] Am 13. Oktober 1884 wurde der durch Greenwich verlaufende Meridian als Basis des internationalen Koordinatensystems eingeführt.
Schon früh wurde erkannt, dass die sich entwickelnde Luftfahrt neue Möglichkeiten des Reisens und des Transports mit sich bringen würde, und dass ein System von rein nationalen Regelungen dieser Entwicklung gegenüber nicht angemessen war. Deshalb lud Frankreich 1910 zu einer internationalen Luftfahrtkonferenz nach Paris ein. An dieser Konferenz nahmen 18 Staaten teil, die sich auf grundlegende international gültige Prinzipien der Luftfahrt einigten. Damit war ein Anfang gemacht, doch verhinderte der Erste Weltkrieg eine Weiterentwicklung dieser Arbeit.[54]
Nach der Berliner Konferenz von 1884 bis 1885 entstand die wichtigste afrikanische Bewegung der Dekolonialisierungsgeschichte: der Panafrikanismus als Bindeglied vieler afrikanischer Befreiungsbewegungen. Die Basis dafür war der Widerstand schwarzer Arbeiter und Soldaten der afrikanischen Diaspora in Europa und Übersee, die gegen Rassenhierarchien und Ausbeutung aufbegehrten.[55] Im Jahr 1900 fand in London mit Vertretern der Westindischen Inseln die erste panafrikanische Konferenz statt. Ziel war es, die Diskriminierung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken und ihre Interessen besser politisch zu vertreten. Auf der Konferenz wurde der Begriff Panafrikanismus geprägt.
Vom 15. bis 23. März 1890 fand in Berlin die erste Internationale Arbeitsschutzkonferenz statt.
Auf der ersten Haager Friedenskonferenz werden am 29. Juli 1899 Abkommen und Erklärungen zum Kriegsvölkerrecht und zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle unterzeichnet.
Der erste Esperanto-Weltkongress (Universala Kongreso, kurz UK) fand 1905 auf private Initiative des französischen Anwaltes und Esperantisten Alfred Michaux in der nordfranzösischen Stadt Boulogne statt, auf der die Deklaration von Boulogne verabschiedet wurde, ein Dokument, das mehrere wichtige Grundlagen für die Esperanto-Bewegung festlegte.
Ab 1911 begannen die Solvay-Konferenzen auf dem Gebiet der Physik und der Chemie. Diese in Brüssel abgehaltenen internationalen Fachkonferenzen erhielten ihren Namen nach dem belgischen Großindustriellen Ernest Solvay. Der deutsche Physiker und Physikochemiker Walther Nernst war durch Vermittlung des belgischen Physikers Robert Goldschmidt 1910 mit Solvay in Kontakt gekommen und konnte diesen davon überzeugen, eine internationale Zusammenkunft von Physikern auf höchstem Niveau zu organisieren, um die fundamentalen Probleme der gegenwärtigen Physik zu diskutieren.
Weltausstellungen
Die Weltausstellung auch Exposition Universelle Internationale, Exposition Mondiale oder World’s Fair konnte sich im Zeitalter der Industrialisierung als eine internationale Leistungsschau im technischen und kunsthandwerklichen Bereich etablieren.
Die erste Weltausstellung fand 1851 auf Anregung Prinz Alberts im Londoner Hyde-Park unter dem Titel Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations statt. Eigens für die Weltausstellung wurde der Crystal Palace, ein im viktorianischen Baustil entworfenes und von Joseph Paxton gebautes 600 Meter langes Ausstellungsgebäude aus Glas und Eisen errichtet.[56] Die erste Weltausstellung, an der 28 Länder mit 17.062 Ausstellern teilnahmen, fand vom 1. Mai bis 11. Oktober 1851 statt. Auf der Weltausstellung wurden u. a. der Telegraf und der erste Kunststoffstuhl aus vulkanisiertem Kautschuk als Neuheiten vorgestellt.
Die erste Weltausstellung in Paris fand 1855 vor dem Hintergrund des Krimkrieges statt. Sie wurde nach dem Vorbild der Londoner Great Exhibition von 1851 gestaltet. 1864 beschloss Napoléon III., eine weitere Weltausstellung auszurichten, die 1867 ebenfalls in Paris stattfand und einen letzten Höhepunkt des zweiten Kaiserreiches in Frankreich darstellte. Die Weltausstellung 1873 fand in Wien statt. Sie war die fünfte Weltausstellung und die erste im deutschsprachigen Raum. 1878 fand zum bereits drittenmal eine Weltausstellung in Paris auf dem Champ de Mars statt. Das 77 Hektar große Ausstellungsgelände wurde in nur 19 Monaten für die nationale und internationale Leistungsschau des nach der Niederlage von 1870/71 rasch wieder erstarkten Frankreich errichtet. Das Deutsche Reich war auf der Weltausstellung nicht vertreten. Als Neuheiten wurden u. a. eine Eismaschine und elektrisches Licht vorgestellt. Zu den Attraktionen der Ausstellung gehörten auch ein großes Aquarium, ein Fesselballon und der Kopf der Freiheitsstatue von Frédéric Auguste Bartholdi.
Der deutsch-amerikanische Historiker Alexander C.T. Geppert sieht in den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts bereits die Erprobung einer Art von Globalität.[57]
Paris 1889
Eine besonders imposante Weltausstellung fand 1889 in Paris anlässlich des hundertsten Jahrestag der Französischen Revolution statt. Viele europäische Monarchen boykottierten aus diesem Grund die Schau. Mit 32 Millionen Besuchern wurde sie dennoch ein großer Erfolg. Neben 54 Nationen nahmen 17 französische Kolonien teil. Vorgeführt wurden die „Wunderwerke“ des Industriezeitalters: „…keuchende, stampfende, schwingende, Menschenarbeit verrichtende Maschinen“, wie der deutsche Schriftsteller und Theologe Adolf Hausrath schrieb: „Wir sehen Stahlmeißel, die im Stande waren, das Urgebirge zu durchbohren, und Ballons, die uns auf Verlangen in die Lüfte entführen. Wir sehen, wie Maschinen Brot backen, und andere, die Chocoladetafeln ausmünzen.“[58] Der vom französischen Ingenieur Gustave Eiffel entworfene Eiffelturm, als monumentales Eingangstor und Aussichtsturm für die Weltausstellung 1889 gebaut, galt damals als Sensation und wurde zum Symbol von Paris, sowohl für deren Bewohner als auch für die Besucher aus aller Welt.[59] Mit 300 Metern war der Eiffelturm das damals höchste Gebäude der Welt. Neben der Einweihung des Eiffelturms gab es als weitere Hauptattraktion in dem zum Jardin d’Acclimatation Anthropologique verwandelten früheren Jardin Zoologique d’Acclimatation, eine riesige Völkerschau des französischen Kolonialreichs (1877–1912).[60] Die Ausstellung war von einem gravierenden Dolmetschermangel geprägt, wie die Berliner Börsenzeitung am 13. Juni 1889 berichten konnte.[61]
Chicago 1893
Die World’s Columbian Exposition (auch The Chicago World’s Fair) war eine vom 1. Mai bis zum 30. Oktober 1893 in Chicago stattfindende Weltausstellung, die zum vierhundertsten Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus 1893 veranstaltet wurde. Wegen einer zu kurzen Vorbereitungszeit konnten die im September 1891 begonnenen Bauarbeiten zur Eröffnungsfeier am 21. Oktober 1892 nicht vollständig abgeschlossen werden. Die offizielle Eröffnung konnte daher erst 1893, ein Jahr nach dem Jubiläum, stattfinden.[62] Die Ausstellung hatte starken Einfluss auf die Architektur und die Kunst der Zeit. Sie prägte Chicagos Selbstwahrnehmung und stärkte die Amerikaner in ihrer optimistischen Sichtweise des industriellen Fortschritts. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Stadt lediglich als Schlachthof der Nation bekannt gewesen und kämpfte gegen ihr provinzielles Image. Seit dem großen Brand von 1871 hatte Chicago jedoch eine rasante städtebauliche Entwicklung genommen.[63] Drei Universitäten, 24 Theater und das 1891 gegründete Chicago Symphony Orchestra waren Zeichen der kulturellen Blüte der Stadt. Anlässlich der Weltausstellung wurde das erste moderne Riesenrad der Welt – Ferris Wheel – von George Washington Gale Ferris, einem Ingenieur für Eisenbahntechnik und Brückenbau aus Pittsburgh, erbaut.
Paris 1900
Die Weltausstellung 1900 fand unter dem offiziellen Ausstellungsmotto „Bilanz eines Jahrhunderts“ erneut in Paris statt und sollte alles bisher Dagewesene noch einmal in den Schatten stellen. Sie ging mit einem Kräftemessen der einzelnen Nationen auch als „Messe der Eitelkeiten“ in die Geschichte ein. Unternehmen konnten mit einer Goldmedaille als höchster Auszeichnung für ihre Erzeugnisse ausgezeichnet werden. Auch diese Ausstellung trug maßgeblich dazu bei, Paris als kulturelles und technologisches Zentrum der damaligen Welt zu etablieren. 80 000 Aussteller aus 40 Ländern und 21 Kolonien waren 1900 auf der Ausstellung vertreten, die von 50 Millionen Menschen aus dem In- und Ausland besucht wurde. Die Festarchitektur und die Ausstellungsgebäude entlang den Ufern der Seine erstreckten sich über eine Fläche von insgesamt 216ha, einige Bauwerke der Weltausstellung wie das Grand und Petit Palais sowie die prächtige Pont Alexandre III sind bis heute erhalten geblieben und prägen das heutige Stadtbild von Paris.[64] Die Zugänge der neuentstandenen Metro wurden von dem französischen Architekten und Designer Hector Guimard im neuartigen Art-Nouveau-Stil gestaltet.
Die Weltausstellung war mit den Olympischen Sommerspielen 1900 verbunden, die sich über den gesamten Zeitraum hinzogen. Die Olympischen Spiele waren jedoch wegen der überlangen Dauer kein wirkliches Ereignis. Nur noch 1904 wurden Olympische Spiele, wie ursprünglich von John Astley Cooper und Pierre de Coubertin gefordert, zusammen mit Weltausstellungen durchgeführt.[65]
St. Louis 1904
Die Louisiana Purchase Exposition (informell auch als The Saint Louis World’s Fair bekannt) fand 1904 in St. Louis im amerikanischen Bundesstaat Missouri statt. Die Weltausstellung wurde, allerdings mit einem Jahr Verspätung, zur Feier des 100. Jubiläums des Louisiana Purchase von 1803, also des Verkaufs der französischen Kolonie Louisiana an die Vereinigten Staaten, organisiert. Im Rahmen der Weltausstellung wurden auch die Olympischen Sommerspiele 1904 ausgetragen, die jedoch kaum Beachtung beim damaligen Publikum fanden. Zahlreiche neue Lebensmittel sollen während der Weltausstellung in St. Louis erfunden worden sein, was jedoch im Falle von Hackfleischbrötchen, noch ohne „er“-Endung, die nachweislich als „Hamburg“ verkauft wurden, ebenso wie bei Eistee, Zuckerwatte und Erdnussbutter angezweifelt werden kann. Fest steht allerdings, dass diese Lebensmittel während der Weltausstellung erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und dadurch populär wurden. Ebenfalls auf der Weltausstellung begann der landesweite Vertrieb des koffeinhaltigen und kohlensäurehaltigen Erfrischungsgetränks Dr Pepper. Gesichert scheint hingegen, dass auf der Weltausstellung erstmals Speiseeis-Waffeln der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Insgesamt besuchten 19,7 Millionen Menschen die Ausstellung.
Brüssel 1910
Die Weltausstellung Brüssel (französisch Exposition Universelle et Internationale de Bruxelles) fand genau 13 Jahre nach der Weltausstellung 1897 in Brüssel und bereits 5 Jahre nach der Weltausstellung 1905 in Lüttich statt. Drei Jahre später folgte mit der Weltausstellung von 1913 in Gent erneut eine Weltausstellung in Belgien. Das 88 Hektar große Ausstellungsgelände der Weltausstellung in Brüssel zeichnete sich durch üppige Ziergärten aus. Hauptattraktionen der Weltausstellung waren eine Kunstausstellung sowie eine Kolonialausstellung. 29.000 Aussteller aus 26 Länder waren auf der Ausstellung vertreten, die von 13 Millionen Menschen besucht wurde.
Gent 1913
Die Weltausstellung in Gent 1913 (nl: Wereldtentoonstelling Gent 1913) war die letzte Weltausstellung vor dem Ersten Weltkrieg. Blumen und Kolonien waren die Hauptthemen dieser Weltausstellung. Gent war ein Zentrum der Blumenzucht und entsprechend prägte eine üppige Blumenpracht das Ausstellungsgelände. Zahlreiche Kolonien, darunter auch Belgisch-Kongo, unterhielten eigene Pavillons. Der Kongo-Pavillon war ein 15 Meter hoher Rundbau mit einem Durchmesser von 152 Metern und beherbergte eine Panoramaausstellung, die den belgischen Imperialismus im besten Licht erscheinen lassen sollte.
Völkerschauen und Zoologische Gärten
Eng verbunden mit den Weltausstellungen in der Belle Époque waren auch sogenannte Völkerschauen. Völkerschauen im eigentlichen Sinne gab es erst seit der Mitte der 1870er Jahre, davor wurden einzelne als „exotische“ empfundene Menschen öffentlich zur Schau gestellt. In Deutschland eröffnete der aus Hamburg stammende Tierhändler, Völkerschauausrichter und Zoodirektor Carl Hagenbeck 1874 eine erste Völkerausstellung mit „Lappländern“, mit der er die Grundlage zu weiteren erfolgreichen Veranstaltung legte. Weitere kommerziell erfolgreiche Aussteller und Ausstellungen sollten folgen.[66] Entscheidend für die Fortentwicklung von einer bloßen Zurschaustellung „exotischer Menschen“ war ein schwindender Publikumserfolg, daher wurden Völkerschauen konzipiert und mit großem Erfolg veranstaltet. Völkerschauen fanden häufig in Zoologischen Gärten statt, da hier „exotische“ oder als „exotisch“ empfundene Menschen in einer Umgebung mit der ihnen vertrauten Tierwelt platzieren werden konnten, wodurch eine vermeintliche „Authentizität“ erzeugt wurde. Durch die Völkerschauen sollte auch der Herrschaftsanspruch der einzelnen Kolonialstaaten untermauert werden, die dazu berufen seien, das „Wilde“ zu zähmen.[67] Etwa 300 verschiedene nichteuropäische Menschengruppen wurden in zahlreichen „anthropologisch-zoologischen Ausstellungen“ ausgestellt, wobei ihre Bräuche und Sitten im Sinne von Klischeevorstellungen und völkischem Chauvinismus zum Zwecke der Unterhaltung stark verfremdet und übertrieben wurden und nur wenig authentisch waren.
Ebenso wie Völkerschauen spielten auch Kolonialausstellungen eine wichtige Rolle, wenn es darum ging, den eigenen Kolonialstatus propagandistisch abzusichern. Im Deutschen Reich, das im Jahr 1884 mit der Besetzung von Togo, Kamerun und weiteren Gebieten selbst zu einer Kolonialmacht geworden war, fand die erste deutsche Kolonialausstellung 1896 im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung in Treptow als Berliner Kolonialausstellung statt.[68] Mit dem Propagandainstrument der Kolonialausstellungen sollten nicht nur Unternehmer zu einem möglichen Engagement in den Deutschen Kolonien geworben, sondern der breiten Öffentlichkeit deutlich gemacht werden, dass Kolonien nicht nur den Partikularinteressen einzelner elitärer Kreise, sondern dem Gesamtinteresse von Wirtschaft, Militär und Gesellschaft des imperialistischen Deutschlands und somit auch der Bevölkerung selbst dienten. Dem „kleinen Mann“ sollten die Kolonialausstellungen, die von 1896 bis 1940 in Deutschland stattfanden, vor Augen führen, dass deutsche Kolonien auch ihm „Vorteile und Chancen“ boten.[69] Aufwändig gestaltete Programmhefte und später auch farbig bedruckte Postkarten, die massenhaft hergestellt wurden, waren wichtige und effektivolle Werbemittel von Völkerschauen. Die Zurschaustellung fremder Völker entsprach (entgegen entsprechenden Behauptungen der Veranstalter) oft nicht der Wirklichkeit und der wahren Lebensweise der Völker, sondern war vielmehr ein Abbild europäischer Klischees gegenüber fremden Völkern, die durch Bücher und Erzählungen (z. B. von Karl May) und Berichten von Entdeckern entstanden waren.
Für die Forscher der damaligen Wissenschaftsdisziplinen wie Anthropologie, Ethnologie, Anatomie, Medizin und Urgeschichte stellten die Völkerschau ein ideales Betätigungsfeld ihrer Studien dar. Forscher konnten ihre Studien vor Ort durchführen und mussten nicht in ferne und mitunter gefährliche Länder reisen. Im Rahmen der Völkerschauen konnten Gipsabdrücke von verschiedenen Körperteilen angefertigt, Gesänge und Sprache aufgenommen, Fotodokumentationen und später auch Filmaufnahmen erstellt werden. Zur Vermessung des Körpers wurden spezielle Gerätschaften entwickelt wie „Ohrenhöhenmesser“ und „Tasterzirkel“. Für die Völkerschau-Veranstalter hatten die „wissenschaftlichen Studien“ ebenfalls Vorteile, denn die Forscher bestätigten zum einen die Authentizität der Schauen und zum anderen entfiel durch ihre Studien für die Veranstalter sowohl die sogenannte „Lustbarkeitssteuer“, die bis zu 40 Prozent der Bruttoeinnahmen der Schau betragen konnte als auch eine Wandergewerbe-Anmeldung.[70]
1887 eröffnete Carl Hagenbeck einen ersten Zirkus, in dem er dem staunenden Publikum auch dressierte Löwen vorführte. 1896 wurde die von Carl Hagenbeck erfundene gitterlose Tierhaltung in Hagenbecks Tierpark in Hamburg erstmals umgesetzt. Hagenbeck versuchte nach Möglichkeit auf Gitter zu verzichten und die Gestaltung der einzelnen Gehege an die Lebensräume der Tiere anzulehnen. Zum ersten Mal konnten so Tiere von den Besuchern in einer annähernd artgerechten Umgebung gezeigt werden. Die gitterlose Tierhaltung konnte sich als Vorbild in der Zoogestaltung im Verlauf des 20. Jahrhunderts etablieren.
Technischer Fortschritt
In der Belle Époque fand auch die Phase der zweiten industriellen Revolution statt. Rasante Entwicklungen in den Bereichen Mobilität, Kommunikation und Technik formten unsere heutige moderne Welt und legten den Grundstein für die Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Zu den neuen forschungs- und wissenorientierten Branchen zählten neben der Chemischen Industrie und der elektrotechnischen Industrie auch der Maschinenbau und die optische Industrie.[71] In der pharmazeutischen Industrie entstanden in dieser Zeit große unternehmenseigene Forschungslaboratorien. Wichtig war daneben auch der Kontakt der Wirtschaft zu den Universitäten und den außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie etwa der 1887 in Berlin gegründeten Physikalisch-Technischen Reichsanstalt.[72] Die vielen Neuerungen in der Elektrotechnik, der Messung von Strommengen bedurfte einer einheitlichen Normung. Im Jahr 1888 wurde der deutsche Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz der erste Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Charlottenburg. In der chemischen Industrie gewannen Soda und Schwefelsäure als Grundlage neuer Produkte wie etwa für den synthetischen Farbstoff Anilin an Bedeutung.[73] Neben dem bislang dominierenden Energieträger Kohle spielte Erdöl eine zunehmend bedeutende Rolle und diente beispielsweise zum Antrieb von Verbrennungsmotoren (Otto-Motor, Diesel-Motor). Die Elektrizität wurde in immer größerem Maßstab genutzt: Generator (ab 1866), Glühlampe, Elektromotor etc. Die Nutzung des elektrischen Stroms trug auch zur Verbesserung der Kommunikationstechnik bei. Neben der Telegraphie (ab ca. 1840) kam in den 1880er Jahren das Telefon hinzu. All diese Innovationen sollten die Lebensweise der Menschen grundlegend verändern.
Waffentechnik und Militärstrategie
Die bedeutenden Fortschritte in Wissenschaft und Technik während der Belle Époque zeigten sich nicht nur im zivilen, sondern auch im militärischen Bereich, beispielsweise in der Entwicklung neuer Waffentechniken, die weiterentwickelt und auch im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden:
- Das Maxim-Maschinengewehr (französisch Mitrailleuse Maxim, englisch Maxim Gun) war das erste selbstladende Maschinengewehr der Welt und wurde 1885 Jahren vom britischen Erfinder Hiram Maxim entwickelt. Das Maschinengewehr nutzte dabei den Rückstoß eines Schusses, um die nächste Patrone zu laden bzw. Dauerfeuer abgeben zu können. Das Gewehr konnte rund 500 Schuss pro Minute abfeuern, was einer Feuerkraft von 100 Repetiergewehren entsprach. Das Maxim-Maschinengewehr spielte eine bedeutende Rolle bei der Eroberung Afrikas durch die europäischen Kolonialmächte, da es das Kräfteverhältnis und die Relation der Opferzahlen bei Kämpfen zwischen Europäern und Afrikanern entscheidend zugunsten der Europäer veränderte.
- Das rauchschwache Pulver ersetzte das Schwarzpulver und führte zu weniger Rauchbildung beim Schießen, was die Sicht auf dem Schlachtfeld verbesserte und Artilleriegeschütze zielgenauer und reichweitenstärker als zuvor machte.
- Mit der Entwicklung und Einführung von Stahlrümpfen im Schiffsbau anstelle von Holzrümpfen sowie leistungsfähigen Dampfmaschinen wurden Kriegsschiffe stärker und schneller. Das 1906 in Großbritannien in Dienst gestellte Dreadnought-Schlachtschiff revolutionierte das Design von Schlachtschiffen und führte zu einem Wettrüsten auf See.
- U-Boote wurden in dieser Zeit ebenfalls weiterentwickelt und begannen, eine bedeutende Rolle in den Seekriegsstrategien einzunehmen.
- Das Flugzeug wurde im 19. Jahrhundert erfunden und entwickelte sich rasch zu einem potenziellen militärischen Werkzeug. Flugzeuge legten den Grundstein für die Luftkriegsführung im Ersten Weltkrieg.
- Mit der Einführung von Funkgeräten konnten Armeen auf dem Schlachtfeld besser miteinander kommunizieren und dadurch strategische Vorteile gegenüber ihren Gegnern erzielen.
Zahlreiche Veränderungen in den Militärstrategien der einzelnen Staaten waren eine direkte Folge der technologischen Fortschritte, die im Bereich der Waffentechnik gemacht wurden:
- Aufgrund der Entwicklung von Maschinengewehren und fortschrittlicher Artillerie wurde die Verteidigungsposition oft als überlegen gegenüber dem Angriff betrachtet. Schützengräben und befestigte Stellungen wurden immer wichtiger, was schließlich im Ersten Weltkrieg zum Grabenkrieg führte.
- Die Eisenbahn entwickelte sich zu einem entscheidenden Faktor in der Militärstrategie und ermöglichte die schnelle Verlegung ganzer Armeen über große Entfernungen. Der sogenannte Schlieffen-Plan, ein deutscher Ansatz zur Führung eines Zweifrontenkrieges gegen Frankreich und Russland, war beispielsweise stark von der Nutzung der Eisenbahn abhängig, um Truppen schnell an die Front bewegen zu können.
- Die Schnelligkeit der Mobilmachung wurde als entscheidend für den militärischen Erfolg angesehen. Länder entwickelten daher detaillierte Mobilisierungspläne, um sicherzustellen, dass ihre Armeen schnell reagieren konnten.
- Während des "Wettlaufs um Afrika" und anderer imperialistischer Bestrebungen entwickelten die europäischen Großmächte Strategien, um ihre Kolonien zu verteidigen und zu erweitern.
- Die Royal Navy und die deutsche Kaiserliche Marine entwickelten Strategien für die Seeblockade und die Seekriegführung, insbesondere angesichts des Aufkommens von Schlachtschiffen und U-Booten.
- Während die Kavallerie traditionell eine dominierende Rolle auf dem Schlachtfeld spielte, wurde sie durch die Entwicklung des Maschinengewehrs und der Artillerie zunehmend in den Hintergrund gedrängt.
- Mit dem Beginn der Luftfahrt und der Entwicklung der Radiotechnologie spielte die militärische Aufklärung eine immer größere Rolle. Ballons, Luftschiffe und später auch Flugzeuge wurden für die militärische Aufklärung eingesetzt.
- Vor allem das deutsche Kaiserreich, eingeklemmt zwischen Russland im Osten und Frankreich im Westen, musste Strategien wie beispielsweise den Schlieffen-Plan entwickeln, um sich auf einen möglichen gleichzeitigen Krieg an zwei Fronten vorzubereiten.
Die Fortschritte in der Waffentechnik sowie die Neuerungen in der Militärstrategie steigerten die militärische Schlagkraft der führenden europäischen Nationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und sollte den Ersten Weltkrieg zu einem der verheerendsten Konflikte in der Geschichte der Menschheit werden lassen.
Verkehr und Mobilität
Das 19. Jahrhundert ist auch das Zeitalter der Mobilität, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eroberte die Eisenbahn die Welt, hochseetaugliche Dampfschiffe befuhren die Weltmeere, Automobile, Starrluftschiffe und Flugzeuge wurden gebaut. Der zunehmende Ausbau der Eisenbahn und der Dampfschifffahrt beschleunigte auch das Wachstum der Kohlewirtschaft, der Stahlindustrie und der Elektrizitätswirtschaft.
Ozeandampfer
Der Schiffsbau im 19. Jahrhundert wurde ab 1850 von zwei technische Neuerungen revolutioniert. Zum einen wurde Holz als Baumaterial für Schiffe zunächst vom Eisen, später von Stahl verdrängt, zum anderen wurden die bis dahin eingesetzten Segelschiffe nach und nach von Dampfschiffen ersetzt. Vor allem die Engländer konnten mit den neu eingesetzten Materialien und den Gegebenheiten am besten umgehen und waren in der Schiffsbauindustrie führend.[74] Das Deutsche Reich hingegen war erst ab 1890 in der Lage, selbst entsprechende hochseetaugliche Schiffe zu bauen. Bis dahin wurden Schiffe in Werften in England und Schottland bestellt und gebaut. Die einsetzende Werftindustrie wurde in Deutschland maßgeblich durch die deutsche Marinepolitik gefördert. Das Deutsche Reich konnte den enormen Rückstand im Dampfschiffbau langsam aufholen, trotz dieser Bemühungen betrug der Anteil Großbritanniens mit Irland und den Kolonien am weltweiten Dampfschiffbau im Jahr 1910 noch immer 65 %, während Deutschland, das zwar direkt dahinter auf Rang zwei rangierte, lediglich einen Anteil von etwa 10 % am weltweiten Dampfschiffbau aufzuweisen konnte.[75] Ozeandampfer wurden zunehmend im Liniendienst zwischen Europa und Amerika eingesetzt. Sie beförderten Passagiere, Fracht und Post. Vor allem die Schiffsverbindung zwischen den USA und Europa besaß dabei eine besonders hohe Bedeutung. Zum einen lag dies an der zunehmenden Zahl wohlhabender Handelsreisender zum anderen gab es große Auswanderungswellen, in denen Hunderttausende Menschen ihre europäische Heimat verließen, um sich in Amerika eine neue Existenz aufzubauen. Getragen wurde diese Entwicklung von der Konstruktion der Dampfmaschine, die einen fahrplanmäßigen, von wechselnden Windverhältnissen unabhängigen Schiffsverkehr ermöglichte und höhere Reisegeschwindigkeiten erlaubte. Mit steigender Zuverlässigkeit der Dampfmaschinen und dem gegenüber dem Schaufelrad effizienteren Schiffspropeller wurde die Hilfsbesegelung ab etwa 1880 größtenteils überflüssig, was zu einem weiteren Schub bei der Entwicklung größerer Schiffe führte. Vor allem auf der wichtigen Route zwischen Europa und Amerika wurden die jeweils größten und technisch innovativsten Schiffe ihrer Zeit eingesetzt.
Zu den bekanntesten Schiffen des frühen 20. Jahrhunderts gehörten die britischen Schiffe RMS Lusitania, das Schwesterschiff RMS Mauretania, die RMS Olympic und deren Schwesterschiff RMS Titanic sowie das deutsche Passagierschiff Imperator. Die beiden turbinenbetriebenen Dampfer Lusitania und Mauretania der britischen Cunard Line, die bei ihrer Indienststellung jeweils die größten Schiffe der Welt waren, wurden als Royal Mail Steamer im Transatlantikverkehr zwischen Liverpool und New York City eingesetzt. Sie stellten bezüglich Abmessungen, Antrieb und Ausstattung neue Maßstäbe im Bau von modernen Passagierschiffen auf. Später wurden sie in Größe und Ausstattung von den Passagierschiffen Olympic und Titanic der britischen White Star Line übertroffen.
Die Titanic lief am 31. Mai 1911 vom Stapel und galt bei ihrer Indienststellung am 2. April 1912 als das größte, luxuriöseste sowie nach allgemeiner Überzeugung auch als das weltweit sicherste Schiff der damaligen Zeit. Der aus Stahl gebaute und von einem zweifachen Boden gesicherte Rumpf des Schiffes war in 16 Kammern unterteilt, die von wasserdichten Türen voneinander abgeschottet waren. Die Titanic wurde von 29 Dampfkesseln angetrieben war 269 m lang, 28 m breit und 53 m hoch.
Die jeweils größten und modernsten Schiffe repräsentierten den jeweils neuesten Stand der Technik und galten in der Öffentlichkeit häufig als unsinkbar – ein Mythos, der durch den Untergang der Titanic auf grausame Art und Weise widerlegt und schwer erschüttert wurde. Denn „Schiffbruch erlitt hier nicht allein die Titanic, sondern ein Stück weit auch der Glaube an den technologischen Fortschritt …“.[76]
Das deutsche Passagierschiff Imperator (die HAPAG benutzte auf Wunsch von Kaiser Wilhelm II. den männlichen Artikel) wurde von 1910 bis 1912 für die Reederei HAPAG gebaut und war nach dem Untergang der Titanic mit 52.117 Bruttoregistertonnen, einer Länge von 269 m und einer Breite von 30 m bis 1914 das größte Schiff der Welt.[77] Der Imperator war das erste Schiff, das die 50.000 BRT-Marke übertraf. Das Schiff konnte insgesamt 4175 Passagiere befördern und verfügte über 1100 Mann Besatzung. Auf dem Schiff gab es ein Ritz-Carlton-Restaurant, ein marmornes Bordschwimmbad sowie eine kleine Radrennbahn. Mit seiner luxuriösen Ausstattung übertraf der Imperator sogar die Titanic.[78]
Nach dem Untergang der Titanic wurde die drahtlose Telegrafie, mit der die Titanic noch in der Unglücksnacht um Hilfe gefunkt hatte, für alle Passagierschiffe gesetzlich verpflichtend eingeführt.[79]
Eisenbahn
1878 wurde auf der Berliner Gewerbeausstellung die erste elektrische Lokomotive der Welt von Werner von Siemens und Johann Georg Halske vorgestellt. Die kleine zweiachsige Elektrolokomotive fuhr auf einem 300 Meter langen Rundkurs, konnte drei Wagen mit je sechs Personen ziehen und gilt als erste praxistaugliche Elektrolokomotive der Welt.
1882 wurde in der Schweiz die Gotthardbahn mit finanzieller Hilfe Deutschlands und Italiens eröffnet. Nach 1898 wurden die Bahnen in der Schweiz bis 1909 schrittweise verstaatlicht und in die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) überführt. Die innerstädtische Standseilbahn Lugano–Bahnhof SBB nahm 1886 ihren Betrieb auf.
Am 14. Juli 1900 wurde der Bahnhof Gare d’Orsay anlässlich der Weltausstellung in Paris eröffnet. Zwischen 1886 und 1889 veranlasste die Compagnie des Chemins de fer de l’Ouest eine bedeutende Vergrößerung des Bahnhofs Paris-Saint-Lazare, der durch die Weltausstellung notwendig gewordenen war.
1891 wurde in Russland mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn als der längsten durchgehenden Eisenbahnverbindung der Welt begonnen. Ziel des Zarenreiches war es, Sibirien wirtschaftlich zu erschließen und den Handel mit China nachhaltig zu fördern.
Am 10. Mai 1893 konnte die Dampflokomotive New York Central No. 999 der New York Central Railroad mit 181 km/h einen absoluten Geschwindigkeitsweltrekord aufstellen, was zu weltweitem Aufsehen führte, Fachleute bezweifelten allerdings, dass diese Geschwindigkeit tatsächlich erreicht wurde.
Ab 1903 entstand im Osmanischen Reich unter maßgeblicher Beteiligung deutscher Firmen und Konstrukteure die Bagdadbahn, die Zentralanatolien mit Bagdad verbinden sollte. Im Auftrag Sultans Abdülhamid II. sollte eine 1.600 Kilometer lange Eisenbahnstrecke von Konya über Aleppo bis nach Bagdad errichtet werden. Der Bau der Strecke war auch ein Versuch von deutscher Seite, die handelspolitische Vormachtstellung der Briten im Orient zu untergraben. Das Projekt wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges gestoppt.
Bereits seit Beginn des Eisenbahnzeitalters waren Unfälle bekannt. Mit Nutzung der Dampfmaschine als Energieerzeugung für den Fahrbetrieb der Eisenbahn und der Erfindung der Dampflokomotive ereigneten sich zum einen Unfälle, die speziell mit der Dampfmaschine in Zusammenhang standen, wie Kesselzerknall oder Brände, zum anderen Unfälle, die mit der großen Masse, der Geschwindigkeit und der geringen Reibung des Rad-Schiene-Systems und den damit relativ langen Bremswegen eines Zuges in Zusammenhang standen. Daneben ereigneten sich auch Unfälle, die aufgrund bahnfremder Eingriffe in den Schienenverkehr geschahen wie beispielsweise durch andere Verkehrsteilnehmer, die den Bahnverkehr querten, Attentäter sowie Selbstmörder. Teilweise kam es zu spektakulären Unfällen, die auch in Fotografien festgehalten werden konnten:
Das Foto einer abgestürzten Lokomotive im Bahnhof Paris-Montparnasse im Jahr 1895 wurde zu einem weltbekannten Symbol technischen Versagens. Der Lokführer Guillaume-Marie Pellerin, der eine 19-jährige Berufserfahrung aufweisen konnte, fuhr am 22. Oktober 1895 mit einer Geschwindigkeit von etwa 45 km/h und damit viel zu schnell in den Kopfbahnhof Montparnasse ein, um eine Verspätung wettzumachen. Allerdings versagte beim Anhalten die Druckluftbremse des Zuges und die Wirkung der Lokbremse reichte alleine nicht aus, um den schweren Zug zum Stehen zu bringen. Pellerin und der Heizer Mariette konnten sich mit einem Sprung von der Lokomotive retten, bevor diese den Prellbock und den Querbahnsteig des Bahnhofs überfuhr, die etwa 1,25 Meter starke Brüstung unterhalb eines großen Glasfensters durchbrach und auf den ein Stockwerk tiefer liegenden Place de Rennes stürzte, wobei sie nur knapp eine dort fahrende Straßenbahn verfehlte. Es gab insgesamt fünf Verletzte unter den Passagieren und dem Zugpersonal. Einziges Todesopfer war die Zeitungsfrau Marie-Augustine Aguilard, die sich zum Zeitpunkt des Unglücks unterhalb des Glasfensters befunden hatte und ihren Mann vertrat, der die Abendzeitungen holte. Die Eisenbahngesellschaft bezahlte die Beerdigung und eine Rente für ihre beiden Kinder. Der Lokführer Pellerin und der Heizer Mariette mussten sich vor Gericht verantworten. Pellerin wurde zu einer Strafe von 50 Franc verurteilt und kam für zwei Monate ins Gefängnis, Mariette musste 25 Franc Strafe zahlen.
Ähnliches geschah auch bei einem Eisenbahnunfall im Centralbahnhof Frankfurt, dem heutigen Frankfurter Hauptbahnhof am 6. Dezember 1901. Die Lokomotive des Ostende-Wien-Express überfuhr dort mit viel zu hoher Geschwindigkeit einen Prellbock, schoss über den Querbahnsteig, durchbrach eine dahinterliegende Mauer und kam erst im Wartesaal der ersten und zweiten Klasse des Bahnhofs zum Stehen. Der Unfall ging glimpflich aus, da der Bahnhof zum Zeitpunkt des Unglücks, am frühen Morgen noch relativ leer war. Der Lokführer wurde später wegen Gefährdung des Zuges und Vernachlässigung seiner Pflichten zu einer Geldstrafe von 100 Mark verurteilt. Er hatte versucht eine Verspätung aufzuholen und es versäumt, während der Fahrt den Druckluftvorrat der Bremse wieder aufzufüllen, weswegen die rechtzeitig betätigte Druckluftbremse im Bahnhof keine Wirkung zeigte.[80] Die nur wenig beschädigte Lokomotive konnte später wieder repariert und eingesetzt werden.
Der Eisenbahnunfall auf der Firth-of-Tay-Brücke 1879 in Schottland inspirierte u. a. den Schriftsteller Theodor Fontane im Januar 1880 zu der mythisierenden Ballade Die Brück’ am Tay.[81] Am 28. Dezember 1879 befuhr ein Schnellzug aus Edinburgh in Richtung Dundee während eines Sturms gegen 19:17 Uhr die Firth-of-Tay-Brücke, als der Mittelteil der Brücke plötzlich nachgab und mit dem Zug in den Firth of Tay stürzte, wobei wahrscheinlich 75 Menschen den Tod fanden. Theodor Fontane umrahmt in seiner Ballade die Darstellung des eigentlichen Unglücks mit dem Motiv der drei Hexen aus Shakespeares Macbeth und macht die Ballade somit zu einer Mahnung vor der damals vorherrschenden technikgläubigen Hybris. Der Schriftsteller William McGonagall verfasste ebenfalls 1880 ein Gedicht mit dem Titel The Tay Bridge Disaster.
Nachdem sich die Eisenbahn als allgemeiner und bald auch führender Verkehrsträger real und im Bewusstsein der Menschen etabliert hatte, wurde sie selbst, aber auch die mit ihr verbundenen Unfälle, zunehmend zum Thema der Literatur. So schildert beispielsweise der Schriftsteller Emile Zola in seinem 1890 erschienenen Roman Die Bestie im Menschen (französisch La Bête Humaine; auch unter dem Titel Das Tier im Menschen) einen Eisenbahnunfall, der aus Eifersucht vorsätzlich herbeigeführt wurde. Im Roman Anna Karenina von Leo Tolstoi begeht die gleichnamige Titelheldin Suizid, indem sie sich vor einen herannahenden Zug wirft.
Hauptartikel: Liste von Eisenbahnunfällen als literarisches Thema
Die Eisenbahn und die Eisenbahnunfälle entwickelten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch für das neuentstandene Medium Film zu einem interessanten und beliebten Thema. Die dabei im Film dargestellten Eisenbahnunfälle waren teils frei erfunden, teils tatsächlichen Unfällen nachgestellt. Ein besonders spannendes Element in Filmen bestand oft darin, einen drohenden Eisenbahnunfall darzustellen, der dann im letzten Moment abgewendet werden konnte und nicht stattfand.
U-Bahn und Straßenbahn
Anlässlich der Weltausstellung in Paris wurde am 19. Juli 1900 die erste Linie der Pariser Métro eröffnet. Die 10,6 km lange Strecke verband die Stationen Porte Maillot und Porte de Vincennes. Die Informationstafeln der Metro waren anlässlich der Weltausstellung in 34 Sprachen verfasst. Paris war damals nach London (1863), Liverpool (1893), Budapest und Glasgow (jeweils 1896) und Wien (1898) die sechste Stadt der Welt, die über eine eigene U-Bahn verfügte. Das Liniennetz der Pariser Métro ist auch heute noch mit 227 Kilometer Gesamtlänge und 308 Stationen, die von insgesamt sechzehn voneinander unabhängigen Linien bedient werden, eines der größten der Welt.
Ein Gesetz vom 30. März 1898 legte fest, dass Tunnel, Einschnitte, Viadukte und Bahnsteige von der Stadt Paris errichtet werden sollten. Der Bau der Betriebswerkstätten und der Kraftwerke, sowie das Verlegen der Gleise, der Erwerb der Schienenfahrzeuge und der Streckenausrüstung oblag hingegen dem künftigen Betreiber der Métro. Vorgesehen war ein aus den sechs Linien A bis F bestehendes, 65 km langes Netz für die Beförderung von Fahrgästen und deren Handgepäck. Die Züge sollten elektrisch betrieben werden. Die Konzession ging zunächst für 35 Jahre an die Compagnie du chemin de fer métropolitain de Paris.
Viele Eingänge der Pariser Metrostationen wurden von dem französischen Architekten, Designer und Art-nouveau-Künstler Hector Guimard mit phantasievollen Schmiedeeisengittern und geschwungenen Schriftzügen gestaltet. Die 141 Überdachungen der Metroeingänge erinnern dabei mit ihren pflanzlich-organischen Formen an Libellenflügel.
Am 12. Mai 1881 nahm zwischen Lichterfelde und Großlichterfelde bei Berlin die erste von Werner von Siemens konstruierte elektrische Straßenbahn der Welt ihren Probebetrieb auf und ersetzte die bisher dort eingesetzten Pferdebahnen. Mit den Pferdebahnen verschwanden auch die Pferdeäpfel von den Straßen, die bis dahin ein großes Ärgernis dargestellt hatten.
1884 wurde die Frankfurt-Offenbacher Trambahn eröffnet, eine der ersten elektrischen Straßenbahnen Deutschlands.
Um 1900 verfügte Deutschland bereits über ein elektrisches Straßenbahnstreckennetz von circa 3 000 km und damit soviel wie in allen europäischen Ländern zusammen. Im Jahr 1910 waren bereits alle deutschen Großstädte und große Teile der ländlichen Gebiete an das Stromnetz angeschlossen.[82][83]
Kutschen und „Pferdelose Kutschen“
Zu den Innovationen der Zweiten Industriellen Revolution, die sich in der Belle Époque durchzusetzen begannen, gehörte die Perfektionierung leicht gefederter, geräuschloser Kutschen in einer Vielzahl modischer Formen. Die Kutsche wurde gegen Ende der Epoche vom Automobil abgelöst.
1885 baute der deutsche Ingenieur und Automobilpionier Carl Benz mit dem Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 das erste Automobil mit Verbrennungsmotor und unternahm damit im Sommer 1885 Erprobungsfahrten in der badischen Stadt Mannheim. Am 29. Januar 1886 meldete Carl Benz ein Patent für sein „Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb“ an. Die Geburtsstunde des Automobils. Das dreirädrige Gefährt war mit einem Viertaktmotor ausgerüstet und wurde mit Ligroin (Waschbenzin) betrieben, welches damals in Apotheken erhältlich war. Das Fahrzeug verfügte über einen im Heck angeordneten, liegenden schiebergesteuerten Einzylinder-Viertaktmotor, der laut Benz bei einer Drehzahl von 250/min eine Leistung von 0,67 PS abgab und eine Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h erreichte. Während der Erfinder selbst Erprobungsfahrten nur auf den Mannheimer Ringstraßen durchführte, gelang seiner Frau Bertha Benz 1888 zusammen mit den beiden gemeinsamen Söhnen die erste Fernfahrt der Welt von Mannheim in ihre Geburtsstadt Pforzheim und zurück. Bertha Benz war somit die erste Autofahrerin der Geschichte und die erste Person überhaupt, die sich über kurze Versuchs- und Probefahrten hinauswagte. Diese erste Fernfahrt über eine Strecke von 106 Kilometer konnte wesentlich dazu beitragen, noch bestehenden Vorbehalte der Kunden gegen das neuartige Fahrzeug zu zerstreuen, und ermöglichte nachfolgend den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Verschiedene Schwierigkeiten, die sich während der Fahrt ergaben und von Bertha Benz gemeistert wurden, flossen in der Folge als Verbesserung in später produzierte Wagen ein, wie beispielsweise ein Gang mit kurzer Übersetzung zum Befahren starker Steigungen sowie Lederbeschläge auf den Bremsbacken, um die Lebensdauer und Wirkung der Bremsen zu erhöhen. Bertha Benz kann somit als Erfinderin der Bremsbeläge angesehen werden.
Am 29. August 1885 erhielt der deutsche Ingenieur und Konstrukteur Gottlieb Daimler ein Patent auf seinen „Reitwagen“, den Prototyp für das spätere Motorrad. Zusammen mit dem Autokonstrukteur Wilhelm Maybach entwickelte er dafür ein Fahrzeug mit seitlichen Stützrädern.
Gottlieb Daimler baute im selben Jahr auch den von ihm bereits 1883 entwickelten Viertaktmotor in eine von Wilhelm Wimpff gefertigte Kutsche ein und avancierte damit zum Erfinder des vierrädrigen Kraftwagens.
Der deutsche Ingenieur Andreas Flocken baute 1888 in der Maschinenfabrik A. Flocken in Coburg das erste vierrädrige Elektroauto der Welt, den Flocken Elektrowagen. Darüber hinaus gilt Flocken auch als Erfinder der Spurstange.
Mit dem Automobile Club de France (ACF), einem privaten Club von Automobilenthusiasten, entstand 1895 in Paris der weltweit erste und älteste Automobilclub der Welt. Im Jahr 1898 richtete der ACF erstmals den Pariser Automobilsalon aus.
Am 18. März 1895 nahm die erste Bus-Linie der Welt zwischen Deuz und Siegen ihren Betrieb auf. Die Netphener Omnibusgesellschaft setzte einen benzinbetriebenen und von Carl Benz gebauten Omnibus (5 PS) ein.
1896 baute Gottlieb Daimler in Cannstatt bei Stuttgart den weltweit ersten motorisierten Lastwagen, den Daimler Motor-Lastwagen. Das Fahrzeug war 4,5 m lang und 1,5 m breit, die Nutzlast betrug 1500 kg und das Leergewicht wurde mit 1500 kg angegeben, die Höchstgeschwindigkeit des Lastwagens betrug 12 km/h, der Kaufpreis 5.200 Mark.[84]
1897 verkehrte in Stuttgart das weltweit erste mit einem Taxameter ausgestattete und mit Benzin betriebene Taxi. Der Name Taxi als Bezeichnung für ein öffentliches Verkehrsmittel zur individuellen Personenbeförderung ist vom Taxameter abgeleitet.
Am 24. Mai 1903 wurde der ADAC im Hotel Silber in Stuttgart zunächst als Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung gegründet und 1911 in den Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) umgewandelt. Den preußischen Adler wählte man anlässlich der Unterstützung durch den deutschen Kaiser und preußischen König, Wilhelm II. als Wappentier für den ADAC.
Der erstmals 1898 ausgerichtete Pariser Autosalon galt als erste Automobilausstellung von internationaler Bedeutung, vom 15. Juni bis 3. Juli 1898 fand der von Albert de Dion organisierte Salon de l’Automobile in Paris statt und präsentierte dort 232 Automobile. 1899 erreicht der Rennfahrer und Ingenieur Camille Jenatzy bei einer Rekordfahrt mit seinem elektrisch betriebenen Straßenfahrzeug La Jamais Contente erstmals eine Geschwindigkeit von über 100 km/h.
Am 9. April:1902 konnte der britische Unternehmer, Flugpionier und Automobilrennfahrer Charles Stewart Rolls in Achères bei Paris mit 101,547 km/h den ersten Geschwindigkeitsrekord für Benzin-Kraftfahrzeuge mit einem Mors (Rennwagen) aufstellen.
Der deutsche Konstrukteur und Automobilpionier Wilhelm Maybach konstruierte im Jahr 1900 auf Anregung des österreichischen Kaufmanns und Generalkonsuls Emil Jellinek den Mercedes-Simplex, einen Rennwagen mit einem 35-PS-Vierzylindermotor und zwei Vergasern. Das Fahrzeug war mit Maybachs Erfindungen dem Bienenwabenkühler und dem Zahnradgetriebe ausgestattet. Jellinek nannte das Modell nach seiner Tochter Mercédès
Nach der Erfindung des ersten Luftreifens durch den Briten John Boyd Dunlop 1888 entwickelte der Franzose Édouard Michelin in den 1890er Jahren zunächst den abnehmbaren Luftreifen für Fahrräder und später für Autos. Der Erfolg der Entwicklung war enorm und das kleine Unternehmen stieg innerhalb von nur drei Jahren zum Marktführer im Geschäft mit Fahrradreifen auf. 1895 entwickelten die Michelins ebenfalls einen Luftreifen für Autos und bereits 1896 fuhren rund 300 Pariser Taxis mit Michelin-Reifen.
Für seine Erfindung eines handbetriebenen Scheibenwischers für die vorderen Autoscheiben erhielt Prinz Heinrich von Preußen 1908 ein deutsches Patent. Allerdings fand seine Erfindung zunächst wenig Verbreitung.
Die Brüder Renault avancierten in Frankreich zu Pionieren der industriellen Fertigung von Automobilen und trugen mit dazu bei, dass es in Frankreich 1914 bereits 100.000 Autos gab.
Um 1900 fuhren auf den Straßen fast ebenso viele Dampfwagen (Erfinder: Joseph Cugnot, 1769), Elektroautos (Erfinder: Gustav Trouvé, 1881) und Autos mit Verbrennungsmotor. Der Siegeszug der Autos mit Verbrennungsmotor begann allerdings erst mit der Erfindung des Anlassers und der Einführung der Fließbandproduktion im Jahre 1908 durch Henry Ford.
Der St. Pauli-Elbtunnel oder auch alte Elbtunnel in Hamburg wurde am 7. September 1911 zunächst für den Fußgängerverkehr und ab 30. November 1911 für Pferdefuhrwerke und Kraftfahrzeuge eröffnet. Der alte Elbtunnel galt bei seiner Eröffnung als technische Sensation. Er unterquert die Norderelbe auf einer Länge von 426,5 Metern und verbindet dabei mit zwei Tunnelröhren die nördliche Hafenkante bei den St. Pauli-Landungsbrücken mit der Elbinsel Steinwerder.
Eng verbunden mit der Entwicklung des Automobils ist auch die Geschichte des Führerscheins. Am 1. August 1888 erhielt der Erfinder des Automobils Carl Benz vom Großherzoglich-Badischen Bezirksamt die erste bekannte Fahrerlaubnis in Form einer nur für Mannheim und Umgebung gültigen Berechtigung zur Durchführung von Versuchsfahrten mit einem Patentmotorwagen.[85] Ein für das gesamte Deutsche Reich gültiger Führerschein wurde erstmals am 3. Mai 1909 eingeführt. Die erste private Fahrschule wurde 1904 von Rudolf Kempf in Aschaffenburg eröffnet. Zum 1. Oktober 1907 wurden im Deutschen Reich einheitlich angebrachte Kraftfahrzeugkennzeichen eingeführt.
Luftfahrt
1899 begannen die Brüder Wright in den USA mit dem Bau ihres ersten Flugapparates, einem Drachen. Er besaß bereits ein äußerst wichtiges Merkmal: die Verwindung der Tragflächen, mit der die waagerechte Lage des Flugapparates kontrolliert werden konnte. Edmund Rumpler sagte zu dieser Erfindung, „welche direkt dem Vogelflug nachgebildet ist“, sie habe „hauptsächlich dazu beigetragen, die großen Erfolge der Brüder Wright herbeizuführen“. Die Nachricht vom Absturz Otto Lilienthals bewog die Gebrüder Wright, eigenen Aussagen zufolge, dazu, sich intensiv mit dem Menschenflug zu beschäftigen. Sie gingen dabei systematisch vor und begannen noch im Jahr 1896 mit dem Studium aller verfügbaren flugtechnischen Literatur. Sie erkannten, dass Lilienthal das Problem des dynamischen Auftriebs gelöst hatte und sein Absturz Folge der mangelhaften Steuerfähigkeit seines Flugapparats gewesen war.
Im Oktober 1900 erprobten die Brüder Wright mit einem Doppeldecker-Gleitflugzeug zunächst noch unbemannt den Gleitflug auf den Kill Devil Hills sechs Kilometer südlich von Kitty Hawk in North Carolina. Der Ort auf den Outer Banks an der Atlantikküste eignete sich wegen der dort auftretenden starken und konstanten Winde für dieses Vorhaben besonders.
Als weltweit erstes Flugzeug wurde 1902 der Wright Glider, ein Experimental-Gleitflugzeug, um alle drei Raumachsen (Längs-, Quer- und Gierachse) aerodynamisch gesteuert. Die zur Steuerung benötigten Kräfte wurden durch Umlenkung der umströmenden Luft mit beweglichen Steuerflächen bzw. Tragflächenverwindung erzeugt. Die neue aerodynamische Flugsteuerung wurde 1906 patentiert und ist seitdem das am häufigsten im Flugzeugbau verwendete Verfahren.
Der Wright Flyer (die Wright-Brüder selbst benannten das Flugzeug The Whopper Flying Machine) war das erste von den Brüdern Wright hergestellte Motorflugzeug. Beim weitesten Flug legte es am 17. Dezember 1903 in Kitty Hawk in 59 Sekunden rund 260 Meter zurück. Es war das erste motorisierte Luftfahrzeug, das schwerer als Luft war und von einem Piloten gesteuert wurde.
Am 4. Dezember 1894 unternahm der deutsche Meteorologe Arthur Berson eine Alleinfahrt mit dem Wasserstoffballon Phönix und konnte dabei mit einer Höhe von 9155 m ü. NN einen neuen Höhenweltrekord aufstellen.
Im Jahr 1900 kam es zu drei Aufstiegen des Zeppelins LZ 1 über dem Bodensee. Die ermutigenden Resultate führten zu einer spontanen Begeisterung in der Bevölkerung, was entscheidend dazu beitrug, dass der Konstrukteur des Luftschiffes Graf von Zeppelin die Technik weiterentwickelte. Am 7. Januar 1901 verlieh der deutschen Kaiser ihm den preußischen Roten Adlerorden I. Klasse für seine Verdienste.
1908 wurde der Deutsche Luftflotten-Verein gegründet, oberstes Vereinsziel war die „Schaffung einer starken deutschen Luftflotte“. Die Gründung des Vereins ging vor allem auf die Initiative des Mannheimer Industriellen Karl Lanz zurück, der auch Vorsitzender des Luftflotten-Vereins war. Mit dem Lanz-Preis der Lüfte wurde zudem ein Preis in Höhe von 40.000 Reichsmark für technische Innovationen auf dem Gebiet des Flugwesens ins Leben gerufen.
Das Unternehmen Luftschiffbau Lanz & Schütte GmbH wurde am 22. April 1909 von dem Mannheimer Industriellen Karl Lanz und dem Ingenieur Johann Schütte, der in Danzig eine Professur für Theorie des Schiffbaus innehatte, in Mannheim-Rheinau gegründet.[86] Das Unternehmen befasste sich mit dem Bau von Luftschiffen, später auch von Flugzeugen und Automobilen und avancierte zum größten innerdeutschen Konkurrenten Ferdinand von Zeppelins auf dem Gebiet des Starrluftschiff-Baus vor und während des Ersten Weltkriegs. Die Produktionsstätte der Luftschiffe wurde in Brühl nahe Mannheim angesiedelt. Das Unternehmen befasste sich mit der Entwicklung eines neuartigen Luftschiffs mit stromlinienförmigem Körper, einem tragenden Gerippe aus Holz, einer unstarren Aufhängung der Gondeln und einem veränderten Lenkapparat sowie einer neuartigen Anordnung der Propeller, die sich von den bisherigen Konstruktionen Graf Zeppelins unterschied. Am 17. Oktober 1911 konnte das erste Luftschiff Schütte-Lanz I nach zweieinhalbjähriger Bauzeit zu seiner ersten Fahrt abheben.[87] Nach einem erfolgreichen Fernflug des Schütte-Lanz-Luftschiffs nach Berlin im Juli 1912 zeigte auch das deutsche Militär Interesse an dem Luftschiff, kaufte SL I und stellte weitere Bestellungen in Aussicht. Im Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen Luftschiffbau Lanz & Schütte GmbH zum zweitgrößten Produzenten von Starrluftschiffen für das deutsche Militär.
Mit staatlicher Unterstützung gründeten Alfred Colsman, Hugo Eckener, Franz Adickes, Wilhelm Marx und andere 1909 die erste Fluggesellschaft der Welt: Die Deutsche Luftschiffahrts-Aktiengesellschaft (DELAG) mit Sitz in Frankfurt am Main betrieb die von der Luftschiffbau Zeppelin gebauten Verkehrsluftschiffe.
Der französische Ingenieur und Luftfahrtpionier Louis Blériot überquerte als erster Mensch 1909 mit einem Flugzeug den Ärmelkanal in einer durchschnittlichen Flughöhe von 100 Metern. Der Flug von Calais nach Dover dauerte 37 Minuten, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 57 km/h entsprach.
Am 18. Januar 1911 konnte der Flugpionier Eugene Burton Ely erfolgreich mit seinem Flugzeug auf einem Schiff, auf einer Plattform des schweren Kreuzers USS Pennsylvania landen, das dabei verwendete Fanghakensystem von Hugh Robinson wird bis heute verwendet. Zwei Monate zuvor war Eugene Burton Ely bereits der Start von einem Schiff gelungen.
Dem US-amerikanischen Luftfahrtpionier Glenn Curtiss gelang am 26. Januar 1911 erstmals der Start mit einem Wasserflugzeug.
Der französische Luftfahrtpionier Roland Garros überflog 1913 als Erster mit einem Flugzeug das Mittelmeer. Für seine am 23. September 1913[88] durchgeführte Meeresüberquerung von Fréjus (Südfrankreich) nach Bizerte (Tunesien) benötigte er knapp acht Stunden.
Der Franzose Adolphe Pégoud war am 19. August 1913 der erste Pilot, der mit einem Fallschirm erfolgreich aus einem Flugzeug abspringen konnte.[89] Das Flugzeug wurde für diesen Zweck geopfert.
Der französische Flugzeugkonstrukteur Louis Breguet und der französische Ingenieur Paul Cornu führten 1907 unabhängig voneinander Experimente mit ersten flugfähigen Hubschraubern durch. Paul Cornu glückte dabei mit seinem „fliegenden Fahrrad“ der weltweit erste Flug eines Hubschraubers in einer Höhe von 30 cm über dem Boden und 20 Sekunden Flugdauer.
Der brasilianische Luftschiffer, Motorflugpionier und Erfinder Alberto Santos-Dumont war davon überzeugt, dass die Fliegerei zur Förderung des Friedens und der internationalen Zusammenarbeit beitragen könnte.
Fahrrad
Ab den 1860er Jahren erobert das Fahrrad mehr und mehr das öffentliche Leben, zunächst jedoch vor allem die bessere männliche Gesellschaft in Europa. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wandelte sich das Fahrrad zu einem Verkehrs- und Freizeitgerät der breiten Masse der Bevölkerung und somit auch der Frauen. Mit dem Tretkurbelrad aus Frankreich, dem Hochrad aus England und dem Sicherheitsniederrad gab es im 19. Jahrhundert verschiedene Arten von Fahrrädern. Das heute bekannte Niederrad wurde erst akzeptiert, nachdem mit ihm 1890 in Radrennen Siege gegen Hochräder errungen werden konnten.
Bei der 1903 erstmals ausgerichteten Tour de France wurden bereits nur noch Niederräder verwendet. Die Entwicklung und Verbreitung des Dunlopschen Luftreifens, mit dem kleinere Laufräder auch auf unebenem Untergrund nicht mehr benachteiligt waren, förderte die Verbreitung des Niederrads.
Das Fahrrad weckte bald auch das Interesse des Militärs. Im Deutsch-Französischen Krieg setzte die französische Armee bei der Belagerung von Belfort (1870) Fahrräder ein. Die Italiener begannen 1878 mit der militärischen Verwendung von Fahrrädern, Ungarn 1884, Deutschland 1886 und Belgien 1888. Die britische Armee verfügte 1889 bereits über 30 Bataillone mit eigenen Fahrradabteilungen. Neben den herkömmlichen Fahrrädern gab es auch Sonderkonstruktionen wie falt- oder klappbare Militärfahrräder.[90]
Elektrizität und Telekommunikation
Während die Grundlagen der Elektrizität bereits zuvor entdeckt worden waren, begann in der Belle Époque die kommerzielle Nutzung von Elektrizität:
- Thomas Edison und Sir Joseph Swan entwickelten Ende der 1870er Jahre unabhängig voneinander die Glühlampe. Die Verbreitung dieser Lampen revolutionierte die Beleuchtung in Häusern und Unternehmen und machte die Arbeit in Fabriken auch in der Nacht möglich.
- Werner von Siemens entwickelte den ersten Dynamo, einen elektrischen Generator, der Bewegungsenergie in elektrische Energie umwandelte.
- Der Kabelleger Faraday nahm 1874 im Auftrag der Brüder Wilhelm und Werner Siemens seinen Betrieb auf und verlegte das erste dauerhaft funktionstüchtige transatlantische Telegrafenkabel, das bis 1931 in Betrieb war. Die Verlegung eines ersten funktionsfähigen Transatlantikkabels gelangte zuvor 1866 der Great Eastern. 1879 erfolgte durch die Faraday die Verlegung eines zweiten transatlantischen Kabels vom französischen Brest nach Cape Cod im Südosten von Massachusetts. 1881 wurde von die Faraday ein drittes Telegrafenkabel von Cornwall nach Canso in Neuschottland (Kanada) verlegt. Insgesamt erfolgten fünf weitere Kabellegungen im Nordatlantik. 1890 brach die Faraday in die Karibik auf, wo die Inseln Saint Croix mit St. Lucia, Saint Lucia mit Grenada und Grenada mit Trinidad verbunden wurden. Im folgenden Jahr erfolgte eine erste Kabelverbindung zwischen Bacton in der englischen Grafschaft Norfolk und der deutschen Insel Borkum. Später verlegte die Faraday im Westen Südamerikas über 3330 Kilometer Kabel zwischen Chile und Peru.
- In vielen europäischen Städten wurden Ende des 19. Jahrhunderts elektrische Straßenbahnen eingeführt, was die Urbanisierung und den Verkehr nachhaltig beeinflussen sollte.
- Das erste kommerzielle Elektrizitätswerk wurde 1882 von Edison in London errichtet. Weitere folgten in Paris und anderen großen Städten. Diese Anlagen lieferten Gleichstrom (DC) für die nähere Umgebung.
- In den 1880er und 1890er Jahren kam es zum berühmten „Stromkrieg“ (englisch war of currents) zwischen Edison, einem Befürworter von Gleichstrom (DC) sowie George Westinghouse und Nikola Tesla, beide Befürworter von Wechselstrom (AC). Wechselstrom setzte sich letztendlich durch, da dieser einfacher und kostengünstiger über größere Entfernungen transportiert werden konnte.
- Mit der wachsenden Nachfrage nach Elektrizität und den technologischen Fortschritten in der Stromübertragung wurden Stromnetze immer umfangreicher und verbanden bald Städte und sogar Länder miteinander. In einigen Staaten entstanden Monopole oder Kartelle in der Elektrizitätsbranche, die jedoch oft staatlich reguliert oder sogar verstaatlicht wurden, um sicherzustellen, dass der Zugang zu Elektrizität gerecht und erschwinglich blieb.
- Die Verfügbarkeit von Elektrizität führte auch zur Erfindung und Verbreitung zahlreicher elektrischer Geräte, die von Haushaltsgeräten bis hin zu industriellen Maschinen reichten. Schnell wurde klar, dass mit elektrischem Strom nicht nur Licht, sondern auch Wärme erzeugt werden konnte, wie es beispielsweise an jeder Glühlampe zu beobachten ist. Die ersten elektrischen Haushaltsgeräte waren die Kochplatte und das Bügeleisen. Der erste Elektroherd wurde auf der Weltausstellung 1893 in Chicago vorgestellt, allerdings sollte es noch bis 1930 dauern, bis der Elektroherd allgemeine Verbreitung fand. Die Anfänge des Elektrobügeleisens lassen sich bis in die 1890er-Jahre zurückverfolgen, aber es sollte in den USA noch knapp 10 und in Deutschland noch 20 Jahre dauern bis sich Elektrobügeleisen in den Haushalten etablieren konnten. 1908 wurde der erste kommerziell erfolgreiche Toaster patentiert. Der elektrische Antrieb mechanischer Waschmaschinen (und anderer Haushaltsgeräte) kam um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf; in industriellem Maßstab wurden elektrische Waschmaschinen ab etwa 1907 beziehungsweise 1908 von der “1900” Washer Company in Binghamton (New York) und der Hurley Machine Co. in Chicago hergestellt (Markenname Thor, nach Patenten von Alva J. Fisher).[91]
- Elektrizität wurde oft auf internationalen Ausstellungen vorgeführt, wie zum Beispiel auf der Pariser Weltausstellung von 1900. Solche Ausstellungen waren Schaufenster für den technologischen Fortschritt und zeigten den Menschen die Möglichkeiten der Elektrizität.
1880 stellte Werner von Siemens seine Erfindung des ersten elektrischen Aufzugs auf der Pfalzgauausstellung, einer landwirtschaftlich-gewerblichen Messe in Mannheim, vor. Mit dem Aufzug konnten 6 Personen gleichzeitig bei einer Geschwindigkeit von einem halben Meter pro Sekunde auf eine Aussichtsplattform transportiert werden. Von August bis November 1880 nutzten 8 000 Besucher in Mannheim so die Gelegenheit, um mit dem neuartigen Transportmittel auf die Aussichtsplattform zu gelangen,[92]
Die Internationale Elektrizitätsausstellung 1881 in Paris läutete den Beginn des elektrischen Zeitalters ein. Thomas Alva Edison führte eine elektrische Installation mit tausenden Lampen vor, vor der die Besucher begeistert Schlange standen, um selbst einmal eine Glühlampe aus- und wieder einschalten zu können. Die Masse der Neuvorstellungen führte zu einer großen Begeisterung für das Thema Elektrizität, sodass weitere Elektrizitätsausstellungen auch in anderen Ländern ausgerichtet wurden. So gastierte die Internationale Elektrizitätsausstellung unter dem Titel „Electricitäts-Ausstellung“ab dem 16. September 1882 in München. Organisator der ersten Ausstellung in Deutschland war der deutsche Ingenieur und spätere Gründer des Deutschen Museums Oskar von Miller, der auch die Ausstellung im Jahr 1891 in Frankfurt am Main leitete.
Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung fand vom 16. Mai bis zum 19. Oktober 1891 in Deutschland auf dem Gelände der ehemaligen Westbahnhöfe in Frankfurt am Main statt. Auf der Elektrizitätsausstellung in Frankfurt wurde mit der Drehstromübertragung Lauffen–Frankfurt erstmals eine leistungsstarke Fernübertragung von Strom über die bis dahin unerreichte Strecke von 176 Kilometern durchgeführt. Der im Laufwasserkraftwerk in Lauffen am Neckar erzeugte Strom wurde hochtransformiert bis nach Frankfurt am Main transportiert. Der erfolgreichen Feldversuchs führte dazu, dass sich die Drehstromtechnik für den Aufbau elektrischer Übertragungsnetze weltweit durchsetzte.
Das elektrische Licht begann nach und nach, die bisherige Gasbeleuchtung zu verdrängen. 1909 wurde von dem französischen Physiker Georges Claude die Neonröhre erfunden, die neben dem Moore-Licht zu den ersten Leuchtröhren gehörte und damals wie auch heute als Leuchtreklame und zu Dekorationszwecken eingesetzt wurde und immer noch wird.
Die Nutzung von Elektrizität erstreckte sich jedoch nicht nur auf den zivilen Bereich, so wurde 1889 die elektrische Hinrichtung mittels des elektrischen Stuhls in den USA eingeführt. Im Staat New York trat ein Gesetz in Kraft, welches die Hinrichtung von zum Tode verurteilten Verbrechern durch die Benutzung des elektrischen Stuhls vorsah. Diese Art der Hinrichtung wurde als humaner empfunden als die bisher praktizierte Hinrichtung durch Erhängen. Am 6. August 1890 kam sie erstmals im Auburn-Staatsgefängnis im Bundesstaat New York an dem wegen Axtmordes an seiner Freundin zum Tode verurteilten William Kemmler zum Einsatz.[93]
John Harvey Kellogg präsentierte 1891 die weltweit erste Infrarotwärmekabine (Electric Light Bath). 1894 setzte er elektrische Glühlicht erstmals als medizinische Behandlungsmethode ein.[94]
Telekommunikation
Als Telekommunikation (von altgriechisch τηλέ tilé, deutsch ‚fern‘ und lateinisch communicare‚gemeinsam machen, mitteilen‘) wird jeglicher Austausch von Informationen und Daten über eine räumliche Distanz hinweg bezeichnet. Der französische Schriftsteller Édouard Estaunié gilt als Schöpfer des Kunstworts Telekommunikation, das er 1904 in einem Buchtitel verwandte.[95]
Die New York Times erwähnte das Telefon erstmals am 12. Mai 1877 unter dem Titel „Prof. Bell’s Telephone“. Alexander Graham Bell hatte am Vorabend vor 200 geladenen Gästen im St. Denis Hotel in New York City ein Telefongespräch zwischen dem Publikum und einem Mr. Gower in der Fulton St. 340 in Brooklyn geschaltet. Die Londoner Times berichtete erstmals am 21. Januar 1878 vom Telefon anlässlich eines Treffens der Physical Society am 19. Januar. Dort hielt W. H. Preece vom Postal Telegraph Department einen Vortrag zum Thema „Some Physical Points connected with the Telephone“ (Einige physikalische Punkte im Zusammenhang mit dem Telefon). Unter anderem bringe die Erfindung Fortschritte in der Elektrizitätsforschung.
Der Generalpostmeister des Deutschen Reichs Heinrich von Stephan bestellte umgehend mehrere Exemplare von Bells Gerät und ließ sie erproben, nachdem er zuvor einen Bericht in der „Scientific American“ vom 6. Oktober 1877 über Bells Gerät und seine Möglichkeiten gelesen hatte. Da Bell für Deutschland (wohl versehentlich) kein Patent beantragt hatte, konnte die Telegrafenbauanstalt Siemens & Halske das Telefongerät von Bell nachbauen und verbessern. Bereits 1877 erhöhte sich in Deutschland die Tagesproduktion auf bis zu 700 Geräte. Von Stephan gab ihnen den Namen „Fernsprecher“.
Der italienischer Radiopionier und Unternehmer Guglielmo Marconi beantragte am 2. Juni 1896 das Patent für die Drahtlostelegrafie, die er am 27. Juli 1896 öffentlich vorstellte.
Mit dem Ausbau der Telegraphen-, Telefon- und Stromnetze fand ab 1890 eine zunehmende Verkabelung von Städten und ländlichen Gebieten statt. Am 18. März 1891 wurde das erste Telefongespräch von Paris nach London über ein Nachrichtenkabel durch den Ärmelkanal geführt.
Um 1900 waren viele Menschen davon überzeugt, dass die Einführung der drahtlosen Telegrafie das Ende der Verkabelung bedeuten würde.[96][97] Die zunächst nur an Land angewendete Technik der Telegrafie überwand schließlich auch die Ozeane, nachdem es gelungen war, speziell isolierte Kupferkabel gegen Salzwasser unempfindlich zu machen und mit Hilfe von Spezialschiffen über große Entfernungen hinweg auf dem Meeresboden zu verlegen. Innerhalb weniger Jahre konnte so ein Telegrafennetz geschaffen werden, das sämtliche großen Hafenstädte auf den verschiedenen Kontinenten miteinander verband. Die letzte wichtige Lücke in diesem globalen Kommunikationsnetz wurde 1903 mit dem Transpazifikkabel zwischen San Francisco und Manila geschlossen.[98] Die Seetelegrafie veränderte die damalige Welt von Grund auf. Informationen wurde dematerialisiert und waren in der Schnelligkeit ihrer Übermittlung von nun an nicht mehr wie zuvor an die Geschwindigkeit des Überbringers gebunden.
Dem deutsche Physiker Heinrich Hertz gelang 1886 in einem Experiment in Karlsruhe die Übertragung elektromagnetischer Wellen von einem Sender zu einem Empfänger. Damit bestätigte er die von James Clerk Maxwell zuvor entwickelten Grundgleichungen des Elektromagnetismus und insbesondere die elektromagnetische Theorie des Lichts.
1896 baute der italienische Radio- und Amateurfunk-Pionier Guglielmo Marconi ein „Gerät zur Aufspürung und Registrierung elektrischer Schwingungen“. Bereits im Jahr 1894 beschäftigte sich Marconi im Alter von 20 Jahren mit den theoretischen Arbeiten von Heinrich Hertz, um im Jahr 1895 mit ersten praktischen Experimenten zu den sogenannten Hertzschen Wellen, einer frühen Bezeichnung für elektromagnetische Wellen, zu beginnen. Marconi gründete 1897 die Wireless Telegraph and Signal Company und errichtete, zunächst noch versuchsweise, die erste kabellose Verbindung über den Bristolkanal. Der als Zeuge bei dem Versuch anwesende deutsche Elektro- und Radiotechniker Adolf Slaby schlug dabei für das Verfahren die treffende Bezeichnung spark telegraphy (deutsch Funkentelegrafie) vor, die sich später im deutschen Sprachgebrauch in Begriffen wie Funkübertragung für eine drahtlose Nachrichtenübertragung etablieren sollte.[99]
1898 unternahm der deutsche Physiker Jonathan Zenneck in Cuxhaven erste Versuche mit drahtloser Telegrafie (siehe auch Küstenfunkstelle) auf deutschem Boden und begründete damit den Seefunk. Zur Fortsetzung seiner Arbeiten wurde 1901 die Gesellschaft für drahtlose Telegrafie, System Prof. Braun und Siemens & Halske mbH gegründet (siehe Telefunken).
Der deutsche Physiker Ferdinand Braun erhielt 1909 den Nobelpreis für Physik für seinen Beitrag zur Entwicklung der Telegrafie per Funk. Er teilte sich den Preis mit Guglielmo Marconi, dem die praktische Umsetzung und die erste transatlantische Funkübertragung gelungen war. Braun hatte am 20. September 1898 eine erste drahtlose Nachrichtenübermittlung am Physikalischen Institut in Straßburg aufgebaut, die kurz darauf 30 km weit bis in den Vogesenort Mutzig reichte.
1877 entdeckte Generalpostmeister Heinrich von Stephan in einer Zeitschrift das von Philipp Reis erfundene Telefon. Am 26. Oktober 1877 wurden in Berlin unter seiner und Generaltelegraphendirektor Buddes Regie erste erfolgreiche Übertragungsversuche durchgeführt, welche zur Errichtung eines ersten Telefonnetzes in Deutschland führten. Am 14. Juli 1881 wurde in der Reichshauptstadt Berlin, unter dem Namen „Telephon-Anlage Berlin - Verzeichnis der Sprechstellen“, das erste deutsche Telefonbuch herausgegeben.
Das Gesetz über das Telegraphenwesen des Deutschen Reichs von 1892 regelte das Recht, Fernmeldeanlagen zu betreiben. Dieses Recht stand dabei ausschließlich dem Deutschen Reich zu. Der Betrieb einer elektrischen Klingel innerhalb des eigenen Grundstücks war jedoch als Ausnahme erlaubt, somit war es dem gehobenen Bürgertum behördlich gestattet, Anlagen zu installieren, mit denen Dienstboten dezent herbeizitiert werden konnten.[100]
Mechanische Geräte
1890 erfand Franz Xaver Wagner das sogenannte Wagnergetriebe für eine Typenhebelschreibmaschine. Bis zur Erfindung des Wagnergetriebes schlugen die Typen bei fast allen Schreibmaschinen von unten oder von oben auf, sodass der Schreiber das gerade Geschriebene nicht lesen und Fehler nicht sofort erkennen und korrigieren konnte.
Der deutsch-amerikanische Unternehmer und Ingenieur Herman Hollerith entwickelte in den 1880er Jahren Lochkartensysteme zur Massendatenerfassung, beispielsweise zur Volkszählung.
1886 wurde von Friedrich Soennecken ein Patent für einen tragbaren und mechanischen Papierlocher beim Kaiserlichen Patentamt angemeldet und erteilt. Soennecken gilt auch als Erfinder des heutigen Aktenordners, den er 1886 als „Briefordner“ erstmals auf den Markt brachte und der später durch Louis Leitz zur heutigen Form des Leitz Ordners weiterentwickelt wurde.
Josephine Cochrane, die Gattin eines amerikanischen Diplomaten, erhielt 1886 ein Patent für eine handbetriebene Geschirrspülmaschine. Die mit Wasserdruck arbeitende Maschine bestand aus einem wasserdichten Kupferkessel, in dem das Geschirr auf Drahtkörben aufgestellt wurde. Betrieben wurde die Maschine zunächst mit der Hand, später dann mit einem Motor, die aufgestellten Drahtkörbe wurden dabei auf einem Laufrad bewegt, sodass sich die über Düsen einlaufende Seifenlauge gleichmäßig verteilen konnte. Die Geschirrspülmaschine wurde erstmals auf der Weltausstellung 1893 in Chicago vorgestellt und Josephine Cochrane erhielt den Preis für „die beste mechanische Konstruktion, Haltbarkeit und Zweckentsprechung“.
Die erste Popcornmaschine wurde Ende des 19. Jahrhunderts von Charles Cretors erfunden.[101] Auf der Weltausstellung 1893 in Chicago stellte er die erste kommerzielle und großtechnische Popcornmaschine der Welt vor. Die Produktion von Popcorn war von nun an in großem Maßstab möglich.
Der englische Ingenieur Hubert Cecil Booth konstruierte und patentierte (nur in England) im Jahr 1901 den Staubsauger, der wegen seiner Größe in der Anfangsphase auf Pferdefuhrwerken zu den finanziell besser gestellten Kunden transportiert werden musste. Dort wurde mit langen Schläuchen Staub gesaugt. Der Staubsauger hatte jedoch keinen großen kommerziellen Erfolg. Der US-amerikanische Erfinder und Hausmeister James Murray Spangler ließ 1907 den ersten tragbaren Staubsauger patentieren.[102] Dieser war vom Design her aufrecht und die Technik inklusive eines Stoffbeutels zum Auffangen des Schmutzes lief nicht wie die meisten modernen Staubsauger auf Rollen. Spangler verkaufte sein Patent an seinen Cousin W. H. Hoover. Dieser gründete 1908 das Unternehmen Hoover in New Berlin (heute North Canton) im US-Bundesstaat Ohio. Das neue Produkt entwickelte sich schnell zum Verkaufshit in den Vereinigten Staaten.
Der US-amerikanische Erfinder King Camp Gilette, war bereits viele Jahre als Handelsreisender unterwegs, bevor er 1895 bei der morgendlichen Rasur die Einwegrasierklinge erfand: Er skizzierte einen Rasierhobel mit einer Klinge, die nicht geschliffen werden musste. Er verwendete dafür ein dünnes beidseitig geschliffenes Stück Stahl, welches einmal gewendet werden konnte, um es anschließend wegzuwerfen, um ein Neues zu kaufen. Gillette hatte sich, wie sein Vorbild William Painter, der Erfinder des Kronkorkens, einen Wegwerfartikel des täglichen Gebrauchs ausgedacht. Es sollte aber noch weitere sechs Jahre dauern, bis er 1901 einen Partner fand, der in der Lage war, die von ihm erdachten Rasierklingen herzustellen. Im selben Jahr gründete er das Unternehmen The Gillette Company, welches 1903 die Produktion aufnahm. Im ersten Jahr wurden 168 Klingen verkauft, im Jahr darauf waren es bereits rund 90.000 Rasierer sowie 123.000 Klingen.
Emil Berliner gilt als Erfinder der Schallplatte, 1887 erfand er das Grammophon, den mechanischen Vorläufer des Plattenspielers.
Presse und Verlagswesen
Die Macht der Presse kam erstmals im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts voll zum Durchbruch.[103] Vor allem mit dem Einsatz der 1886 von Ottmar Mergenthaler erfundenen Linotype-Setzmaschine ließ sich der Textumfang von Zeitungen nun entscheidend erweitern. Mit Einführung der Zinkplatte konnte Ende des 19. Jahrhunderts der sich langsam hin und her bewegende Stein beim Offsetdruck durch einen rotierenden Zylinder mit aufgespannter Metallplatte ersetzt werden. Diese Weiterentwicklung wird zwei Erfindern unabhängig voneinander zugeschrieben: dem Amerikaner Ira W. Rubel und dem in den USA lebenden Immigranten Cašpar Hermann. Beide konstruierten um 1904 indirekt – das heißt von der Druckplatte über einen Gummituchzylinder auf den Papierbogen – druckende Maschinen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1907 plante Hermann zahlreiche Weiterentwicklungen wie zum Beispiel die Rollenoffsetmaschine. Die Verwirklichung seiner Ideen konnte allerdings erst 1910 zusammen mit der Vogtländischen Maschinenfabrik AG (VOMAG) umgesetzt werden. Die erste fertiggestellte Rollenoffsetmaschine wurde 1912 in Leipzig vorgeführt.
Nachrichtenagenturen
Die Gründung von Nachrichten- und Presseagenturen beschleunigte das Wachstum gedruckter Massenmedien.[104] Zugleich stieg das Interesse der Bevölkerung an Informationen aus Politik und Gesellschaft stetig an, auch weil immer mehr Bürger lesen konnten. Der französische Politiker Jules Ferry hatte 1880 in Frankreich die Einführung des unentgeltlichen und verpflichtenden Grundschulbesuchs durchgesetzt.
Durch die Einrichtung der ersten transnationalen Telegrafenlinien in den 1830er Jahren und die Verlegung von Seekabeln avancierten die neu entstandenen Nachrichtenagenturen Havas, Reuters, Wolffs Telegraphisches Bureau und die AP zu den ersten Katalysatoren einer sich globalisierenden und vernetzenden Welt. Sie organisierten und institutionalisierten die weltweite Zirkulation großer Informationsbestände in Form von Nachrichten.
Die Berichterstattung, insbesondere die von Reuters, wurde um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert sowohl von der deutschen Presse, als auch von der deutschen Öffentlichkeit zunehmend kritisch wahrgenommen. Spätestens seit dem Burenkrieg (1899 bis 1902) riss die Kette über bewusst Tatsachen verdrehende und mit Falschmeldungen gespickte Nachrichten zu Ungunsten Deutschlands nicht ab. Noch schärfer fiel der Protest der deutschen Presse während der Ersten Marokkokrise (1904–1906) aus. Der Proteststurm einer eigenen Berichterstattung aus dem Krisengebiet einte die Deutschen über alle Parteigrenzen hinweg. Von der völkischen Rechten bis zur liberalen Linken wurde die Abhängigkeit von Wolffs Telegraphischen Bureau und „die genialische Beeinflussung der Presse durch die großen Telegrafenbureaus Reuters und Havas“ beklagt.
Vor dem Ersten Weltkrieg war das Wolffs Telegraphisches Bureau in Berlin eines der größten Unternehmen seiner Art. Es verfügte über Agenturen und Einzelvertreter in allen Teilen der Erde, von denen es Nachrichten empfing und lieferte. Der Aufwand an Telefon- und Telegrafengebühren wurde Anfang des 20. Jahrhunderts auf 900.000 Mark geschätzt. Allein in Deutschland waren 300 Mitarbeiter beschäftigt.
Medien-Tycoons
Große Verleger und Geschäftsleute erwarben Zeitungen, um ihre geschäftlichen Interessen voranzutreiben. William Randolph Hearst, ein US-amerikanischer Verleger und Medien-Tycoon, besaß Anfang des 20. Jahrhunderts die größte Zeitungskette in Amerika und gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Journalisten der amerikanischen Geschichte. Vom Journalismus eines Joseph Pulitzers inspiriert wies er seine Journalisten an, schockierende Nachrichten zu schreiben, um die Leser zu begeistern. Hearst scheute keinen Aufwand, um bessere Geschichten als Pulitzer publizieren zu können und begann u. a. damit, Pulitzers beste Journalisten und Illustratoren für seine Zeitungen abzuwerben. Diese neue Art, Sensationsnachrichten zu verbreiten, erhielt den Namen „Yellow Press“. Der Name Yellow Press ist eine Anspielung auf die regelmäßig zunächst in Pulitzers, dann in Hearsts Zeitungen erscheinenden Comicstrips von The Yellow Kid und das für die Zeitungen verwendete gelbe Zeitungspapier.
Zeitungen spielten auch bei der Strafverfolgung eine Rolle, so erfolgte 1908 die erste Verhaftung eines Straftäters mittels Bildtelegrafie: ein französischer Juwelendieb wurde in England festgenommen, nachdem der Daily Mirror zuvor ein Fahndungsfoto hatte abdrucken lassen, das innerhalb von zwölf Minuten von Paris nach London übertragen worden war.
Publizistik in Frankreich
La Revue blanche war eine literarisch-künstlerische Zeitschrift, die in Paris von 1889 bis 1903 zweimonatlich von der Gebrüdern Alexander, Thaddäus und Ludwig-Alfred Natanson, Söhnen des in Paris wohnhaften polnischen Bankiers und Kunstsammlers Adam Natanson, herausgegeben wurde. Die Zeitschrift war als Konkurrenz und Gegensatz zum „Mercure de France“ beabsichtigt. In der Schriftleitung waren der französische Anarchist und Kunstkritiker Félix Fénéon, der französische Schriftsteller und Literaturkritiker Lucien Muhlfeld sowie der französische Politiker Léon Blum tätig. Die Ehefrau von Thaddäus Natanson, Misia Sert, stand mehrmals Modell zu den Umschlagbildern der Zeitschrift. „La Revue blanche“ verteidigte 1898 den zu Unrecht angeklagten und verurteilten Alfred Dreyfus.
Die links-liberale französische Tageszeitung L’Aurore („Die Morgenröte“) wurde von 1897 bis 1916 in Paris publiziert. Als ihre bekannteste Schlagzeile auf der Titelseite der Ausgabe vom 13. Januar 1898 gilt J’Accuse…! von Émile Zola über die Dreyfus-Affäre. Verleger der Zeitung war der spätere französische Premierminister Georges Clemenceau.
1896 gründete der Journalist Auguste Dumont in Paris die literarisch und kulturell ausgerichtete Zeitschrift Gil Blas, die in Deutschland zum Vorbild für die satirische Wochenzeitschrift Simplicissimus des Münchner Verlegers Albert Langen wurde.
Publizistik in Deutschland und Österreich
Die Deutsche Zeitung wurde von Friedrich Lange gegründet und war eine von 1896 bis 1934 bestehende Tageszeitung mit extrem nationalkonservativer Ausrichtung, die einen völkischen Nationalismus vertrat. Sie war eng mit dem Alldeutschen Verband verbunden und wurde zu dessen Hauptorgan. Zur programmatischen Ausrichtung des Blattes im Kaiserreich gehörte es, den Antisemitismus zu fördern sowie deutsche Kolonien und im Ersten Weltkrieg Annexionen als Kriegsziel zu befürworten. In der Weimarer Republik stand sie der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahe und gehörte schließlich zum Konzern von Alfred Hugenberg.
Die deutsche monografische Reihe Koloniale Abhandlungen wurde 1905 gegründet und beschäftigte sich mit kolonialen Fragen. Die Reihe erschien von 1905 bis 1919 im Berliner Verlag Wilhelm Süsserott, dem Hofbuchhändler des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin.
Einen kolonialen Hintergrund hatte auch die Zeitschrift der Stern der Neger. Die deutschsprachige katholische Missionszeitschrift, wurde von der Kongregation der Missionare Söhne des Heiligsten Herzens Jesu (Abkürzung MFSC, lateinisch Congregatio Missionariorum Filiorum Sanctissimi Cordis Jesu) herausgegeben und erschien von 1898 bis einschließlich 1965. Die Kongregation, die früher die deutsche Sektion der jetzigen Comboni-Missionare (MCCJ) bildete, hatte sich der Mission des subsaharischen Afrikas verschrieben, wobei ein Schwerpunkt ihrer Arbeit im Sudan lag. Die Zeitschrift hatte ihre Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Zielsetzung der unter dem Schutz der Kolonialmächte betriebenen Missionsarbeit, in deren Dienst sich die Zeitschrift für Glaubensverbreitung – so der erste Untertitel der Zeitschrift – stellte, wurde 1898 vom Schriftleiter Geyer programmatisch formuliert: Zwar würden die Eingeborenen „häufig durch tyrannisches Temperament der Weißen, ihre Verachtung gegenüber den Negern, durch rücksichtsloses und unkluges Vorgehen europäischer Beamten, durch Wegnahme ihrer Gebiete oder willkürliche Ausdehnung seitens der Europäer gereizt“, was den „Fortgang der Missionen“ schädige, doch handele es sich in Afrika schließlich „um den Sieg christlicher Cultur über mohammedanische und heidnische Sclaverei und Barbarei.“
In München erschien 1896 erstmals die von Georg Hirth und Fritz von Ostini gegründete Kunst- und Literaturzeitschrift Jugend – Münchner Illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben, die zum Namensgeber der Kunstrichtung Jugendstil wurde. Jedoch lassen sich Inhalt und Ausrichtung der Kunst- und Literaturzeitschrift nicht nur auf das Label „Jugendstil“ reduzieren, da neben modernen Illustrationen und Ornamenten des Art nouveau auch andere Stilrichtungen wie der Impressionismus eine Rolle spielten.
Im Jahr 1890 wurde vom Verlag der Bazar-Actien-Gesellschaft in Berlin erstmals die Modezeitschrift Die elegante Mode, herausgegeben. Die illustrierte Zeitung für Mode und Handarbeit enthielt einige Inhalte aus der prominenten Modezeitschrift Der Bazar, war aber kleiner und preisgünstiger. Der Zeitschrift beigefügt waren jeweils zwei Schnittmusterbögen und ein kolorierter Stahlstich mit einer Modedarstellung sowie eine Unterhaltungsbeilage. Die elegante Mode erschien alle vierzehn Tage. 1913 wurde ihr Erscheinen eingestellt und die Modezeitschrift der Modenwelt des Ullstein Verlages eingegliedert.
Der Bazar war die wichtigste Frauenzeitschrift des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Magazin enthielt zahlreiche Informationen zur neuesten Mode, mit Abbildungen von Modellen, meist als Stahlstiche. Dazu gab es in jeder Ausgabe Vorlagen für Handarbeiten mit Schnittmustern, Kochrezepte, Anleitungen zum Basteln und viele weitere Hinweise für praktische Tätigkeiten. Regelmäßig wurden in der Zeitschrift auch Klaviernoten zeitgenössischer Unterhaltungsmusik abgedruckt. Inhalte des Bazar wurden von Modezeitschriften in mindestens elf Ländern übernommen. Eine französische und eine österreichische Ausgabe wurden direkt vom Berliner Verlag herausgegeben, die anderen waren eigenständige Zeitschriften, die Zeichnungen und Inhalte des Bazar in unterschiedlichem Umfang übernahmen.
Die erste reguläre Ausgabe der Wochenzeitung Berliner Illustrierte Zeitung (BIZ) erschien am 4. Januar 1892. Im Jahr 1894 wurde die Zeitschrift vom deutschen Verleger Leopold Ullstein (Ullstein Verlag) gekauft und zur ersten deutschen Massenzeitung. Technische Innovationen wie der Offsetdruck, die Zeilensetzmaschine oder die Verbilligung der Papierherstellung trugen mit dazu bei, dass die BIZ zum Preis von 10 Pfennig wöchentlich in den Berliner Straßen verkauft werden konnte. Für diesen Preis war die Zeitschrift damit sogar für Arbeiter erschwinglich. Die BIZ stellte den Zeitungsmarkt auf den Kopf. Die Leser wurden nicht mehr wie zuvor üblich über feste Abonnements gebunden, sondern durch eine interessante, vor allem auf die Bilderwirkung setzende Aufmachung. Das erste – und damals als sensationell empfundene – Titelblatt zeigt die photographische Gruppenaufnahme eines bei einem Schiffsunglück ums Leben gekommenen Offizierskorps. Seit 1901 war es technisch möglich, aktuelle Fotos im Innenteil des Blattes abzudrucken, was als unerhörte Neuerung galt. Schon früh war die BIZ auch um größtmögliche Aktualität in ihrer Berichterstattung bemüht. So wurde z. B. im April 1912 die Produktion der bereits im Druck befindlichen Ausgabe Nr. 16 angehalten, als die Nachricht vom Untergang des Ozeanriesen Titanic eintraf. Kurzerhand ersetzte man ein halbseitiges Foto der Akropolis durch ein Foto der Titanic, um über das Unglück aktuell berichten zu können. Heute sind beide Auflagen dieses Exemplars in Zeitungsmuseen ausgestellt. In den 1910er Jahren erhieltvdie BIZ den Menzelpreis für die beste Zeichnung des Jahres.
Mit Fotografien warb auch die Zeitung Die Woche als einzige große Konkurrenz der Berliner Illustrirten Zeitung. Der Scherl Verlag startete Die Woche 1899 als Gegengewicht zur BIZ. Auch hier sollte im Mittelpunkt die Bildberichterstattung zum aktuellen Tagesgeschehen stehen. Ein Verlagsprospekt bezeichnete das neue Blatt als „wertvolle Ergänzung zur Tageszeitung“, geeignet, „vielbeschäftigten Leuten die zeitraubende und mühevolle Arbeit“ abzunehmen, mehrere Zeitungen zu lesen. Im Vordergrund stand das Bildmaterial. Angestrebt war zudem eine möglichst enge Beziehung zwischen Illustrationen und Artikeln. Aus diesem Schema fielen nur die „Bilder vom Tage“ heraus, die für sich standen und lediglich Bildunterschriften aufwiesen. In Heft 3/1905 bestand diese Rubrik aus acht Seiten hochwertigeren Papiers mit 18 Porträtfotografien (u. a. des 1905 verstorbenen Physikers Ernst Abbe und der „Vorsitzenden des Basars im Prinzessinnenpalais“ Berlin, Herzogin Wilhelm zu Mecklenburg), aber auch Fotografien vom Generalstreik im Ruhrgebiet und das offizielle Abschlussfoto der Hullkommission in Paris, lizenziert von der französischen Illustrée. Neben lockerer Unterhaltung in Form von Fortsetzungsromanen und Klatsch begleitete Die Woche auch anspruchsvolle Themen der Zeit.
1899 gründete der österreichische Schriftsteller Karl Kraus in Wien die satirische Zeitschrift Die Fackel, die als Heftchen mit rotem Umschlag im Format DIN A5 erschien. Neben dem Drama Die letzten Tage der Menschheit gilt Die Fackel als Hauptwerk von Karl Kraus, der die Zeitschrift zum größten Teil allein schrieb und verlegte.
Die österreichische Zeitschrift, Dokumente der Frauen wurde 1899 in Wien gegründet und erschien zwischen 1899 und 1902 regelmäßig alle zwei Wochen. Redakteurinnen waren die österreichischen Frauenrechtlerinnen Auguste Fickert, Rosa Mayreder und Marie Lang.
Die Schaubühne (am 4. April 1918 in Die Weltbühne umbenannt) wurde von dem deutschen Journalisten und Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn als reine Theaterzeitschrift gegründet und erschien am 7. September 1905 erstmalig.
Am 20. Februar 1911 erschien die erste Ausgabe der literarischen und politischen Zeitschrift Die Aktion, Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur, herausgegeben wurde sie von Franz Pfemfert. Die Zeitschrift verhalf dem Expressionismus zum Durchbruch und stand für eine undogmatische linke Politik.
Publizistik in den USA
Am 17. Oktober 1888 erschien in den USA die Erstausgabe des National Geographic Magazine. Die monatlich erscheinende Zeitschrift konnte sich wegen ihrer Bilder, Reportagen und Essays schon bald einen festen Kundenstamm aufbauen. Zuvor hatten am 13. Januar 1888 im Washingtoner Cosmos Club 33 Männer die National Geographic Society zur Förderung der Geographie gegründet. Zum ersten Präsidenten der Gesellschaft wurde am 27. Januar 1888 Gardiner Greene Hubbard gewählt, nach seinem Tod 1897 wurde dessen Schwiegersohn Alexander Graham Bell Präsident der Gesellschaft, deren Zweck es war und bis heute ist, der Allgemeinheit geografische Kenntnisse nahezubringen
In New York erschien am 8. Juli 1889 die erste Ausgabe des Wall Street Journals. Die Zeitung, die seitdem ohne Unterbrechung erscheint, berichtet hauptsächlich über internationale Wirtschafts- und Finanzthemen mit Schwerpunkt USA.
In der Zeitschrift New York World erschien 1895 erstmals der von Richard Felton Outcault erfundene und gezeichnete Comic The Yellow Kid. Dieser erste moderne Comic handelt von einem Kind namens Mickey Dugan, das ein gelbes Nachthemd trägt, worauf schon bald der Spitzname The Yellow Kid entstand und sich etablierte. Anders als in heutigen Comics erschienen die Äußerungen von The Yellow Kid, eine eigentümliche Ghettosprache, nicht in den heute für Comics typischen Sprechblasen, sondern wurden auf dem gelben Nachthemd dargestellt.
The Yellow Kid wurde in den USA sehr erfolgreich, da sich vor allem die Unterprivilegierten in der amerikanischen Gesellschaft mit ihm und seiner Ghettosprache sowie mit seinen Versuchen, dem sozialen Elend zu entkommen, identifizieren konnten.[105] Darüber hinaus machte The Yellow Kid Comic-Strips in den (amerikanischen) Zeitungen allgemein so populär, dass immer mehr Verlage nach Zeichnern für eigene Comic-Strips in ihren Zeitungen Ausschau hielten. Mit der Ausweitung der Comic Strips auf längere und ganzseitige Geschichten war der moderne Comic geboren.[106]
In der Weihnachtsausgabe der Zeitung New York World erschien am 21. Dezember 1913 erstmals ein Kreuzworträtsel, erfunden wurde es von dem Redakteur Arthur Wynne, der bei der Zeitung New York World die Abteilung tricks and jokes leitete und unter anderem die Sonntagsbeilage Fun mit neuen Rätseln füllen musste.
Die New York Times konnte durch ihre schnelle Berichterstattung über den Untergang der Titanic die Grundlage für ihre bis heute herausragende Stellung in der Zeitungswelt legen. Gleichzeitig läutete die Pressekampagne über die Schiffskatastrophe das Zeitalter des modernen Journalismus ein.
Gesellschaft und Alltagskultur
Die mittleren und oberen Schichten der Gesellschaft waren in der Belle Époque mehr als je zuvor materiell abgesichert und konnten optimistisch in die Zukunft blicken. Die große Zahl der Bauern, Landarbeiter, Industriearbeiter und kleinen Angestellten hingegen hatte jedoch kaum Anteil an den Vorzügen der „Schönen Zeit“.
Die Belle Époque fand im Wesentlichen auf den Boulevards, in den Cafés und Cabarets, den Ateliers und Galerien, den Konzertsälen und Salons der Metropolen statt und wurde getragen und gelebt von einem mittleren und gehobenen Bürgertum, das vom technischen und wirtschaftlichen Fortschritt am meisten profitierte. In diesen Schichten der Gesellschafr vollzog sich innerhalb weniger Jahrzehnte eine erstaunlich dynamische kulturelle Entwicklung. Vor allem die vielfältigen Entwicklungen in Kunst und Kultur – nicht zuletzt auch die Kultur einer unbeschwerten, öffentlichen Unterhaltung – gaben dieser Epoche ihren glänzenden Namen.
Antimodernismus
In vielen katholischen Landeskirchen Europas ist in der Zeit von etwa 1870 bis 1910 ein ausgeprägter Antimodernismus zu beobachten. Der Antimodernismus wendete sich – ausgehend von Dekreten Pius’ IX. (Papst von 1846 bis 1878) – gegen gesellschaftliche und politische Reformen zur Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie.
Der Antimodernismus ging Hand in Hand mit dem Ultramontanismus. So bezeichnet man eine politische Haltung des Katholizismus in den deutschsprachigen Ländern sowie den Niederlanden, die sich ausschließlich auf Weisungen der päpstlichen Kurie stützte, also aus dem von dort aus gesehen „jenseits der Berge“ (lateinisch ultra montes – gemeint sind die Alpen) – liegenden Vatikan. Auch in vielen anderen Ländern unterhielt der jeweilige Klerus (also z. B. Bischöfe, Erzbischöfe und aus ihnen bestehende Gremien) enge Bindungen zum Vatikan.
Nach einer gewissen Kursänderung unter Papst Leo XIII. (Papst von 1878 bis 1903), der sich erstmals der sozialen Frage widmete und mit seiner Enzyklika Rerum Novarum von 1891 die lehramtliche Tradition der katholischen Soziallehre begründete, stellte das Pontifikat Pius X. (1903 bis 1914), während dessen die Bewegungen des Modernismus und Amerikanismus weithin an Bedeutung gewannen, zugleich auch den Höhepunkt antimodernistischer Tendenzen in der katholischen Kirche dar, vor allem durch die Verpflichtung aller Priester auf das Ablegen des sogenannten Antimodernisteneides vom 1. September 1910, der sie ausdrücklich verpflichtete, die im Syllabus errorum (Liste der Irrtümer) beanstandeten Irrtümer abzulehnen.
Aber auch im Protestantismus regte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert angesichts der historischen Kritik die Sorge um die Verbindlichkeit von Bibel und Bekenntnis und fand in der positiv-kirchlichen Richtung einflussreiche Vertreter.
Dreyfus-Affäre
Die Dreyfus-Affäre bezeichnet einen Justizskandal, der die französische Politik und Gesellschaft in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts tief spaltete. Die Affäre war zudem Ausdruck eines zunehmend offenen Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft und stürzte Frankreich in eine schwere innenpolitische sowie moralische Krise. Im Zuge der Dreyfus-Affäre wurde der Begriff „Intellektueller“ populär und erhielt seine aktuelle Bedeutung. J’accuse…! (französisch für Ich klage an…!) ist der Titel eines offenen Briefes des französischen Schriftstellers Émile Zola an Félix Faure, den damaligen Präsidenten der Französischen Republik, um diesen und die Öffentlichkeit über die wahren Hintergründe der Dreyfus-Affäre zu informieren. Der Brief erschien am 13. Januar 1898 in der Tageszeitung L’Aurore, verursachte einen großen politischen Skandal und gab der Dreyfus-Affäre eine entscheidende Wendung. Der französische Ausdruck J’accuse ging auch in den deutschen Sprachgebrauch ein als Bezeichnung für eine mutige, öffentliche Meinungsäußerung gegen Machtmissbrauch.
Die Affäre Dreyfus ging allerdings nicht mit einem strahlenden Sieg der Gerechtigkeit zu Ende: Die Begnadigung von Dreyfus 1899 war ein politischer Kuhhandel und ging mit einem Amnestiegesetz einher, das es unter anderem dem ehemaligen Kriegsminister Auguste Mercier erlaubte, bis kurz vor seinem Tode ein hohes politisches Amt auszuüben. Der Prozess, der 1906 mit der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus endete, war somit nicht von einem breiten Wunsch der Öffentlichkeit getragen, ein immer noch bestehendes Unrecht auszugleichen. Er diente vielmehr als Grundlage für das Gesetz von 1906 über die vollständige Trennung von Religion und Staat in Frankreich,[107] nachdem sich Teile der katholischen Kirche während der Dreyfus-Affäre durch ihren Antijudaismus und ihre antirepublikanische Grundhaltung kompromittiert hatten. Die Regierung mit Émile Combes an der Spitze konnte nunmehr Frankreich radikal säkularisieren und das Prinzip des Laizismus etablieren.
Die ungerechtfertigte Verurteilung von Alfred Dreyfus wegen angeblichen Verrats war ein Schlüsselereignis, welches die Rechtsstaatlichkeit in Frankreich herausforderte und in der Gesellschaft zu einer tiefgreifenden Debatte über Antisemitismus und Gerechtigkeit führte.
Aufstieg des Bürgertums
Mit einem sich rasant entwickelnden Kapitalismus, zunehmendem Handel und Industrialisierung stieg während der Belle Époque die Anzahl und die Bedeutung großer Kaufleute, Verleger, Unternehmer, Reeder, Bankiers und Fabrikanten. Diese „Bourgeoisie“, diese „Wirtschafts-“ oder „Besitzbürger“ wurden zunehmend wohlhabender, sozial gewichtiger und einflussreicher.[108]
Großbürgertum
Das Großbürgertum gründete Unternehmen und Familiendynastien. Im Deutschen Kaiserreich wurde deshalb auch von der Gründerzeit gesprochen. Eine geschickte Heiratspolitik trug oftmals noch zur Vermehrung von Einfluss und Reichtum bei, in einem Umfang, wie dies zuvor nur in Kreisen des Adels bekannt gewesen war. „Geld kam zu Geld, Schönheit zu Einfluss und Wohlstand zu Macht“ wie der Schriftsteller Thomas Mann in seinem Roman „Buddenbrooks“ treffend bemerkte.
Als Folge ihres Wohlstands konnten sich Großbürger einen nicht zuletzt der Repräsentation entsprechenden „großbürgerlichen Lebensstil“ leisten, der ein aufwendiges Leben mit Stadt- und Landsitz, sowie Personal und gesellschaftlichen Veranstaltungen beinhaltete. Die finanziellen Möglichkeiten einerseits und der Niedergang des Adels andererseits ermöglichten es den Mitgliedern des Großbürgertums zudem, adelige Landsitze zu erwerben und dort wie zuvor der Adel zu residieren. In vielen Städten etablierten sich im 19. Jahrhundert erstmals ganze Quartiere und Stadtviertel, welche für die Bedürfnisse des aufstrebenden Bürgertums gebaut wurden. Diese Viertel waren meist großzügig von Grünflächen umgeben und hatten einen repräsentativen Charakter. Als Auftraggeber sowie Mäzen des Kunst- und Kulturlebens übernahm das Großbürgertum zunehmend eine Rolle, die der Adel noch im 18. Jahrhundert eingenommen hatte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wetteiferten die Geschäfts- und Wohnhäuser des Großbürgertums mit den Palästen der Renaissance und die staatlichen und städtischen Repräsentationsbauten mit den Schlössern der Barockzeit.[109] Der Begriff „Bürgertum“ ist die zusammenfassende Bezeichnung für eine vielschichtig strukturierte, im Einzelnen nur schwer abgrenzbare Gesellschaftsschicht zwischen den traditionellen Oberschichten (Hochadel, Adel und Patriziat sowie dem oft aus ihnen hervorgegangenen hohen Klerus) und den historischen Unterschichtsgruppen des Bauernstandes und der Arbeiterschaft. Sie setzt sich im Wesentlichen zusammen aus den Teilschichten des Großbürgertums (darunter vor allem den größeren Kaufleuten), des Bildungsbürgertums (darunter vor allem Pastoren, Universitätsprofessoren und höheren Beamten) sowie des Kleinbürgertums (der unteren Mittelschicht, darunter kleinen Kaufleuten, einfachen, mittleren und gehobenen Beamten einschließlich Lehrern, leitenden Angestellten sowie selbständigen Handwerkern).
Philanthropie und Mäzenatentum
Die während der Belle Époque entstandenen Vermögen einzelner Unternehmer, Bankiers und Industrieller – herausragende Beispiele sind Alfred Nobel, Andrew Carnegie und John D. Rockefeller – wurden auch in der Philanthropie und im Mäzenatentum eingesetzt. In vielen europäischen Ländern finanzierten wohlhabende Bürger Krankenhäuser, Waisenhäuser und andere soziale Einrichtungen. Angehörige des Großbürgertums in Europa und den USA förderten die Künste, indem sie Museen gründeten, Künstler direkt unterstützten oder ihre eigenen Kunstsammlungen der Öffentlichkeit zugänglich machten.
Ende des 19. Jahrhunderts bot der englische Zuckermillionär Sir Henry Tate der britischen Regierung an, eine Galerie für moderne britische Kunst errichten zu lassen und seine Sammlung von über 60 Gemälden namhafter britischer Künstler der Nation als Grundstock der Ausstellung zu vermachen, falls die Regierung ein entsprechendes Grundstück zur Verfügung stelle. Als Standort wurde für das Museum Tate Gallery of British Art wurde Millbank in London zur Verfügung gestellt. Das sich an dieser Stelle befindliche größte damalige Londoner Gefängnis wurde abgerissen. Am 21. Juli 1897 öffnete die Tate Gallery ihre Pforten in einem von Sidney R.J. Smith entworfenen neoklassizistischen Gebäude am Themseufer. Die Kunstsammlung, die sich ursprünglich nur auf britische Künstler beschränken sollte, die nach 1790 geboren worden waren, wurde später durch Schenkungen wie dem Turner-Nachlass und einer Sammlung von Impressionisten erweitert und führte zu einer Neuorientierung der Sammlung.
Das Museum Folkwang wurde 1902 in Hagen von dem Kunstmäzen Karl Ernst Osthaus eröffnet. Der Name Folkwang entstammt den altnordischen Mythen der Edda, in denen er den Palast (Folkvangar = Volkshalle) der Göttin Freya, die neben ihrer Rolle als Fruchtbarkeitsgöttin auch als Schutzgöttin der Künste fungierte, bezeichnet. Diese Namenswahl sollte die Einheit von Kunst und Leben in dem neuen Museum verdeutlichen. Das Museum hatte lange Zeit eine Vorreiterrolle im Bereich der Modernen Kunst. Der erst 24-jährige Bankierssohn Karl Ernst Osthaus, der von seinen Großeltern mütterlicherseits ein bedeutendes Vermögen geerbt hatte, entwickelte um 1898 die Idee für ein eigenes Museum in Hagen. Er beabsichtigte, dort seine private Sammlung naturwissenschaftlicher, volkskundlicher und kunstgewerblicher Objekte auszustellen, die er auf ausgedehnten Reisen durch Europa, den Vorderen Orient und Nordafrika mit dem ererbten Geld erworben hatte. Sein Ziel sah er darin, mit dem Museum „zu einer Verbesserung des öffentlichen Geschmacks beizutragen“.[110] Mit der Zeit rückte die ästhetische Erziehung ins Zentrum der Museumsausrichtung, womit der Stellenwert der naturkundlichen Teile der Sammlung abnahm. Das Museum präsentierte die Sammlung nach ästhetischen Gesichtspunkten geordnet und nicht, wie üblich, nach Epochen und Regionen.
Der US-amerikanische Industrielle und Stahlmagnat Andrew Carnegie schrieb 1889 den Aufsatz "The Gospel of Wealth", in dem er argumentierte, dass die Reichen eine moralische Verpflichtung haben, ihr Vermögen für das Gemeinwohl zu spenden. Er selbst spendete den Großteil seines Vermögens, um Bibliotheken, Schulen, Universitäten zu bauen und andere gemeinnützige Einrichtungen zu gründen. Andrew Carnegie finanzierte auch den Bau der Carnegie Hall, die heute zu einem der weltweit bedeutendsten Konzerthäuser gehört.
Zahlreiche Spenden amerikanischer Eliten wurden für den Bau und die Unterstützung von Universitäten verwendet, beispielsweise Leland Stanford (Stanford University, gegründet 1891) und John D. Rockefeller (University of Chicago, gegründet 1890).
Bildungsbürgertum
Die gesellschaftliche Relevanz, die dem Bildungsbürgertum als Deutungselite kultureller Erscheinungen zukam, beruhte in großem Maße auf der dominanten Stellung sowohl in Universitäten und Schulen, wie auch in der Produktion und Verbreitung öffentlicher Meinungen durch Presse und Literatur. Das Bildungsbürgertum baute dabei auch Bildungs- und Sprachbarrieren auf, die es zu einer elitären Schicht werden ließen, zu der Ungebildete nur schwer Zutritt erlangten.
Entscheidendes Merkmal des Bildungsbürgertums, auch in seiner Eigenwahrnehmung, war der Umgang mit Kultur. Traditionsgemäß richtete sich die Bildung nach spezifischen Kanons, die vom Bildungsbürgertum geprägt und rezipiert wurden. Diese reichten von der Literatur über Musik (Hausmusik, Kirchenmusik, Orchestermusik, Oper) und Theater bis hin zu späteren Entwicklungen wie dem Film. Vor allem der gesellschaftliche Austausch in Theatern, Opernhäusern, Konzertsälen oder Museen in den Großstädten wurde zum prägenden Moment des Milieus.
Die geistesgeschichtlich große Zeit der deutschen Klassik und Romantik, deren Produkte zugleich verpflichtende Bildungsinhalte wurden, kulminierte in der Redewendung von den Deutschen als „Volk der Dichter und Denker“. Das bedeutendste geistige Produkt – und zugleich die eigentliche Programmatik – des Bildungsbürgertums schuf zu Beginn des 19. Jahrhunderts Wilhelm von Humboldt mit seinem humboldtschen Bildungsideal. Dieses entwickelte sich um die beiden Zentralbegriffe der bürgerlichen Aufklärung: den Begriff des autonomen Individuums und den Begriff des Weltbürgertums. Die Universität sollte ein Ort sein, an dem autonome Individuen und „Weltbürger“ hervorgebracht werden bzw. sich selbst hervorbringen. Die universitäre Bildung sollte keine berufsbezogene, sondern eine von wirtschaftlichen Interessen unabhängige Ausbildung sein. Damit wies das humboldtsche Bildungsideal über das eigentliche Bildungsbürgertum hinaus auf eine „menschliche Gesellschaft der Gleichen“, was dem Abgrenzungsbestreben mancher Bildungsbürger zuwiderlief.
Erziehung und Bildung
Während der Belle Époque erfolgte ein Paradigmenwechsel in der Kindererziehung. Die Gesellschaft begann, Kinder weniger als kleine Erwachsene und mehr als Individuen in einer besonderen Entwicklungsphase zu sehen, die besondere Aufmerksamkeit und Schutz benötigen:
- Mit der Urbanisierung und Industrialisierung veränderten sich die traditionellen familiären Strukturen. Die Familie wurde mehr zu einem Ort der emotionalen Unterstützung, und es gab eine wachsende Erwartung, dass Eltern eine aktivere Rolle in der Erziehung ihrer Kinder spielen sollten.
- Das Konzept der Kindheit als einer besonderen Phase des Lebens, die Schutz und besondere Erziehung erfordert, begann sich zu festigen. Literatur, Kunst und Pädagogik spiegelten ein wachsendes Interesse an Kindern als Individuen mit eigenen Bedürfnissen und Rechten wider.
- Es gab wachsende Bestrebungen, den Bildungszugang zu erweitern und zu reformieren. Das verpflichtende Schulsystem wurde in vielen europäischen Ländern gestärkt, was zu einer höheren Alphabetisierungsrate führte.
- Es gab eine wachsende Bewegung zum Schutz von Kindern vor körperlicher Bestrafung und Misshandlung. In einigen Ländern wurden Gesetze erlassen, um Kinderarbeit zu beschränken oder zu verbieten.
- Die Psychologie begann, einen größeren Einfluss auf die Kindererziehung zu nehmen. Theorien über Entwicklung und Lernen beeinflussten die Ansichten darüber, wie Kinder erzogen werden sollten. Freuds Psychoanalyse hatte beispielsweise großen Einfluss auf die Ideen über die Kindheit.
- Die industrielle Produktion und wachsender Wohlstand führten zur Entwicklung und zunehmenden Verbreitung von Kinderspielzeug. Das Spiel wurde als wichtiger Aspekt der kindlichen Entwicklung anerkannt.
Reformpädagogik
Ende des 19. Jahrhunderts begannen sich Pädagogen gegen das bis dahin autoritär vorherrschende Denken an den Schulen zur Wehr zu setzen. Sie wollten den Geist der reinen Lernschule überwinden und riefen eine neue Form der Erziehung ins Leben: die Reformpädagogik. Gegen die Entfremdung im Bildungssystem forderte sie eine „Erziehung vom Kinde“ aus. Dazu griffen sie auf Bildungsideale der Aufklärung zurück, die sie mit einer romantischen Lebensreformideologie verbanden. Ebenfalls in dieser Zeit entstand auch die Jugendbewegung. Die Reformpädagogen forderten, die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder durch Selbstständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern und vertraten die Auffassung, die Kindheit müsse als eine eigene Lebensphase mit eigenen Anforderungen begriffen werden. Aus diesem Grund wurde auch eine Professionalisierung der Betreuung von Kindern angestrebt. Die schwedische Reformpädagogin und Autorin Ellen Key rief 1900 sogar „Das Jahrhundert des Kindes“ aus. Zahlreiche bekannte pädagogische Ansätze wie beispielsweise die Montessori-Pädagogik bauten auf diesen Vorstellungen auf und sind bis heute populär.
Die Montessoripädagogik wurde von der 1870 in Italien geboren Maria Montessori begründet, die als eine der ersten Frauen überhaupt ein Medizinstudium mit Promotion abschließen konnte. Sie entstammte einem gutbürgerlichen, christlichen Haus und engagierte sich stark für die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen im Allgemeinen und die Frauenrechte im Besonderen. Sie arbeitete auf der psychiatrischen Station eines Krankenhauses mit geistig behinderten Kindern. Im Laufe der Therapie konnte Montessori beobachten, dass diese Kinder keineswegs alle geistig unterentwickelt waren, sondern ihnen in einigen Fällen lediglich eine Förderung gefehlt hatte. Maria Montessori entwickelte daraufhin, aufbauend auf Überlegungen von Édouard Séguin, spezielle Arbeitsmaterialien, das „Sinnesmaterial“, mit dem es ihr gelang, die Kinder zu stimulieren, ihre Neugier zu wecken und ihre Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit anzuregen. Maria Montessori eröffnet 1907 im römischen Arbeiterviertel San Lorenzo ihr erstes Kinderhaus, die Casa dei Bambini.
Jugendbewegung und Jugendherbergen
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden erste Jugendbewegungen in Deutschland. Die Jugend erschien erstmals als eigenständiger Lebensabschnitt. Die Jugendliche versuchten, sich von der immer umfassenderen Industrialisierung abzugrenzen und auf Fahrten ihre Sehnsucht nach Freiheit und Natur zu verwirklichen. Neben Ansätzen einer demokratischen Erziehung kamen auch völkische und antisemitische Strömungen auf. Im Wandervogel schlossen sich nach 1896 Schüler und Studenten bürgerlicher Herkunft zusammen. Die Wandervögel wollten nicht nur eine alternative Freizeitgestaltung, sondern forderten auch mehr Rechte für Jugendliche und eine Mitsprache in den Schulen. Darüber hinaus formten sie eine eigene Jugendkultur, die sich von der Kultur der Erwachsenen abgrenzte. Neben der bürgerlichen Jugendbewegung entwickelte sich auch eine Jugendbewegung der Arbeiter, deren Ziele bessere Arbeits-, Ausbildungs- und Lohnbedingungen sowie eine sozialistische Erziehung und allgemeine Bildung für Jugendliche waren.
Im Zuge von Lebensreform, Reformpädagogik und Jugendbewegung entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts auch Jugendherbergen als Unterkünfte für junge Menschen, Jugendgruppen und Schulklassen. Bereits 1907 richtete der deutsche Pädagoge Richard Schirrmann eine erste Jugendherberge in der alten Netter Schule in der Nettestraße in Altena ein. 1909 entwickelte er die Idee eines flächendeckenden Netzwerkes von Jugendherbergen.
Spielzeug
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verfügten meist nur die Kinder privilegierter und wohlhabender Familien über umfangreiches Spielzeug, auch Kinderzimmer waren lediglich für diesen Teil der Bevölkerung Realität. Kinder aus weniger privilegierten Familien besaßen meist weder ein eigenes Zimmer noch ein eigenes Bett oder eigenes Spielzeug und spielten meist außerhalb der Wohnräume, da diese oft beengt und dunkel waren.
Die Fertigung von Blechspielzeug erlebte zwischen 1890 und 1910 eine Blütezeit. Verantwortlich dafür waren sowohl verbesserte Stanz- und Druckmaschinen als auch günstigere Methoden der Farbanwendung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts büßte Holzspielzeug gegenüber Spielzeug aus Metall mehr und mehr an Popularität ein. Hauptherstellungsort von hochwertigem Spielzeug war Deutschland, allen voran Württemberg und die Stadt Nürnberg.
Der Bär war als Kinderspielzeug während des ganzen 19. Jahrhunderts beliebt. 1903 änderte sich sowohl Form als auch Gestalt des Bären grundlegend und der uns heute bekannte Teddybär entstand.
1896 wurde in Mannheim die erste Puppe aus Zelluloid, eine wasserfeste „Badepuppe“ hergestellt. Das Material revolutionierte die Puppenherstellung, da es bruchfest, abwaschbar, farbecht und hygienisch war, alles Eigenschaften, welche die zuvor hergestellten Porzellanpuppen nicht besaßen. Puppenköpfe und -körper konnten nun günstig aus Zelluloid hergestellt werden. Die Herstellung der Puppen wurde durch eine von Robert Zeller entwickelte Pressblas-Technik revolutioniert, bei der erhitztes Zelluloid mit Druck in Formen gepresst und zu einem Hohlkörper gefertigt werden konnte. Die Rheinische Gummi- und Celluloid-Fabrik in Mannheim-Neckarau war von 1895 bis 1960 der bestimmende Puppenproduzent in Deutschland.[111]
Kostspieliges und empfindliches Spielzeug wie Puppen und Blechspielzeug durfte von den Kindern zum Spielen nicht mit ins Freie genommen werden, aber auch mit Puppenküchen und Kaufmannsläden durften Kinder nur in der Advents- und Weihnachtszeit spielen, danach wurden diese bis zum nächsten Jahr wieder weggepackt.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann die serienmäßige und kostengünstige Produktion von Puppenküchen, die zuvor nur als teure Einzelstücke vor allem für die Kinder wohlhabender Bürger hergestellt worden waren.[112] Dadurch wurden Puppenküchen auch für die Kinder von Familien, die weniger wohlhabend waren, erschwinglich, wenn auch in einfacherer Form.
Die serienmäßige Produktion von Kaufläden setzte erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein.[113] Um 1900 gab es Kaufläden mit kompletter Ausstattung bis hin zu Miniaturnachbildungen von bekannten Markenprodukten. Die Einrichtung und das Angebot der Kaufläden orientierte sich dabei immer an den zu dieser Zeit bestehenden Lebensmittel- und Kolonialwarenhandlungen und deren Warenangebot.[114]
Um 1820 wurden Puppenherde erstmals in Serie gefertigt. Im Jahr 1895 bot die Nürnberger Spielwarenfabrik Bing Blechherde für Kinder an.[115] Die heute vor allem für Modelleisenbahnen bekannte Firma Märklin begann im Jahre 1859 ebenfalls mit der Herstellung von Puppenherden. Die kleinen Puppenherde waren voll funktionsfähig und Kinder konnten auf ihnen einfache Gerichte unter der Aufsicht der Eltern zubereiten. Anfangs wurden die Puppenherde mit Spiritus betrieben, was jedoch nicht ungefährlich war und mitunter bei den Kindern zu Brandblasen führte. Um 1900 gab es auch elektrisch betriebene Puppenherde, die sicherer aber auch deutlich teurer waren.[116] Für das Spiel in der Puppenküche und mit dem Puppenherd gab es spezielle Kochbücher für Kinder.
1895 brachte die Firma Märklin die erste schienengebundene und dampfbetriebene Spielzeugeisenbahn auf den Markt, woraus sich später die elektrische Modelleisenbahn entwickeln sollte. Bereits 1909 umfasste die Produktpalette von Märklin 90 verschiedene Dampfmaschinenmodelle, Puppenstuben- und Küchenzubehör sowie Modelle von Karussells, Autos, Flugzeugen, Schiffen, sowie Kreisel.
Die Entwicklung des ersten Modellbaukastens geht auf Gustav Lilienthal zurück. 1888 meldete dessen Bruder Otto für ihn ein Patent für gelochte Holzleisten an, die zusammengefügt wurden. Der britische Erfinder Frank Hornby entwickelte zehn Jahre später Lochplatten, die aus Metall gefertigt waren und gründet die Firma Meccano.
Die Firma Märklin erwarb 1915 deren Markenrechte und produziert ab 1919 Metallbaukästen.
Josef Friedrich Schmidt entwickelte 1907/1908 das auf dem indischen Spiel Pachisi beruhende heute bekannte Gesellschaftsspiel Mensch ärgere Dich nicht.
Ab 1902 erfolgte auch die Herstellung von sogenanntem Reformspielzeug als einem aus natürlichen Materialien wie Holz gefertigten und die Fantasie anregenden Spielzeug, welches unter der gestalterischen Idee hergestellt wurde, die Kreativität und künstlerische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund der Kunsterziehungsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Rahmen der Kunsterziehungsbewegung wurde Spielzeug bei der Wahrung und Förderung der kindlichen Kreativität eine zentrale Rolle zugeschrieben. Die Entwicklung von Reformspielzeug resultierte auch aus dem Gefühl einer tiefen Unzufriedenheit über die Qualität des zu dieser Zeit bereits massenhaft industriell hergestellten Spielzeugs. Namhafte Künstler wie die Geschwister Fritz, Erich und Gertrud Kleinhempel, Richard Riemerschmid sowie Hermann Urban und Fedor Flinzer oder auch der Schriftsteller Frank Wedekind lieferten Entwürfe für das sogenannte Reformspielzeug.
Hauswirtschaftliche Bildung
Im Deutschen Kaiserreich spielten bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein haushaltsnahe Dienstleistungen für die Berufstätigkeit von Frauen eine zentrale Rolle. Statt einer systematischen Schulung wie im dualen System der Berufsausbildung herrschte in der Frauenbildung auf dem Lande oft noch der Grundsatz: „Die Tochter lernt am besten von der Mutter“. Für junge Männer gab es dagegen zu dieser Zeit schon zahlreiche fachliche Bildungseinrichtungen wie etwa Land-, Ackerbau- und Fortbildungsschulen. Die bäuerliche Frauenbildung (bzw. deren Mängel) galt bereits im Kaiserreich schon länger als Problemfeld und wurde zu einem wichtigen Thema der frühen (adeligen bzw. bürgerlichen) Frauenbewegung.
Mit Reifensteiner Schulen und dem zugehörigen Reifensteiner Verband (ursprünglich der 1896 begründete Verein zur Errichtung wirtschaftlicher Frauenschulen auf dem Lande) werden historisch bedeutende berufliche Bildungseinrichtungen für Frauen und Mädchen und der zugehörige Verband bezeichnet.
Sport
Im 19. Jahrhundert begeisterten sich immer mehr Menschen sowohl aktiv als auch passiv für Sport. Für viele Menschen stellte die sportliche Betätigung einen Ausgleich zu der oft stupiden und anstrengenden Arbeit in den Fabriken dar. Mit zunehmender Freizeit Ende des 19. Jahrhunderts konnte sich Sport mehr und mehr als Freizeitbeschäftigung einer breiten Bevölkerungsschicht etablieren. Vor allem die Arbeitgeber großer Unternehmen und Fabriken waren an einer Disziplinierung ihrer Arbeiter und Angestellten durch Sport interessiert und gründeten daher oftmals Werkssportvereine.[117] In dieser Zeit wurden auch neue Sportspiele wie Basket- (1891) und Volleyball (1895) erfunden.[118] Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden verschiedene Sportarten reglementiert und ein internationaler Wettkampfbetrieb mit Weltmeisterschaften entstand.
Beliebte Sportarten der damaligen High Society hingegen waren Reiten, Tennis, Golf, Radsport, Pferderennen und Autorennen.
Das Bermuda Race oder auch Newport-Bermuda-Race ist eine Hochseeregatta vom Brenton Reef bei Newport (Rhode Island) nach Hamilton auf der Bermudainsel Hamilton Island. Das 647 Seemeilen lange Rennen wurde im Jahr 1906 erstmals ausgetragen und wird seitdem alle zwei Jahre Mitte Juni vom Royal Bermuda Yacht Club (RBYC) und dem Cruising Club of America (CCA) veranstaltet.
Das weltweit erste Golfturnier für Frauen fand 1893 in Lytham St Annes statt. Lady Margaret Scott war Gewinnerin der ersten British Ladies Amateur Golf Championship.
Das auf Initiative der britischen Frauenrechtsaktivistin und Fußballspielerin Nettie Honeyball durchgeführte erste Frauenfußball-Match zwischen England-Nord und England-Süd endete 1895 mit einem Ergebnis von 7:1 und wurde von circa 10.000 Zuschauern verfolgt. Die Fußballerinnen trugen Hüte und (für die damalige Zeit relativ) kurze Röcke über ihren Knickerbockern, um den nötigen Anstand zu wahren.
Das erste offizielle Basketballspiel fand 1892 auf der Basis von dreizehn vom kanadischen Arzt und Pädagogen James Naismith erdachten Regeln in Springfield (Massachusetts) statt. Auf Initiative der amerikanischen Sportlehrerin Senda Berenson Abbott fand 1893 das erste Basketball-Spiel für Frauen am Smith College statt.
1886 fand die erste offizielle Schachweltmeisterschaft statt, der Weltmeistertitel „Champion of the World“ wurde dabei erstmals in einem Zweikampf zwischen dem in den Vereinigten Staaten lebenden Österreicher Wilhelm Steinitz und dem im Vereinigten Königreich lebenden Johannes Hermann Zukertort vergeben.
Am 8. Dezember 1886 wurde die weltweit erste Eishockeymeisterschaftsliga, die Amateur Hockey Association of Canada Montreal gebildet und bestand zwischen 1888 und 1898. Die Amateur Hockey Association of Canada gilt als Vorläufer der National Hockey League, auch der Stanley Cup fand hier seinen Ursprung.
Am 9. Februar 1900 stiftete der 20-jährige US-amerikanische Tennisspieler Dwight Filley Davis als Student in Harvard den nach ihm benannten Davis Cup. Erster Gewinner des Davis Cups waren die USA mit einem 3:0-Sieg über Großbritannien. Der Davis Cup wird seit 1900 alljährlich ausgetragen.
Olympische Spiele
Pierre de Coubertin gründete 1894 auf dem Olympischen Kongress in Paris das Internationale Olympische Komitee mit dem Ziel, die Olympischen Spiele wiederzubeleben und zur Völkerverständigung beizutragen. Er wählte hierzu die Woche des französischen Derbys, da hierdurch die Teilnahme vieler Sportinteressierter gewährleistet war.
1896 fanden im Panathinaiko-Stadion in Athen die ersten Olympischen Sommerspiele der Neuzeit statt. Die damalige Entscheidung, die ersten Olympischen Spiele nicht in Paris auszutragen, sondern in Athen, wird rückblickend als Glücksfall gewertet. Die Spiele in Athen verliefen erfolgreich und glanzvoll. Es ist kaum vorstellbar, dass die olympische Idee überlebt hätte, wären die vom Chaos geprägten Spiele von Paris zuerst veranstaltet worden.
Die Olympischen Sommerspiele 1900 (offiziell Spiele der II. Olympiade genannt) wurden in der französischen Hauptstadt Paris im Rahmen der Weltausstellung (Exposition Universelle et Internationale de Paris) ausgetragen. Das Jahr 1900 war ein markantes Datum und entsprach Coubertins Vorstellungen. Die parallele Durchführung mit der Weltausstellung sollte den Olympischen Spielen zu Glanz und Ruhm verhelfen. Im Gegensatz zur Weltausstellung besaßen Olympische Spiele jedoch sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Kreisen der Sportfunktionäre und Sportler noch keinen besonderen Stellenwert. Die Organisatoren der Weltausstellung, unter deren Leitung auch alle Sportwettbewerbe veranstaltet wurden, sahen daher auch keine Veranlassung, sich den Forderungen und Ansprüchen von Pierre de Coubertin zu beugen. Der Racing Club de France und der Stade Français, die bedeutendsten französischen Sportvereine jener Zeit, sowie der nicht minder bedeutende französische Sportverband Union des sociétés françaises de sports athlétiques (USFSA) konnten für die Organisation der Wettbewerbe der Ausstellungsleitung gewonnen werden. Anschließend beanspruchte die USFSA alle Rechte an jeglichen Sportveranstaltungen im Jahr 1900 in Paris. Selbst der Name Olympische Spiele wurde in keinem offiziellen Bericht und in nur wenigen Veröffentlichungen jener Zeit verwendet. Die olympischen Wettkämpfe trugen den offiziellen Namen Concours Internationaux d’Exercices Physiques et de Sports (Internationale Wettbewerbe für Leibesübungen und Sport). Als lästiges Anhängsel der Weltausstellung gerieten die Wettkämpfe zu einer Nebensächlichkeit. Zuschauer waren eher zufällige Zaungäste, die Öffentlichkeit wurde kaum über die stattfindenden sportlichen Wettkämpfe informiert. Die Bedingungen für die Sportler waren teilweise unzumutbar und die Wettkampforte über ganz Paris verteilt. Es gab Sportler, die niemals oder erst Jahre später erfuhren, dass sie an Olympischen Spielen teilgenommen hatten. Die meisten Wettkämpfe fanden auf dem Gelände der Weltausstellung in Vincennes, dem Annexe de Vincennes, statt. Das hier vorhandene Vélodrome municipal wird als Hauptwettkampfstätte der Spiele angesehen, in ihm wurde Radsport, Rugby, Fußball, Cricket und Gerätturnen ausgetragen. Die Wettkämpfe der Leichtathletik und im Tauziehen fanden im Croix Catelan, dem Sportplatz des Racing Club de France im Bois de Boulogne statt.
An den Olympischen Sommerspielen 1900 in Paris konnten erstmals auch Frauen antreten und an sechs Wettbewerben in vier Disziplinen teilnehmen.
Die olympischen Ringe als Teil der olympischen Symbole wurden allerdings erst im Jahr 1913 von Pierre de Coubertin entworfen und bestehen aus fünf verschlungenen Ringen in den Farben Blau, Gelb, Schwarz, Grün und Rot auf weißem Hintergrund. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hisste erstmals 1914 anlässlich des 16. Olympischen Kongress die offizielle Olympiafahne mit den fünf Ringen.
Der Boston-Marathon startete erstmals am 19. April 1897 mit 15 Athleten und war der erste Marathonlauf im Sport, der außerhalb der Olympischen Spiele veranstaltet wurde. Der Boston-Marathon wurde in den Anfangsjahren auch dazu genutzt, medizinische Erkenntnisse über die Auswirkungen sportlicher Belastung auf den menschlichen Körper zu gewinnen.
Motorsport
Das erste Rennen im Automobilsport fand am 22. Juli 1894 als Zuverlässigkeitsfahrt über 126 km von Paris nach Rouen und zurück statt, wobei lediglich 15 der ursprünglich 102 Fahrzeuge angemeldeten Fahrzeuge das Ziel erreichten. Die Fahrzeuge wiesen unterschiedliche Antriebsarten auf, darunter 39 mit Dampfantrieb, 38 mit Benzinmotor, 5 mit elektrischem Antrieb, 5 mit komprimierter Luft betriebene und ein Fahrzeug mit Federmechanismus. Dem eigentlichen Sieger Albert Jules Graf de Dion wurde der Sieg jedoch aberkannt, weil der von ihm eingesetzte Dampfwagen mutmaßlich nicht „preiswert“ und „einfach in der Handhabung“ war (was jedoch auf keines der damals teilnehmenden Fahrzeuge zutraf) und somit gegen die Regularien verstieß.
1903 wurde das Rennen Paris–Madrid nach mehreren Todesfällen vorzeitig abgebrochen, unter den tödlich Verunglückten befand sich mit Marcel Renault auch einer der Renault-Brüder. Louis Renault, der im Rennen einen zweiten Platz erreichte, beendete daraufhin seine Rennfahrerkarriere.
Das Jahr 1904 brachte mit dem Gordon-Bennett-Rennen in Deutschland einen weiteren Aufschwung des Motorsports auch außerhalb Frankreichs. Gleichzeitig war es das erste Jahr ohne Stadt-zu-Stadt-Rennen, die nach dem „Todesrennen“ Paris–Madrid 1903 verboten worden waren.
Auf der Strecke Paris–Nantes–Paris wurde 1896 das erste Motorradrennen der Welt mit lediglich acht Teilnehmern ausgetragen.
In Paris wurde 1904 der Motorradweltverband, die Fédération Internationale de Motocyclisme, gegründet.
In Peking starteten 1907 fünf Wagen zum längsten Automobilrennen aller Zeiten, der Fahrt von Peking nach Paris. Die 12.000 km lange Route führte durch die Wüste Gobi, vorbei am Baikalsee, durch Sibirien, über den Ural weiter nach Moskau und Paris. Das italienische Team um Prinz Scipione Borghese wurde am 10. August 1907 in Paris als Sieger gefeiert. Das zweite, vom Holländer Charles Goddard gesteuerte, Kraftfahrzeug traf erst am 30. August in Paris ein, die anderen Teilnehmer kamen nicht ins Ziel.
Die erste Rallye Monte Carlo fand 1911 auf Initiative von Fürst Albert I. von Monaco statt. Bei der Rallye handelte es sich damals um eine sogenannte Sternfahrt, die auch in der Wintersaison Touristen ins Fürstentum Monaco locken sollte. Am 21. Januar 1911 starteten in Genf, Paris, Boulogne-sur-Mer, Berlin, Wien und Brüssel insgesamt 20 Teilnehmer nach Monaco. Die Rallye Monte Carlo gilt als Anfang des heutigen Rallyesports.
Radsport
Im Jahr 1892 wurde das Straßenrennen Lüttich–Bastogne–Lüttich erstmals ausgetragen und ist heute das älteste noch ausgetragene Eintagesrennen.
Bei den Olympischen Sommerspielen 1896 fand ein Straßenrennen über 87 km von Athen nach Marathon und wieder zurück statt.
Die Radsportverbände von Belgien, Frankreich, Italien, der Schweiz und der USA gründeten 1900 in Paris den Weltverband Union Cycliste Internationale (UCI). Erster Präsident war der Belgier Emile De Beukelaer.
Die 1903 ins Leben gerufene Tour de France war das erste echte Etappenrennen in der Geschichte des Radsports.[119] Sie umfasste sechs Etappen, fand zwischen dem 1. und 19. Juli 1903 statt und führte über eine Gesamtlänge von 2.428 Kilometern. Sieger wurde der favorisierte Franzose Maurice Garin mit einem Stundenmittel von 25,679 km/h.
Angeregt durch die Tour de France wurde von der italienischen Sportzeitung Gazzetta dello Sport 1909 der Giro d’Italia, ins Leben gerufen und gilt bis heute als eines der bedeutendsten Etappenrennen im Straßenradsport der Männer.
Das erste Sechstagerennen des Radsports in Europa überhaupt fand am 15. März 1909 in den Berliner Ausstellungshallen am Zoo statt. Auf einem 150 m langen Lattenoval kämpften 15 Mannschaften um den Sieg, den schließlich die amerikanische Paarung Jimmy Moran und Floyd MacFarland nach 144 Stunden und 3865,7 gefahrenen Kilometern erringen konnte.
Die erstmalige Austragung der Flandern-Rundfahrt fand am 25. Mai 1913 statt und führte über 324 Kilometer durch die großen Städte von West-und Ostflandern.
Fußball
Die Bestrebungen, ein einheitliches Spiel zu schaffen, führten am 26. Oktober 1863 zur Gründung des englischen Fußball-Verbandes (The Football Association), der damit der erste Fußballverband der Welt war. Der englische Fußballverband war maßgeblich an der Formulierung der Regeln des modernen Fußballspiels beteiligt und nimmt somit einen besonderen Platz in der Geschichte des Sports ein.
1878 fand erstmals ein Fußballspiel mit Hilfe elektrischer Beleuchtung (Flutlichter) in Sheffield an der Bramall Lane statt, vier Bogenlampen der Firma Siemens sorgten dabei für die nötige Beleuchtung.
Im Jahr 1880 wurde der „Fußballclub Frankfurt“ durch den Zusammenschluss der zwei Rugbymannschaften Germania und Franconia Frankfurt gegründet. Die damals einzige betriebene Sportart wurde noch als Rugby Fußball (im Vergleich zu Associations Fußball, das später zu Fußball wurde) bezeichnet. 1893 wurde der FC Frankfurt Mitglied der Süd-Westdeutschen Fußball-Union.
Im Jahr 1894 wurde das erste britische Frauen-Fußballteam, der British Ladies’ Football Club, von der britische Frauenrechtsaktivistin Nettie Honeyball gegründet. Die Spielerinnen trugen Hüte sowie Röcke über ihren Knickerbockern, um den Anstand zu wahren und kein Aufsehen zu erregen.
Im Rahmen der Olympischen Spiele und der Weltausstellung 1900 in Paris wurde erstmals ein Rugbyspiel ausgetragen. Am 14. Oktober 1900 trat der Fußballclub Frankfurt als Vertreter für Deutschland im Vélodrome de Vincennes gegen eine französische Mannschaft an. Das Spiel endete 27:17 für Frankreich.[120] Seit 1902 gehört Hockey zu den Sportarten des Clubs.[121] 1905 wurde erstmals von einem Hockeyspiel des Clubs berichtet.[122] 1914 wurde der „Fußballclub Frankfurt“ in Sport-Club „Frankfurt 1880“ e. V. umbenannt.
Der Deutsche Fußball-Bund e. V. (DFB) wurde am 28. Januar 1900 in der Gaststätte „Zum Mariengarten“ (Büttnerstraße 10) in Leipzig von 36 Vertretern von 86 Vereinen gegründet und richtet seit 1903 die deutsche Fußballmeisterschaft aus. Am 21. Mai 1904, dem Gründungstag der FIFA, trat der DFB per Fernschreiben der FIFA als achtes Mitglied dem Weltfußballverband bei.
In Paris wurde am 21. Mai 1904 der Weltfußballverband FIFA von dem niederländischen Bankier und Fußballfunktionär Carl Anton Wilhelm Hirschmann und dem französischen Journalisten und Fußballfunktionär Robert Guérin gegründet. Gründungsmitglieder waren die nationalen Fußballverbänden von Belgien, Dänemark, Frankreich, Niederlande, Schweden, Schweiz und Spanien. Robert Guérin war vom 22. Mai 1904 bis zum 4. Juni 1906 erster Präsident des Weltfußballverbandes FIFA.
Stadtentwicklung
Der französische Kaiser Napoléon III. erkannte Mitte des 19. Jahrhunderts in Georges-Eugène Haussmann den geeigneten Mann, um seine hochgesteckten Ziele in Hinblick auf eine grundlegende städtebauliche Umgestaltung der Hauptstadt Paris zu verwirklichen. Er ernannte ihn 1853 zum Präfekten von Paris, damals Département de la Seine, und stattete ihn mit außergewöhnlichen Befugnissen aus. Haussmann war in dieser Funktion bis 1870 zur weitgehenden Zufriedenheit des Monarchen tätig. Der französische Kaiser wollte Paris zu einer modernen Metropole des Industriezeitalters gestalten, um sich mit Hauptstädten anderer europäischer Großmächte wie London oder St. Petersburg messen zu können. Die Metropole sollte durch die Anlage monumentaler Sichtachsen übersichtlich gegliedert und den Anforderungen des modernen Straßen- und Schienenverkehrs angepasst werden. Neben den Verkehrsanlagen entstanden auch weitläufige Grünanlagen nach englischem Vorbild, zum Teil als Erweiterung und Neugestaltung vorhandener Anlagen (z. B. Jardin du Luxembourg, Bois de Boulogne). Beim Umbau der Stadt spielten auch militärische Aspekte eine Rolle, so begünstigte die „Haussmannisierung“ von Paris die Kampfführung regulärer Truppen gegen aufständische Bürger.
Die Bauarbeiten zur Umgestaltung von Paris konzentrierten sich im Wesentlichen auf die Areale des Louvre, des Tuilerien-Palastes, die Zufahrtswege zum Hôtel de Ville, die Rue de Rivoli, die Umgebung der Oper, die Île de la Cité, die noch aus der Zeit Louis XIV. stammenden Grands Boulevards und die Avenuen, die auf die Place de l’Étoile zulaufen. Insgesamt wurden Straßen von rund 150 Kilometern Länge neu gebaut. Neben den großen Markthallen Les Halles entstanden die großen Bahnhöfe und andere kommunale Einrichtungen, darunter mehrere Theater und auch eine neue Kanalisation.
Der französische Architekt und Städtebauer Tony Garnier legte um 1900 den Entwurf einer Idealstadt vor, der sogenannten Cité industrielle, die den Diskurs zum Städtebau im 20. Jahrhundert wesentlich beeinflussen sollte. Zusammen mit anderen Architekten wie Auguste Perret zählt er heute zu den Wegbereitern und Vorläufern der modernen Architektur.
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert verzeichneten viele Städte ein starkes Bevölkerungswachstum. Die Großstädte mit ihren Fabriken zogen viele Menschen in der Hoffnung auf Arbeit an und galten als Hoffnungsort und Moloch zugleich. Die Städte waren von Luxus und Reichtum einerseits sowie von großer Armut und großem Wohnungselend andererseits geprägt. Während die Wohnverhältnisse in den Werkswohnungen der Fabriken noch erträglich erschienen, erwiesen sich die Wohnverhältnisse der meisten Arbeiterfamilien in den großen Mietskasernen oder -häuser der Städte als katastrophal. Die Familien lebten dort meist auf engstem Raum in schlecht belichteten und belüfteten Ein- und Zweizimmerwohnungen. Da das wenige Geld meist nicht ausreichte, waren Schlaf- und Kostgänger sowie Untermieter willkommen, die Zusatzeinnahmen aber allzu oft auch Krankheiten mit sich brachten. Küchen und sanitäre Einrichtungen waren in den Wohnungen nicht vorhanden, die vorhandenen Gemeinschaftstoiletten lagen außerhalb der eigentlichen Wohnung, Bäder gab es nicht. Die schlechten hygienischen Verhältnisse erwiesen sich häufig als gesundheitsgefährdend.
Camillo Sitte
Der österreichische Architekt und Stadtplaner Camillo Sitte war einer der Ersten, der sich sowohl theoretisch als auch kritisch mit der Stadtplanung im Industriezeitalter auseinandersetzte. Sitte erwarb sich 1889 mit der Veröffentlichung seines Buches Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen über die Grenzen Österreich-Ungarns hinaus hohes Ansehen. In seinem Buch, das in rascher Folge wiederaufgelegt wurde, legte er die „Beziehung zwischen Bauten, Monumenten und Plätzen“ am Beispiel von historischen, oft italienischen Platzgestaltungen dar, die das „Künstlerische“ und „Malerische“ mit dem „Technischen“ zu einem guten Städtebau verbunden hätten, und ließ einer Abhandlung über verschiedene städtebauliche Systeme das „Beispiel einer Stadtregulierung nach künstlerischen Grundsätzen“ folgen. Es müsse der „Stadtbau als Kunstwerk“ verstanden werden, nicht „nur als technisches Problem“. Im Zentrum seiner Betrachtungen stand der städtische Platz, der „als Mittelpunkt einer bedeutenden Stadt die Versinnbildlichung der Weltanschauung eines großen Volkes“ sei. Zentrale Plätze sollten ein „Sonntagskleid“ erhalten und „zum Stolz und zur Freude der Bewohner, zur Erweckung des Heimatgefühles, zur steten Heranbildung großer edler Empfindungen bei der heranwachsenden Jugend dienen“. Sittes bekanntester Architektur-Schüler war der Österreicher Joseph Maria Olbrich. Im Bereich der Landschafts- und Freiraumplanung nahm der deutsche Landschaftsarchitekt Leberecht Migge Sittes Anregungen auf. Sitte beeinflusste auch den englischen Architekten und Stadtplaner Raymond Unwin, den Planer der englischen Gartenstadt Letchworth (1903) und sein Buch Town Planning in Practice (1909).[123]
Patrick Geddes
Der schottische Biologe und Stadtplaner Patrick Geddes betonte den Wert regionaler Planung und die Notwendigkeit, städtische Entwicklungen im Kontext der gesamten Region zu betrachten. Geddes war wie der Soziologe John Ruskin der Ansicht, soziale Prozesse und räumliche Strukturen seien eng miteinander verbunden. Er hielt es daher auch für möglich, durch gezielte Gestaltung der räumlichen Umwelt soziale Prozesse zu beeinflussen oder zu initiieren. Geddes entwickelte seine Ideen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Industrialisierung die Lebensweise der Menschen im Vereinigten Königreich dramatisch veränderte. Geddes Ziel war die Schaffung eines städtischen Umfeldes, das optimal auf die Bedürfnisse des Menschen eingerichtet war und Körper und Geist in Einklang bringen sollte. Seine Thesen beeinflussten viele Denker des 20. Jahrhunderts, wie etwa den US-amerikanischen Urban-Theoretiker Lewis Mumford. Geddes wird oft als "Vater der Stadtplanung" bezeichnet.
Stadtparks, Grünanlagen und Gartenstädte
In Paris waren Volksgärten, Schlosspark- und Grünanlagen wie der Jardin du Luxembourg, der Parc des Buttes-Chaumont, der Jardin des Tuileries, der Parc Monceau und der Bois de Boulogne Schauplätze des vielfältigen gesellschaftlichen Lebens während der Belle Époque. In den Parkanlagen wurden oft die neuesten landschaftlichen und architektonischen Ideen umgesetzt, so wurde beispielsweise der Eiffelturm, eines der berühmtesten Wahrzeichen von Paris, als Teil der Weltausstellung von 1889 im Champ de Mars errichtet. In den Pariser Parkanlagen fanden regelmäßig Konzerte, Theateraufführungen und andere kulturelle Veranstaltungen statt. Die Events waren oft aufwändig inszeniert und lockten viele Besucher an. Die Pariser Bourgeoisie und der Adel nutzten die Parks, um ihre neuesten Moden zu präsentieren und das gesellschaftliche Leben zu genießen. Die Parks waren auch als Spielplätze für Kinder sehr populär. Im Bois de Vincennes wurden für die Olympischen Sommerspiele 1900 Sportanlagen gebaut, so fanden die Wettbewerbe im Bogenschießen im Bois de Vincennes statt.
Die zahlreichen Parkanlagen von Paris inspirierten auch viele Künstler, darunter Maler, Schriftsteller und Musiker. Im Jahr 1876 malte Claude Monet fünf Bilder vom Park Monceau, darunter eine Serie von drei Bildern, die den Park im Frühling zeigen. Der französische Komponist und Musikkritiker Hector Berlioz war ein großer Liebhaber dieses Parks. In der Parkanlage stehen auch die Statuen berühmter Persönlichkeiten wie beispielsweise Guy de Maupassant, Frédéric Chopin, Charles Gounod, Ambroise Thomas und Édouard Pailleron.
Zur Verbesserung der Lebensqualität entstanden nach dem Vorbild der französischen Hauptstadt Paris in vielen europäischen Städten großzügig angelegte Grünflächen und Parkanlagen. Darüber hinaus wurde die Natur als Zufluchtsort immer wichtiger. Ausflüge in die nähere Umgebung gehörten für viele Menschen zum sonntäglichen Freizeitprogramm. Gärten und Gartenlokale als Rückzugsorte bzw. Wintergärten für das Großbürgertum erfreuten sich ebenfalls großer Beliebtheit.
Viele Künstler erwarben am Rande der Städte Gartenhäuser und schlossen sich zu Künstlerkolonien zusammen. Unter ihnen fanden Aspekte neuer Lebensformen wie Freikörperkultur und die anthroposophischen Lehren des österreichischen Esoterikers und Schriftstellers Rudolf Steiners als alternative Lebensentwürfe zahlreiche Anhänger. In dieser Zeit entwickelten sich auch der Vegetarismus, die Naturheilkunde und die noch heute bestehenden Reformhäuser.
Als Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse sowie steigenden Grundstückspreise in den Großstädten entwarf der britische Stadtplaner Ebenezer Howard im Jahr 1889 das Modell der planmäßigen Entwicklung von Gartenstädten. Die Idee der Gartenstadt fand auch in Deutschland großen Anklang und bereits 1902 wurde in Berlin die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (DGG) gegründet.
Wasserversorgung und Hygiene
Neue Erkenntnisse zur Prävention von Krankheiten führten im 19. Jahrhundert zur Entstehung einer öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Hatten sich die Maßnahmen zur Kontrolle und Ausgrenzung Kranker oder potenziell Kranker in den Ländern Westeuropas bis dahin vor allem auf Quarantäneregelungen beschränkt, erkannten Regierungen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend die Notwendigkeit, eine systematischen öffentlichen Gesundheitsfürsorge aufzubauen. Zahlreiche neue Maßnahmen richteten sich auf den Ausbau infrastruktureller Einrichtungen wie den Aufbau einer sauberen öffentlichen Wasserversorgung und -entsorgung, wodurch Krankheiten der Nährboden entzogen werden sollte. Die Öffentliche Wasserversorgung, die bis dahin privaten und religiösen Initiativen überlassen worden war, wurde in staatliche Hände gelegt, während außerhalb Westeuropas Städte teilweise schon deutlich früher für eine Verbesserung der Stadthygiene mittels Wasserversorgung und -entsorgung aktiv geworden waren.[124]
Der Wert technischer Wasserreinigung wurde eindrucksvoll bestätigt, als 1849 bekannt wurde, dass Cholera durch verunreinigtes Trinkwasser verursacht wird. Trotz dieser Erkenntnisse sollte es noch Jahrzehnte lang dauern, so etwa in London bis 1868 und in München sogar bis 1881 (Wasserversorgung Münchens), bis sich das neue Wissen gegen einen vielfach radikalen Marktliberalismus durchgesetzt hatte und endlich geeignete Maßnahmen ergriffen werden konnten.
Die geregelte Entsorgung von Müll spielte ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung von Krankheiten, so wurde 1876 in Nottingham eine erste Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen. In Deutschland wurde 1896 in Hamburg die erste Müllverbrennungsanlage eröffnet, nachdem eine in der Stadt grassierende Cholera-Epidemie auf die dort durchgeführte Abfalldeponierung unter anderem als mögliche Ursache hingedeutet hatte.[125]
Stadtplanung und städtische Infrastruktur
Mit der zunehmenden Kommunalisierung der städtischen Infrastruktur begann auch die wissenschaftliche Stadtplanung. Das Konzept des Munizipalsozialismus ging von Großbritannien aus und konnte sich auch in Deutschland, Frankreich und den meisten anderen europäischen Ländern etablieren. In Deutschland und Österreich wurden Infrastrukturunternehmen wie Straßenreinigung, Müllabfuhr oder Straßenbahn-Gesellschaften gegründet und meist in Stadtwerken gebündelt.
Am 27. November 1905 konstituierte sich der Deutsche Städtetag als ständige Einrichtung auf seiner ersten Sitzung in Berlin, an der Vertreter von 131 Städten und 7 regionalen Städteverbänden teilnahmen. Der Deutsche Städtetag war ursprünglich eine einmalige Veranstaltung, die anlässlich einer im 1903 in Dresden ausgerichteten Deutschen Städteausstellung vom damaligen Dresdner Oberbürgermeister Otto Beutler initiiert wurde. Im Zentrum standen die Leistungen der kommunalen Selbstverwaltungen in den Bereichen Stadtplanung, Infrastruktur und Soziales.
In den Jahren 1908 und 1909 vergrößerte sich beispielsweise das Stadtgebiet von Düsseldorf, das in der Phase der Hochindustrialisierung in Deutschland als „Schreibtisch des Ruhrgebiets“ bedeutend angewachsen war, durch zahlreiche Eingemeindungen auch räumlich. Für das Düsseldorfer Gebiet stellte sich die Frage einer gesamtstädtischen Stadtentwicklungs- und Flächennutzungsplanung, um das rasante Wachstum der Stadt in geordnete Bahnen zu lenken, ihre Stadtteile besser miteinander zu verbinden und die eigenen Planungen mit denen der Region zu verknüpfen, insbesondere im neuen linksrheinischen Bereich der Stadt. Nach dem Vorbild des 1908/1909 durchgeführten Planungswettbewerbs „Groß-Berlin“ beschäftigten sich Düsseldorfer Planer und Politiker daher mit Fragen der städtebaulichen Gesamtplanung und einer Frühform der regionalen Planung.[126] Im Jahr 1912 wurde von der Stadt Düsseldorf in ihrem Kunstpalast sowie angrenzenden Messehallen die Städte-Ausstellung Düsseldorf für Rheinland, Westfalen und benachbarte Bezirke ausgerichtet. Im Verlauf der Veranstaltung präsentierte die Stadt die Ergebnisse ihres Wettbewerbs zu einem Generalbebauungsplan für „Groß-Düsseldorf“. Die gesamte Veranstaltung widmete sich den Fragen der modernen Großstadtentwicklung und schloss eine Messe in den Bereichen städtische Infrastruktur, Medizin und Krankenhausbau, öffentlicher Hochbau und Industrie mit ein.
Gesundheit und Hygiene
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Medizin, die bis dahin lediglich als Handwerk und Kunstlehre begriffen worden war, zu einer ernstzunehmenden Wissenschaft. Hospitäler, die zuvor nur Pflege- und Versorgungseinrichtungen gewesen waren, avancierten zu Orten, an denen Menschen therapiert und Forschung betrieben wurde.[127] In den Bereichen Medizin und Hygiene kam es im 19. Jahrhundert zu deutlichen Fortschritten, beispielsweise im Bereich der Geburtshilfe. Die Säuglingssterblichkeit ging zurück und die durchschnittliche Lebenserwartung stieg dementsprechend.
In der breiten Öffentlichkeit setzte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend die medizinische Erkenntnis durch, dass Gesundheit und Hygiene eng miteinander verbunden sind. Reinlichkeit und Wohlgeruch galten daher vor allem in besseren Gesellschaftskreisen als Zeichen für eine gesunde Lebensführung. Dies betraf auch die Zahnpflege und Mundhygiene.
Zur körpereigenen Pflege waren in Drogerien einfache Kernseife und verschiedene Arten von Pflanzenseife erhältlich. 1885 gründeten die englischen Brüder William Hesketh Lever und James Darcy Lever die Seifenfabrik Lever Brothers. Ihr Produkt war innovativ, weil Palmöl statt wie bisher Talg für die Seifenherstellung verwendet wurde. Die Brüder Lever gaben der Seife den Namen „Sunlight Soap“. 1899 entstand in Mannheim-Rheinau die Sunlight Seifenfabrik AG, die sich bereits vier Jahre später zum größten Seifenhersteller auf dem europäischen Kontinent entwickelte. Die dort produzierte Seife wurde unter dem Namen Sunlicht-Seife vertrieben.
1907 wurde in Deutschland von der Firma Henckel mit Persil das erste selbsttätige Waschmittel erfunden, welches die Arbeit des Wäschewaschens erheblich erleichterte. Der Markenname Persil nimmt dabei Bezug auf die ursprünglichen Hauptbestandteile PERborat bzw. Natriumperborat, welches als Bleichmittel diente, und SILikat bzw. Natriumsilikat, welches als Schmutzlöser fungierte.
Auf dem Gebiet der medizinischen Forschung erkannten Biologen und Mediziner, dass Krankheiten durch Mikroorganismen verursacht und von Menschen über Husten, Niesen, Küssen, Abfälle sowie verunreinigte Nahrungsmittel oder Wasser übertragen werden können. Die Keimtheorie von Krankheiten war geboren und das Fachgebiet der Bakteriologie entstand.
- Der Franzose Louis Pasteur entwickelte die Pasteurisierung, wodurch Lebensmittel auf schonenden Art und Weise länger haltbar gemacht werden konnten. Im Jahr 1885 führte Louis Pasteur zudem eine Tollwutbehandlung durch aktive Schutzimpfung ein.[128]
- Dem deutsche Mediziner und Mikrobiologe Robert Koch gelang es 1876 erstmals, den Erreger des Milzbrands außerhalb des Organismus zu kultivieren und dessen Lebenszyklus zu beschreiben. Somit konnte zum ersten Mal die Rolle eines Krankheitserregers beim Entstehen einer Krankheit lückenlos beschrieben werden. Robert Koch entdeckte 1882 den Erreger der Tuberkulose und erhielt dafür 1905 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
- Robert Koch und Louis Pasteur gelten als Begründer der modernen Bakteriologie und Mikrobiologie sowie der Immunologie und Allergologie.
- Der deutsche Zoologe Fritz Schaudinn entdeckte zusammen mit dem Dermatologen Erich Hoffmann 1905 am Berliner Klinikum Charité den Syphiliserreger Spirochaeta pallida (auch bekannt als Treponema pallidum subspec. pallidum). 1901 wurde Schaudinn vom Kaiserlichen Gesundheitsamt als Leiter der Malariaforschungsstation Rovigno (Istrien) bestimmt. In dieser Zeit wurde im Deutschen Reich die Erforschung von Tropenkrankheiten vorangetrieben, um die Bemühungen um ein eigenes Kolonialreich zu unterstützen. Während dieser Zeit bestätigte er die Arbeit von Sir Ronald Ross und Giovanni Battista Grassi in der Malariaforschung.
- Henry Toussaint entwickelte um 1880 ein Verfahren zur Impfung gegen Milzbrand, indem er den Erreger durch das Antiseptikum Phenol abschwächen konnte. Erstmals konnte somit ein Impfstoff Krankheitserreger durch eine Chemikalie abgeschwächt oder abgetötet werden. Louis Pasteur täuschte in seinem berühmten Experiment von Pouilly-le-Fort, in dem er seinerseits einen Milzbrandimpfstoff vorstellte, die Öffentlichkeit darüber, dass er diese Idee von Toussaint übernommen hatte.
- Der deutsche Dermatologe, Bakteriologe und Sozialhygieniker Albert Neisser entdeckte 1879 den Erreger der Gonorrhoe (Tripper). Im Jahr 1902 war er Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.
Ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Epidemiologie (und auch der Parasitologie) ist die 1880 während des Baus des Gotthard-Eisenbahntunnels erfolgte Entdeckung des Hakenwurms, Ancylostoma duodenale, als Ursache der damals so bezeichneten Sankt-Gotthard-Krankheit – einer parasitären Anämie. Auf der Grundlage der epidemiologischen Erkenntnisse wurden daraufhin die Arbeitsbedingungen und die hygienischen Verhältnisse der Arbeiter verbessert.
Am 6. November 1880 entdeckte der französische Militärarzt Charles Louis Alphonse Laveran, der in Constantine (Algerien) in einem Militärkrankenhaus arbeitete, in einer Blutprobe den Malariaerreger Plasmodium falciparum. Für seine Entdeckung erhielt er 1907 den Nobelpreis für Medizin.
1894 entdeckte der schweizerisch-französischer Arzt und Bakteriologe Alexandre Émile Jean Yersin den Erreger der Pest, Yersinia pestis. Ihm zu Ehren wurde die gesamte Bakterien-Gattung Yersinia genannt.
Die Desinfektion fand in der Medizin erstmals eine breite Anwendung, nachdem der britische Chirurg Joseph Lister, basierend auf Arbeiten von Louis Pasteur, antiseptische Mittel entdeckt hatte. Antonio Grossich führte 1908 in der Chirurgie die Jodtinktur zur Desinfektion der Haut vor Operationen ein.[129]
Dem deutsch-österreichischen Chirurgen Theodor Billroth gelang 1881 die erste erfolgreiche Magenresektion. Er gilt als Begründer der modernen Magendarmchirurgie.
Der russische Zoologe, Phylogenetiker, Darwinist, Bakteriologe und Immunologe Elie Metchnikoff entdeckte 1883 die Immunabwehr-Mechanismen gegen Bakterien durch weiße Blutzellen (Phagozytose) und erforschte die Heilung und Bekämpfung der Cholera. Im Jahre 1908 erhielt er für „Arbeiten über Immunität“ gemeinsam mit Paul Ehrlich den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.
Der österreichisch-US-amerikanischer Pathologe, Hämatologe und Serologe Karl Landsteiner entdeckte 1900 das AB0-System der Blutgruppen, wofür er 1930 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Zusammen mit Erwin Popper gelang ihm 1908 der experimentelle Nachweis, dass die Poliomyelitis (Kinderlähmung) eine durch Infektion übertragbare Krankheit ist.
1888 publizierte der deutsche Naturheilkundler und Lebensreformer Friedrich Eduard Bilz das sogenannte Bilz-Buch, ein Standardwerk der Naturheilkunde. Neben seinen Büchern wurde er auch durch die Erfindung eines alkoholfreies Erfrischungsgetränk, der Bilz-Brause (eigentlich Bilz’ Brause) bekannt.
Von 556 wissenschaftlichen Entdeckungen auf medizinischem Gebiet in den Jahren 1860 bis 1910 wurden 249 deutschen Wissenschaftlern zuerkannt. Die Bedeutung der deutschen Forschung zeigte sich auch in der Anzahl der Nobelpreise, die an Deutsche verliehen wurden.[130]
Geschlechtskrankheiten
Im Jahr 1902 gründeten die Dermatologen Alfred Blaschko, Edmund Lesser, Albert Neisser, Eugen Galewsky und Alfred Wolff die Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (DGBG), aus der später die DSTIG hervorging. Vor dem Hintergrund zunehmender Prostitution und der Zunahme von Geschlechtskrankheiten wurden Diskussionen über Strategien zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten sowie über Werte- und Moralvorstellungen geführt.
„Einen Mittelpunkt für alle Bestrebungen zu schaffen, welche zu einer Einschränkung der Geschlechtskrankheiten führen können“ lautet das 1902 selbstformulierte Ziel der Fachgesellschaft im Gründungsaufruf der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (DGBG). Der Breslauer Venerologe Albert Neisser, der 1879 den Erreger der Gonorrhö entdeckte, wurde zum ersten Vorsitzenden der DGBG benannt. Ein weiteres prominentes wie engagiertes Mitglied der Gesellschaft war der deutsche Mediziner Alfred Blaschko. Er wurde 1902 zum Generalsekretär ernannt und übernahm ab 1916 den Vorsitz der DGBG. Mit den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hatte die Gesellschaft ein eigenes Periodikum.
Medikamente und Hygiene
Mit der Industrialisierung chemischer Prozesse konnten Medikamente, die zuvor in Apotheken noch manuell hergestellt werden mussten, schnell und kostengünstig industriell produziert und vertrieben werden wie beispielsweise das Schmerzmittel Aspirin. Die Firma Bayer AG ließ sich 1899 den Namen Aspirin als Markenzeichen eintragen.
1903 brachte Merck mit dem Schlafmittel Veronal das weltweit erste Barbiturat in Tablettenform auf den Markt.
Im Jahr 1892 brachte der Dresdner Unternehmer Karl August Lingner das Mundwasser „Odol“ auf den Markt, das als Zahn- und Mundreinigungsmittel für die bessere Gesellschaft diente. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ersetzten Zahncremes in wiederverschließbaren Tuben das bisher verwendete Zahnpulver. Mit für die damalige Zeit ungewöhnlich hohen Werbeaufwendungen konnte das Unternehmen renommierte Künstler für seine Werbung gewinnen, darunter den deutschen Jugendstilmaler Franz von Stuck und den italienischen Komponisten Giacomo Puccini, der dem Mundwasser L’ode all’ Odol, eine „Odol-Ode“, widmete.[131][132] Auf Anregung des Odol-Fabrikanten Karl August Lingner wurde 1911 im Städtischen Ausstellungspalast in Dresden die Internationale Hygiene-Ausstellung eröffnet. Die Ausstellung lief vom 6. Mai bis zum 31. Oktober 1911 und gilt mit 5,2 Millionen Besuchern bis heute als die am stärksten besuchte Ausstellung in Dresden. 1912 wurde nach der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung von Karl August Lingner auch das Deutsche Hygienemuseum als „Volksbildungsstätte für Gesundheitspflege“ in Dresden gegründet.
„Das Hygiene-Museum soll Stätte der Belehrung sein für die ganze Bevölkerung, in der jedermann sich durch Anschauung Kenntnisse erwerben kann, die ihn zu einer vernünftigen und gesundheitsfördernden Lebensführung befähigen.“[133]
Die 1867 in Mainz gegründete Wachswaren und Siegellackfabrik „Gebrüder Werner“ brachte nach der Patentanmeldung 1901 unter dem Markennamen „Erdal“ eine neuartige Schuhcreme in den Handel und löste damit die bisher verwendete Schuhwichse ab. Der Froschkönig, das Markenzeichen der Schuhcreme, wurde 1903 eingeführt.
Samuel Pozzi
Der französische Chirurg, Politiker und Kunstsammler Samuel Pozzi verfasste mit dem Lehrbuch der Gynäkologie ein Standardwerk für seinen Fachbereich. Darüber hinaus bekleidete er den ersten Lehrstuhl für Gynäkologie in Frankreich und war Mitglied der Académie de médecine. Pozzi vertrat als Abgeordneter das Département Dordogne im französischen Senat und war zudem in der Regionalpolitik aktiv. Zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis gehörten zahlreiche Schriftsteller, Schauspieler und Künstler.
Um sich mit anderen Ärzten auszutauschen und seine Kenntnisse zu erweitern, unternahm Pozzi zahlreiche Reisen. 1876 besuchte er den Kongress der British Medical Association in Edinburgh. Hier traf er Joseph Lister, mit dem er sich unter anderem zu antiseptischen Verbänden austauschte. Dessen neuen Erkenntnisse zur chirurgischen Asepsis führte Pozzi umgehend in seinem Krankenhaus ein und warb bei seinen französischen Kollegen für die Umsetzung dieser Innovation. 1877 wurde Pozzi zum Krankenhauschirurgen (chirurgien des hôpitaux) und zum Professor an der Medizinischen Fakultät der Pariser Universität ernannt.
1893 gehörte Pozzi zur französischen Delegation der Weltausstellung in Chicago. Bei dieser Gelegenheit besuchte er in der Stadt verschiedene Krankenhäuser. Die Académie nationale de médecine nahm Pozzi 1896 als Mitglied auf und würdigte damit seine Leistungen als Mediziner. 1897 begründete er die Fachzeitschrift Revue de gynécologie et de chirurgie abdominale (Journal der Gynäkologie und Bauchchirurgie), mit der er ein Forum für neueste Forschungsergebnisse und Behandlungsmethoden schuf. Anfang 1899 besuchte Staatspräsident Félix Faure die unter Pozzis Leitung umgestaltete gynäkologische Abteilung im Hôpital Broca und unterstrich damit Pozzis ärztliche Leistungen. Pozzis Einsatz führte 1901 zur Schaffung des ersten Lehrstuhls für Gynäkologie in Frankreich. Pozzi bekleidete diesen Lehrstuhl als erster Professeur de clinique gynécologique an der Universität von Paris. Er widmete sich fortan verstärkt der Thematik der angeborenen Missbildungen. Zudem sprach er sich gegen die seinerzeit übliche systematische Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken aus und setzte sich für eine konservative Chirurgie ein.
Der britische Schriftsteller Julian Barnes veröffentlichte 2019 den Essay The Man in the red Coat. Das lebensgroße Porträt Dr. Pozzi at Home von John Singer Sargent gehört seit 1990 zu den Höhepunkten der Gemäldesammlung des Armand Hammer Museum of Art in Los Angeles. Barnes, der das Bild 2015 in einer Ausstellung in London sah, ließ sich durch das Porträt zu seinem Roman The Man in the Red Coat inspirieren. Er beschreibt darin das Leben von Samuel Pozzi, thematisiert den medizinischen Fortschritt und liefert zugleich Einblicke in Gesellschaft und Kultur der Belle Époque.
Kaufhäuser und Konsum
Kaufhäuser
Von Paris aus traten in den 1880er und 1890er Jahren exquisite Warenhäuser nach den Vorbildern von Galeries Lafayette und La Samaritaine ihren Siegeszug durch die Welt an und galten beim konsumverliebten Publikum der damaligen Zeit schnell als „Achtes Weltwunder“.[134][135] Die Menschen standen staunend Schlange, als 1869 das Le Bon Marché als erstes Warenhaus Europas in Paris seine Türen öffnete. Unter einer von Gustave Eiffel mitentworfenen kühnen eisernen Stützkonstruktion befand sich eine Verkaufsfläche, die größer als sieben Fußballfelder war und den Kunden ein scheinbar unermessliches Sortiment an Waren bot.
Der Kaufmann Théophile Bader aus Dambach-la-Ville und sein Cousin Alphonse Kahn aus Kolbsheim eröffneten 1894 zunächst ein Geschäft für Wäschemode mit einer Ladenfläche von 70 m² im 9. Arrondissement in der Rue La Fayette Nr. 1 in bester Geschäftslage, wenige Minuten von der Pariser Oper entfernt. Sie benannten das Geschäft 1894 nach der Straße in Aux Galeries Lafayette. Am 21. Dezember 1895 kaufte die Gesellschaft das gesamte Gebäude rue La Fayette Nr. 1; bald wurde aus dem Modegeschäft ein Kaufhaus mit 265 m² auf fünf Stockwerken. In den folgenden fünf Jahren kamen weitere Modegeschäfte in Paris und Lyon hinzu. Die Gesellschaft erweiterte ihre Geschäftstätigkeit über den reinen Einzelhandel hinaus auch auf die Modeproduktion. 1899 wurde die Aktiengesellschaft Société Anonyme des Galeries Lafayette gegründet. Der Architekt Georges Chedanne erhielt 1906 den Auftrag für eine 10-stöckige Neukonstruktion, die 1908 fertiggestellt wurde. Hierdurch dehnte sich das Stammhaus weiter aus bis zur Adresse 38–41 Boulevard Haussmann. 1907 hatte das Kaufhaus mehr als 750 Angestellte. Von 1910 bis 1912 wurde ein Gebäudekomplex in armierter Betonskelettbauweise errichtet. Auf der 33 Meter hohen Jugendstil-Galeriehalle wurde eine 40 Meter hohe farbige Glaskuppel errichtet; die Eröffnung fand am 8. Oktober 1912 statt. Das Haus hatte nun eine Verkaufsfläche von 18.000 m². Noch im Jahre 1912 verkaufte Kahn seinen Anteil an Bader.
In seinem Roman Das Paradies der Damen (im Original: Au Bonheur des Dames) beschreibt Émile Zola anhand der Geschichte der Protagonistin Denise, einer Verkäuferin, die aus der Provinz nach Paris kommt und im Paradies der Damen eine Anstellung findet, das Wachstum und die Struktur dieses Kaufhauses und gleichzeitig der Niedergang des kleingewerblichen Einzelhandels eines kompletten Pariser Stadtviertels. Die im Roman auftauchenden Figuren, Mitarbeiter, Käufer oder anliegende Einzelhändler sind aktiv oder passiv mit dem expandierenden Kaufhaus verbunden. Um den Kampf des kleinen Einzelhändlers gegen das aufkommende Großwarenhaus darstellen zu können, betrieb Zola umfangreiche betriebswirtschaftliche und soziologische Hintergrundstudien und interviewte Geschäftsführer, Abteilungsleiter und Verkäuferinnen der genannten Warenhäuser. Sein fiktives Riesenwarenhaus sollte ein ideales Beispiel darstellen, deshalb nahm er sich bei dessen Beschreibung die Verwaltung des Unternehmens Le Bon Marché zum Vorbild, während ihm das Kaufhaus Grands Magasins du Louvre zwar schlechter organisiert, in der Warenpräsentation aber überlegen erschien.
In Frankreich, Deutschland und anderen europäischen Ländern gingen viele große Warenhäuser aus ehemals kleinen Ladengeschäften hervor, deren jüdische Besitzer oftmals ein entbehrungsreiches Leben geführt und sich emporgearbeitet hatten.
1881 eröffnet Rudolph Karstadt unter dem Namen Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft Karstadt ein erstes Geschäft in Wismar. Karstadt hatte von Anfang an Erfolg mit günstigen Festpreisen anstelle des sonst noch üblichen Handelns, sodass schnell weitere Filialen in 24 Städten Norddeutschlands eröffneten.
Das Luxus-Warenhaus Kaufhaus des Westens (KaDeWe) wurde 1907 in Berlin-Schöneberg eröffnet. Ein Rohrpostsystem aus englischer Fertigung verband 150 verschiedene Zahlstellen im KaDeWe mit der Zentralkasse. Aufgrund der hohen Reparaturanfälligkeit dieses Fabrikats wurde die Anlage mit 18 Kilometer Rohrleitungen jedoch schon nach wenigen Jahren durch Registrierkassen ersetzt. Anstatt der damals verbreiteten Gasbeleuchtung gab es Kohlefadenlampen für elektrisches Licht. Zusätzliche Kundendienstleistungen wie beispielsweise dreizehn Personenaufzüge, jeweils ein Frisiersalon für Damen und Herren, eine Wechselstube, eine Bankfiliale der Deutschen Bank, eine Leihbibliothek, sowie ein Fotoatelier und ein Teesalon erhöhten die Attraktivität des Kaufhauses.
Eine derartige Vielfalt an Dienstleistungen boten auch andere gehobene Warenhäuser an, wie etwa das Berliner Kaufhaus Wertheim Leipziger Straße (Friseur, Leihbibliothek, Bank, Postamt).[136] Die halbrund vorkragenden Risalite beiderseits des Haupteingangs enthielten Treppenräume, über dem Eingang platzierte Schaudt einen kleinen Balkon, über dem wiederum eine Uhr aus Bronze mit einem Zifferblatt von drei Metern Durchmesser hing. Zu einer bestimmten Uhrzeit öffneten sich zwei Tore beiderseits der Uhr. Daraufhin wurde das Uhrwerk von einer bronzenen Hansekogge mit vollen Segeln umrundet, dem Wahrzeichen des KaDeWe, gleich den Figurenspielen an den Uhren der Kathedralen und alten Rathäuser.[137] Die holzgetäfelte und kassettierte Eingangshalle wurde von zwei seitlichen Marmorportalen des Bildhauers Georg Wrba zu den Lichtschächten oder Innenhöfen hin flankiert. In den beiden Höfen war jeweils ein kleiner Garten mit Springbrunnen für Kunden angelegt, die nach Ruhe und Muße suchten.[138] Schon bald wurde das Warenhaus durch sein modernes und exquisites Angebot an Waren und Dienstleistungen zu einer der beliebtesten Kaufadressen Berlins. Die Tauentzienstraße wandelte sich von einer reinen Wohnstraße zu einem Einkaufsboulevard, immer mehr Ladengeschäfte mieteten sich im Erdgeschoss der Wohnhäuser ein. Zugleich wurde das Gebiet um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche international interessant: „Hier weht Weltstadtluft. Zahlreiche Amerikaner, Engländer, Franzosen, Italiener, ja selbst Asiaten, haben sich hier niedergelassen und bevölkern die eleganten Boardinghouses und Pensionen. Theater werden gebaut. Alle Plätze bekommen Merkmale, die Ecksteine des Aufblühens ihrer Umgebung sind.“[139]
1894 wurde das erste Warenhaus Wertheim mit einem frei ausgelegten Warenangebot und festen Preisen in der Kreuzberger Oranienstraße in Berlin eröffnet. Es war das erste von mehreren Berliner Wertheim-Warenhäusern, weitere Warenhäuser folgten am Moritzplatz und an der Königstraße. Im Jahr 1897 konnte der später bekannte Gebäudekomplex des Warenhauses Wertheim in der Leipziger Straße, entworfen vom Berliner Architekten Alfred Messel (1896), eingeweiht werden. Das Kaufhaus wurde im Laufe der Jahre bis zum Leipziger Platz ausgebaut und war mit einer Nutzfläche von 106.000 m² das damals größte Warenhaus Europas. 1902 erwarben die Wertheims in Stralsund die Grundstücke Ossenreyerstraße 8–10 und ließen dort ein weiteres großes Kaufhaus errichten, das 1903 eröffnet wurde.
Charakteristisch für die damaligen Kaufhäuser war eine große zentrale Eingangshalle mit Freitreppen, die sowohl repräsentativen wie ökonomischen Zwecken diente. Die zentrale Eingangshalle öffnete sich zu allen Etagen mit ihren verschiedenen Galerien und Balkonen. Reichtum und Erfolg der Warenhausunternehmen spiegelte sich auch in einer prunkvollen Außenfassade wider. Die Hauptfassaden der Kaufhäuser waren oftmals mit aufwendigen Giebelkonstruktionen, Türmen und Balkonen, sowie Säulen und Ornamenten kunstvoll gestaltet. Besonders beliebt waren Stilelemente aus dem Schlossbauwesen, der Renaissance und dem Barock, die viele Kaufhäuser zu baulichen Attraktionen einer Stadt werden ließen.
Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahrhunderten, in denen Luxuswaren wie Kolonialwaren vor allem dem Adel vorbehalten waren, begannen im 19. Jahrhundert große Teile der Gesellschaft die Produkte der frühen Globalisierung zu konsumieren. Für die Ernährung der wachsenden Bevölkerung während der Industrialisierung waren sie zwar relativ unbedeutend, erfüllten jedoch das gesellschaftliche Bedürfnis nach einem mondänen Lebensstil, der den Genuss von exotischen Gütern, ungeachtet der sozialen Zugehörigkeit, auch in der Heimat möglich machte.
Die Pariser Ladenpassagen als Vorstufe des Kaufhauses wurden zum Gegenstand einer geschichtsphilosophischen Untersuchung. Paris war die „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ wie Walter Benjamin es 1935 einleitend zu seinem sich zu diesem Zeitpunkt in Arbeit befindlichen Passagen-Werk formulierte.
Die Einkaufspassage Galleria Umberto I in der Altstadt Neapels wurde in den Jahren 1887 bis 1890 nach dem Vorbild der Galleria Vittorio Emanuele II in Mailand erbaut. Die Galleria als privilegierter Ort des Mailänder Gesellschaftslebens und als Symbol der Modernität war einer der bevorzugten Aufenthaltsorte und symbolischen Orte des Futurismus, der sich für das hektische Leben der Stadt interessierte. Eine der berühmtesten künstlerischen Darstellungen der Galleria Vittorio Emanuele II ist Umberto Boccionis Rissa in galleria, das eine Schlägerei am Eingang der Galleria darstellt.[140] Obwohl das Gemälde eher einem vom Pointillismus abgeleiteten Stil zuzuordnen ist, nimmt es bestimmte Themen vorweg, die dem Futurismus wichtig sein würden, wie die Bewegung und die Raserei der Menge.
Das Warenhaus GUM im Herzen Moskaus am Roten Platz wurde 1893 nach Entwürfen von Alexander Pomeranzew und Wladimir Schuchow errichtet. Experten lobten das Projekt Pomeranzews und Schuchows als, so wörtlich, „rational und wirtschaftlich“ und gleichzeitig architektonisch sehr gut harmonierend mit dem altrussischen Ensemble rund um den Moskauer Kreml. Den an der Gesellschaft beteiligten Kaufleuten gefiel an dem Entwurf insbesondere die von Wladimir Schuchow konzipierte gläserne Überdachung der Passagen, die an ähnliche, damals gerade in Mode kommende Handelspassagen in europäischen Metropolen wie Mailand, Paris oder Wien stilistisch anknüpfte. In Russland war eine solche Konstruktion bis dahin noch völlig unbekannt.
Die zunehmende Industrialisierung und der damit verbundene Wohlstand des Großbürgertums, sowie der Aufstieg einer kaufkräftigen bürgerlichen Mittelschicht trugen in erheblichem Maße zum Erfolg der Warenhäuser bei, in denen sich auch erstmals unterschiedliche Bevölkerungsgruppen begegneten, was man so zuvor nicht gekannt hatte.[141]
Industrialisierung der Warenproduktion
Grundlage für das breitgefächerte Angebot der Kaufhäuser war die Industrialisierung der Warenproduktion im 19. Jahrhundert. Zwar war bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts damit begonnen worden, unterschiedliche Waren unter einem Dach zu verkaufen, doch erst die Erfindung des Stahlbetons durch Joseph Monier (Patent: 1867), die Industrialisierung und Automatisierung der Glaserzeugung sowie die Verfügbarkeit von elektrischen Aufzugsanlagen ermöglichten den Bau von großen Kaufhäusern und ließen die Belle Époque auch zu einer Epoche der Kaufhäuser und des Konsums werden.
Technologische Innovationen wie beispielsweise die Telegrafie und das Dampfschiff sowie die Intensivierung der Verkehrsverbindungen und die Ausweitung der Plantagenwirtschaft zu Lasten der Anbauregionen senkten die Kosten und ließen Produkte zur Massenware werden.[142]
Schlachthöfe und Großmärkte
Mit dem wachsenden Konsum in den Großstädten entstanden in dieser Zeit viele Schlachthöfe und Großmärkte. Die ersten industriellen Schlachthöfe mit einer einfachen Fließbandproduktion entstanden um 1845 in den USA in Cincinnati. Perfektioniert wurde die Fließbandproduktion von Fleisch aber in Chicago. Mit der Einführung von Eisenbahn-Kühlwagen war es möglich, das Schlachtfleisch in den ganzen USA zu vertreiben. Chicago entwickelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte zur Fleisch-Metropole Amerikas. Innerhalb Chicagos kam es nach einem kurzen Konkurrenzkampf zur Bildung eines Kartells aus fünf Unternehmen. Die Unternehmer Gustavus Swift, Philip Armour, Nelson Morris, Georg Hammond und Patrick Cudahy (die sogenannten „Big Five“) errichteten ihre Schlachthäuser und Fleischfabriken entlang des Union Stockyards. In diesen Anlagen wurden jährlich bis zu zwölf Millionen Tiere geschlachtet. Dabei wurde eine Verarbeitungsgeschwindigkeit von 15 Minuten von der Schlachtung eines Rindes bis zu seiner Zerlegung erreicht.
Die ersten großen kommunalen Schlachthöfe in Deutschland entstanden im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einer der ersten kommunalen Schlachthöfe war der Zentralvieh- und Schlachthof in Berlin, dessen Entstehung vor allem durch den in Preußen 1868 per Gesetz eingeführten Schlachthofzwang bedingt war.[143]
Die Pariser Markthallen (französisch: Les Halles de Paris) bestanden bis Anfang der 1970er Jahre im 1. Arrondissement von Paris und waren ein Großhandelsmarkt für frische Lebensmittel. Auf dem Höhepunkt seiner Aktivität weitete sich der Handel immer mehr aus und viele Händler mussten mit ihren Ständen aus Platzmangel sogar in die angrenzenden Straßen ausweichen. Die Pariser Markthallen bilden auch die Hauptkulisse für den Roman Der Bauch von Paris von Émile Zola, in dem der Schriftsteller das Milieu des Einzelhandels beschreibt und sich mit der Lebenswirklichkeit der arbeitenden Klasse auseinandersetzt. Der Roman ist reich an impressionistischen Schilderungen, von denen die eines Käseladens die wohl berühmteste ist. Diese Passage wird als „Käse-Symphonie“ bezeichnet.
Frauen und Männer
In der Belle Époque spielten Frauen und Frauenbilder eine zentrale Rolle. Sowohl die Darstellung und Deutung traditioneller Charaktere aus Literatur und Mythologie als auch das sich wandelnde Rollenverständnis der Frau an der Schwelle zur Moderne[144] veränderten die Gesellschaft und hatten auch Einfluss auf den Kunstbetrieb.
Mythos „Femme fatale“
Im bürgerlichen Großstadtleben erregte gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Mythos und Frauentypus der Femme fatale[145] das öffentliche Interesse sowie die Aufmerksamkeit von Künstlern und Intellektuellen. Historische und mystische Frauengestalten wie Salome, Sphinx, Venus sowie Hexen personifizierten dabei die dämonische Verführerin. Nicht nur die biblische Gestalt der Salome als Sinnbild der Femme fatale par excellence, sondern auch ihr Tanz als verführerisches Element fanden Eingang in die damalige Erotik und beflügelten die Phantasie vieler Künstler. Die Femme fatale war ein Geschöpf der modernen und hektischen Großstadt, als Rachegöttin, männerverschlingender Vamp oder als monströse Kindfrau Lulu in Frank Wedekinds Drama „Die Büchse der Pandora“ wurde ihr meist eine Außenseiterrolle zugeschrieben, was wohl vor allem in ihrer Andersartigkeit, ihrem betörenden und unheilbringendem Charme sowie in der Verkörperung von Sinnlichkeit, Sünde und Lasterhaftig begründet liegt.[146] Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde auch die Kurtisane der Femme fatale zugerechnet.
Prostitution
Während im 18. Jahrhundert die Mätressen der Fürsten als einflussgebend und stilprägend galten, übernahmen diese Rolle im 19. Jahrhundert die Kurtisanen, deren reiche Verehrer ihnen einen luxuriösen Lebensstil ermöglichten. Die Grenzen zwischen Künstlerin und Kurtisane konnten dabei fließend sein. Treffpunkt für Begegnungen mit der großbürgerlichen Welt waren oftmals Kaffeehäuser und Restaurants, die damals in den Städten entstanden und mit zum Freizeitvergnügen beitrugen. An diesen Orten wurden Reize zur Schau gestellt und zugleich neuste modische Trends kreiert. Kleidung galt für viele Frauen als Mittel zum Zweck, um gesellschaftliche Schranken überwinden zu können, so unterschied sich die Kleidung ehrbarer Frauen kaum noch von der käuflicher Damen, was Letztere in ihrem Glauben bestärkte, irgendwann einmal gesellschaftlich aufzusteigen und zu dieser Gesellschaft dazuzugehören.
Anders erging es jedoch den zahlreichen Straßendirnen. Viele junge Frauen kamen in der Hoffnung auf ein besseres Leben vom Land in die Städte. Als ungelernte Arbeiterinnen war ihr Verdienst jedoch oftmals zu gering, um davon leben zu können. Viele Frauen, die als Dienstmädchen, Modistinnen, Blumenfrauen oder Wäscherinnen arbeiteten, verdingten sich nebenher als Gelegenheitsprostituierte, um so ihr Gehalt aufbessern zu können. Viele von ihnen infizierten sich mit der damals häufigsten Geschlechtskrankheit Syphilis oder verfielen, aus Scham über ihre Tätigkeit und den damit verbundenen Peinigungen und Erniedrigungen dem Alkohol. Neben den offiziell registrierten Prostituierten, die der Kontrolle durch die Sittenpolizei unterstanden, gab es in den Städten eine hohe Dunkelziffer nicht registrierter oder sich nur gelegentlich prostituierender Frauen.
Obwohl die Prostitution in Deutschland als Tabuthema im Wilhelminischen Zeitalter galt, gehörten Bordellbesuche zum Zeitvertreib einer großbürgerlichen Männergesellschaft. Die Besucher der Bordelle kamen meist aus wohlhabenderen Stadtvierteln und ließen sich in den Abendstunden mit Kutschen oder Automobilen in die abgelegenen Stadtviertel bringen, in denen sich die Bordelle befanden, Cafés und Restaurants dienten zuvor häufig als Ort einer ersten Kontaktaufnahme. Damalige Satirezeitschriften wie der Simplicissimus und Die Jugend griffen diese Themen dankbar auf.[147]
Frauenbewegung
Das 19. Jahrhundert zeichnete sich nicht nur durch die unterdrückte Stellung der Frau in der Gesellschaft aus, sondern ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch durch den Beginn der Frauenbewegung und den Kampf der Frauen um eine gleichberechtigte Stellung in Bildungswesen, Arbeit und Politik. Die Industrialisierung veränderte die Gesellschaft nachhaltig, neben Männern wurden nun auch Frauen als Arbeiterinnen in den Fabriken benötigt. Jedoch erschien es den Frauen als große Ungerechtigkeit, dass sie zwar wie die Männer arbeiten, aber ansonsten nicht die gleichen Rechte wie diese erhalten sollten, wie z. B. das Wahlrecht.[148] So erhielten beispielsweise 1884 in England nach dem Zensus zwei Drittel aller Männer das Wahlrecht, während Frauen, Kriminelle und Geisteskranke davon ausgeschlossen waren. In Großbritannien engagierten sich daher Frauen in der Politik wie die Suffragetten, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzten oder auf radikalere Art und Weise wie bei den Sozialisten rund um Rosa Luxemburg in Deutschland.
Im Oktober 1865 wurde in Leipzig der erste Frauenverein gegründet. Im Jahr I900 konnten sich Frauen in Deutschland erstmals die Zulassung zu den Universitäten erstreiten. Seit 1893 war es Mädchen in Deutschland möglich, das Abitur abzulegen, doch wurde ihnen zunächst nur die Aufnahme von sogenannten frauenspezifischen Studien gestattet. Als solche galten das Lehramts- und das Medizinstudium.[149] 1893 wurde auf Initiative der deutschen Frauenrechtlerin Hedwig Kettler das erste humanistische Mädchengymnasium in Karlsruhe eröffnet. Im Großherzogtum Baden als erstem Land in Deutschland wurden Frauen per Erlass uneingeschränkt zum Hochschulstudium zugelassen. Im Jahr 1908 konnten in Deutschland 108 Frauen einen Universitätsabschluss außerhalb der medizinischen Fakultät und der Lehrerbildungsanstalten erwerben, ebenfalls 1908 erhielt die erste Frau in Deutschland eine Professur in Wirtschaftswissenschaften in Mannheim.[150] 1914 waren 6,7 % der Studenten an den deutschen Universitäten Frauen.[151] In Deutschland erschien den Frauen der Kampf um gleiche Schulbildung, gleiche Ausbildung, gleiche Berufschancen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit wichtiger, als der Kampf um das Wahlrecht wie in England und den USA.[152]
In der Phase zunehmender Industrialisierung bekam die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland Konkurrenz von der Arbeiterfrauenbewegung. So drängten die Bürgerinnen der Mittelschicht auf Reformen, während die Arbeiterinnen ihre Rechte durch eine Revolution erstreiten wollten. Die unterschiedlichen Vorstellungen über das Erreichen der Ziele, verhinderte eine Zusammenarbeit. Die proletarische Frauenbewegung wurde später in die SPD integriert. Bereits 1914 waren 16,1 % der Parteimitglieder der SPD Frauen.
1881 erschien die erste Ausgabe der radikal-feministischen Zeitschrift La Citoyenne von Hubertine Auclert in Paris. Hauptschwerpunkt der Publikation war die im Code civil verankerte rechtliche Diskriminierung der französischen Frauen. Hubertine Auclert gründete 1883 die Société le suffrage des femmes. Sie war die erste Frauenrechtlerin, die sich 1882 selbst als féministe (Feministin) bezeichnete. Auclert sprach sich für das Frauenwahlrecht und eine völlige rechtliche Gleichstellung von Frauen gegenüber Männern aus. Gemeinsam mit der Frauenrechtlerin Madeleine Pelletier demonstrierte sie 1908 vor Wahllokalen. Im Jahr 1901 wurde in Frankreich ein Nationaler Rat der französischen Frauen gegründet, der dem Internationalen Frauenrat angeschlossen war, mit dem Ziel, alle feministischen Werke und Gesellschaften zusammenzufassen und zu koordinieren. Parallel dazu entwickelte sich nach und nach auch eine Frauenpresse. Die französischen Frauen waren jedoch die letzten, die in Europa das Wahlrecht erhielten, während Frauen bereits in fast allen europäischen Ländern nach dem Ersten Weltkrieg das Wahlrecht zugesprochen bekamen, mussten die Frauen in Frankreich bis 1945 darauf warten.[153]
Sechs Frauen um Emmeline und Christabel Pankhurst gründeten 1903 in Manchester die Women’s Social and Political Union, eine Frauenstimmrechtsvereinigung. Sie waren die Ersten, die den Beinamen Suffragetten (>lat. suffragium: Wahl) bekommen sollten. Die Women’s Social and Political Union wurde als unabhängige Frauenbewegung am 10. Oktober 1903 in Manchester gegründet. 1907 demonstrierten in London 3.000 britische Suffragetten für die Einführung des Stimmrechts für Frauen, an ihrer Spitze Lady Frances Balfour und Lady Millicent Garrett Fawcett. The March of Women, die Hymne der englischen Frauenbewegung von Ethel Smyth, wurde 1911 in der Londoner Pall Mall uraufgeführt. Eine weitere Aufführung erfolgte in der Royal Albert Hall, von wo aus das Lied eine rasche Verbreitung in England erfuhr und zur Hymne der englischen Suffragettenbewegung avancierte. In ihrem Kampf für das Wahlrecht für Frauen schreckten die Suffragetten auch nicht vor gewalttätigen Aktionen zurück, so kam es zu Sachbeschädigung, Störung öffentlicher Veranstaltungen und Hungerstreiks, was dazu führte, dass viele Frauen verhaftet und die Frauen, die in den Hungerstreik getreten waren, zwangsernährt wurden. Der verzweifelte Kampf der Suffragetten ging so weit, dass sich am 4. Juni 1913 Emily Wilding Davison während des Derbys in Epson vor das Pferd König Georgs V. warf, niedergetrampelt wurde und wenig später ihren schweren Verletzungen erlag. Sie avancierte daraufhin zur ersten Märtyrerin der Frauenbewegung in England und ihr Tod war das Fanal für bürgerkriegsähnliche Zustände. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendeten die Suffragetten in England jedoch ihre militanten Aktionen, ließen ihre Forderungen nach dem Frauenwahlrecht fallen und unterstützten die britische Regierung in ihrer Kriegspolitik.
In den USA war es Frauen zunächst nicht möglich zu studieren, sie besaßen kein Wahlrecht und hatten keine freie Berufswahl. Ihre Domänen sollten Kinder, Kirche und Küche sein. Ihren Ehemännern gegenüber schuldeten sie Gehorsam um im Fall von Zuwiderhandlung war es diesen erlaubt, ihre Frauen körperlich zu züchtigen.[154] Die Frauen in Amerika fühlten sich daher ebenso benachteiligt wie die Sklaven, was dazu führte, dass die Befreiungsbewegung der Sklaven und die Frauenrechtsbewegung in den USA schon bald eine enge Verbindung eingingen. Im Mai 1890 wurde die National American Woman Suffrage Association gegründet, was den Beginn der amerikanischen Frauenbewegung markierte. Vorbild für den Kampf um das Wahlrecht der Frauen in den USA waren die Suffragetten in England, die sich als Suffragetten (>lat. suffragium: Wahl) bezeichneten. In den USA nannten sie sich „suffragists“. Obgleich die Engländerinnen als Pionierinnen der Frauenbewegung in Amerika verehrt wurden, gingen die Frauen in den USA nicht so radikal vor wie in Großbritannien. Der amerikanische Schriftsteller Henry James, der die Frauenfrage offensichtlich für überflüssig hielt, thematisierte diese in seinem Roman „The Bostonians“ und nahm darin die Frauenbewegung und deren Vertreterinnen satirisch und kritisch aufs Korn.[155]
1893 wurde in Neuseeland das Frauenwahlrecht eingeführt, Neuseeland war damit der erste Staat der Neuzeit, der Frauen dieses Bürgerrecht ohne Einschränkungen zugestand.
Norwegen führte 1913 als erster souveräner Staat in Europa das Frauenwahlrecht ein. Im Deutschen Reich wurde das Wahlrecht für Frauen nach dem Ersten Weltkrieg mit der Gründung der Weimarer Republik 1919 eingeführt.
Die deutsche Sozialistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin schlug auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen die Einführung eines internationalen Frauentages vor, ohne jedoch ein bestimmtes Datum zu favorisieren. Der erste internationale Frauentag wurde am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert und entstand auf Initiative sozialistischer Organisationen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg im Kampf um die Gleichberechtigung, das Wahlrecht für Frauen sowie die Emanzipation von Arbeiterinnen. 1921 wurde der internationale Frauentag durch einen Beschluss der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau schließlich auf den 8. März gelegt.
Kleidung und Mode
In der Belle Époque konnte sich die Pariser Haute Couture (französisch für ‚gehobene Schneiderei‘) als ein Synonym für Luxus und Eleganz etablieren.
Der englische Modeschöpfer Charles Frederick Worth revolutionierte Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Art der Kleiderproduktion die Modeindustrie. Er gilt als Begründer der Haute Couture und war der Erste, der mehr als Künstler denn als Handwerker verstanden wurde. Darüber hinaus war sein Einfluss auf die Mode insgesamt sehr groß. Bereits 1867 schuf er ein Vertriebsprogramm, das ausländischen Einkäufern den Erwerb von Schnittmustern ermöglichte. Entsprechend seinem Selbstverständnis als Künstler war in seine Modelle ein Sticketikett mit seinem Namen eingenäht. Seine Kleidung war „komplett“, wenn sie sein Atelier verließ; anders als bei anderen Schneidern und Schneiderinnen war nicht vorgesehen, dass sie von einer Modistin mit Accessoires aufgeputzt wurde. Königin Victoria, Elisabeth „Sissi“ von Österreich, Fürstin Pauline von Metternich, die für ihre Schönheit gefeierte Lillie Langtry, die Schauspielerin Sarah Bernhardt, die Sopranistin Nellie Melba und die Halbweltdame Cora Pearl zählten zu seinen Kundinnen. Worth schmeichelte seinen Kundinnen mit luxuriösen Materialien und sorgfältigem Schnitt. Während zuvor die Kundinnen das Design ihrer Kleider vorgaben, stellte nun Charles Frederick Worth selbst viermal im Jahr seine Modellkreationen in Modeschauen vor. Die Kundin wählte sich ein Modell aus, das mit einem Stoff ihrer Wahl anschließend nach Maß angefertigt wurde. 1870 beschäftigte sein Unternehmen über 1200 Näherinnen, die jede Woche mehrere hundert Kleider herstellten. Seine Modelle waren so teuer, dass selbst begüterte Kundinnen sie sich jeweils nach der neuesten Mode umändern ließen.
Damenmode
Von viktorianischem oder wilhelminischem Prunk nach 1900 erfolgte allmählich auch eine Befreiung der Frauen aus den Zwängen des bis dahin üblichen Korsetts. In diese Zeit fällt auch die Bewegung zur Entwicklung von Reformkleidung für Frauen, die sich aber lange nicht durchsetzen konnte. Es ist auch die Zeit, in der der Büstenhalter erfunden wurde.[156]
Die Französin Jeanne Paquin war eine der ersten Modeschöpferinnen. Sie bestimmte über drei Jahrzehnte das Modegeschehen ihrer Zeit mit. Nach einer Ausbildung zur Schneiderin in dem Pariser Modesalon von Christoph Drecoll gründete Jeanne Paquin 1891 ihr eigenes Modehaus in der Rue de la Paix 3. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Mann Isidore Paquin, einem Bankier, der auch die Geschäftsführung ihres Salons übernahm. Bekannt war Jeanne Paquin für luxuriöse Abendkleider in zarten, fein abgestimmten Farben, pelzverbrämte Kostüme und Mäntel sowie eine Kollektion von Tangokleidern, mit der sie 1913 Aufsehen erregte.
Bereits 1900 war Jeanne Paquin die Vorsitzende der Modenschau-Organisation der Pariser Weltausstellung, sie fungierte außerdem zeitweilig als Präsidentin der „Chambre Syndicale de la Couture Parisienne“. Aufgrund ihrer Verdienste um die französische Wirtschaft wurde sie im Jahr 1913 mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet und war damit die erste Frau, die diese Anerkennung erhielt. Sie eröffnete 1912 einen Salon in London, weitere Niederlassungen in Madrid und Buenos Aires sowie ein Pelzgeschäft in New York. Sie war die erste Modeschöpferin, die zu Werbezwecken Mannequins zu den Pferderennen in Longchamp und Chantilly schickte und nach dem Vorbild von Paul Poiret eine USA-Tournee mit vier Mannequins unternahm. Eingang fand Jeanne Paquin auch in die Literatur. Der französische Schriftsteller Marcel Proust erwähnt die Modeschöpferin in seinem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
Zwischen 1910 und 1915 sorgten mehrere Faktoren dafür, dass sich eine korsettlose Mode durchzusetzen begann, allerdings noch nicht die Frauenhose. Politische Faktoren für die korsettlose Mode waren die erstarkende Frauenbewegung, die etwa um diese Zeit in vielen Ländern das Frauenwahlrecht durchzusetzen begann sowie der Erste Weltkrieg, der dazu führte, dass mangels männlicher Arbeitskräfte mehr Frauen als Arbeitskräfte benötigt wurden.
Nach 1900 entwarfen Modeschöpfer wie Paul Poiret erste korsettlose Gewänder. Das um 1910 in Paris lancierte Hosenkleid (frz.: Jupe-Culotte) konnte sich anfangs nicht durchsetzen.
Die wohlhabenden Damen der Gesellschaft verfügten meist über eine umfangreiche Garderobe und wechselten teilweise mehrmals am Tag ihre Kleidung. Dabei wurde zwischen Tages-, Besuchs- und Nachmittagsgarderobe unterschieden und die Garderobe jeweils dem spezifischen gesellschaftlichen Anlass angepasst. Die Kleider waren lang und reichten bis zum Boden, Bein zu zeigen oder gar den nackten Fuß, galt als unsittlich. Edle Stoffe wie Seidensatin, Chiffon, Damast oder Tüll wurden oft in hellen, zarten Farben getragen, verziert mit Spitze und Strass und verkörperten die Romantik, aber auch die Eitelkeit der Zeit.
Aufgrund komplizierter Kleider, die aus vielen verschiedenen Stofflagen bestanden, war es den Frauen oft nicht möglich, sich selber an- oder auszuziehen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich die Damen nur sehr langsam bewegten und sich so unglaublich anständig benahmen, denn die Materialien, welche sie trugen, waren schwer und konnten sehr leicht Schaden nehmen. Trotz dieser Eingeschränktheit gewann die Frau neue Freiheiten. Der französische Modemacher Paul Poiret befreite die Frauen vom einengenden Korsett, welches ihnen zuvor die Taille einschnürt und das Atmen erschwerte hatte. Poirets eigens designtes Kleid, ein Reformkleid, konnte jedoch nur von schlanken Frauen getragen werden, was ein Grund dafür war, warum das Korsett nicht verdrängt wurde.[157]
Exotische Kostümfeste erfreuten sich in der High Society der damaligen Zeit großer Beliebtheit, die farbenfrohen Stoffe für die federngeschmückten Turbane und Tunika-artigen Gewänder wurden mit den Anilinfarben der BASF in Ludwigshafen gefärbt.
Auf der Weltausstellung Paris 1900 hinterließ die französische Haute Couture einen bleibenden Eindruck und sicherte Paris einen führenden Platz auf der Liste der wichtigsten und einflussreichsten Modestädte der Welt.
Für die Belle Époque war eine ausgeprägte Hutkultur und eine elegante Kleidung der bürgerlichen Klasse charakteristisch. Hüte galten ebenso wie Schirm und Handschuhe als absolutes Muss. Für Frauen war es undenkbar, ohne eines dieser modischen Accessoires auf die Straße zu gehen.
1911 eröffnete in Paris die spätere französische Modedesignerin und Unternehmerin Coco Chanel ihr erstes Modehaus. Mit ihrem Namen ist ein Höhepunkt in der Gestaltung und dem Gebrauch von Modeschmuck verbunden. Sie war die Erste, die Modeschmuck als festen Bestandteil ihrer Kreationen ansah und als gestalterisches Element einsetzte. Nicht mehr die möglichst täuschende Imitation von Juwelen war bei ihr das Ziel, sondern der ästhetische Effekt. Mit der Eröffnung einer Boutique 1913 in Deauville gründete Coco Chanel den Modekonzern Chanel. Das Haus Chanel war ab den 1910er Jahren Wegbereiter einer damals ungewohnt funktionell-lässigen und dennoch weiblich-eleganten Damenmode des oberen Preissegments. 1915 besaß Coco Chanel Modesalons in Paris, Deauville und Biarritz. Sie entwarf schlichte, locker umspielende Kleider aus Baumwolljersey und kreierte damit eine neue und funktionale Mode mit klaren Linien ohne die bis dahin üblichen Verzierungen. Chanel trug ihre eigene Mode und eine moderne Kurzhaarfrisur im Bob-Stil.
Madeleine Marie Valentine Vionnet (* 22. Juni 1876 in Chilleurs-aux-Bois, Département Loiret; † 2. März 1975 in Paris)[158][159] war eine französische Modeschöpferin der Haute Couture, die vor allem für ihre Kleiderentwürfe im Diagonalschnitt berühmt wurde. Im Gegensatz zu den Autodidaktinnen Elsa Schiaparelli und Coco Chanel lernte sie das Entwerfen und Schneidern von Grund auf. Im Jahr 1907 wurde sie Designerin bei Jacques Doucet,[160][161] der auch schon Paul Poiret beschäftigt hatte. Vionnet nahm besondere Rücksicht auf die räumliche Wirkung eines Kleides und fertigte deshalb bereits die erste „Skizze“ als körperhaftes Gebilde im Raum an, nie als zweidimensionale Zeichnung auf dem Papier.
Bereits im Jahr 1868 organisierte sich die französische Haute Couture in Paris zur weltweiten Vertretung der Interessen des Schneiderhandwerks in einem Verband, der Chambre Syndicale de la Couture Française, aus welchem 1911 die Chambre Syndicale de la Couture Parisienne wurde.
Herrenmode
Im Gegensatz zur farbenfrohen Kleidung der Damen herrschte bei den Herren fast ausnahmslos Einheitsgrau bzw. Schwarz/Weiß vor, wodurch die Kleidung entsprechend unauffällig und unpersönlich erschien. Es galt jedoch für dem modebewussten Herren als standesgemäß, mehr als einen Anzug zu besitzen, wobei es ab den 1860er Jahren modern wurde, den Anzug einfarbig herzustellen. Im Sommer oder bei Freizeitaktivitäten wurden auch Anzüge aus hellem Stoff getragen. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte es zur besonderen Zierde des Mannes, Bart zu tragen und diesen entsprechend sprießen zu lassen. Bei den Männern wurde der Zylinder zum modischen Symbol. Im Sommer bzw. im Urlaub und bei Freizeitaktivitäten wurde der Zylinder häufig durch die Melone oder den flachen Strohhut, wegen seiner Form auch „Kreissäge“ oder „Butterblume“ genannt, ersetzt.
Weitere Accessoires des Mannes von Welt waren Weste, steifer Kragen und Gehrock sowie ein Flanierstock bzw. ein Stockschirm für schlechtes Wetter und Handschuhe. Ab etwa 1870 war der dunkle Gehrock die offizielle Kleidung von Ministern, Kommerzienräten, Ärzten und Geschäftsleuten. Dazu trug man ein Plastron anstelle einer Krawatte. Krawattennadeln, Hemd- und Manschettenknöpfe, die oft mit Perlen oder Edelsteinen geschmückt waren, waren en vogue. Die Armbanduhr kam zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf und löste die schwere goldene Taschenuhr mit Uhrkette ab. Diese Innovation dazu kam aus dem militärischen bzw. sportlichen Bereich.
Seit Ende der 1880er Jahre änderte sich die Herrenmode nur noch in Details. Veränderungen gab es bei den Mustern der Stoffe, der Reversbreite und dem Schnitt der Hosen.[162]
Im Deutschen Kaiserreich galt die Uniform für den Herrn als attraktiv und kleidsam und machte ihn erst zum Mann. Diese Vorstellung entsprach dem gesellschaftlichen Klima des wilhelminischen Zeitalters, das für Militär und Untertanengeist äußerst empfänglich war. Carl Zuckmayer mit seinem Schauspiel „Der Hauptmann von Köpenick“ und Heinrich Mann mit seinem Roman „Der Untertan“ haben diesen Zeitgeist literarisch treffend persifliert.
Kleidung Arbeiter und Bedienstete
Im auffallenden Gegensatz zur Garderobe des wohlhabenden Bürgertums stand hingegen die Kleidung der Arbeiter und Bediensteten. Diese wurde solange angezogen und weitergereicht, bis sie so beschädigt war, dass sie nicht mehr getragen oder ausgebessert werden konnte.[163] Der Stoff wurde jedoch auch dann nicht weggeworfen, sondern an Lumpensammler weiterverkauft.
Tourismus und Faszination des Fremden
Mit der Entwicklung der Dampfmaschine begann nicht nur die Industrialisierung, sondern auch die Fortbewegung und das Reisen wurden revolutioniert. Mit Eisenbahnen und Dampfschiffen konnten im Vergleich zu den bisher eingesetzten Kutschen und Segelschiffen viele Menschen gleichzeitig und vor allem viel schneller als jemals zuvor befördert werden. Gut ausgebaute Verkehrsnetze und sinkende Tarife sowie vermehrte Freizeit und gestiegene Einkommen machten Vergnügungsreisen und Fernreisen vor allem für die gehobenen Schichten der Gesellschaft erschwinglich und attraktiv. Beliebte Reiseziele waren unter anderem die in dieser Zeit aufkommenden Weltausstellungen sowie mondäne Kur- und Badeorte. Das 19. Jahrhundert war die große Zeit der Schifffahrts- und Eisenbahngesellschaften. Das Wort „tourist“ gelangte im 19. Jahrhundert über das Französische und Englische als Bezeichnung für eine Person, die zum Vergnügen reiste, auch in den deutschen Sprachgebrauch.[164] Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein bildeten Frauen unter den Touristen eine Minderheit, ab den 1860er Jahren entdeckten Reiseveranstalter zunehmend auch die Frauen als interessante Kundengruppe.[165]
Vergnügungsreisen und Kurorte
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verband das stetig wachsende Eisenbahnnetz alle großen europäischen Städte mit Kurorten wie Biarritz, Deauville, Vichy, Arcachon und der Côte d’Azur. Im Zuge der Erschließung dieser Regionen durch die Eisenbahn wurden auch zahlreiche Grand Hotels als Eisenbahnhotel von den damals meist privaten Eisenbahngesellschaften errichtet.
Mit der Eisenbahn wurden im 19. Jahrhundert mehr und mehr Gebiete erschlossen, so auch die Hochgebirge, die bis dahin nur den Alpinisten vorbehalten gewesen waren, die sich im 19. Jahrhundert vor allem aus Engländern rekrutierten.[166][167][168] Die Gebirge verloren nun auch für den normalen Bürger ihre bis dahin abschreckende Wirkung, nachdem sie mit der Eisenbahn zugänglich gemacht wurden. Die Alpen konnten 1854 erstmals mit der Semmeringbahn auf österreichischem Staatsgebiet überquert werden.[169]
Für Touristen wurde das Mittelmeer als Reiseziel zunehmend attraktiver, zunächst waren es vor allem Engländer, welche die milden Winter an der Côte d’Azur schätzten und ihre Freizeit dort verbrachten. Die am Mittelmeer gelegene Stadt Cannes avancierte ab 1834 zur „Winterhauptstadt Europas“[170] und gilt bis heute als „Treffpunkt der Reichen und Schönen“
1891 brach der deutsche Geschäftsmann Albert Ballin mit dem Schiff Augusta Victoria, welches für die Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) fuhr, von Hamburg aus ins Mittelmeer auf und veranstaltete mit dem Schnelldampfer, der von 1888 bis 1889 das größte deutsche Passagierschiff war, die allererste Kreuzfahrt. Das im Dezember 1900 von Blohm & Voss fertiggestellte Schiff Prinzessin Victoria Luise, welches ebenfalls für die HAPAG fuhr, galt als erstes Kreuzfahrtschiff der Welt, was den Beginn der Kreuzfahrtschiffsreisen markierte.[171]
In der Schweiz entwickelte sich während der Belle Époque der Tourismus zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig (siehe Tourismus in der Schweiz). Die Zahl der Hotels, insbesondere auch die der Grandhotels, stieg stark an. In den Voralpen und Alpen wurden zahlreiche Schmalspurbahnen und Bergbahnen gebaut, so z. B. die Strecken der Rhätischen Bahn und der Matterhorn-Gotthard-Bahn, die Pilatusbahn, die Gornergratbahn und die Jungfraubahn (siehe Liste von Bergbahnen in der Schweiz) (siehe Liste der Schmalspurbahnen in der Schweiz).
In Deutschland avancierte der Kurort Baden-Baden Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der renommiertesten Kurorte Europas. Um 1875 kam Bad Neuenahr als neues Heilbad hinzu.[172] Als Kurort hatte Bad Nauheim um 1900 Weltrang mit Tausende von Gästen.[173] Die Kur diente nicht nur gesundheitlichen Zwecken, sondern auch der Geselligkeit mit internationaler Prominenz. Die gewandelten hygienischen und ästhetischen Vorstellungen machten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Einrichtung neuer Badehäuser nötig. Unter der Leitung des Großherzoglichen Regierungsbauinspektors Wilhelm Jost entstanden zwischen 1901/1902 und 1912 einheitlich gestaltete Bade-, Kur- und Wirtschaftsanlagen. Zunächst erbaute Jost 1902 inmitten des Kurparks ein Inhalatorium. Hauptbauwerk der neuen Badeanlagen war der Sprudelhof. Zum Zeitvertreib wurden den Gästen in den mondänen Bädern auch Spielcasinos angeboten, so soll beispielsweise der Adel nach verbürgten Angaben in Baden-Baden jährlich eine Summe von 350.000 Gulden verspielt haben.[174]
1875 wurde von der Schweizer Fährengesellschaft Compagnie générale de navigation sur le Lac Léman (CGN) mit der Mont Blanc der erste Salonraddampfer auf dem Genfersee in Betrieb genommen. Zahlreiche Gemeinden rund um den See in der Schweiz und in Frankreich – wie Bellevue, Coppet, Évian-les-Bains, Genf, Hermance, Lausanne, Le Bouveret, Montreux, Nyon, Thonon-les-Bainsund Vevey – waren durch ein dichtes mit Schaufelradschiffen betriebenes Verkehrsnetz miteinander verbunden.
Das Dreikaisereck zwischen den Kaiserreichen Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland entwickelte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts zu einem touristischen Anziehungspunkt und damit auch zu einem Ansichtskartenmotiv.[175] Auf deutscher Seite entstanden in einem parkartig gestalteten Gelände mehrere Ausflugsgaststätten an Wanderwegen sowie 1907 ein 22 Meter hoher Bismarckturm in der Form des ersten Preises von 1899 von Wilhelm Kreis Götterdämmerung als Aussichtsturm.
Wer um 1900 allein oder mit seiner ganzen Familie verreisen wollte, brauchte vor allem eines; viele Koffer.[176] Der Beruf des Kofferträgers hatte dementsprechend Hochkonjunktur.
Ab 1871 verkaufte die Post zunächst Ansichts- und Glückwunschpostkarten, seit dem 1. Juli 1872 wurden in Deutschland auch private, nicht von der Post hergestellte Motivpostkarten zugelassen. Mit der Zunahme des Tourismus wurden ab 1896 auch die Ansichtskarten, nicht zuletzt durch die Verwendung mehrfarbiger Druckverfahren, zunehmend populär und fand schon bald große Verbreitung.
Hotels und Spielbanken
Im 19. Jahrhundert entstanden auch Hotels in der uns heute bekannten Form. In mondänen Badeorten entstanden Luxushotels, in denen vor allem der Adel und das Großbürgertum aber auch Künstler residierten. Das Wort Hotel geht auf die französische Bezeichnung für das Stadthaus des Adels („hôtel“) zurück. In seiner damaligen repräsentativen Architektur knüpften die Hotels an die Architektur dieser Adelspalais an.[177]
Das 1865 von Jean-Jacques Mayer eröffnete Luxushotel Beau-Rivage (französisch: schönes Ufer), am Quai du Mont Blanc direkt am Ufer des Genfersees gelegen, war Treffpunkt der Schönen und Reichen und erlangte auch durch den Tod der österreichischen Kaiserin Elisabeth traurige Berühmtheit. Die österreichische Kaiserin logierte inkognito als Gräfin von Hohenems in der heutigen Suite 119/120 des Hotels. Am 10. September 1898 wurde sie von dem Anarchist Luigi Lucheni mit einer Feile in Genf niedergestochen und erlag noch am selben Tag im Hotel Beau-Rivage, wohin man sie zwischenzeitlich gebracht hatte, ihren Verletzungen.
Das 1876 im 1. Wiener Gemeindebezirk Innere Stadt hinter der Wiener Staatsoper zunächst noch unter dem Namen Hôtel de l’Opéra eröffnete Hotel Sacher zählte von Beginn an zu den besten Adressen der Stadt Wien. Besitzer war Eduard Sacher, Sohn von Franz Sacher dem Erfinder der Sachertorte, der sich bereits als Gastronom einen Namen gemacht hatte. Vor dem Besuch der Oper genoss die feine Wiener Gesellschaft im Restaurant des Hotels die exquisite Küche oder traf sich in den legendären Séparées. Aber auch hochrangige Vertreter aus der Politik schätzten das stets diskrete Hotel und nutzten das Sacher für Besprechungen.
Am 5. Juni 1898 fand die feierliche Eröffnung des Hôtel Ritz an der Place Vendôme inmitten von Paris statt. Der Schweizer Hotelier César Ritz hatte das Anwesen im März 1897 erworben und ließ es durch den Architekten Charles Mewès auf den neuesten bautechnischen Stand bringen. Die vom Erbauer der Place Vendôme, Jules Hardouin-Mansart, errichtete Fassade blieb dabei erhalten. Einrichtung, Service und Ambiente im Stile des Art Nouveau boten der haute société höchste Qualität, für die später im Englischen das Wort ritzy als Synonym verwendet wurde. Der französischen Meisterkoch Auguste Escoffier wurde mit der Organisation der Küche betraut, deren Direktion er übernahm. Der Erfolg des Ritz war überwältigend, was auch an der mittlerweile festen Gourmet-Anhängerschaft Escoffiers lag, die ihm europaweit folgte.
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden nicht nur in den europäischen Metropolen, sondern auch an anderen Treffpunkten der zahlungskräftigen Gesellschaft zahlreiche weitere Grand Hotels. Diese wurden vor allem in Kurorten (Seebäder, Luftkurorte) oder an landschaftlich besonders reizvoll gelegenen Stellen wie Alpenpässen, Seeufern, Meeresküsten usw. errichtet. Die als Côte d’Azur bekannte französische Riviera wurde während der Belle Époque zu einem beliebten Urlaubsziel für die europäische Elite. Zahlreiche luxuriöse Hotels wurden in dieser Zeit gegründet oder ausgebaut:
- 1912 wurde das Hotel Negresco in Nizza direkt an der Uferpromenade Promenade des Anglais (deutsch Promenade der Engländer) eröffnet. Das Hotel entwickelte sich schnell zu einem beliebten Treffpunkt der gekrönten Häupter und des internationalen Geldadels.
- 1911 wurde das Hôtel Carlton in Cannes eröffnet. Es verfügt über eine beeindruckende Fassade und ist heute vor allem bekannt für seine Prominenz während des jährlichen Filmfestivals von Cannes.
- Das Hôtel de Paris in Monte-Carlo, Monaco neben dem berühmten Casino von Monte-Carlo wurde bereits in den 1860er Jahren gegründet und erlebte während der Belle Époque einen großen Aufschwung.
- Das Hôtel du Cap-Eden-Roc in Antibes ist ebenfalls ein Grand Hotel. Die „Villa Soleil“, so der ursprüngliche Name des Hauses, wurde 1863 als private Residenz und Refugium für Schriftsteller unter der Federführung von Auguste de Villemessant, dem Gründer der Tageszeitung Le Figaro, fertiggestellt. Im Februar 1870 öffnete das Haus seine Pforten als Hotel und ist bekannt für seinen legendären Pool, der in den Fels gemeißelt ist, sowie seine atemberaubende Lage mit Blick auf das Mittelmeer.
Das Suvretta House, ein 5-Sterne-Hotel in St. Moritz im Oberengadin im schweizerischen Kanton Graubünden, wurde 1912 als Belle-Époque-Hotel im Stil des späten Historismus erbaut. Am 16. Dezember 1912 fand die feierliche Einweihung mit 200 geladenen Gästen statt. Den anspruchsvollen Hotelgästen standen 250 Zimmer, 370 Betten, 110 Badezimmer, Räume für Bridge, Billard, Raucher und Teetrinker, sowie eine Bibliothek, ein Musikzimmer und ein prächtiger Speisesaal zur Verfügung.
Um das Jahr 1900 verzeichnete die damalige Weltkurstadt Wiesbaden die höchste Dichte an Grand-Hotels weltweit (ca. 30 bei ca. 100.000 Einwohnern).
Orient-Express
Seit 1883 verkehrte der Orient-Express der Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL) vom Pariser Gare de l’Est nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Da Konstantinopel anfangs noch nicht durchgängig per Schiene erreichbar war, mussten zunächst noch Fähr- und Schiffsverbindungen benutzt werden, um das Ziel zu erreichen. Der Orient-Express fuhr in den ersten Jahren nur bis in die rumänische Stadt Giurgiu an der Donau. Dort mussten die Reisenden die Donau überqueren und mit einem einfachen Zug bis nach Warna weiterreisen, um von dort mit dem Schiff nach Konstantinopel übersetzen zu können. Ab Sommer 1889 bestand schließlich eine durchgehende Verbindung über Süddeutschland, Wien, Budapest und Sofia nach Konstantinopel. Für die Fahrt mit dem Orient-Express wurden rund 80 Stunden benötigt.[178]
Der luxuriös eingerichtete Zug wurde von den jeweils modernsten Dampflokomotiven der damaligen Zeit gezogen und setzte sich aus Speisewagen, Schlafwagen und Gepäckwagen zusammen, die aus stabilem Teakholz gefertigt waren. Für die Innenausstattung der einzelnen Wagen wurden nur feinste Materialien wie Genueser Samt, Cordoba-Leder und Gobelin verwendet. Für die Beleuchtung im Wageninneren sorgten vierarmige Gas-Kronleuchter. Die Passagiere dinierten im prächtigen Speisewagen an weiß gedeckten Tischen mit glänzendem Silberbesteck, Kristallglässern und Geschirr aus Porzellan.
Über eine Strecke von mehr als 3000 km verband der Orient-Express verschiedene europäische Länder mit teilweise unterschiedlichen politischen Systemen und Interessen und entwickelte sich rasch zu einer schnellen intereuropäischen Verkehrsverbindung. Zu den Fahrgästen zählten viele bekannte Adlige, Politiker, Diplomaten, Industrielle, Bankiers aber auch zahlreiche Künstler der Zeit.
Schiffsreisen
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es zu einem Boom bei Schiffsreisen. Während das betuchte Bürgertum luxuriöse Kreuzfahrten unternahm, machten sich Millionen von Auswanderern aus unterschiedlichsten Gründen auf den Weg nach Amerika, um dort ihr Glück zu finden. Es waren daher vor allem die Passagiere der Dritten Klasse, die zur Rentabilität der Ozeandampfer beitrugen. Für die Schifffahrt und den Handel insgesamt wirkte sich auch die Eröffnung Suezkanals 1869 äußerst positiv aus, da die Schifffahrtsrouten zwischen Europa und Asien nun deutlich verkürzt wurden. Bis 1880 entstand ein Netz von Dampfschifffahrtsrouten, welches Häfen auf allen Kontinenten verlässlich erreichbar machte. Die neuen Ozeandampfer waren sicherer als die bis dahin eingesetzten Segelschiffe und konnten, da sie sie vom Wind unabhängig waren, regelmäßig verkehren, so dass es nun erstmals auch im Fernverkehr zu Wasser Fahrpläne gab. Das Dampfschiff verband die Kontinente schnell und zuverlässig und wurde somit zur wichtigsten Globalisierungstechnologie dieser Epoche.[179]
Orientbegeisterung
Der orientalische Stil erfreute sich großer Beliebtheit und hielt Einzug in das Ambiente großbürgerlichen Wohnens. Die damalige Orientbegeisterung durchdrang zahlreiche Bereiche des ästhetischen wie kulturellen Lebens der großbürgerlichen Gesellschaft und betraf sowohl den Wohnstil, als auch die Kleidung. Badeanstalten und Thermalbäder der damaligen Zeit wurden im türkischen Stil ausgestattet. Die Nachahmung orientalischen Ambientes bei großbürgerlichen Ausstattungen erlebte in den 1880er Jahren in Europa ihren Höhepunkt.[180]
Die in dieser Zeit stattfindenden Weltausstellungen vermittelten ihren Besuchern exotischen Flair und entsprechende Anregungen, so erregte die Weltausstellung von 1867 in Paris, auf der sich Marokko, Tunesien und Ägypten präsentierten, eine wahre Begeisterung für das „orientalische Viertel“, auch auf der Weltausstellung 1873 in Wien wurde bewusst viel Exotik geboten.[181]
Exotische Kostümfeste im Stil der legendären Ballett Russes waren in der großbürgerlichen Gesellschaft äußerst beliebt. Das zu dieser Zeit aufkommende Orientfieber belebte auch die Mode. Die bunten Farben für die Stoffe der Gewänder und die federngeschmückten Turbane waren größtenteils den neuentwickelten industriell hergestellten Teerfarben der BASF in Ludwigshafen zu verdanken, ohne die eine solche Farbenvielfalt nicht möglich gewesen wäre.[182] Die Farbentwicklung bei der BASF reicht von Teerfarben bis zur Herstellung von „Indigo rein BASF“ ab 1897. Noch heute findet der blaue Farbstoff für die Fertigung von Blue Jeans Verwendung.
Für all diejenigen, die sich keine Reisen in fremde Länder leisten konnten, vermittelten in Deutschland die Romane und Reisebeschreibungen des Schriftstellers Karl May eine bildreiche Vorstellungen von der exotischen Welt. Zwischen 1881 und 1888 verfasste Karl May lediglich anhand von Zeitungsartikeln und Reiseführern einen sechsbändigen Orientzyklus, ohne den Orient bis dahin jemals selbst bereist zu haben. Bis 1900 wuchsen seine Reiseerzählungen auf 27 Bände an.
Fotografien vermittelten Eindrücke von fernen exotischen Ländern. Für betuchte Reisegesellschaften standen bereits damals in den entlegensten Winkeln der Erde Fotografen bereit. Die dort gemachten Fotos dienten nicht nur der Erinnerung, sondern weckten, vor allem bei den Daheimgebliebenen, die Sehnsucht nach fremden Ländern und Kulturen.
Vergnügungen in Paris und anderswo
Die „Belle Époque“ war städtisch und Pariserisch.[183] Paris hatte sich trotz der industriellen Entwicklung einen ländlichen Charme bewahrt: In den Dörfern von Montmartre oder Belleville, an den Ufern der Marne oder in den Vororten mit ihren Gärtnereien, die jenseits der alten Stadtbefestigung lagen, war das Land nicht weit entfernt. Es war auch ein Paris, das ohne seine verschiedenen „Annexe“ - die Badeorte Aix-les-Bains, Deauville, La Baule, Vichy, Biarritz, Monte Carlo und Cannes, „die mondäne Stadt“ - nicht existieren konnte. In den 1880er Jahren wurde Dinard zum ersten Seebad Frankreichs.
Die französische Phrase „Belle Époque“ erinnert an die unbekümmerte und frivole Welt der High Society, an das fröhliche Leben in den Salons, an Weltläufigkeit und Savoir-vivre. Das Publikum ging ins Theater, in die Oper, tanzte Cancan im Moulin Rouge und speiste mit Champagner im Maxim’s; die Männer trugen Zylinder und Nelken im Knopfloch, die Frauen weite Röcke und opulente Hüte.
Für viele Menschen der unteren Gesellschaftsschichten wie Arbeiter und Bedienstete gab es allerdings bei 3 bis 6 Urlaubstagen im Jahr und 10 Stunden Arbeit pro Tag sowie beengten Wohnverhältnissen kaum Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Die Zeit reichte meist nur, sich am Abend in das Vergnügen der Großstadt mit ihren Kinos und Varietés zu stürzen. Auch andere Freizeitvergnügen gewannen in den Städten zunehmend an Attraktivität: das Schaufensterbummeln entlang der neuentstandenen Kaufhauspaläste, der Besuch von Cafés, Cabarets, Varietés und Bordellen.[184]
Flanieren
Der Flaneur bezeichnet eine literarische Figur, die durch Straßen und Passagen der Großstädte mit ihrer anonymen Menschenmasse streift (flaniert). Hier bietet sich ihm Stoff zur Reflexion und Erzählung. Der Flaneur lässt sich durch die Menge treiben, schwimmt mit dem Strom, hält nicht inne, grüßt andere Flaneure obenhin. Der Flaneur ist intellektuell und gewinnt seine Reflexionen aus kleinen Beobachtungen. Er lässt sich sehen, aber sieht auch, wenngleich mit leichter Gleichgültigkeit (von Georg Simmel in seinem Aufsatz Die Großstädte und das Geistesleben treffend als Blasiertheit identifiziert). Der Flaneur in all seiner Dandyhaftigkeit stellt ein wichtiges Thema der – vor allem weltstädtischen – individualisierten Kunst dar, auch der Lebenskunst.
Cafés und Restaurants
Im Paris der Belle Époque erlebten Cafés und Restaurants eine Blütezeit:
- Das Café de la Paix (Café des Friedens) ist das älteste erhaltene und renommierteste Café von Paris. Es befindet sich im 9. Arrondissement und wurde 1862 eingeweiht. Die mondäne Eröffnung des Cafés durch die Kaiserin Eugénie (Gattin Napoleon III.) mit Musik und Jacques Offenbach als Dirigent fand statt, noch bevor die nahegelegene Oper ihre Kuppel erhalten hatte. Zur Zeit der Eröffnung ging die radikale Stadterneuerung von Baron Haussmann gerade zu Ende.
- Das Café de Flore wurde 1887 im Quartier Saint-Germain-des-Prés des 6. Arrondissements in Paris eröffnet. Es wurde später ein beliebter Treffpunkt von Literaten und Intellektuellen und verdankt seinen Namen einer Skulptur der Göttin Flora, die auf der anderen Straßenseite stand.
- Das Café Les Deux Magots, dessen „zwei Händler“ als hölzerne, fast lebensgroße und aufwendig gestaltete chinesische Sitzfiguren den Gastraum des Cafés schmücken, war 1812 ursprünglich eine Handelsniederlassung für fernöstliche, vorwiegend chinesische Kunstgewerbeartikel und zog 1873 aus Platzgründen von der Rue de Buci 23 an den Saint-Germain-des-Prés-Platz 6. Aus dieser Zeit stammen auch die beiden chinesischen Sitzfiguren. Um 1885 wurde das Lager unter Beibehaltung des Firmenemblems in ein Café und Likörlokal mit dem Namen Aux Deux Magots umgewandelt. Dichter und Schriftsteller dieser Zeit wie Paul Verlaine, Arthur Rimbaud, Stéphane Mallarmé, Oscar Wilde und andere trafen sich dort und gaben dem Lokal seine erste Berühmtheit.
- La Closerie des Lilas war nach der Eröffnung 1883, ähnlich wie das Café de la Rotonde und Café du Dôme sowie das Kabarett Le Lapin Agile ein bekannter Treffpunkt von Künstlern und Schriftstellern.
- Am 7. April 1893 eröffnete der Kellner Maxime Gaillard in Paris (8. Arrondissement) das Restaurant Maxim’s, das bis heute existiert.
Die Bohème
Das Stadtviertel rund um den Place de l’Europe in Paris entwickelte sich ab den 1870er Jahren zu einem beliebten Künstlerviertel. Édouard Manet, der in der Rue de Saint-Pétersbourg lebte, malte 1872/73 das Bild Die Eisenbahn, ein Blick auf die Bahngleise an der Rue de Rome. 1878 schuf er zudem mehrere Ansichten der Rue Mosnier (heute Rue de Berne). Der Place de l’Europe wiederum wurde von Gustave Caillebotte in verschiedenen Gemälden festgehalten. Auch sein Gemälde Straße in Paris an einem regnerischen Tag fand in der Rue de Turin sein Vorbild im Quartier de l’Europe. Von Claude Monet stammte eine Reihe von Ansichten des Bahnhofs Saint-Lazare. Darüber hinaus malte er mehrere Ansichten des Parc Monceau.
Die Bohème als Subkultur großstädtischer junger Künstler und Intellektueller – insbesondere solcher des Pariser Quartier Latin – in einem Kontext von Armut, Hunger, Wertschätzung der Freundschaft, Idealisierung der Kunst und Geringschätzung des Geldes ist ebenfalls eng mit der heutigen Vorstellung der Belle Époque verbunden.
Während der Belle Époque debütierten viele später bekannte Künstler in den Folies Bergère: Liane de Pougy (1884), Loïe Fuller (1892), La Belle Otéro (1894), Paul Lincke (1897), Saharet (1897), Cléo de Mérode (1901), Charles Chaplin (1907), Maurice Chevalier (1909), Mistinguett (1911), Stan Laurel (1911), W. C. Fields (1911?) und Grock (1912).
Das Ölgemälde Un bar aux Folies Bergère von Édouard Manet entstand einige Monate vor dem Tod des Künstlers im Frühjahr 1883 und zeigt eine Szene im Pariser Nachtclub Folies Bergère. Im Bildmittelpunkt ist die Bardame Suzon zu sehen, die allein in einem Raum voller Menschen steht, die sich amüsieren, während sie selbst den Blick des Betrachters nicht erwidert und ihr melancholischer, geistesabwesender Gesichtsausdruck im auffälligen Kontrast zu dem ausgelassenen Treiben um sie herum steht. Alle übrigen Personen, vornehm gekleidete Männer mit Zylindern und Frauen mit großen Hüten, werden lediglich im Spiegel als Hintergrund dargestellt. Im Spiegelbild erscheint Suzon leicht vorgeneigt und ihrem Beruf entsprechend dem Gast im Spiegel aufmerksam zugetan. Spiegelbild und Realität des Gemäldes stimmen jedoch nicht überein. Manet zeigt die Frau vielmehr von zwei Seiten und gegenüber dem Betrachter auf zwei verschiedenen Wirklichkeitsebenen, als Barfräulein einerseits und als einsamer Mensch andererseits, wodurch die Kluft zwischen Schein und Sein thematisiert und durch die Nutzung des Spiegels als wesentlichen Bildelement noch verstärkt wird. Das Gemälde „Bar in den Folies Bergère“ kann somit auch als gesellschaftskritisches Kunstwerk gewertet werden. Von einzelnen Autoren wird das Bild als Mikrokosmos der damaligen bürgerlichen Gesellschaft interpretiert und diese kritisiert: Auf der einen Seite die arbeitende Klasse, die ihren Lebensunterhalt ohne Lebensfreude verdienen muss und auf der anderen Seite das gehobene Bürgertum, das sich ungehemmt vergnügt.
In Montmartre trat der französische Kabarettsänger, Komödiant und Nachtklubbesitzer Aristide Bruant in Café-Konzerten unter anderem im berühmten Klub Le Chat Noir auf. Berühmt berüchtigt war er für seine Beleidigungen seines zumeist bourgeoisen Publikums, für die jedoch offensichtlich gerade darin ein großer Reiz lag. Bekannt wurde Aristide Bruant auch durch die Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec, auf welchen er als Mann im roten Schal und schwarzen Mantel zu sehen ist
Die US-amerikanische Schriftstellerin Natalie Clifford Barney kam 1898 als finanziell unabhängige Millionenerbin von Washington nach Paris und begründete in der Rue Jacob ihren Literarischen Salon. Sie verstand sich darauf, die Gesellschaftswelt von Marcel Proust und die der Lost Generation zu vermitteln. Viele Besucher kamen sowohl in ihren Salon als auch in den von Gertrude Stein, die 1903 ebenfalls aus den Vereinigten Staaten kommend, in Paris einen Salon eröffnete.
In Paris wurde 1894 im Varietétheater Divan Fayounau der erste Striptease professionell getanzt. Die Künstlerin erhielt wegen ihrer Vorführung später eine Geldstrafe.
Absinth als Getränk der Künstler und Literaten
Der Genuss von Absinth ist bis heute eng mit der französischen Kunstszene der Belle Époque verbunden. So schreiben Hannes Bertschi und Marcus Reckewitz: „Es scheint, als sei die gesamte europäische Elite der Literatur und der bildenden Künste im Absinthrausch durch das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert getorkelt.“[185]
Neben Künstlern wie Camille Pissarro und Alfred Sisley gehörte auch Henri Toulouse-Lautrec zu den bekannten Absinthtrinkern der damaligen Zeit. Er selbst porträtierte seinen Malerkollegen Vincent van Gogh 1887 in einem Café mit einem Glas Absinth. Im selben Jahr entstand auch Vincent van Goghs Stillleben mit Absinth. Ein Beleg für die Verbreitung des Getränkes außerhalb von Paris ist auch sein in Arles entstandenes Gemälde Nachtcafé an der Place Lamartine, das ebenso wie Paul Gauguins Dans un café à Arles Barbesucher beim Absinthkonsum zeigt. Auch Pablo Picasso wählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts wiederholt Absinthtrinker als Motiv.
Blütezeit von Kunst und Kultur
Die Belle Époque war eine Zeit kultureller Blüte und künstlerischer Vielfalt in Europa. Es entwickelten sich eine Vielzahl neuer Stile und übergreifender Strömungen, welche Tanz und Musik, Literatur und Theater sowie die Bildende Kunst in dieser Periode tiefgreifend veränderten und bereicherten: Naturalismus (Literatur, Theater), Impressionismus (Musik, Literatur), Postimpressionismus, Symbolismus (Literatur), Fauvismus und Expressionismus (Musik, Literatur, Architektur).
Verschiedene Faktoren führten zur Entstehung zahlreicher unterschiedlicher künstlerischer und kultureller Entwicklungen in dieser Epoche:
- Mit dem Wachsen der Städte kam es zu neuen sozialen Dynamiken und Herausforderungen.
- Die Erfindung und Popularisierung der Fotografie veränderte die bildende Kunst grundlegend und führte in der Malerei zu einer Abwendung von realistischen Darstellungen und zur Suche nach neuen Ausdrucksformen.
- Mit der Erfindung von Film und Kino entstand ein neuartiges Medium und eine neue Kunstgattung.
- Die fortschreitende Industrialisierung führte zu sozialen Umwälzungen und zur Entstehung politischer Bewegungen, die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzten. Soziale Spannungen spiegelten sich daher oft auch in der Kunst wider. Ereignisse wie Eisenbahnunfälle wurden in Literatur und Film thematisiert.
- Entwicklungen in der Psychologie, insbesondere die Arbeiten von Sigmund Freud, beeinflussten Literatur und Kunst und führten zu einem verstärkten Interesse an der menschlichen Psyche und den menschlichen Emotionen.
- Die europäischen Mächte besaßen weltweit Kolonien. Der Kontakt mit anderen Kulturen und künstlerischen Traditionen beeinflusste und veränderte dadurch auch die europäische Kunst.
- Neue Bewegungen waren oft eine Reaktion und Ausdruck auf oder eine Ablehnung einer vorherigen Bewegung: der Impressionismus war eine Abkehr vom Akademismus, der Post-Impressionismus entwickelte sich wiederum teilweise als Reaktion auf die Grenzen des Impressionismus.
Die Belle Époque war eine Zeit des ständigen Experimentierens und der Suche nach neuen Ausdrucksformen in den Künsten und wurde dabei angetrieben von tiefgreifenden Veränderungen und Umwälzungen in Gesellschaft, Technologie und Wissenschaft.
Lebensphilosophie
Anfang der 1880er Jahre publizierte der deutsche Philosoph und klassische Philologe Friedrich Nietzsche das dichterisch-philosophische Werk Also sprach Zarathustra. Aus Sicht Zarathustras waren vor Gott alle Menschen gleich. Mit dem Tod Gottes aber sind nur noch vor „dem Pöbel“ alle Menschen gleich. Darum ist der Tod Gottes eine Chance für den Übermenschen.
Der deutsche Philosoph und Kulturhistoriker Wilhelm Dilthey sah sich 1887 vor den „Trümmern der Philosophie“: Die „Systeme der Metaphysik sind gefallen“, sagte er in seiner Antrittsrede in der Akademie der Wissenschaften. Der deutsche Idealismus habe mit Fichte, Schelling und Hegel den „letzten großartigen Versuch des menschlichen Geistes“ dargestellt, sich jedoch als nicht haltbar erwiesen.
In diesem Zusammenhang bestimmte Dilthey programmatisch drei Aufgaben für eine neue Philosophie:
- Auch die positiven Wissenschaften haben ungeklärte Voraussetzungen, die es zu untersuchen und zu sichern gilt.
- Der Philosophie kommt die Aufgabe zu, den Zusammenhang der Einzelwissenschaften zu klären. Dies kann nicht durch diese selber geschehen, denn dann ergäbe sich höchstens eine hierarchische Konzeption, welche Dilthey ablehnte.
- Die Philosophie muss Lebensphilosophie werden, wenn sie die gescheiterte Metaphysik zurückweist. Ansätze hierfür sah Dilthey im Werk Nietzsches, Richard Wagners, Tolstois und Schopenhauers. So „wie der scholastische Denker die Fähigkeit entwickelt, lange Reihen von Schlüssen zu überblicken, […] so bildet sich in ihnen das Vermögen, die geheimen Gänge, in denen die Seele dem Glück nachgeht […] zur Darstellung zu bringen.“ Jedoch haben die genannten Autoren immer nur einzelne Momente und Einsichten herausgegriffen und verabsolutiert, womit sie sich wieder zu „Genossen der Metaphysik“ machten. Ihre Lebensphilosophie mag in ihren Grenzen richtig sein, wird jedoch ganz falsch, sobald sie „ihren Winkel für die Welt hält“. Dilthey verstand seine Form von Lebensphilosophie daher nicht als eine, welche konkrete Aussagen trifft, sondern durch Vergleichung und geschichtliche Betrachtung der mannigfaltigen Entwürfe aus dem Relativen das Allgemeingültige extrahiert.
Der französische Philosoph Henri Bergson publizierte 1896 das Buch Matière et mémoire, in dem er auch die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung berücksichtigte. Er entwickelte wie Nietzsche und Dilthey die Lebensphilosophie[186] als Gegenentwurf zum Positivismus und zum Neukantianismus.
Tanz und Ballett
Dem Tanz galt in der Belle Époque eine besondere Aufmerksamkeit, sowohl in der Gesellschaft als auch auf der Bühne und in der Kunst. Die Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit ihrem rasanten Tempo voller technischer Entwicklungen, sich verändernden Lebensformen und sozialer Gegensätze wird heute oft mit einem „Tanz auf dem Vulkan“ verglichen[187]. Viele Künstler dieser Zeit litten an der Modekrankheit Neurasthenie und strebten nach künstlerischer Erneuerung. Neue Entwicklungen zeichneten sich dabei im modernen Ausdruckstanz der Amerikanerinnen Loïe Fuller (1862–1928) sowie Isadora Duncan (1877–1927) ab. Die US-amerikanische Tänzerin und Choreografin Duncan war die Wegbereiterin des modernen sinfonischen Ausdruckstanzes und entwickelte ein neues Körper- und Bewegungsempfinden, das sich am griechischen Schönheitsideal orientierte. Sie setzte als Erste klassische Konzertmusik tänzerisch um. Als Gegnerin des klassischen Balletts versuchte sie, den Tanz der Antike wiederzubeleben.
Die Ballets Russes wurden 1909 von dem russischen Impresario Sergei Djagilew gegründet und gelten als eines der bedeutendsten Ballettensembles des 20. Jahrhunderts. Die Ballets Russes machten den Balletttänzer Vaslaw Nijinsky (1888–1950) berühmt, etablierten die moderne Balletttechnik und brachten mehrere Meisterwerke des Balletts auf die Bühne, darunter Der Feuervogel und Das Frühlingsopfer.
Tänzerinnen und Tänzer revolutionierten die Tanzkunst in dieser Zeit nachhaltig und animierten gleichzeitig Künstler wie den französischen Maler Toulouse-Lautrec zu künstlerischen Darstellungen aus der Welt des Tanzes. In der geschwungenen und verspielten Formensprache des Jugendstils fanden die ausdrucksstarken Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer ihren Niederschlag und dienten dabei teilweise als Vorlage. Die Bronzelampe von François-Raoul Larche in Gestalt der Tänzerin Loïe Fuller, die mit ihren eindrucksvollen Schleiertänzen damals ganz Paris begeisterte, gilt als eine der Ikonen des Jugendstils.
Vaslav Nijinsky choreographierte das Ballett L’Après-midi d’un faune, das auf Stéphane Mallarmés Gedicht L’Après-midi d’un faune basierte und am 29. Mai 1912 im Pariser Théâtre du Châtelet uraufgeführt wurde. Das Stück nutzte die symphonische Dichtung Prélude à l’après-midi d’un faune von Claude Debussy aus dem Jahr 1894 als musikalische Begleitung. Wie andere Werke Nijinskys hatte es heftige ästhetische Auseinandersetzungen zur Folge. Mallarmés Dichtung und Debussys Vertonung sowie Nijinskys Ballett nehmen eine zentrale Stellung in ihrer jeweiligen Kunstgattung und in der Entwicklung der künstlerischen Moderne ein.
Auguste Perret errichtete von 1911 bis 1913 das ursprünglich von Henry van de Velde konzipierte Théâtre des Champs-Élysées in Paris. Die Premieren des Ballets Russes unter dem Choreografen Vaslav Nijinsky (Jeux von Claude Debussy am 15. Mai 1913 und in größerem Maße Le sacre du printemps von Igor Stravinsky zwei Wochen später) gelten als Beginn der Ballettmoderne.
Von 1895 bis 1905 avancierte der Cakewalk auf der Grundlage von Ragtime-Musik zu einem bekannten Modetanz.
Am 15. Januar 1895 wurde die bis heute maßgebliche Inszenierung von Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Ballett Schwanensee des kaiserlichen Balletts in der Choreographie von Marius Petipa und Lew Iwanow am Mariinski-Theater in Sankt Petersburg erstmals aufgeführt.
Musik, Oper und Operette
Die Belle Époque war eine Zeit intensiver musikalischer Experimente und Innovationen, die von den traditionellen spätromantischen Stilen bis zu den avantgardistischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts reichte. Jedes Land hatte eigene charakteristischen Beiträge und Stilrichtungen, die zu einer lebhaften und vielfältigen musikalischen Landschaft beitrugen. Die Belle Époque war von der Salonmusik geprägt, vor allem von kurzen Stücken, die für ein allgemeines Publikum gedacht waren. Der Walzer erlebte ebenso wie die Operette eine Blütezeit und Komponisten wie Johann Strauß III, Emmerich Kálmán und Franz Lehár einen Höhepunkt ihrer Popularität.
Der südafrikanisch-britische Violinist Daniel Hope versuchte 2020, mit dem Album Belle Époque die Stimmung dieser Epoche musikalisch einzufangen. So habe es, laut Daniel Hope, Komponisten gegeben, die sich weigerten, nach vorne zu schauen und solche wie Alban Berg und Anton Webern, die den Aufbruch zelebriert hätten. Auch in der Musik seien die Spannungen der Epoche zum Ausdruck gekommen und er, Daniel Hope, bilde sich ein, dass man das in jedem Takt höre.[188]
Frankreich
In Frankreich waren es Komponisten wie Claude Debussy mit Prélude à l’après-midi d’un Faune (1894) und La mer (1905) sowie Maurice Ravel mit Pavane pour und infante défunte (1899) und Gaspard de la nuit (1908), die den Impressionismus in der Musik etablieren konnten. Der Komponist Erik Satie gilt als Vorläufer der Minimal Music. In den 1880er Jahren galt Camille Saint-Saëns als größter Musiker Frankreichs und erlangte vor allem durch seine „große zoologische Fantasie“ Karneval der Tiere und die Oper Samson et Dalila Bekanntheit.
Österreich und Deutschland
In Österreich und Deutschland waren Komponisten wie Gustav Mahler (2. Sinfonie (1895), Symphonie der Tausend (1906)) Richard Strauss (Also sprach Zarathustra, Salome) sowie Arnold Schoenberg (Verklärte Nacht (1899) und Pierrot Lunaire (1912)) führend in der Romantik, Spätromantik sowie der Zweiten Wiener Schule und der Zwölftontechnik. Die lustige Witwe von Franz Lehár, eine Operette in drei Akten mit dem Libretto von Victor Léon und Leo Stein nach Henri Meilhacs Lustspiel L’attaché d’ambassade, wurde 1905 mit Mizzi Günther und Louis Treumann in den Hauptrollen am Theater an der Wien in Wien uraufgeführt. Das Stück, das als Hauptvertreter der sogenannten „Silbernen Operettenära“ gilt, wurde zu Lehárs erfolgreichsten und bekanntesten Operette. In der Operette Die lustige Witwe ist das Maxim’s in Paris einer der Handlungsorte. Bekannt wurde dabei vor allem das Lied Da geh’ ich zu Maxim.
Russland
Russische Komponisten suchten Inspiration in der russischen Volksmusik, Geschichte und Literatur, um eine eigenständige nationale Identität in der Musik zu schaffen. Viele russische Komponisten wurden auch von der europäischen Romantik beeinflusst, die sich durch Emotionalität, Individualität und ein Streben nach dem Unendlichen auszeichnete. Komponisten wie Pjotr Iljitsch Tschaikowski (Der Nussknacker,1892; Schwanensee, 1877), Sergei Rachmaninoff (Die Toteninsel, 1909), Modest Mussorgski (Bilder einer Ausstellung,1874) und Nikolai Rimski-Korsakov (Das Märchen vom Zaren Sultan, 1900) prägten die russische Musik in der Belle Époque.
Die Oper Boris Godunow von Modest Mussorgsky nach Motiven des gleichnamigen Dramas von Alexander Sergejewitsch Puschkin wurde 1874 im Mariinski-Theater in Sankt Petersburg uraufgeführt. Diese Oper wurde als "musikalisches Volksdrama" (Mussorgsky) zu einem Symbol für den russischen musikalischen Nationalismus.[189]
England
In England war es der englische Komponist Edward Elgar der mit den Enigma Variations (1899) und mit den Pomp and Circumstance Marches (1901) die Musikszene für sich einnehmen und begeistern konnte. Vor allem der Mittelteil seines bekanntesten Werkes, der Pomp and Circumstance March No. 1, der auch als Hymne Land of Hope and Glory weltbekannt ist, gilt bis zum heutigen Tag als die wichtigste inoffizielle Hymne des Vereinigten Königreichs. Das Stück bildet zusammen mit dem patriotischen Lied Rule, Britannia! den Höhepunkt der alljährlich stattfindenden Last Night of the Proms. Das erste Konzert der Proms fand am 10. August 1895 in der Queen’s Hall am Londoner Langham Place statt. Die bis heute alljährlich stattfindende Konzertreihe mit täglichen klassischen Konzerten zwischen Juli und September, wurde von Robert Newman initiiert, um Menschen anzusprechen, die sich normalerweise nicht für klassische Konzerte interessierten. Sowohl günstige Kartenpreise als auch eine zwanglose Atmosphäre bei den Konzerten, so waren Essen, Trinken und Rauchen ausdrücklich erlaubt, sollten die Menschen von einem Konzertbesuch überzeugen.
Italien
In Italien etablierte sich Giacomo Puccini als einer der wichtigsten Opernkomponisten des Verismo, der mit seinen Werken La Bohème (1896), Tosca (1900) und Madama Butterfly (1904) die Musik der Belle Époque prägte. Neben Puccini waren Ruggero Leoncavallo und Pietro Mascagni weitere wichtige Vertreter des Verismo. Die stilistische Bandbreite der Verismo-Opern ist groß. Eine Gemeinsamkeit besteht in der realistischen Handlungen, die im niederen sozialen Milieu spielt und mit einem gewaltsamen Höhepunkt endet. Die Schauplätze der Handlung sind im ländlichen, exotischen und später auch im großstädtischen Raum verortet. Zudem besteht eine Tendenz zur knappen, lakonischen Form. Frühe Verismo-Opern sind oft Einakter. Die Katastrophe, der Wendepunkt der Handlung, wird durch ein instrumentales Intermezzo von der vorhergehenden Handlung abgetrennt.
Militärmusik
Die Militärmusik erlebte während der Belle Époque in vielen europäischen Ländern ebenfalls eine Blütezeit. Neben der oft ausschließlich damit assoziierten Marschmusik umfasst Militärmusik auch feierliche Musik mit religiösem Charakter (Choräle), Marschgesänge sowie Unterhaltungs- und Tanzmusik. Die Besetzungen der Militärorchester, die Professionalisierung der Musiker und die Ausweitung des Repertoires wurden vorangetrieben. Viele Militärkapellen konnten im Ballsaal oder in kleineren Räumen auch als Streichorchester auftreten. Es wurde üblich, dass Violinisten auch Saxophon spielten. Die Militärkapellen machten den Tanzkapellen zunehmend Konkurrenz. Es fanden Musikwettbewerbe und Festivals statt, bei denen Militärorchester aus verschiedenen Ländern teilnahmen und ihre Fähigkeiten zeigten. Diese Ereignisse trugen zur Popularität der Militärmusik bei und förderten nationale Gefühle und Patriotismus.
Literatur und Theater
In der Belle Époque wandelte sich die europäische Literatur grundlegend. Der literarische Realismus und der literarische Naturalismus erreichten ihren Höhepunkt. Zu deren bekanntesten französischen Vertretern gehören Émile Zola mit Nana (1880), Germinal (1885) und La Bête humaine (1890). Die Literatur dieser Periode erstreckte sich vom Naturalismus über den Impressionismus und Symbolismus zum Expressionismus (Émile Zola, Guy de Maupassant, Marcel Proust, Anton Tschechow, Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, Rainer Maria Rilke).
Dekadenzdichtung (französisch décadence „Verfall“) ist die vage und umstrittene Bezeichnung für eine Vielzahl an literarischen Strömungen und Einzelwerken um die Jahrhundertwende (1900), deren Gemeinsamkeit in ihrer entschiedenen Ablehnung des Naturalismus liegt. Allgemeines Kennzeichen ist eine subjektivistisch-ästhetizistische Kunst- und Weltanschauung, die zu einer bewusst anti-bürgerlichen, anti-moralischen, anti-realistischen und anti-vitalen Selbstbestimmung führt und als Überfeinerung wahrgenommen wird. Diese Überfeinerung wurde als Symptom einer Zeit kulturellen Verfalls (vgl. Dekadenz) gedeutet und spätestens seit Friedrich Nietzsche zum Gegenstand einer polemischen Zeitkritik. Die Bezeichnung Décadence wurde von dem französischen Dichter Paul Verlaine eingeführt. Dieser sagte von sich selbst: „Je suis l’Empire à la fin de la Décadence.“ Dies heißt: „Ich bin das Reich am Ende der Dekadenz.“ Mit Reich ist die Epoche von Beginn des ersten französischen Kaiserreichs unter Napoléon Bonaparte bis zum Ende des zweiten Kaiserreichs unter Napoléon III. gemeint, das 1870 im Krieg gegen Deutschland unterlag. Während vor allem in der französischen Literaturszene die Sensibilität von Dichtern wie Charles Baudelaire gegenüber dem Sublimen, Rauschhaften, Stimmungsvollen und Morbiden zeitweise gefeiert wurde, veranschaulicht Nietzsche in Der Fall Wagner (1888) sein Negativurteil über eine moderne „Nervenkunst“ als Erschöpfung und Auflösung.
Frankreich
Seit 1877 veranstaltete der französische Schriftsteller Stéphane Mallarmé seine Mardis (Dienstagstreffen), bei denen er über Jahre hinweg junge Dichter wie Émile Verhaeren, Maurice Maeterlinck, Oscar Wilde, Joris-Karl Huysmans, Paul Valéry, André Gide, W. B. Yeats, Rainer Maria Rilke und Stefan George in seiner Privatwohnung in der Rue de Rome empfing. 1878 lernte er Victor Hugo kennen. Sein Schüler Paul Valéry sagte: „Mallarmé lebte für einen ganz bestimmten Gedanken: Er war besessen von der Vorstellung eines absoluten Werkes, das für ihn das höchste Ziel, die Rechtfertigung seines Daseins, den einzigen Zweck und den einzigen Sinn des Weltalls bedeutete.“[190] Seine Zweifel an der herkömmlichen Funktion von Sprache ließen Mallarmé zum Wegbereiter der modernen Lyrik werden. Viele seiner Ideen wurden später von Vertretern des Dadaismus, Surrealismus, Futurismus und Dekonstruktivismus (etwa Jacques Derrida) wieder aufgegriffen.
Guy de Maupassant war ein Meister der kurzen Erzählform. Geschichten wie Der Schmuck (1884) und Bel-Ami (1885) bieten scharfsinnige Beobachtungen über die menschliche Natur und die Gesellschaft. Maupassant schrieb den Großteil seines Werks in einer Epoche mit eingeborenem Pessimismus, der an den Schwierigkeiten des Daseins wuchs.[191][192] Pessimismus und Resignation wurden vertieft durch den verlorenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71[193] und durch den Einfluss des Werks von Arthur Schopenhauer mit dessen Verdammtheit zum Leiden. „Der Mensch ist nach Maupassant kein moralisch handelndes, sondern ein biologisch unzulängliches, triebhaft fixiertes Wesen animalischen Zuschnitts, kurz –– ein unfertiger Entwurf“. […] Die die Menschen verbindenden Gefühle wie Freundschaft und Liebe sind brüchig und wenig dauerhaft, […] der Mensch ist isoliert und auf sich selbst zurückgeworfen. Die Gesellschaft bildet nach Maupassants Worten das Bild einer „ewigen, allumfassenden, unzerstörbaren und allmächtigen Dummheit“.[194] Die Qual der Kreatur ist der Grundakkord vom Maupassant und sein Hauptanliegen.[195]
Die Uraufführung des romantisch-komödiantischen Dramas Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand fand 1897 am Pariser Théâtre de la Porte Sainte-Martin statt.
In Paris wurde erstmals 1881 das Theatrophon zur stereofonen Übertragung von Opern- und Theateraufführungen über ein Telefon vorgestellt.
Das 1896 uraufgeführte Theaterstück König Ubu (französischer Titel: Ubu roi) des französischen Schriftstellers Alfred Jarry wurde später von Surrealisten und Dadaisten gleichermaßen gefeiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Der französische Kunstkritiker und Romanautor Octave Mirbeau zählt mit zu den schillerndsten Persönlichkeiten der französischen Belle Époque.[196] Zu seinen bekanntesten literarischen Werken gehört der Roman Tagebuch einer Kammerzofe (1900), der mehrmals verfilmt wurde, unter anderem von Jean Renoir und Luis Buñuel. Ein Jahr zuvor provozierte Mirbeau bereits mit seinem Werk Der Garten der Qualen (1899): In einem paradiesischen Garten in China, lässt eine europamüde Engländerin Menschen auf furchtbarste Weise foltern. Sein bekanntestes und auch auf deutschen Bühnen sehr erfolgreiches Drama Geschäft ist Geschäft (1903) verspottet die eingebildete Allmacht von Geldaristokraten und Emporkömmlingen.
1892 veröffentlichte Émile Zola den Roman La Débâcle (Der Zusammenbruch), der zur Verbreitung des Wortes ‚Debakel‘ im allgemeinen Sprachgebrauch beitrug. Der Roman beschreibt den politischen und militärischen Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreichs, der zugleich auch ein moralischer Zusammenbruch war. Zentrale Themen des Romans sind die Brutalität des Krieges und ihre Auswirkungen auf Soldaten und Zivilisten, der Verlust von Angehörigen und Freunden sowie die Zerstörungen und wirtschaftliche Folgen des Krieges.
Die französische Schriftstellerin, Variétekünstlerin und Journalistin Colette verfasste ab 1896 eine Reihe von erfolgreichen Romanen, die in der Ich-Form mit vielen autobiografischen Elementen die Geschichte einer jungen Frau erzählen: Claudine à l’École, Claudine à Paris, Claudine en Ménage und Claudine s’en va.
Der französische Schriftsteller und Dichter des Symbolismus Jean Lorrain war für sein Dandytum bekannt, er galt als Skandalreporter und schrieb unter anderem über die Pariser Nachtwelt. 1901 entstand sein heute bekanntestes Werk, Monsieur de Phocas.
1909 wurde der erste Teil des Fortsetzungsromans Le Fantôme de l’Opéra (Das Phantom der Oper) des französischen Journalisten und Schriftstellers Gaston Leroux in der Zeitung Le Gaulois veröffentlicht. Der letzte Teil des Romans erschien am 8. Januar 1910. Schauplatz der Geschichte ist die zwischen 1860 und 1875 erbaute Opéra Garnier in Paris.
Ein Klassiker der literarischen Moderne und das Hauptwerk der französischen Romanliteratur des frühen 20. Jahrhunderts ist der von Marcel Proust zwischen 1913 und 1927 erschienene siebenteilige Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (französischer Originaltitel: À la recherche du temps perdu), in dem Proust die Geschichte seines eigenem Leben als allegorische Suche nach der Wahrheit erzählt.
Die französische Schriftstellerin Anna de Noailles veröffentlichte 1901 den ersten Band in einer langen Reihe von Gedichtbänden. Die Dichterkollegen, allen voran Marcel Proust, aber auch der Komponist Reynaldo Hahn und die Schauspielerin Sarah Bernhardt waren hingerissen von der Bildersprache und der Ausdruckskraft der Gedichte, die für heutige Leser womöglich zu sehr dem blumigen Stil der damaligen Zeit entsprechen.
Im Literarischen Salon der schönen Comtesse verkehrte schon bald die geistige Elite ihrer Zeit, unter anderem Francis Jammes, Paul Claudel, Colette, André Gide, Frédéric Mistral, Robert de Montesquiou, Paul Valéry, Jean Cocteau, Alphonse Daudet, Pierre Loti und Max Jacob. 1910 erhielt sie den Literaturpreis der Académie Française.
Die Belle Époque ist auch die Zeit der Entstehung erster Literaturpreise, so wurde erstmals 1903 zu Ehren der Schriftstellerbrüder Edmond und Jules Goncourt der Goncourt-Preis verliehen. Der Prix Goncourt wird seitdem alljährlich im November für den besten Roman verliehen und gilt als ältester und prestigeträchtigster Literaturpreis Frankreichs.
Der erste Nobelpreis für Literatur wurde 1901 an den französischen Lyriker und Philosophen Sully Prudhomme verliehen. Sein bekanntestes Gedicht ist Le Vase brisé (1865). Heute gelten Sully Prudhomme und sein Werk auch in Frankreich als weitgehend unbekannt.
Deutschland und Österreich
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge ist der Titel eines 1910 veröffentlichten Romans von Rainer Maria Rilke in Tagebuchform. Der 1904 in Rom begonnene Roman reflektiert unter anderem die ersten Eindrücke eines Paris-Aufenthaltes des Autors 1902/03. Der Roman beginnt im Paris des Fin de siècle mit den Aufzeichnungen des jungen Malte, der die zu dieser Zeit drittgrößte Stadt der Erde vorfindet, wie er auch London und New York hätte vorfinden können – inmitten eines Prozesses der Industrialisierung. Die Stadt birgt sowohl Glanz als auch Elend, die beide dicht beieinander liegen. Der Fortschritt beruht auf der Technisierung, die in der damaligen Zeit oft mit Anonymität und einer größer werdenden Disparität zwischen Arm und Reich assoziiert wurde.
1880 publizierte Konrad Duden in Leipzig das Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache (erster Duden).
1889 veröffentlichte die österreichische Schriftstellerin, Friedensforscherin und Friedensaktivistin Bertha von Suttner den Roman Die Waffen nieder! Der Roman galt bis zum Erscheinen des Romans Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque als eines der wichtigsten Werke der Antikriegsliteratur.
1892 erschien das soziale Drama Die Weber. In dem Werk, welches literaturgeschichtlich der Epoche des Naturalismus zugerechnet werden kann, schildert Gerhart Hauptmann die schlesischen Weberaufstände von 1844 und prangert darin die Ausbeutung und Unterdrückung der Weber an. Das Drama zählte zu einem der einflussreichsten gesellschaftskritischen Stücke der damaligen Zeit. Am 25. September 1894 erfolgte die erste öffentliche Aufführung im Deutschen Theater Berlin, nachdem es zuvor zu einem Aufführungsverbot des Stückes gekommen war.
Der 1901 erschienene Roman Buddenbrooks: Verfall einer Familie des Schriftstellers Thomas Mann stellt das früheste unter den großen Werken des Autors dar und gilt bis heute als der erste Gesellschaftsroman, der in deutscher Sprache verfasst wurde.[197] 1929 erhielt Thomas Mann für seinen Roman Buddenbrooks den Nobelpreis für Literatur.
Hermann Hesses erster Roman Peter Camenzind, ein Bildungsroman mit autobiographischen Zügen, erschien 1904 im S. Fischer Verlag und handelt von einem Bauernjungen, der in die Stadt zieht, um Dichter zu werden.
1905 erschien der Satirische Roman Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen von Heinrich Mann, in dem der Autor die Scheinmoral des Bildungsbürgertums karikiert.
Die von Siegfried Jacobsohn gegründete Theaterzeitschrift Die Schaubühne (später Die Weltbühne) erschien erstmals 1905. Zu den wichtigsten Mitarbeitern der Schaubühne zählten in den Anfangsjahren die Theaterkritiker Julius Bab, Willi Handl und Alfred Polgar, später kamen auch Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger, Robert Walser, und Harry Kahn sowie der Theaterkritiker Herbert Ihering hinzu.
Großbritannien, Irland und USA
Die spätviktorianische Prosa reichte von den Erzählungen eines Robert Louis Stevensons (Die Schatzinsel, Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde) und eines H. Rider Haggards (King Solomon’s Mines zu dt. König Salomos Schatzkammer oder König Salomons Diamanten) bis zu den unkonventionellen Werken von Oscar Wilde. In den 1870er Jahren kam es in der Literatur auch zu einer naturalistische Bewegung. Der Schriftsteller Thomas Hardy wurde bekannt durch seine Darstellung des ländlichen Lebens und der sozialen Veränderungen: Tess von den D’Urbervilles (1891). Der Einfluss des französischen Naturalismus ist auch in den Werken George Moores, George Robert Gissings und Joseph Conrads erkennbar, die sich vom früheren Fortschrittsglauben und Optimismus distanzierten.
Der Oxford English Dictionary, das umfangreichste Wörterbuch der englischen Sprache, wurde in den 1880er Jahren erstmals publiziert.
1884 verfasste der englische Schuldirektor und Theologe Edwin Abbott Abbott unter dem Pseudonym A. Square die Novelle Flatland. A Romance of Many Dimensions (Das Flächenland). Die Schrift ist eine Satire auf die Struktur der Viktorianischen Gesellschaft sowie ein mathematisches Essay über die vierte Dimension. Der Autor wollte mit seiner Gesellschaftssatire das geometrische bzw. stereometrische Denken seiner Leser fördern sowie die Gesellschaftsordnung und die vorherrschenden Vorurteile der damaligen Zeit karikieren.
1894 erschien Das Dschungelbuch (The Jungle Book) von Rudyard Kipling. Das Buch ist eine Sammlung von Erzählungen und Gedichten, die von dem Findelkind Mowgli handeln, welches bei wildenTieren im indischen Dschungel aufwächst. Die Geschichten über Mowgli stehen dabei dem Genre des Entwicklungsromans nahe, da sowohl die Erwachsenwerdung als auch die Bewusstwerdung Mowglis von einem verspielten Kind bis hin zum Herrn über den Dschungel und die Tiere geschildert wird.
Der irische Schriftsteller Bram Stoker veröffentlicht 1897 seinen Roman Dracula, der bis heute als Klassiker der Vampirliteratur gilt und eine Mischung aus Reise-, Liebes-, Abenteuerroman und Schauergeschichte ist. Formal besteht der Roman aus einer Folge von Tagebucheintragungen, Mitschriften von Phonographaufnahmen, Briefen und Zeitungsartikeln.
1898 wurde der Science-Fiction-Roman The War of the Worlds (Der Krieg der Welten) von H. G. Wells veröffentlicht. In diesem für die Science-Fiction-Literatur grundlegenden Werk greifen Marsianer das Vereinigte Königreich an, um von dort aus die Erde zu erobern und sich deren Rohstoffe anzueignen. Die Marsianer, die den Menschen militärisch weit überlegen sind und die Menschheit zu zerstören drohen, können erst durch die auf der Erde vorkommenden Bakterien besiegt werden, an die das Immunsystem der Marsianer nicht angepasst ist. Krieg der Welten wurde als Satire auf die Kolonialpolitik des British Empires verfasst und verstanden. Die Rollen von Eroberern und Opfern wurden dabei allerdings zum Nachteil der Briten vertauscht.
In einer Ausgabe von Lippincott’s Monthly Magazine erschien 1890 erstmals Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray. In Großbritannien und Irland war Oscar Wilde sowohl für seine scharfsinnigen Werke (Das Bildnis des Dorian Gray) als auch für sein tragisches Leben berüchtigt. Die Hauptfigur seines Romans, der reiche und schöne Dorian Gray, besitzt ein Porträt, das statt seiner altert und in das sich die Spuren seiner Sünden einschreiben. Während Gray immer maßloser und grausamer wird, bleibt sein Äußeres hingegen jung und makellos schön. Der Roman gilt als Prosa-Hauptwerk Oscar Wildes. Themen des Romans sind die Moralität von Sinnlichkeit und Hedonismus im Viktorianismus sowie die Dekadenz der englischen Oberschicht. Sowohl die Handlung als auch die eingearbeiteten Kunstbemerkungen lassen sich als Proklamation und als Kritik des Ästhetizismus, einer literarischen Strömung des Fin de Siècle, lesen und deuten.
Der britische Schriftsteller Kenneth Grahame veröffentlichte 1908 den Roman The Wind in the Willows, der sich in der Folge zu einem großen Kinderbuchklassiker entwickeln sollte.
Der Erzählband Dubliner von James Joyce wurde 1914 erstmals veröffentlicht. Den Plan für das Buch hatte der Autor bereits im Frühherbst 1904 in Paris entwickelt. Laut dem Literaturwissenschaftler Richard Ellmann wollte Joyce in seinem Werk vier Lebensphasen der Stadt darstellen, die er als eine Person ansah. Die erste sollte durch ihre Kinder, die letzte durch ihre Erwachsenen beschrieben werden. Wie oft bei Joyce sind die Texte arm an äußerer Handlung, vielmehr ging es dem Autor um eine differenzierte psychologische Darstellung der einzelnen Charaktere. Joyce arbeitete daher größtenteils mit dem Stilmittel der erlebten Rede, einem Vorläufer des inneren Monologs, wobei er – dies wiederum eine spezifisch Joycesche Ausformung – die (Erzähl-)Sprache den Figuren anpasste. Ein Porträt des Künstlers als junger Mann (engl. A Portrait of the Artist as a Young Man) ist der Titel seines autobiografisch geprägten Bildungsromans über das Leben eines jungen Künstlers von der Kindheit bis zur Studienzeit. Hauptthema ist seine Auseinandersetzung mit der katholischen Sozialisation - mit dem Ergebnis, Irland zu verlassen.
Der irische Dichter William Butler Yeats war Förderer der irischen Renaissance und schloss sich zeitweise einer revolutionären Bewegung an. 1899 gründete er gemeinsam mit Lady Gregory und Edward Martyn das Irish Literary Theatre.
Italien
Am 7. Juli 1881 erschien in der in Rom erscheinenden Wochenzeitung Giornale per i bambini unter dem Titel Le Avventure Di Pinocchio: Storia Di Un Burattino (Abenteuer des Pinocchio: Geschichte eines Hampelmanns) die von Carlo Collodi verfasste erste Geschichte über Die Abenteuer des Pinocchio als Fortsetzungsgeschichte. Die Abenteuer der Holzfigur Pinocchio wurden so populär, dass Collodi 1883 beschloss, ein Buch daraus zu machen, welches unter dem Namen Le avventure di Pinocchio veröffentlicht wurde.
Russland
Anton Tschechow wurde bekannt durch seine Kurzgeschichten und Dramen. Zu seinen wichtigsten Werken gehören: Die Möwe (1895), Onkel Wanja (1896), Drei Schwestern (1901) und Der Kirschgarten (1903). Fjodor Dostojewski veröffentlichte seinen letzten Roman, Die Brüder Karamasow, im Jahr 1880. Zu den wichtigsten Werken von Lew Tolstoi gehören Krieg und Frieden (1869), Anna Karenina (1878) und Auferstehung (1899). Dostojewski und Tolstoi waren beide Psychologen, die mit literarischen Mitteln ausgelotet haben, welche Konflikte dem Menschen am Anbruch der Moderne widerfuhren: Dostojewski als Patriot und wie kein anderer an den zeitbedingten Verwerfungen der Seele des Individuums interessiert, Tolstoi als großer Moralist und realistischer Porträtist gesellschaftlicher Verhältnisse und zwischenmenschlicher Beziehungen.
Bildende Kunst
Die Pariser Salons
Im 19. Jahrhundert war der Salon de Paris Mittelpunkt und Bühne des französischen Kunstbetriebs und das kulturelle Aushängeschild der jeweiligen französischen Regierung. Die Pariser Ausstellungen waren nicht nur ein international bekannter Treffpunkt von Sammlern und Händlern, bei dem alljährlich Millionenbeträge umgesetzt wurden, sondern auch ein zentrales gesellschaftliches Ereignis. Bis zum Jahr 1880 wurden die Ausstellungen vom französischen Staat geregelt. Seit 1804 wurden einzelne Teilnehmer ausgezeichnet. Eine Jury entschied von diesem Zeitpunkt an regelmäßig über Zulassung, Ablehnung und Prämierung der eingereichten Werke.
Durch den Einfluss des Salon de Paris entwickelte sich der Beruf des Kunstmalers in Frankreich zu einer attraktiven Profession mit einem staatlich geregelten Ausbildungsweg und überdurchschnittlichen Einkommenschancen. Bei der Auswahl der für den Salon ausgewählten Bilder kam es regelmäßig zu Intrigen und Unregelmäßigkeiten, was ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Reihe von Gegenausstellungen führte, bei denen Galeristen wie Louis Martinet abgelehnten Künstlern Ausstellungsmöglichkeiten in ihren Verkaufsräumen gewährten.
Die kunsthistorisch bedeutsamste Gegenausstellung ist der Salon des Refusés des Jahres 1863, der von vielen Kunsthistorikern als Geburtsstunde der Moderne eingestuft wird. Nachdem die strenge Auswahl der Jury für Aufsehen gesorgt hatte, ließ der französische Kaiser Napoleon III parallel zum Pariser Salon den Salon des Refusés („Salon der Zurückgewiesenen“) ausrichten, um all diejenigen zu besänftigen, die über die begrenzte Werksauswahl des offiziellen Salons verärgert waren. Zwei von der Jury des Pariser Salons abgelehnte Gemälde erregten damals besondere Aufmerksamkeit: James McNeill Whistlers „Mädchen in Weiß“ und Édouard Manets „Frühstück im Grünen“. In den Folgejahren kam es zu weiteren Parallelausstellungen.
Von 1874 bis 1886 organisierte die Société Anonyme Coopérative des Artistes-Peintres, Sculpteurs, Graveurs Gruppenausstellungen. Die erste Ausstellung eröffnete am 15. April 1874 im Atelier des Pariser Fotografen Nadar. Nach dieser Ausstellung setzte sich die Bezeichnung „Impressionismus“ durch, was anfangs abwertend gemeint war. Auch bei dieser Ausstellung blieb es weitgehend bei negativen öffentlichen Meinungen, obwohl sich auch die positiven Rezensionen häuften.
1884 wurde in Paris die Société des Artistes Indépendants (dt. Vereinigung unabhängiger Künstler) gegründet, die in ihren Statuten Jurys und Auszeichnungen ablehnte und es sich zum Ziel machte, Kunstwerke durch das Publikum selbst bewerten zu lassen. Die noch heute aktive Vereinigung veranstaltet jährlich diverse Ausstellungen. Gründer der Société des Artistes Indépendants waren Albert Dubois-Pillet, Odilon Redon, Georges Seurat und Paul Signac.
1903 gründete der französisch-belgische Architekt Frantz Jourdain unter Mitwirkung von Georges Rouault, Albert Marquet und Édouard Vuillard, neben den älteren Odilon Redon, Paul Cézanne, Eugène Carrière und Auguste Renoir, die Société du Salon d’Automne als Reaktion auf die konservative Politik des offiziellen Salon de Paris. Berühmt wurde der Pariser Herbstsalon vor allem durch die Ausstellung des Jahres 1905, in der Werke von Henri Matisse und seinen Freunden ausgestellt wurden und der Begriff Fauvismus entstand. Die erste Ausstellung des Salons fand im Jahr 1903 im Petit Palais statt. Ab 1904 wurde die Kunstausstellung jährlich im Oktober oder im November im Pariser Grand Palais ausgerichtet, mit dem Ziel, alle Facetten der modernen Malerei zu zeigen.
Biennale di Venezia
Im Winter 1894–1895 wurde der Palazzo dell’Esposizione für die Biennale di Venezia errichtet, die am 30. April 1895 als I Esposizione Internazionale d’Arte della Città di Venezia (1. Internationale Kunstausstellung der Stadt Venedig) in Anwesenheit des italienischen Königspaares Umberto I. und Margherita di Savoia eröffnet wurde. Mit 224.000 Besuchern war die Biennale ein großer Publikumserfolg. Für die von Jahr zu Jahr wachsende Ausstellung wurde das Konzept der Weltausstellung zum Vorbild genommen. Die Ausstellung konnte sich schnell etablieren und wurde alle zwei Jahre durchgeführt.
Für die Auswahl der auf der Ausstellung ausgestellten Werke wurden nationale Komitees berufen, eines je für Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Italien, Niederlande, Österreich-Ungarn, Russland, Schweden und Norwegen sowie Spanien. Das deutsche Komitee bildeten die Künstler Anton von Werner, Gustav Schönleber, Fritz von Uhde und der damals junge Max Liebermann.
Die ersten international bedeutenden Künstler waren 1910 auf der Biennale di Venezia zu sehen: Ein Raum war Gustav Klimt gewidmet, Renoir wurde ausgestellt und Courbet eine Retrospektive gewidmet. Im Jahr 1905 ließ Antonio Fradeletto, der erste Generalsekretär der Biennale, eine Arbeit von Pablo Picasso aus dem spanischen Salon entfernen (vermutlich das große Gemälde Les Saltimbanques), da er befürchtete, dass dessen Neuartigkeit die Öffentlichkeit schockieren könne.
Impressionismus
In der Ära der Belle Époque dominierten in Frankreich der Impressionismus und der Post-Impressionismus. Künstler wie Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Paul Gauguin, Jean Béraud und Henri Matisse begannen völlig neue Wege in der Kunst einzuschlagen, wodurch die Weichen für zahlreiche Kunstrichtungen gestellt wurden, die das 20. Jahrhundert später prägen sollten. Die Impressionisten machten den Einfluss des Lichts zu ihrem Thema, der Gegenstand wurde nebensächlich und diente als Mittel zum Zweck, um je nach Lichtverhältnis unterschiedliche Farben und Farbbeziehungen darstellen zu können.[198] Claude Monet begann 1876 mit einer Reihe von Bildserien, in denen nicht mehr wie zuvor der Gegenstand dominierte, sondern die Veränderung des Lichts zum eigentlichen Thema des Bildes wurde: Von 1876 bis 1878 malte er im Bahnhof Paris-Saint-Lazare zu unterschiedlichen Jahres- und Tageszeiten. Der Mensch büßte in der Malerei des Impressionismus seine Individualität ein, wurde zum Bestandteil der Menge und ging in der Großstadtlandschaft auf.[199]
Louise Abbéma war eine französische Malerin des Impressionismus, die auch als Grafikerin, Bildhauerin und Literatin wirkte. Schon früh zeigte sie ein besonderes Talent für die Malerei. Sie ging 1873 nach Paris und wurde dort Schülerin von Charles Josuah Chaplin und im folgenden Jahr von Emile Auguste Carolus-Duran. Später studierte sie bei Jean Jacques Henner. Auf Anregung von Carolus-Duran stellte sie zwischen 1874 und 1926 regelmäßig ihre Werke im Pariser Salon aus, wo sie 1881 eine „ehrenvolle Erwähnung“ erhielt. Ihr 1876 entstandenes lebensgroßes Porträtbild von Sarah Bernhardt (heute in einer Pariser Privatsammlung) brachte der erst 23-jährigen Abbéma erste öffentliche Anerkennung. 1878 stellte sie eine drei Jahre zuvor verfertigte Bronzemedaille mit der Profildarstellung ihrer Freundin – ihre einzige bekannte Skulptur – im Pariser Salon aus, wofür sich die manchmal auch als Bildhauerin tätige Bernhardt 1879 mit einer Marmorbüste Abbémas revanchierte. Abbéma spezialisierte sich seit 1881 auf Öl- und Aquarellmalerei und viele ihrer Arbeiten zeigen den Einfluss der chinesischen und japanischen Malerei (Chinoiserie, Japonismus) sowie zeitgenössischer impressionistischer Meister wie Édouard Manet.
Max Liebermann, Lovis Corinth, Ernst Oppler und Max Slevogt zählen zu den wichtigsten und einflussreichsten Vertretern des deutschen Impressionismus und der Berliner Secession. Die Malerei des deutschen Impressionismus entstand als Reaktion zur staatlich geförderten akademischen Malerei gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um die erste moderne Kunstströmung in Deutschland, sie hatte ihre Blüte von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg und wurde dann vom Expressionismus abgelöst.
Postimpressionismus und Symbolismus
Der Begriff Post-Impressionismus ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Stile in der Malerei, die zwischen 1880 und 1905 auf den Impressionismus folgten. Zum Post-Impressionismus werden die Richtungen Pointillismus (auch als Divisionismus bzw. Neoimpressionismus bezeichnet), Cloisonismus, Synthetismus, die Künstlergruppe der Nabis, die Schule von Pont-Aven, sowie die Werke van Goghs, Gauguins, Toulouse-Lautrecs und Cézannes gezählt.
Die französische Künstlergruppe Nabis wurde in den Jahren 1888/1889 von einer Gruppe junger Kunststudenten der Académie Julian in Paris gegründet und bestand bis 1905. Der Gruppe stand der französische Maler Paul Sérusier vor, der dem Kreis um Paul Gauguin angehörte und der Schule von Pont-Aven entstammte. Ähnlich wie im zeitgenössischen Art nouveau legten einige der Nabis die Betonung auf das Design. Beide Gruppierungen waren durch einige ihrer Vertreter auch mit dem Symbolismus verbunden. Ihre künstlerischen Ziele publizierte die Künstlergruppe vor allem in der Zeitschrift La Revue blanche. Wichtige Mitglieder der Nabis waren Pierre Bonnard, Aristide Maillol, Félix Vallotton und Édouard Vuillard.
Der Symbolismus bezeichnet eine Kunstströmung der Malerei und Bildhauerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in der sehr unterschiedliche Stilrichtungen vertreten wurden. Die Hochphase des Symbolismus fällt in die Zeit zwischen ca. 1880 und 1910. Als Spielwiese des Symbolismus wird oft die Décadence gesehen, die den Versuch unternahm, Verfall und Untergang einer Epoche künstlerisch zu begleiten und ihr Heil in überspitzter Sinneslust fand. Andere Symbolisten betonten wiederum gerade das Unverbraucht-Natürliche (wie die frühen primitivistischen Werke von Paul Gauguin) oder die Tatsache, dass die Welt der von Menschen geschaffenen Objekte über deren individuelles Leben hinausweist. Allgemein dominiert die subjektive Vorstellung bzw. der abstrakte Gedanke im Bild gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung des Augenblicks oder der genauen Naturbeobachtung. Einen entscheidenden Impuls lieferte das „Symbolistische Manifest“ des französischen Dichters Jean Moréas im Jahre 1886. Ein Kernsatz des Manifests lautete: „Die wesentliche Eigenschaft der symbolistischen Kunst besteht darin, eine Idee niemals begrifflich zu fixieren oder direkt auszusprechen“. Der Symbolismus breitete sich von Frankreich ausgehend über ganz Europa aus, nachdem er erstmals 1889 bei der Weltausstellung in Paris einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden war.
Fauvismus
Der Post-Impressionismus wurde innerhalb Frankreichs vom Fauvismus abgelöst. Der Begriff „Fauvismus“ leitet sich von dem französischen Wort fauves „wilde Bestien“ her. Als eine kleine Gruppe von Malern 1905 im Saal VII des Salon d’Automne ihre Bilder zeigte, sah der Kunstkritiker Louis Vauxcelles zwischen den Malereien eine weibliche Büste in florentinischer Art stehen, geschaffen vom französischen Bildhauer Albert Marque. Er rief: „Tiens, Donatello au milieu des fauves.“ („Sieh da, Donatello umgeben von wilden Bestien.“)[200] Neben Henri Matisse und André Derain zeigten Albert Marquet, Henri Manguin, Othon Friesz, Jean Puy, Louis Valtat, Maurice de Vlaminck, Charles Camoin und Kees van Dongen ihre Werke.[201][200] Was die Fauvisten vor allem verband, war das leidenschaftliche Bekenntnis zur Farbe und zur Verwendung bestimmter Mittel, um sie zur Geltung zu bringen. Ab 1907 löste sich die Einheit der Bewegung unter dem Vorstoß des von Picasso und Braque eingeleiteten Kubismus auf, an dessen Entstehung Matisse und Derain nicht unbeteiligt waren.[202]
Expressionismus und Wiener Jugendstil
In Deutschland und Österreich entwickelten sich der Expressionismus und der Wiener Jugendstil. Wichtige Künstler dieser Stilrichtung waren Gustav Klimt, Egon Schiele und Emil Nolde. Die Künstlergruppe Brücke, die heute als wichtiger Vertreter des Expressionismus und als Wegbereiter der klassischen Moderne angesehen wird, versuchte die Formsprache des Impressionismus zu überwinden.
Als Geburtsstunde der österreichischen Moderne in der bildenden Kunst gilt die Gründung der Wiener Secession im Jahr 1897 durch Künstler wie Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef Hoffmann, Joseph Maria Olbrich, Max Kurzweil, Josef Engelhart, Ernst Stöhr, Wilhelm List, Adolf Hölzel, Anton Nowak. Die Wiener Secession wurde als Abspaltung (Secession) vom Wiener Künstlerhaus gegründet, da viele Künstler den dort vorherrschenden Konservatismus und traditionellen Kunstbegriff ablehnten, der am Historismus orientiert war.
Die Künstlervereinigung die Brücke wurde am 7. Juni 1905 in Dresden von den vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet und im Mai 1913 in Berlin aufgelöst. Der Blaue Reiter ist eine Bezeichnung von Wassily Kandinsky und Franz Marc für ihre Ausstellungs- und Publikationstätigkeit, bei der beide Künstler in dem erstmals Mitte Mai 1912 herausgegebenen gleichnamigen Almanach als alleinige Herausgeber fungierten. Seinen Namen verdankt der Blaue Reiter, zu der auch Künstler wie August Macke, Alfred Kubin und Gabriele Münter gehören, einem bereits 1903 entstandenen Gemälde Kandinskys. Auch den Umschlag der von Kandinsky und Marc herausgegebenen Programmzeitschrift schmückt ein blaues Reiterbild, das den heiligen Georg zeigt, der hoch zu Ross einen Drachen ersticht, Die Figur hat somit symbolische Bedeutung und verkörperte gleichsam den Schutzheiligen der Künstlergruppe.[203]
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges fand diese Künstlervereinigung jedoch ein frühzeitiges und jähes Ende.
Auch das Bild der bürgerlichen Frau bestimmte die Kunst der Belle Époque. Die Frau sollte Schmuck des Mannes sein, sittsam als Ehefrau und Mutter und zugleich attraktiv und gesellschaftsfähig, was sich auch in zahlreichen Porträts dieser Epoche widerspiegelt. Malerfürsten wie Franz von Lenbach und Franz von Stuck feierten ihr weibliches Publikum in anmutigen Posen. Im Vordergrund ihrer Malerei standen zum einen künstlerische Perfektion, zum anderen die psychologische Erfassung ihres Gegenübers.
Die russische Malerin Marianne von Werefkin und der deutsch-russische Maler Alexej von Jawlensky haben bedeutende Beiträge zum deutschen Expressionismus geleistet. Im Jahr 1907 entstanden Werefkins erste expressionistischen Gemälde. Stilistisch folgte sie den Theorien von Vincent van Gogh, der Flächenmalerei von Paul Gauguin, der Ton-in-Ton-Malerei von Louis Anquetin, der karikativen und plakativen Malerei von Henri de Toulouse-Lautrec und den Ideen der Nabis. Im Freundeskreis in München erhielt sie den Beinamen „Die Französin“. Ikonologisch und motivisch lehnte sich Werefkin oftmals auch an Arbeiten von Edvard Munch an, und sie brachte die erwähnten Künstler neu ins Bild, ehe ihre Kollegen, beispielsweise Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, den ersten Schritt in den Expressionismus machten.[204][205] Neben den Vorbildern van Gogh, Gauguin und den Nabis spielte die japanische Kunst für Werefkin bis ins hohe Alter eine bedeutende Rolle. Ihr Interesse dafür wurde offensichtlich bereits in Russland durch eines ihrer großen Vorbilder, nämlich James Abbott McNeill Whistler, „den ersten Japonisten“,[206] geweckt. 1913 beteiligten sich Werefkin und Jawlensky an der Ausstellung der Redaktion „Der Blaue Reiter“ in der Berliner Galerie „Der Sturm“ von Herwarth Walden sowie an seiner Kunstausstellung Erster Deutscher Herbstsalon. Wie schon mehrmals stand es in der Beziehung zwischen Werefkin und Jawlensky nicht zum Besten. So fuhr sie wieder in ihre litauische Heimat zu ihrem Bruder Peter, der 1912 Gouverneur von Vilnius geworden war. Jawlenskys Malerei verlor ihre bisherige feurige Farbigkeit, z. B. Frau mit Stirnlocke oder Bildnis Sacharoff.
Plakatkunst
Das Textplakat wurde im 19. Jahrhundert vom Bildplakat abgelöst und entwickelte sich zu einem Massenmedium und einem Kunstmedium gleichermaßen. Die Weiterentwicklung der Farblithographie, vor allem durch Jules Chéret und Henri de Toulouse-Lautrec in Paris, ermöglichte den preiswerten Druck attraktiver Plakate. Als „Kunst der Straße“, der man ästhetisch und sogar moralisch veredelnde Massenwirkung zutraute, riefen sie enthusiastisches Interesse hervor; in Frankreich vorübergehend auch eine weit verbreitete Sammelleidenschaft. Henri de Toulouse-Lautrec erhob das Plakat in den Rang eines eigenständigen Kunstwerkes. Seine Plakate thematisierten, was bis dahin als nicht darstellungswürdig galt: Menschen in Kabaretts und Bars sowie Menschen im Theater und im Zirkus.[207] Die Plakate zeichneten sich durch die Verbindung von Schrift und Bild aus und waren durch ihre Farbigkeit und durch ihre auf das Wesentliche reduzierte Darstellung werbewirksamer als damalige Fotografien.
Die Karikatur fand im 19. Jahrhundert Eingang in die Tagespresse. Voraussetzung dafür war die Technik der Lithografie, von deren Erfindung auch das Plakat profitieren konnte.
Plastik und Skulptur
Mit dem französischen Bildhauer und Zeichner Auguste Rodin begann in der Belle Époque das Zeitalter der modernen Plastik und Skulptur. Im Gegensatz zu anderen großen Bildhauern seiner Zeit (zum Beispiel Albert-Ernest Carrier-Belleuse) widersetzte er sich dem vorherrschenden idealisierenden Akademismus und versuchte sich in neuen Darstellungsformen, ohne dabei jedoch die Tradition aus den Augen zu verlieren. Er verstand sich und seine Kunst als „Brücke zwischen Gestern und Morgen“. Speziell das Non-finito gilt als bedeutendes Stilmerkmal vieler seiner Werke und wurde prägend für viele kommende Künstler. Seine Werke Der Denker (1880), Die Bürger von Calais (1885-89) und Der Kuss (1886) sind herausragende Beispiele für Rodins innovative Kunstauffassung.
Die Skulptur der französischen Bildhauerin Camille Claudel, Das reife Alter (1893-98) stellt eine kniende, flehende junge Camille Claudel dar, die versucht, ihren vierundzwanzig Jahre älteren Geliebten Auguste Rodin zurückzuhalten. Die Figurengruppe ist ein höchst symbolträchtiges Werk, das den Betrachter zum Nachdenken über die menschliche Beziehung in Erotik, Liebe, Alter und Verfall anregt. In der knienden Figur wird die ganze Tragik des Schicksals von Camille Claudel deutlich.
Der französische Bildhauer und Kunstlehrer Antoine Bourdelle arbeitete ab 1893 als Rodins Assistent. Sein von Pathos und monumentalem Anspruch erfülltes Werk ist gekennzeichnet von rhythmisierter Bewegung.
Kubismus
Das von Pablo Picasso 1907 fertiggestellte Ölgemälde Les Demoiselles d’Avignon gilt als eines der wichtigsten Werke des frühen 20. Jahrhunderts und hat bis heute viele unterschiedliche Deutungen erfahren.[208] Grund hierfür ist die „handlungslose Schaustellung einer unzusammenhängenden Figurensammlung.“[209] Zum einen verzichtete Picasso auf eine Bilderzählung, zum anderen nutzte er im Sommer 1907 eine eckige Formgebung, wodurch die „Demoiselles d‘Avignon“ zu Wegbereiterinnen des Kubismus wurden. Sowohl die Verzerrung der Proportionen als auch die maskenhaften Gesichter, in denen Picasso afrikanische, ozeanische und iberische Einflüsse verarbeitete, können als proto-kubistisch, expressiv und „primitivistisch“ bezeichnet werden. Der Künstler erarbeitete sich das Werk über mehrere Monate zwischen Herbst/Winter 1906 bis zum Frühsommer 1907, indem er knapp 600 Arbeiten auf Papier und etwa vier Ölskizzen anfertigte.
Mit den kubistischen Bildern konfrontiert, fühlten sich einige Künstler ästhetisch berührt. Sie ersannen schon sehr bald Theorien, was der Kubismus sei und was er sein solle.[210] Zu ihnen zählen die Maler Fernand Léger, Robert Delaunay, Marcel Duchamp, Jacques Villon, Francis Picabia, Roger de La Fresnaye, Henri Le Fauconnier, Albert Gleizes, Jean Metzinger, eine Zeitlang Raoul Dufy und Othon Friesz, André Lhote, Moise Kisling, Auguste Herbin, Léopold Survage, Louis Marcoussis, Diego Rivera, Piet Mondrian und die Bildhauer Alexander Archipenko, Constantin Brâncuși, Jacques Lipchitz und Raymond Duchamp-Villon.[210] Mehrere dieser Künstler schlossen sich 1910 mit Apollinaire zur Groupe de Puteaux zusammen, in der sich auch der Amerikaner Walter Pach bewegte. Ihr Treffpunkt bildete das Haus von Jacques Villon in Puteaux. Sie nannten sich nun Kubisten und erlebten im Frühjahr 1911 im Salon des Indépendants ihren öffentlichen Durchbruch.[211] Die ausgestellten Bilder sind an der geometrisierenden Abstraktion der Form orientiert, wie sie die vom Kubus abgeleitete Begriffsbildung suggeriert. Fast alle Gemälde lassen sich als „gefällige“ Varianten von Picassos und Braques früher Phase um 1908 begreifen.[212]
La Section d’Or (französisch für ‚Goldener Schnitt‘) war eine kubistische Ausstellungsgemeinschaft, die von Mitgliedern der Puteaux-Gruppe gegründet wurde. Sie begann mit einer Ausstellung in der Galerie La Boétie, Paris, im Jahr 1912, die begleitet wurde von der Publikation Du Cubisme von Jean Metzinger und Albert Gleizes.[213] Unter anderem wurde dort Marcel Duchamps Gemälde Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 ausgestellt.
Marcel Duchamp malt 1912 Nu descendant un escalier no. 2, ein Schlüsselwerk der klassischen Moderne. Das Gemälde vereint Elemente des Kubismus und des Futurismus und ist vom noch jungen Medium Film, von fotografischen Bewegungsstudien und von der Chronofotografie, mit der unter anderem Thomas Eakins, Étienne-Jules Marey und Eadweard Muybridge experimentierten, beeinflusst.
Futurismus
Am 20. Februar 1909 publizierte der junge italienische Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti in der französischen Zeitung Le Figaro sein „futuristisches Manifest“ und begründete damit die futuristische Bewegung. Geprägt wurde Marinetti dabei von seinem literarischen Freundeskreis, zu dem vor allem Symbolisten wie Guillaume Apollinaire, Joris-Karl Huysmans und Stéphane Mallarmé gehörten, die sich, zur Gewalt bekennend, gegen die herrschende bürgerliche Ordnung auflehnten. Mit ihnen stand Marinetti auch manchen Anarchisten wie Pierre-Joseph Proudhon, Michail Bakunin und vor allem Georges Sorel nicht fern und begrüßte die Attentate ihrer Aktivisten. Im Marinettis Manifest findet sich auch Gedankengut von Friedrich Nietzsche. Wie Nietzsches Zarathustra streben Marinettis Helden ihre Ziele allein gegen eine feindliche Welt und ohne Rücksicht auf ihr Umfeld gewalttätig an.
Die Malerei entwickelte sich neben der Bildhauerei zur führenden Kunstrichtung im Futurismus. Das Manifest der futuristischen Malerei präsentierte Umberto Boccioni als der unbestrittene Doyen der Gruppe am 11. Februar 1910 in Turin. Unterzeichner waren neben Boccioni Giacomo Balla, Luigi Russolo, Gino Severini und Carlo Carrà.[214] Das Manifest wandte sich mit einem Schrei der Auflehnung gegen den „fanatischen, unverantwortlichen und snobistischen Kult der Vergangenheit“ an die jungen Künstler des Landes. Gepriesen wurde jede Form von Originalität, eingefordert wurde der Mut zur Verrücktheit sowie die Wiedergabe des täglichen Lebens.
James Ensor
Als Ausnahmekünstler und „Randfigur der europäischen Kunstgeschichte“[215] gilt der belgische Maler, Grafiker und Zeichner James Ensor. Sein Werk ist stilistisch und thematisch ausgesprochen vielseitig. Teile lassen sich dem Expressionismus, Surrealismus oder Symbolismus zurechnen. Über seine Karriere hinweg schuf er Landschaftsmalerei, Interieurmalerei, Stillleben und Selbstbildnisse. Religiöse Motive und Karikaturen verband er mit autobiografischen Bezügen. Bekannt wurde er insbesondere durch den Einsatz von phantastischen Elementen wie Masken und Skeletten, die ihm auch den Beinamen „Maler der Masken“ einbrachten. Mit seiner Originalität blieb er weitgehend isoliert von den künstlerischen Strömungen seiner Zeit. In seinem Hauptwerk, dem großformatigen Gemälde Der Einzug Christi in Brüssel (1888/1889), versetzte er den Einzug Jesu Christi in Jerusalem in die Gegenwart und verknüpfte eine religiöse Prozession mit Elementen eines Karnevalsumzugs, einer Militärparade und einer politischen Demonstration. Der von Ensor sehr geschätzte Edgar Allan Poe beschrieb in seiner Erzählung Der Mann der Menge sowohl die Faszination als auch die Bedrohung, die von der Menschenmasse auf den Beobachter ausgehen.[216]
Edvard Munch
Der norwegische Maler und Grafiker Edvard Munch wird – oft in Verbindung mit van Gogh, Gauguin, Ensor oder Hodler – zu den „Frühexpressionisten“ gerechnet, den Vorläufern des Fauvismus und des Expressionismus. Ihnen allen gemeinsam ist eine „Ausdruckskunst“ und die große Farbigkeit ihrer Werke, aber auch ihr Einzelgängertum. Ohne oder mit geringer akademischer Ausbildung und ebenso ohne nachfolgende Schüler kündet ihr Werk vor allem von einer starken Subjektivität und dem Bezug auf die eigene Biografie. Laut dem norwegischen Kunsthistoriker Arne Eggum stellte Munch den Menschen und sein Lebensgefühl in den Mittelpunkt seiner Kunst. Dabei griff er auf eigene Erlebnisse und traumatische Erfahrungen zurück und verwandelte diese zu archetypischen Bildern, die sich aus seiner privaten Symbolik zusammensetzten. Der Expressionismus, wie Munch ihn verstand, sei somit „eine extrem subjektive Kunst unter Beibehaltung von etwas Ursprünglichem und Primitiven“. Wo etwa Gauguin in Tahiti das Primitive in der menschlichen Natur erforschte, fand Munch „sein eigenes Tahiti in sich“.
Nicht nur in seiner Malerei und seinen grafischen Arbeiten war das Experiment mit unsicherem Ausgang ein künstlerisches Konzept Munchs. Er übertrat laut Dieter Buchhart auch immer wieder die konventionellen Grenzen zwischen den künstlerischen Techniken Malerei, Grafik, Zeichnung, Fotografie oder Film.[217]
Fotografie
In den 1870er Jahren wurde das Albuminverfahren durch das stabilere und langlebigere Gelatinesilberverfahren ersetzt. Das Trockenverfahren selbst wiederum wurde ab etwa 1880 durch den fotografischen Film – zunächst den Papier-, dann den Zelluloid-, sowie später den Sicherheitsfilm – abgelöst. Die Plattenphotographie, ob nass oder trocken, blieb jedoch besonders in der professionellen Photographie noch bis in die 1950er Jahre verbreitet. Vorteile gegenüber Formaten mit flexiblen Emulsionsträgern in dieser Zeit waren eine größere Lichtempfindlichkeit, eine höhere Durchzeichnungsqualität sowie ein höheres Auflösungsvermögen, da die Glasnegative zumeist auch größer als die meisten Filmnegative waren.
Mit dem Fortschritt der Technologie wurden Kameras handlicher. Der Aufstieg der Handkamera Ende des 19. Jahrhunderts ermöglichte die Straßenfotografie und den Fotojournalismus. Die Kodak Nr. 1 von 1888, die mit dem Slogan „You press the button, we do the rest“ (deutsch: „Sie drücken den Knopf, wir tun das Übrige!“) beworben wurde, revolutionierte die Amateurfotografie und ermöglichte es jedermann, ohne technische Kenntnisse Fotos zu machen. Die Kamera musste weder auseinandergeklappt, werden, noch mussten Einstellungen vorgenommen werden. Das galt in noch stärkerem Maß für den Nachfolger Kodak Nr. 2 von 1901. Die Boxkamera ist eine besonders einfache Kamera für Rollfilme. Kodak verwendete anfänglich das Wort „Box“ nicht, sondern gab den Modellen Namen wie Brownie. Man vermied sogar jeden Anschein, es könnte sich um ein Billigprodukt handeln, was beispielsweise im Slogan „Not a toy, but a camera!“ (Kein Spielzeug! sondern eine Kamera!) zum Ausdruck kam. Der Volksmund sprach aber bald von einer „Box-Camera“, so dass sich dieser Begriff schließlich durchsetzte.
Das Autochrome-Verfahren, das 1903 von den Gebrüdern Auguste und Louis Lumière in Lyon entwickelt und 1907 eingeführt wurde, war das erste kommerziell erfolgreiche Farbfotografieverfahren. Mit dem auf Farbrasterung basierenden Verfahren war es erstmals möglich, ein Farbbild mit einer einzigen Aufnahme zu erzeugen. Voraussetzung für die sehr realistische Farbwiedergabe durch die Autochromes war die vorausgegangene Entwicklung panchromatischer Emulsionen, also lichtempfindlicher Substanzen, die alle Farben des Farbspektrums gleichmäßig wiedergeben. Allerdings war die Belichtungszeit für eine Aufnahme sehr lang.
Mit zunehmender Popularität der Fotografie wuchs auch die Anzahl an Fotostudios, in denen Porträtfotografien angefertigt werden konnten. Diese Studios entwickelten auch Techniken zur Retusche und Verschönerung der Porträtfotos
Kunstfotografie
Die Fotografen Eugène Atget, Jacques Henri Lartique, Heinrich Kühn, Alfred Stieglitz, Gertrude Käsebier und Edward Steichen halfen, die Fotografie als Kunstform zu etablieren und ihre Techniken und Ästhetik zu entwickeln. Die Fotografie erschloss auch der Malerei neue Möglichkeiten. Es fand ein intensiver Austausch zwischen Fotografie und Malerei statt.[218]
Eugène Atget dokumentierte um die Jahrhundertwende mit seiner sperrigen Großformatkamera das alte Paris, um so systematisch selbst die kleinsten Details der Stadt zu katalogisieren. Seine Fotos zeigen Parks, Gebäude, Straßen, Schaufenster, Prostituierte, Arbeiter und sogar Türklinken. Nachfrage für diese Aufnahmen gab es nicht nur bei Touristen und Sammlern, sondern auch bei zahlreichen Malern und Bühnenbildnern, welche die Fotos als Vorlagen für ihre eigene Arbeit nutzten. Später verkaufte Eugène Atget seine Fotoserien auch an Museen und Bibliotheken. Obwohl er sich auf diese Weise seinen Lebensunterhalt verdiente, gelang ihm weder künstlerisch noch finanziell der Durchbruch.
Gegen Ende der 1880er Jahre absolvierte die US-amerikanische Fotografin Gertrude Käsebier eine künstlerische Ausbildung am Pratt Institute in New York. Als Ehefrau und Mutter dreier Kindern begann sie in den 1890er Jahren damit, gelegentlich ihre Familie zu fotografieren. Nach einer weiteren Ausbildung bei einem Porträtfotografen eröffnete sie 1897 ihr eigenes Fotostudio in New York. Mit ihren Porträtfotografien hatte sie auch wirtschaftlichen Erfolg und bereits 1898 wurde ihr eine Ausstellung im New Yorker Camera Club gewidmet. 1903 veröffentlichte der Fotograf Alfred Stieglitz in der Erstausgabe seines Magazins Camera Work sechs ihrer Fotografien, unter anderem das Foto Blessed Art Thou among Women. Neben den Porträtfotografien – etwa von Sioux-Indianern, die sie durch Buffalo Bills Wild-West-Show kennengelernt hatte – und später auch Landschaftsaufnahmen wurde Gertrude Käsebier auch für ihre romantischen Mutter-Kind-Motive bekannt, bei denen sie der Ausgestaltung der Tonwerte Vorrang vor kompositorischen Fragen gab. Obwohl das Werk von Gertrude Käsebier nicht für Aktaufnahmen bekannt ist, hat sie mindestens zwei Aufnahmen entkleideter Frauen gemacht, auf der einen, „The Bat“ betitelten Fotografie aus den Jahren 1902 bis 1904, stand Jane White, Ehefrau des Fotografen Clarence Hudson White, Modell. Ihr Bild The Manger (Die Krippe) erzielte 1899 mit 100 Dollar den höchsten Verkaufspreis, der bis dato für eine Kunstfotografie bezahlt worden war. Käsebier wurde als erste Frau in die Brotherhood of the Linked Ring aufgenommen und war 1902 Gründungsmitglied der Photo-Secession. Wegen differierender Ansichten trennte sie sich aber von der maßgeblich von Alfred Stieglitz beeinflussten Secession und gründete 1910 als rivalisierende Vereinigung die Picturial Photographers of America.
Film und Kino
Die Geschichte der Bewegtbildmedien mit Bildsequenzen, welche die Illusion einer Bewegung hervorrufen, begann mit der Filmtechnik, d. h. mit der Aneinanderreihung fotografischer Bilder. Ursprünglich verstand man unter Film (engl.: film ‚Häutchen‘) dünne Schichten (wie bei Ölfilm). Mit der Erfindung der Fotografie und dem Übergang von der Fotoplatte zu dem flexiblen Träger aus Cellulosenitrat für die Fotoemulsion wurde der Begriff Film für dieses elastische Fotomaterial verwendet. Übertragen wurde der Begriff zunächst auf Szenen bewegter Bilder auf derartigem Material, bis schließlich das ganze Verfahren als Film bezeichnet wurde. Besonders in der Frühzeit des Films war es strittig, ob der Film als simples Unterhaltungsmedium oder als neue Kunstform anzusehen sei.
Frankreich war anfänglich führend in der frühen Kinotechnologie. Der Cinématographe wurde von Léon Bouly erfunden und von den Brüdern Auguste und Louis Lumière in Betrieb genommen. Die weltweit erste öffentliche Kinovorführung fand am 28. Dezember 1895 in Paris durch die Gebrüder Lumière statt, die später weitere Innovationen in der Kinematographie hervorbrachten. Gezeigt wurde der Film Arbeiter verlassen die Lumière-Werke (Originaltitel: La Sortie de l’Usine Lumière à Lyon, auch bekannt als: La Sortie des usines Lumière). Der rund 50 Sekunden dauernde Kurzfilm besteht aus einer einzigen Einstellung und zeigt Arbeiter, die das Werk verlassen.
Neben dem Kinematographen waren damals auch Vorführungen mit der Laterna Magica, der magischen Laterne, sehr beliebt, die als Vorgänger des Diaprojektors angesehen werden kann. Die Bildmotive waren anfangs auf Glasstreifen aufgemalt, die durch den Projektor geschoben wurden, später wurde dafür die Technik der Lithografie eingesetzt.
Der britische Fotograf George Albert Smith entwickelte 1906 mit Kinemacolor eines der ersten Verfahren, um in Farbe zu filmen. Zuvor mussten Filmbilder noch einzeln nachkoloriert werden. Das Verfahren arbeitete mit 32 Einzelbildern pro Sekunde, von denen abwechselnd je eines durch einen Rotfilter und einen Grünfilter belichtet wurde. Ausgewertet wurde das Verfahren von dem Amerikaner Charles Urban, der 1909 die Natural Color Kinematograph Company gründete und eine große Anzahl von Kurz- und Aktualitätenfilmen produzierte. Höhepunkt des Kinemacolor-Schaffens war der epische Bericht von der Krönungsfeierlichkeit des britischen Königs Georg V. im Dezember 1911 in Indien: „The Delhi Durbar“ / „With Our King and Queen through India“.
Als Schule von Brighton (engl.: Brighton School; frz.: L’école de Brighton) wird eine Gruppe britischer Filmpioniere bezeichnet, die sich nahe dem Seebad Brighton niedergelassen hatte. Die zwischen 1896 und 1910 hergestellten Kurzfilme dieser Filmemacher zählen zu den bedeutendsten der frühen Filmgeschichte und trugen maßgeblich zur Entwicklung der Filmmontage bei.
Stereoskopie und Chronofotografie
Um die Jahrhundertwende erlebte die Technik der Stereoskopie einen Boom. Über ein Stereoskop konnten Bildpaare betrachtet werden, die sich im Gehirn zu einem Bild mit räumlichen Eindruck vereinen. Vor allem Stereoskope für zuhause waren äußerst beliebt. Verlage boten sogenannte Stereoskopkarten aus aller Welt an, die dem Betrachter einen Blick in ferne Länder ermöglichten. Ab 1910 wurde die Stereoskopie vom neuen Medium Film verdrängt.
Mit verbesserter Technik und mobilen Kameras konnten sich Fotografen neue Motive erschließen: Landschaften, Architektur, Straßenszenen oder auch Kriegsschauplätze sowie die exotischen Bewohner ferner Länder. Am Ende des 19. Jahrhunderts war es durch verbesserte Drucktechniken auch möglich, Fotografien in Zeitungen abzudrucken.[219]
In den 1870er und 1880er Jahren wurden durch empfindliche Photomaterialien und schnelle Kameraverschlüsse sogenannte „Augenblicks- oder Momentfotografien“ möglich, also Aufnahmen bewegter Objekte. Die Pioniere der Chronofotografie (Ottomar Anschütz, Albert Londe, Étienne-Jules Marey, Eadweard Muybridge) entwickelten verschiedene Techniken, um durch eine schnelle Folge von Aufnahmen (Serienfotografie) Bewegungsabläufe sichtbar zu machen. 1878 hielt Eadweard Muybridge in einer Fotoserie die Bewegungen eines galoppierenden Pferdes fest. Sein 1887 veröffentlichtes Werk Animal Locomotion beeinflusste mit seinen Bewegungsstudien Künstler wie den Maler und Objektkünstler Marcel Duchamp oder den Maler Francis Bacon.
Stummfilm
Am 1. November 1895 führten die Brüder Skladanowsky mit ihrem Projektionsapparat Bioskop im Rahmen eines Varieté-Programms im Berliner Wintergarten eine Abfolge von neun kurzen Filmen vor. Die Veranstaltung dauerte etwa zehn Minuten und war die erste ihrer Art in Europa, bei der Filme vor einem zahlenden Publikum auf eine Leinwand projiziert wurden.
Die Zeremonie zur feierlichen Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals am 21. Juni 1895 durch Kaiser Wilhelm II. wurde von dem britischen Fotografen und Filmpionier Birt Acres mit einer Filmkamera aufgenommen. Sein Film Opening of the Kiel Canal, so die britische Bezeichnung für den Kanal zwischen Nord- und Ostsee, gilt als die älteste Filmaufnahme Deutschlands.
Filme, die in der Frühzeit des Stummfilms vorgeführt wurden, waren meistens nur wenige Sekunden lang und zeigten vor allem unspektakuläre Szenen aus dem alltäglichen Leben, teilweise aber auch gespielte Witz-Szenen. Die Filme faszinierten anfangs allein durch ihre schiere technische Machbarkeit. Das Interesse an weitergehenden Inszenierungen wuchs erst Jahre später. In den ersten Jahren des Films wurden die kurzen Streifen als Teil von Revuen in Varieté-Theatern vorgeführt und waren in erster Linie der Mittelschicht vorbehalten.
Der französische Illusionist und Theaterbesitzer Georges Méliès war der erste, der das erzählerische Potenzial des jungen Mediums erkannte und ausschließlich inszenierte Filme drehte. Für die Umsetzung seiner weitgehend phantastischen Stoffe und Szenen entwickelte Méliès Filmtricks, z. B. den Stoptrick, der noch heute angewendet wird. Mit dem Film Die Reise zum Mond (Originaltitel: Le voyage dans la Lune) gelang Méliès 1902 ein frühes Meisterwerk, das vollständig mit Hilfe von Trickeffekten hergestellt wurde. Dieser Film wird heute häufig als erstes bedeutendes Beispiel für das Genre Science-Fiction-Film bezeichnet.
Kinostars und Filmstudios
Mit dem zunehmenden Erfolg der Kinos wurden auch Schauspielerinnen und Schauspieler mehr und mehr einem breiten Publikum bekannt. Der britische Schauspieler Charlie Chaplin gilt als erster Weltstar des Kinos und zählt zu den einflussreichsten Komikern der Filmgeschichte. Die französische Theaterschauspielerin Sarah Bernhardt übernahm 1900 in Le Duel d’Hamlet ihre erste Rolle in einem Kinofilm (Stummfilm). Sie erklärte danach aber ihre heftige Abneigung gegen das neue Medium. Trotzdem trat sie später in weiteren Filmen auf, z. B. in La Tosca (1909), La Dame aux camélias (1911) und Königin Elisabeth von England (1912). All ihre Filmauftritte in den 1910er Jahren standen unter der Regie von Louis Mercanton. Sie gilt als die berühmteste Darstellerin ihrer Zeit und war einer der ersten Weltstars.
Im Kurzfilm The Kiss von William Heise wurde 1896 der erste Kuss der Filmgeschichte zwischen den beiden Bühnenschauspielern May Irwin und John C. Rice gezeigt. Der rund 20 Sekunden kurze Film avancierte zum erfolgreichsten Film der von Thomas Alva Edison gegründeten Firma Vitascope Filme in den 1890er Jahren und wurde in den USA mehr als ein Jahr lang aufgeführt.
Thomas Alva Edison eröffnete 1893 in West Orange, im Bundesstaat New Jersey, die Black Maria, das erste kommerzielle Filmstudio der Welt. Dort führte er hergestellte Filme der Öffentlichkeit vor, die zuvor von seinem Assistenten William Dickson bei der Library of Congress eingereicht worden waren, um sie urheberrechtlich zu schützen. Unter anderem Blacksmith Scene, der als erster für kommerzielle Vorführungen produzierte Film gilt.
Die führenden Filmproduktionsgesellschaften der damaligen Zeit waren die französischen Pathé Frères und Gaumont, die bereits vor der Jahrhundertwende die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Mediums Film entdeckten und die ganze Welt beständig mit neuen Kurzfilmen versorgten.
Von 1910 an ließen sich in Hollywood verschiedene Filmschaffende nieder, unter ihnen Carl Laemmle, William Fox, Samuel Goldwyn und Adolph Zukor. Sie legten damit den Grundstein für die spätere „Traumfabrik“ Hollywood. In Großbritannien gilt William Friese-Greene als einer der Väter des britischen Films.
Siegeszug des Kinos
Das Kino entwickelte sich zu einer Vergnügungsstätte der Massen und zum größten Konkurrenten des bis dahin vorherrschenden Varietétheaters. Von dem Publizist Victor Noack wurde das neue Medium Film noch 1909 als „geistige Volksvergiftung großen Stils“ und „Orgie der Geschmacklosigkeit“ verunglimpft.[220] Dies konnte dem Erfolg des Films jedoch keinen Abbruch tun. Von einer Attraktion in Jahrmarktbuden startete der Film Ende des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug durch die Welt. 1910 gab es bereits 1500 Kinos im Deutschen Reich.[221][222]
1907/1908 kam es erstmals zu einer Krise im Filmgeschäft. Die Besucherzahlen gingen zurück, da die häufig wenig phantasievollen und kurzen Filmproduktionen zunehmend an Attraktivität verloren. Erstmals kam es zu einer Auseinandersetzung mit Filmtheorie und Filmsprache. In Frankreich reagierte man auf die Krise mit der Orientierung an zeitgenössischen literarischen Vorlagen. Die Produktionen wurden daraufhin länger und behandelten nun komplexere Geschichten als zuvor. Diese aus Frankreich stammende Innovation nannte sich „Film d’Art“ und fand Nachahmer in vielen Ländern der Welt. Im deutschsprachigen Raum orientierte man sich an deutschsprachiger Literatur – vor allem Volksstücke wurden filmisch umgesetzt. Formal orientierte man sich am Theater, so dass die spezifischen Stärken des Mediums Film nicht zum Tragen kamen. Bis 1914 verboten große Theaterbühnen im deutschsprachigen Raum ihren Schauspielern, auch in Filmen mitzuwirken, da das Kino eine Konkurrenz für das Theater darstellte. Zu den ersten Theaterpersönlichkeiten, die diesen Bann mit künstlerisch ambitionierten Filmproduktionen durchbrachen, gehörten 1912/1913 die Schauspieler Paul Wegener (Der Student von Prag) und Albert Bassermann (Der Andere) sowie der Regisseur Max Reinhardt (Die Insel der Seligen).
Architektur und Design
Die Architektur in der Belle Époque war vor allem durch zwei Baustile geprägt: den Historismus, der sich an der Vergangenheit orientierte und ältere Stile wie Barock, Gotik und Renaissance kopierte und den Jugendstil, mit dem man neue Wege in der Architektur und im Design gehen wollte.
Bedeutende Architekten wie Peter Behrens, Bruno Taut, Otto Wagner, Hermann Muthesius, Adolf Loos, Frank Lloyd Wright, Louis Sullivan und Joseph Maria Olbrich trugen maßgeblich zur Entwicklung der modernen Architektur bei. Sie strebten danach, Form und Funktion in Einklang zu bringen und reagierten damit auf die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Industrialisierung. Sie wandten sich bewusst von der traditionellen, oft überladenen historistischen Architektur ihrer Vorgänger ab und strebten nach einer einfacheren, funktionaleren Formensprache in der Architektur.
Deutschland und Österreich
Adolf Loos, ein österreichischer und tschechischer Architekt sowie Architekturtheoretiker vertrat den radikalen Standpunkt, dass Ornament Verbrechen sei, was er in seinem 1910 veröffentlichten Essay „Ornament und Verbrechen“ darlegte. Das 1912 fertiggestellte Looshaus ist eines der zentralen Bauwerke der Wiener Moderne in Wien und das Hauptwerk des Architekten Adolf Loos. Es markiert die Abkehr vom Historismus, aber auch von dem floralen Dekor des Secessionismus. Loos’ schlichter und ornamentloser Architekturstil führte 1910 zu einem großen Skandal, weshalb ein Baustopp verhängt wurde. Es war die Rede von einer „unanständigen Nacktheit“ der oberen Fassade. Erst als Loos einwilligte, dieser Nacktheit mittels Blumenkästen entgegenzuwirken, wurde der Bau fortgesetzt und schließlich 1912 vollendet.
Die österreichischen Architekten Otto Wagner und Joseph Maria Olbrich prägten Architektur und Design der Wiener Secession. Joseph Maria Olbrich gestaltete den 1908 fertiggestellten Hochzeitsturm auf der Mathildenhöhe im Auftrag der Stadt Darmstadt als Geschenk zur Erinnerung an die Hochzeit des Großherzogs Ernst Ludwig mit Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich am 2. Februar 1905.
In Deutschland gilt der Architekt, Designer und Mitbegründer des Deutschen Werkbundes Peter Behrens als Vorreiter der sachlichen Architektur und des Industriedesigns. Mit dem Entwurf des „Monuments des Eisens“ für den Stahlwerksverband und den Verein deutscher Brücken- und Eisenbaufabriken auf der Internationalen Baufach-Ausstellung Leipzig 1913 sowie dem Entwurf des „Glashauses“ für einen Pavillon der Deutschen Glasindustrie in der Kölner Werkbundausstellung erlangten die deutschen Architekten Bruno Taut, Max Taut und Frank Hoffmann erstmals internationale Anerkennung. Beeinflusst wurde Bruno Taut durch die phantasievollen Aufsätze über Glasarchitektur des deutschen Schriftstellers Paul Scheerbart.[223]
Großbritannien
Bereits in den 1860er Jahren und damit früher als anderswo hatte in England eine Reformbewegung für das Kunsthandwerk begonnen, die später auf dem Kontinent aufgenommen wurde. Ihr Ziel bestand darin, Möbel und Wohnräume vom überladenen Dekor historischer Zitate zu befreien und einen eigenen neuen Stil zu finden. Auf Repräsentation sollte dabei weniger Wert gelegt werden als auf die sachlichen Erfordernisse des Wohnens. Der deutsche Kunstpädagoge Alfred Lichtwark formulierte dies 1896 folgendermaßen: „Alle Kunstpflege muss im Hause beginnen“ und „Habe nichts in deinem Haus, das du nicht zweckmäßig findest oder für schön hältst.“
Architektur und Design in Großbritannien waren geprägt von der Arts and Crafts-Bewegung und wurde vertreten durch Architekten wie Charles Rennie Mackintosh und Künstler wie William Morris. Ziel der Arts and Craft-Bewegung war die Aufhebung der strikten Trennung zwischen den hohen Künsten (fine arts), wie Malerei, Bildhauerei und Architektur sowie den angewandten Künsten, wie Innenarchitektur, Design, Stoffdruck, Schmuck und Buch-Illustration, also allen Erscheinungsformen des Kunsthandwerks. Künstler wie William Morris gründeten bereits 1861 eine Firma, um in gemeinsamer Arbeit Einrichtungsgegenstände zu entwerfen und zu produzieren, mit dem Ziel, die Grenze zwischen Kunst und Handwerk sowie zwischen kostspieliger Einzelanfertigung und maschinell produzierter Serienware aufzuheben. Anhand ihrer Entwürfe konnten sorgfältig durchgestaltete, solide ausgeführte Einrichtungsgegenstände in Serienproduktion hergestellt werden.
1896 wurde in England die Royal College of Art gegründet, in der erstmals Kunst und Kunsthandwerk in gleicher Weise im Lehrplan berücksichtigt wurden.[224]
Das Victoria and Albert Museum nahm als eine Sammlung von Gipsabgüssen, Gravuren und einigen Exponaten der Weltausstellung 1851 seinen Anfang. Zusammen mit dem Kunstmäzen Henry Cole schuf Prinz Albert, der Gemahl Queen Victorias, nachfolgend ein Museumskonzept, das die „Anwendung der Kunst im Handwerk“ zeigen sollte – als Vorbild für die britische Bevölkerung. Dem ersten Direktor Henry Cole schwebte ein Museum zu Design und Kunsthandwerk in einem kommerziellen Kontext vor, nicht Kunsthandwerk um des Kunsthandwerks willen.
Jugendstil
Der Jugendstil entwickelte eine besonders innige Beziehung zur Pflanzen- und Tierwelt, so war das 19. Jahrhundert auch die große Zeit der Gewächshäuser und Botanischen Gärten, beispielsweise wurde 1829 in London einer der ersten Zoos eröffnet. Durch internationale Ausstellungen und Handelsbeziehungen gelangten tropische und subtropische Pflanzen sowie neue Tierarten nach Europa und wurden somit bekannt. Auf den Jugendstil übte die Arts and Crafts-Bewegung einen entscheidenden Einfluss aus. Die Kunstrichtung des Jugendstils, die um 1890 aufkam, trat gegen den vorherrschenden Geschmack des Historismus an. Obwohl es in Europa zu unterschiedlichen nationalen Ausprägungen kam, ist der Jugendstil im Allgemeinen durch eine stark bewegte pflanzliche, organische sowie geometrische Ornamentik gekennzeichnet. Eine Erneuerung der Kunst sollte anders als im Historismus nicht aus der Geschichte, sondern aus der Natur und ihrer Formenwelt erfolgen. Viele Künstler des Jugendstil verfolgten daher die Idee, alle Gegenstände des Alltags, aber auch die Architektur nach einheitlichen Formvorstellungen zu gestalten. In Frankreich und Belgien entwickelte sich der Jugendstil oder Art Nouveau mit Hector Guimard und Victor Horta. In Katalonien der Modernisme mit dessen Hauptvertreter Antoni Gaudí.
Zu den Kunstwerken des Jugendstils zählen auch subtile und exklusive Glasschöpfungen, wobei Flora und Fauna zentrale Motive bildeten. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden die visuellen Möglichkeiten durch die Erfindung neuer optischer Instrumente wie etwa der Kamera oder dem Mikroskop erweitert. Mit ihnen konnte nun Elemente der Natur beobachtet werden, die zuvor mit dem bloßen Auge nicht erkennbar gewesen waren. Zahlreiche Alben mit Bildtafeln von Pflanzen und Tieren sowie detaillierte Nachschlagewerke wurden veröffentlicht, die Künstlern Anregungen und Muster boten. Die Darstellungen von Tieren und Pflanzen gehen dabei überwiegend auf einzelne Glaskünstler zurück. Die Zentren der Glaskunst des Jugendstils lagen vor allem in Frankreich, Amerika, Österreich und Deutschland.
Hallen und Bahnhöfe
Die stützfreie Überspannung weiter Räume wie großer Bahnhofs- und Markthallen sowie von Passagen und Kaufhäusern gehörte mit zu den größten baulichen Herausforderungen des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Raum. Die größte Schwierigkeit bereitete vor allem der Bau weiträumiger Bahnhofs- und Ausstellungshallen. Die rasche Entwicklung der Baustatik und die Verwendung von Stahl anstelle des bisher verwendeten Gusseisens ermöglichten dabei vollkommen neuartige Entwürfe aus Stahl und Glas. So errichteten Charles Louis Ferdinand Dutert und Victor Contamin anlässlich der Weltausstellung 1889 in Paris die Galerie des Machines, die vor allem durch die ungeheure Weite des stützlosen Raumes von 115 m und einer Höhe von 43 m beeindruckte.[225] Im Vergleich dazu betrug die maximale frei überspannte Weite des Crystal Palace, einem vom britischen Architekten Joseph Paxton eigens für die erste Weltausstellung 1851 in London (Great Exhibition) im viktorianischen Baustil entworfenen und von Charles Fox gebauten Ausstellungsgebäudes, lediglich 22 m. Die Galerie des Machines in Paris war zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung die größte stützenfreie Halle der Welt.[226]
Mit dem zunehmenden Erfolg der Eisenbahn wuchs auch das Verlangen nach prachtvollen und repräsentativen Bahnhofsbauten, prächtige Bauwerke aus Stein, Ziegel, Eisen und sogar Marmor entstanden. Die Bahnhöfe mit ihren hochmodernen gläsernen Bahnhofshallen und ihren prächtigen gestalteten Empfangsgebäuden zählten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu den architektonisch aufwendigsten aber auch imposantesten und repräsentativsten Bauwerken im öffentlichen Raum und waren die eigentlichen Kathedralen des 19. Jahrhunderts. Publikumswirksam dienten sie der Selbstdarstellung und dem Selbstverständnis der aufstrebenden Eisenbahngesellschaften gegenüber der Öffentlichkeit und den Reisenden und waren Prunkbauten und Visitenkarten der Städte. In der zweiten Phase des Bahnhofsbaus von 1850 bis 1880 wurden in zahlreichen Großstädten hoch repräsentative Bahnhöfe und Empfangsgebäude geschaffen, die über Hotels, Restaurants und teilweise über gesonderte Wartebereiche für Höchste und Allerhöchste Herrschaften (Fürstenbahnhof) verfügten.
In Deutschland waren die meisten Bahnhofsneubauten der Gründerzeit Kopfbahnhöfe, Züge konnten nicht durch sie hindurch fahren, sondern landeten in der Bahnhofshalle wie in einer Sackgasse. In vielen europäischen Großstädten wie Berlin, London oder Paris gab es meist mehrere solcher Kopfbahnhöfe, für jede Reiserichtung einen anderen. Wollten Reisende umsteigen, mussten sie mühsam durch den Innenstadtverkehr von einem zum anderen Bahnhof gelangen. Es gab auch Durchgangsbahnhöfe, die meist in grenznahen Städten angelegt wurden, wo die Bahnhöfe von Beginn an als Transitpunkte gedacht waren wie etwa in Köln, Aachen oder Mannheim. Die Kopfbahnhöfe in den großen Metropolen definierten die Innenstädte auf eine neue Weise als die schienenlosen Zonen zwischen den Endpunkten der verschiedenen Strecken.
Die Empfangsgebäude von Provinzbahnhöfen wurden nicht weniger aufwändig gestaltet.
Die in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Bahnanlagen konnten bereits Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr mit der Entwicklung des Bahnverkehrs, der alle Dimensionen sprengte, Schritt halten. Für die in dieser Zeit ebenfalls expandierenden städtischen Zentren entwickelten sich die dort befindlichen alten Bahnanlagen zunehmend zu einem städtebaulichen Hindernis und behinderten sie in ihrer weiteren baulichen Entwicklung. Die Lösung bestand darin, entweder die Empfangsgebäude der Bahnhöfe zu ersetzen (beispielsweise in Nürnberg 1906 beim dritten Nürnberger Bahnhof) oder aber den gesamten Bahnhof an den (damaligen) Stadtrand zu verlegen: Frankfurt (Main) Hauptbahnhof, Wiesbaden Hauptbahnhof, Bahnhof Hamburg-Altona oder Karlsruhe Hauptbahnhof. Der am 18. August 1888 nach nur 5 Jahren Bauzeit eröffnete Neubau des Frankfurter Hauptbahnhofes, damals noch Frankfurter Centralbahnhof ist dafür ein Beispiel. Der Bau war spektakulär und sorgte mit seiner fast 200 Meter langen Bahnhofshalle, die von großen bogenförmigen Stahlträgern gestützt wurde, einem Glasdach und den verglasten Stirnwänden für großes Aufsehen. Bis zur Fertigstellung des Leipziger Hauptbahnhofes 1915 war der Frankfurter Hauptbahnhof der größte Bahnhof Europas.
Eine weitere Möglichkeit, das dringende Platzproblem in den Innenstädten zu lösen, bestand darin, die Bahnhöfe einst unterschiedlicher Bahngesellschaften in einem neuen größeren Bahnhofgebäude zusammenzufassen (Düsseldorf Hauptbahnhof, Leipzig Hauptbahnhof, Darmstadt Hauptbahnhof). Dies galt auch für Halle (Saale), wo zudem der erste deutsche Personentunnel errichtet wurde.
Berühmte Bauwerke
Am 15. Oktober 1880 wurde nach über 600 Jahren der Kölner Dom nach Plänen der Kölner Dombaumeister des Mittelalters durch Ernst Friedrich Zwirner und Richard Voigtel fertiggestellt. Mit einer Höhe von 157,38 m war der Kölner Dom zu diesem Zeitpunkt das höchste Gebäude der Welt.
1882 wurde in Barcelona mit dem Bau der von Antoni Gaudí entworfenen Kathedrale Sagrada Família begonnen.
Am 24. Mai 1883 wurde die Brooklyn Bridge unter dem Namen East River Bridge zwischen Manhattan und Brooklyn in New York City eröffnet und war zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung die längste Hängebrücke der Welt.
Am 28. Oktober 1886 wurde die Freiheitsstatue in New York durch den US-amerikanischen Präsidenten Grover Cleveland eingeweiht. Die von Frédéric-Auguste Bartholdi geschaffene neoklassizistische Kolossalstatue war ein Geschenk Frankreichs an die Vereinigten Staaten.
Am 30. Juni 1894 wurde in London die Tower Bridge für den Verkehr freigegeben. Die im neugotischen Stil erbaute Klappbrücke ist die östlichste Brücke über die Themse in der britischen Hauptstadt.
In Anwesenheit von US-Präsident Woodrow Wilson und weiterer 800 geladener Gäste wurde am 4. April 1913 das Woolworth Building in Manhattan, New York City feierlich eröffnet. Das vom Architekten Cass Gilbert in dreijähriger Bauzeit erbaute Gebäude war mit 241,4 Metern bis zur Fertigstellung des Bank of Manhattan Buildings (heute 40 Wall Street) im Jahre 1930 das höchste Gebäude der Welt.
Wissenschaftsgeschichte
In den 40 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg fanden große wissenschaftliche und technologische Umbrüche und Fortschritte in Europa statt. Das Zusammenrücken von Wissenschaft, Technik und Industrie begann nach 1850 und sollte sich in den folgenden Jahrzehnten weiter fortsetzen. Die im 19. Jahrhundert aufkommende chemische Industrie war dabei von großer Bedeutung und betrieb schon früh eigene Forschungslaboratorien, die unabhängig von den Universitäten agierten. Von ebenso großer Bedeutung und praktischem Nutzen für die Gesellschaft waren die Errungenschaften in der medizinischen und mikrobiologischen Forschung. Durch die Forschungen auf diesem Gebiet konnten Seuchen eingedämmt und bis dahin als unheilbar geltende Krankheiten behandelt werden. So waren es einige wenige Naturforscher wie der Franzose Louis Pasteur (1822–1895) oder der Deutsche Robert Koch (1843–1910), die mit ihrer Forschung das Leben von Millionen Menschen beeinflussten.[227] Viele Menschen dieser Epoche begrüßten die Neuerungen, die Wissenschaft und Technik zur Entwicklung der Gesellschaft leisteten. Der technische Fortschritt, insbesondere auch die Elektrifizierung, wurde auf Reklamepostkarten, Plakaten und Wertpapieren in Form von idealisierten Göttinnen des Fortschritts („Stromfeen“) entsprechend gefeiert und gewürdigt.[228] Zahlreiche Fachzeitschriften und Magazine wurden publiziert, die ihrerseits zur Verbreitung und Popularisierung der entstehenden wissenschaftlich-technischen Kultur beitrugen.[229]
Biologie
Während des gesamten 19. Jahrhunderts war das Betätigungsfeld der neu entstehenden biologischen Wissenschaft einerseits durch die Medizin begrenzt, die sich mit den Problemen der Physiologie beschäftigte, andererseits besetzte die Naturgeschichte das Feld der Erforschung der Vielfalt des Lebendigen und die Interaktionen von Lebewesen untereinander und zwischen Lebewesen und der unbelebten Natur. Um 1900 überschnitten sich diese beiden Forschungsgebiete und aus der Naturgeschichte und ihrem Gegenspieler, der Naturphilosophie, entstanden spezialisierte biologische Disziplinen: Zellbiologie, Bakteriologie, Morphologie (Biologie), Embryologie, Geographie und Geologie.
Angestoßen durch die 1859 publizierte Evolutionstheorie Charles Darwins, machte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine „Biologisierung“ der Ethnologie geltend, wodurch der Begriff der Rasse wieder verstärkt als biologische Kategorie wahrgenommen wurde. Als neue Quelle für Kenntnisse fremder „Rassen“ kamen im 19. Jahrhundert Berichte von Forschungsreisen hinzu, an denen Zoologen, Anthropologen und Völkerkundler teilnahmen.[230]
Am 18. September 1886 hielt Werner von Siemens auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte einen Vortrag und prägte den Begriff des „naturwissenschaftlichen Zeitalters“.
Genetik und Evolutionstheorie
Der deutsche Biologe und Evolutionstheoretiker August Weisman entwickelte in den 1880er Jahren die Keimplasmatheorie, nach der nur das in den Keim- oder Samenzellen befindliche Erbgut weitergegeben wird. Dies widersprach der bis dahin populären Vorstellung von der Vererbung erworbener Eigenschaften. Ernst Mayr stuft Weisman als den bedeutendsten Evolutionstheoretiker des 19. Jahrhunderts nach Charles Darwin ein. August Weismann gilt als Begründer des Neodarwinismus.
Im Jahr 1900 wurden die von Gregor Mendel beschriebenen Vererbungsregeln wiederentdeckt: Hugo de Vries, Carl Correns und Erich Tschermak-Seysenegg entdeckten unabhängig voneinander die mendelschen Regeln, die sich allerdings so nicht in Mendels Werk finden.[231] Bald danach erklärten die Zellforscher Walter Sutton und Theodor Boveri, dass die Chromosomen das Erbmaterial enthielten. Zwischen 1910 und 1915 wurden von Thomas Hunt Morgan und seinen Schülern in ihrem „Fliegen-Labor“ die kontroversen Ideen zur „mendelschen Chromosomentheorie der Vererbung“ miteinander verbunden.[232] Sie stellten die Verbindung zwischen verschiedenen Genen fest. Durch den von ihnen postulierten (und später experimentell bestätigten) Vorgang des Crossing-over konnten sie die unterschiedliche Stärke dieser Verbindung erklären und nannten sie Genkopplung. Sie schlossen daraus, dass die Gene auf den Chromosomen aufgereiht sein müssen wie „Perlen auf einer Schnur“. Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster, ihr bevorzugtes Versuchsobjekt, wurde so ein weithin benutzter Modellorganismus.[233]
Der deutsche Anatom und Zellbiologe Walther Flemming gilt als der Begründer der Zytogenetik. Von ihm wurden 1879 die Begriffe Chromatin und Mitose geprägt. Flemming war einer der Pioniere der mikroskopischen Zytologie. Unter Verwendung der neu verfügbaren industriell hergestellten Anilinfarben fand er eine Zellstruktur, die sich stark mit basophilen Farbstoffen anfärben ließ und die er deswegen Chromatin (von altgriechisch χρῶμα, chroma = Farbe) benannte. Er entdeckte, dass das Chromatin mit fadenähnlichen Strukturen, den Chromosomen (d. h. „Farbkörperchen“) assoziiert war (dieser Name wurde 1888 von Heinrich Wilhelm Waldeyer geprägt). Etwa zur selben Zeit und unabhängig von Flemming machte der belgische Wissenschaftler Édouard van Beneden ähnliche Beobachtungen. Im Jahr 1879 wurde Flemming zum Mitglied der Leopoldina gewählt.[234]
Verhaltensforschung und Neurowissenschaften
Als Vorläufer der modernen Biologie des Verhaltens gelten die Tierbeobachtungen der Physikotheologen sowie die Vertreter der Tierpsychologie des ausgehenden 19. Jahrhunderts, „die die Vielfalt artspezifischer Verhaltensweisen bei Partnersuche, Nestbau und Brutpflege, ihre differenzierten Triebe (Naturtriebe, Kunsttriebe) und ihr unterschiedliches Lernvermögen beschrieben.“[235] Neben der beschreibenden und vergleichend-empirischen Tierpsychologie entstand zudem eine experimentelle Richtung, genannt Psychophysiologie, die sich an die Reiz- und Sinnesphysiologie anschloss und zu denen u. a. Max Verworns Psychophysiologische Protistenstudien von 1889 und die Studien von Iwan Petrowitsch Pawlow, des Entdeckers des Prinzips der Klassischen Konditionierung, zählen.
Die Etablierung der Verhaltensforschung als eine Spezialdisziplin der Zoologie erfolgte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nachdem sich um 1900 die „Forderung nach Objektivität der Forschungsmethoden, die sich in einer zunehmenden Quantifizierbarkeit, d. h. letztlich Mathematisierung der Tatsachen ausdrückte“, durchsetzte.[236]
Der spanische Histologe Santiago Ramón y Cajal erhielt 1906 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin gemeinsam mit dem italienischen Mediziner und Physiologen Camillo Golgi in Würdigung der Gesamtheit ihrer Studien und ihrer zahlreichen Veröffentlichungen. Santiago Ramón y Cajal erforschte vor allem die Feinstrukturen des Nervensystems, insbesondere des Gehirns und des Rückenmarks. Mit Hilfe der Golgi-Färbung konnte er die feine Struktur des Nervensystems sichtbar machen und die Neuronentheorie aufstellen, welche besagt, dass das Nervensystem aus individuellen Zellen (Neuronen) besteht.
Ökologie
Im frühen 20. Jahrhundert sahen sich Naturforscher zunehmend der Erwartung ausgesetzt, häufiger experimentelle Methoden einzusetzen. So entstand die Ökologie als eine Kombination von Biogeographie einerseits und dem Konzept des von Chemikern begründeten biogeochemischen Zyklus. Die im Feld arbeitenden Biologen entwickelten ebenfalls quantitative Methoden und lernten Laborinstrumente und Kameras zu benutzen, um so ihre Arbeit stärker von der traditionellen Naturgeschichte abzugrenzen. Zoologen und Botaniker taten alles, was sie konnten, um die unvorhersehbaren Aspekte der lebenden Welt zu mildern, indem sie Laborexperimente durchführten und halb kontrollierte Naturumgebungen wie etwa Gärten studierten. Neue Institutionen wie das Carnegie Station for Experimental Evolution und das Marine Biological Laboratory ermöglichten es den Wissenschaftlern, stärker kontrollierte Umgebungen für das Studium von Organismen und ihres gesamten Lebenszyklus zu nutzen.[237]
Das Konzept der ökologischen Sukzession wurde in der Zeit von 1900 bis 1910 von Henry Chandler Cowles und Frederic Edward Clements erfunden und war für die frühe Pflanzenökologie bedeutsam. Die von Alfred J. Lotka entwickelten Lotka-Volterra-Regeln und die von ihm zuerst mathematisch beschriebene Räuber-Beute-Beziehung sowie die Arbeiten George Evelyn Hutchinsons zur Biogeographie und biogeochemischen Struktur von Seen und Flüssen (Limnologie) und Charles Sutherland Eltons Arbeiten zur Nahrungskette von Tieren waren im Bereich der ökologischen Subdisziplinen Vorreiter bei der Einführung von quantitativen Methoden.
Eugenik
Ein weiteres Motiv der „Rassenkunde“, welches gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkam und bald sehr populär wurde, war die Eugenik als Idee, die Entwicklung von Rassen künstlich zu steuern. Zu deren einflussreichsten Verfechtern gehörten Francis Galton und Houston Stewart Chamberlain. Ähnliche Ansichten vertrat auch der deutsche Mediziner, Zoologe und Freidenker Ernst Haeckel. Er baute ab den 1860er Jahren die Ideen von Charles Darwin zu einer speziellen Abstammungslehre aus und trug durch seine populären Schriften und Vorträge zur Verbreitung des Darwinismus in Deutschland bei, den er im Gegensatz zu seinem Lehrer Rudolf Virchow wie seinem Gegner Emil Heinrich Du Bois-Reymond im Schulunterricht eingegliedert sehen wollte. Darüber hinaus erarbeitete er eine ausführliche embryologische Argumentation für die Evolutionstheorie und formulierte in diesem Zusammenhang das Biogenetische Grundgesetz. Haeckel prägte einige heute geläufige Begriffe der Biologie wie Stamm oder Ökologie. Auch bezeichnete er die Politik als angewandte Biologie.[238] Er propagierte den Entwicklungs-Monismus, mit dem Anspruch einer naturphilosophischen Weltanschauung auf naturwissenschaftlicher Grundlage und war Kopf und Identifikationsfigur (zeitgenössisch Monistenpapst) der zugehörigen Bewegung, die ab 1906 im Deutschen Monistenbund in Jena organisiert wurde.
Im Rahmen seiner Auseinandersetzungen mit der Übertragbarkeit rassischer Kategorien auf die gesellschaftliche Entwicklung des Menschen zählt Haeckel – hier klarer Gegner seines Lehrers Virchow – zu den schließlich entschiedenen Vertretern einer „eugenischen“ Sozialpolitik.[239] Aufgrund seiner Überlegungen zur „künstlichen Züchtung“ des Menschen in modernen Gesellschaften[240] gilt Haeckel als Wegbereiter der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Nationalsozialistische Ideologen zogen Ausschnitte seiner Aussagen später als Begründung für ihren Rassismus und Sozialdarwinismus heran, erklärten gleichzeitig aber wesentliche Teile von Haeckels Weltbild als unvereinbar mit der völkisch-biologistischen Sichtweise des Nationalsozialismus.[241]
Biochemie, Mikrobiologie und Molekularbiologie
Zum Ende des 19. Jahrhunderts waren alle wichtigen Mechanismen des Arzneistoff-Metabolismus erforscht und die Grundzüge der Proteinsynthese, des Fettsäuremetabolismus und der Harnstoffsynthese bekannt.[242] In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden Vitamine isoliert und synthetisiert. Verbesserte Labormethoden wie Chromatographie und Elektrophorese führten zu schnellen Fortschritten in der physiologischen Chemie, einer Disziplin, die sich als Biochemie von ihren medizinischen Ursprüngen emanzipierte.
Physik und Chemie
Der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte 1895 die nach ihm benannte Röntgenstrahlen. Das Ehepaar Marie und Pierre Curie isolierte 1898 erfolgreich das Radium, indem beide auf der Grundlage der Arbeit von Henri Becquerel arbeiteten, der 1896 die Radioaktivität von Uran nachgewiesen hatte. Mit Becquerel teilten sich das Ehepaar Curie 1903 den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Radioaktivität.
Es folgten die Quantentheorie (1900) von Max Planck und Albert Einsteins Relativitätstheorie (1905). 1911 leitete Ernest Rutherford aus Streuversuchen das Rutherford’sche Atommodell ab. Bereits zwei Jahre später – gestützt auf Rutherfords Erkenntnisse – stellte Niels Bohr sein Atommodell auf. Diese neuen Erkenntnisse widersprachen dabei in mehreren Punkten der klassischen Physik, die von Isaac Newton (1643–1727) ausging.
1886 wurde unabhängig voneinander durch Charles Martin Hall und Paul Héroult das nach ihnen benannte Elektrolyseverfahren zur Herstellung von Aluminium entwickelt: der Hall-Héroult-Prozess. 1889 entwickelte Carl Josef Bayer das nach ihm benannte Bayer-Verfahren zur Isolierung von reinem Aluminiumoxid aus Bauxiten. Aluminium wird noch nach diesem Prinzip großtechnisch hergestellt. Am Ende des 19. Jahrhunderts stand das Metall in solchem Ansehen, dass man daraus gefertigte Metallschiffe auf den Namen Aluminia taufte.
Unter dem Namen Bakelit wurde der erste vollsynthetische, industriell produzierte Kunststoff hergestellt und vermarktet. Er wurde 1905 vom belgischen Chemiker Leo Hendrik Baekeland entwickelt und nach ihm benannt.
Albert Einstein formulierte 1905 mit der speziellen Relativitätstheorie die Äquivalenz von Masse und Energie: E = m · c².
Mit dem 1910 von der BASF zum Patent angemeldeten Haber-Bosch-Verfahren gelang die künstliche Herstellung von Ammoniak als Ausgangsstoff für die Herstellung von Düngemittel, was die Landwirtschaft revolutionieren sollte. 1913 wurde die erste Fabrik zur Herstellung von Ammoniak für Kunstdünger nach dem Haber-Bosch-Verfahren in Oppau bei Ludwigshafen von der BASF in Betrieb genommen. Im Zusammenhang mit dem Haber-Bosch-Verfahren wurde der Nobelpreis für Chemie 1918 an Fritz Haber, 1931 an Carl Bosch sowie 2007 an Gerhard Ertl, der die vollständige theoretische Erklärung des Mechanismus der Ammoniakbildung fand, vergeben.
Mathematik und Logik
Der deutsche Mathematiker Georg Cantor lieferte wichtige Beiträge zur modernen Mathematik und begründete in den Jahren 1874 bis 1897 die Mengenlehre, die er anfangs (1877) noch Mannigfaltigkeitslehre nannte. Er veränderte auch den Begriff der Unendlichkeit. Der revolutionäre Gehalt seines Werks wurde allerdings erst im 20. Jahrhundert richtig erkannt.
Nachdem die durch Aristoteles begründete Syllogistik seit der Antike als die exakteste Form logischen Schließens gegolten hatte, begann mit Gottlob Freges revolutionärer „Begriffsschrift“ von 1879 eine neue Ära in der Geschichte der Logik. In dieser Publikation entwickelte er eine neue Logik in axiomatischer Form, die bereits den Kernbestand der modernen formalen Logik umfasste, nämlich eine Prädikatenlogik zweiter Stufe mit Identitätsbegriff.
David Hilberts Bestreben war es, die bislang sehr der Anschaulichkeit verhaftete, noch im Wesentlichen auf Euklid zurückgehende Geometrie möglichst vollständig von Begriffen aus der Anschauungswelt abzulösen und rein axiomatisch zu begründen. Eine solche axiomatische Begründung erschien Hilbert und vielen mathematischen Zeitgenossen unbedingt notwendig, da die zuvor verwendeten Begriffe aus der Anschauungswelt nicht die notwendige mathematische Exaktheit hatten und das darauf erbaute mathematische Gebäude der Geometrie somit auf „wackeligen Füßen“ zu stehen schien. In seinem fundamentalen, 1899 zur Feier der Enthüllung des Gauß-Weber-Denkmals in Göttingen veröffentlichten Werk Grundlagen der Geometrie entwarf er für die euklidische Geometrie ein vollständiges Axiomensystem und entwickelte darauf aufbauend eine streng axiomatisch begründete Geometrie. Am 8. August 1900 stellte David Hilbert eine Liste von 23 zum damaligen Zeitpunkt ungelösten mathematischen Probleme auf dem Internationalen Mathematiker-Kongress in Paris vor.
Die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 wirkte auf viele französische Mathematiker als Ansporn – wie auf anderen Gebieten auch – um einen vermeintlichen Rückstand zum aufstrebenden deutschen Reich aufzuholen, der zu einer neuen Blüte der französischen Mathematik führte.
Der französische Mathematiker, theoretische Physiker und Philosoph Henri Poincaré galt ab 1880 neben dem Deutschen David Hilbert als einer der bedeutendsten Mathematiker seiner Zeit. Er leistete wichtige Beiträge zur reinen und angewandten Mathematik und veröffentlichte Bücher für eine breite Öffentlichkeit zu mathematischen und wissenschaftlichen Themen. Poincaré stellt die vollständige Induktion, den „rekurrierenden Schluss“ vor. „Die Mathematiker studieren nicht Objekte, sondern Beziehungen zwischen den Objekten…“. 1886 und 1900 war Poincaré Präsident der Société Mathématique de France. Er wandte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend der mathematischen Physik zu. Er hat im Rahmen der Elektrodynamik bewegter Körper die spezielle Relativitätstheorie (1900–1905) in vielen Punkten vorweggenommen. 1904 formulierte er die Poincaré-Vermutung.
Der französische Mathematiker Henri Léon Lebesgue erweiterte um 1900 den Integralbegriff und begründete damit die Maßtheorie, einem Teilgebiet der Mathematik, das sich mit der Konstruktion und der Untersuchung von Maßen beschäftigt. Nach ihm benannt wurden das Lebesgue-Maß und das Lebesgue-Integral.
Zusammen mit Alfred North Whitehead verfasste Bertrand Russell mit Principia Mathematica zwischen 1902 und 1913 eines der wichtigsten Werke mathematischer Grundlagenforschung nach den Erschütterungen der Mathematik Anfang des 20. Jahrhunderts. Ziel war es, alle mathematischen Wahrheiten aus einem Satz von Axiomen und Schlussregeln zu konstruieren.
Sozialwissenschaften
Der US-amerikanische Historiker und Schriftsteller Henry Adams versuchte in seiner 1907 veröffentlichten Autobiographie Die Erziehung des Henry Adams mit spekulativen Bildern und Metaphern das Tempo des technologisch-naturwissenschaftlichen Fortschritts um die Jahrhundertwende zu erfassen. Er war der Meinung, in Technik, Ökonomie und internationaler Politik ein „Gesetz der Beschleunigung“ entdeckt zu haben.[243]
Der deutsche Historiker Heinrich von Treitschke löste 1879 mit einem von ihm veröffentlichten Aufsatz den Berliner Antisemitismusstreit aus. Der Aufsatz beinhaltet den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zum Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer werden sollte. Der bereits mehrere Jahren schwelende Antisemitismus in Deutschland erfuhr während der wirtschaftlichen Depression nach dem „Gründerkrach“ Ende der 1870er Jahre einen Aufschwung. Im Verlauf des Jahres 1880 kam es zu ersten antisemitischen Vorfällen Tätlichkeiten, wie beispielsweise der Kantorowicz-Affäre am 8. November 1880. Mitglieder der antisemitischen Berliner Bewegung forderten in einer Antisemitenpetition, Juden von hoheitlichen Stellungen, insbesondere in der Justiz, sowie im Lehramt auszuschließen, sowie die Zuwanderung ausländischer Juden zu verhindern. Insgesamt fand die Petition fand über 200.000 Unterzeichner. Als Reaktion darauf erfolgte die Notabeln-Erklärung, die am 12. November 1880 in der Berliner Presse veröffentlicht wurde und in der 75 bedeutende Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker ihre Verurteilung der antisemitischen Bewegung ausdrückten.
Der englische Publizist und Ökonom John Atkinson Hobson veröffentlichte 1902 sein berühmtestes Werk Imperialismus – A study. In seiner Unterkonsumtionstheorie vertrat er dabei die Auffassung, dass in den Industriestaaten der westlichen Welt die Produktion schneller wachse als die Massenkaufkraft. Die koloniale Expansion stelle daher einen Versuch dar, Absatzmärkte für die Überproduktion sowie Rohstoffquellen und günstige Produktionsstandorte zu erschließen bzw. erst zu schaffen. Die Studie wurde von Lenin für seine Schrift Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus aufgegriffen.
Wirtschaftswissenschaft
Der schottische Moralphilosoph und Aufklärer Adam Smith gilt als Begründer der Mikroökonomie (bzw. der klassischen Nationalökonomie).[244] In seinem Werk Der Wohlstand der Nationen (vollständiger englischer Titel: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations) von 1776 untersuchte er u. a. die Vor- und Nachteile des Marktmechanismus. Vor allem erkannte er, wie aus individuellem Eigennutz volkswirtschaftlicher Nutzen entstehen kann.
Neoklassische Theorie Ende des 19. Jahrhunderts setzte mit der Grenznutzenschule die Mathematisierung der ökonomischen Analyse ein, in deren Folge sich die Ökonomen auf quantifizierbare Phänomene (Mengen und Preise) konzentrierten und das Verhalten von Anbietern und Nachfragern auf Märkten in den Mittelpunkt ihrer Analysen stellten.
Die neoklassische Theorie, die sich zwischen 1870 und 1910 entwickelte, löste in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die klassische Nationalökonomie ab. Ausgangspunkt der Neoklassik waren die Grenznutzenschule und das von ihr begründete Marginalprinzip. Der Grenznutzen ist als der Nutzen der letzten bedarfsdeckenden und verfügbaren Einheit eines Gutes zu verstehen. Der Wert eines Gutes wird also durch die subjektive Wertschätzung seiner jeweils letzten Einheit („Grenzeinheit“) bestimmt. Diese Lehren wurden ungefähr gleichzeitig und unabhängig voneinander um 1870 von William Stanley Jevons in England, Carl Menger in Österreich und Léon Walras in der Schweiz entwickelt. Damit wurde die klassische Wert- und Preistheorie, die Werte und Preise hauptsächlich durch Produktionskosten erklärte, um eine subjektive Komponente ergänzt.
Die neoklassische Ökonomie untersucht das Verhalten von rational handelnden Wirtschaftssubjekten (Haushalte und Unternehmen), die knappe Ressourcen mit alternativen Verwendungen einsetzen, um gewünschte Ziele zu erreichen. David Ricardos klassische Kostenwertlehre, welche die Preisbildung über die Herstellungskosten der Güter herleitet, wird von Mengers Marginalprinzip abgelöst. Damit wurde der Übergang von der Klassik zur Neoklassik vollzogen.[245]
Léon Walras
Die wesentliche Leistung von Léon Walras bestand in der Entwicklung eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells der Volkswirtschaft. Hierbei agieren beliebig viele Haushalte und Unternehmen auf beliebig vielen Märkten. Walras vermutete die Existenz eines Preissystems mit der Eigenschaft, dass Angebot und Nachfrage auf allen Märkten zugleich übereinstimmen. Formal bewiesen wurde diese Vermutung erst später durch Abraham Wald und im Rahmen des Arrow-Debreu-Gleichgewichtsmodells. Das Walras-Gesetz, welches Walras im Jahr 1898 entwickelte, ist der volkswirtschaftliche Lehrsatz, dass in einem allgemeinen Gleichgewichtsmodell die Summe der bewerteten Nachfrageüberhänge stets gleich Null ist.
Knut Wicksell
Der schwedische Ökonom Knut Wicksell untersuchte in seinem Hauptwerk Geldzins und Güterpreise (1898) systematisch den Zusammenhang zwischen Geldmenge, Zins und Preisniveau. Nach Wicksells Auffassung sind Inflation und Deflation gleichermaßen schädlich, weshalb er die Frage aufwarf, wie Preisniveaustabilität erreicht werden kann. Hierzu unterschied er erstmals zwischen Marktzins und natürlichem Zins und definierte letzteren als „jene Rate des Darlehenszinses, bei welcher dieser sich gegenüber den Güterpreisen durchaus neutral verhält, sie weder zu erhöhen noch zu senken die Tendenz hat“. Anders ausgedrückt besteht Preisstabilität, wenn der Marktzins mit dem natürlichen Zins übereinstimmt. Unterschreitet der Marktzins den natürlichen Zins, kommt es tendenziell zu Inflation, im umgekehrten Fall zu Deflation (Wicksellscher Prozess). Wicksell betrachtete es als Aufgabe der (Zentralbank), das richtige Verhältnis zwischen diesen beiden Zinssätzen herzustellen. Mit seinen konjunkturtheoretischen Überlegungen wurde Wicksell zum Vater der Überinvestitionstheorie.[246]
Alfred Marshall
In seinem 1890 veröffentlichten Buch Principles of Economics stellte der britische Nationalökonom Alfred Marshall die Theorien seiner Zeit erstmals in kohärenter Form dar und entwickelte viele analytische Instrumente der Volkswirtschaftslehre. So popularisierte er die von Karl Heinrich Rau entwickelte Darstellung der Theorie von Nachfrage und Angebot in Form von Angebots- und Nachfragekurven, in denen er ebenfalls erstmals das Prinzip des fallenden Grenznutzens umsetzte. Der Gleichgewichts-Preis in Marshalls Standard-Diagramm bedeutet dasjenige Preis-Mengen-Gleichgewicht, das den aktuellen Bedürfnissen von Anbieter(n) und Nachfragern(n) optimal entspricht. Alle Ungleichgewichts-Situationen oberhalb und unterhalb des Gleichgewichts-Preises bedeuten divergierende Präferenzen.
Vilfredo Pareto
Der italienische Ökonom und Soziologe Vilfredo Pareto gilt als Vertreter der Lausanner Schule der volkswirtschaftlichen Neoklassik und als Begründer der Wohlfahrtsökonomik. Die Pareto-Verteilung, das Paretodiagramm, das Pareto-Optimum und das Paretoprinzip (80-zu-20-Regel) sind nach ihm benannt.
Rudolf Hilferding
Rudolf Hilferding wies in seinem bekanntesten Werk Das Finanzkapital (1910) darauf hin, dass Kartellbildung, Konzentration in Form von Konzernbildung und Organisierung der Finanzmärkte, zu einer zunehmenden Monopolisierung des Kapitals führen, bei dem kleinere Betriebe aber auch Banken permanent geschluckt werden. Das Finanzkapital und damit die Großbanken, welche die Großbetriebe finanzieren, bekommen eine zentrale Rolle im Prozess der Kapitalkonzentration. Sie können über das Aktienkapital das Geschäftsverhalten steuern. Es kommt zu einer Art von geplantem Kapitalismus. Das bedeutet, die anarchisch-kapitalistische Wirtschaftsentwicklung der freien Konkurrenz wird aufgehoben und entwickelt sich im Laufe der Zeit zur Wirtschaftsordnung des organisierten Kapitalismus, eine These, die erst nach dem Finanzkapital Hilferdings volle Aufmerksamkeit bekommt.
Adolph Wagner
Der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Adolph Wagner gehört neben Gustav Schmoller zu den bedeutendsten Ökonomen der Bismarck-Ära. Er war Mitglied im Verein für Socialpolitik und Rektor der Friedrich-Wilhelms- (heutigen Humboldt-) Universität in Berlin und gilt als Vertreter des Staatssozialismus. Seine Arbeiten haben die Entwicklung des Geld- und Kreditwesens in Deutschland vorbereitet und die Notenbankpolitik und Finanzpraxis vor dem Ersten Weltkrieg wesentlich beeinflusst.
Wagner formulierte das Gesetz der wachsenden Staatsausgaben. Dieses von ihm im Jahr 1892 entwickelte „Gesetz der wachsenden Ausdehnung der öffentlichen und speziell der Staatstätigkeit“ geht davon aus, dass das Wachstum der Staatsausgaben und Staatsquoten nicht bloß proportional, sondern überproportional zum Bruttosozialprodukt erfolge.[247] Als Ursache sah er die Staatsgewalt mit ihrer inneren und äußeren Sicherheit (Justiz, Militär, Polizei, Verwaltung oder auswärtiger Dienst) und die Kulturhoheit und Wohlfahrtsfunktion (Schulen, Gesundheitsvorsorge, Sozialhilfe), was im Übergang vom Ordnungsstaat zum Wohlfahrtsstaat zu erkennen sei.[248] Weitere Ursachen wie Kriegsfinanzierungen in der Peacock-Wiseman-Hypothese[249] oder die Gesetze zum Bürokratiewachstum haben die Tendenz wachsender Staatsausgaben verstärkt. Der Peacock-Wiseman-Hypothese zufolge kann der Staat in Krisenzeiten, insbesondere in Kriegszeiten, höhere Steuern und Ausgaben durchsetzen. Nachdem sich die Bürger hieran gewöhnt haben, sinken die Steuern und Ausgaben nach Beendigung der Krise nicht erneut auf das Ausgangsniveau zurück, ähnlich dem Sperrklinkeneffekt.
Soziologie
In der Zeit um 1900 erfolgte die Konsolidierung der Soziologie, die als wissenschaftliche Disziplin von Émile Durkheim, Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max Weber vorangetrieben wurde. Émile Durkheim publizierte 1893 seine bahnbrechende Studie Der Selbstmord. Während Durkheim Fragen nach dem Zusammenhalt einer Gesellschaft aufstellte, interessierte sich Weber universalhistorisch für den Zusammenhang zwischen Weltbildern, Institutionen und Formen menschlichen Handelns. Simmel wiederum galt als Diagnostiker des menschlichen Zusammenlebens in den großen Städten der Gegenwart.
Ferdinand Tönnies veröffentlichte 1887 eine theoretische Grundlegung der Soziologie: Gemeinschaft und Gesellschaft. Tönnies unterschied auf theoretischer Ebene zwischen zwei Arten kollektiver Gruppierungen kraft gegenseitiger „Bejahung“ der sozial Handelnden: „Gemeinschaft“ einerseits, „Gesellschaft“ andererseits. Diese Unterscheidung basierte auf seiner Annahme, dass es für den Einzelnen nur zwei Grundformen willentlicher Bejahung der Anderen geben kann. Diese „Bejahung“ war für Tönnies das Grundproblem und das Thema (der Erkenntnisgegenstand) der Soziologie.
1899 erschien das Buch The Theory Of The Leisure Class. An Economic Study of the Evolution of Institutions (Theorie der feinen Leute) des amerikanischen Soziologen Thorstein Veblen. Das Buch enthält eine Analyse der prestigeerzeugenden Funktion des Konsums sowie eine bissig formulierte Kritik der amerikanischen Oberschichten zur Jahrhundertwende.
Psychologie
1895 veröffentlichte der französische Sozialpsychologe Gustave Le Bon das einflussreiche Buch Psychologie der Massen. Darin postulierte er, die Epoche sei einer jenen kritischen Momente, in dem sich der Menschengeist im Prozess der Transformation befinde. Vor allem zwei Faktoren seien dafür ursächlich: die Zerstörung der Glaubensüberzeugungen (religiöse, politische, gesellschaftliche) und die Entwicklung völlig neuer Denkweisen, Resultate von modernen Entdeckungen im Bereich der Wissenschaften und der Technik. Da alte und neue Ideen miteinander ringen, sei die Gegenwart „eine Phase des Übergangs und der Anarchie“.[250]
Der österreichische Arzt, Neurophysiologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker und Religionskritiker Sigmund Freud begründete um 1890 die psychotherapeutische Behandlungsform der Psychoanalyse. Auf Anregung von Sándor Ferenczi gründete Sigmund Freud gemeinsam mit anderen Psychoanalytikern im März 1910 in Nürnberg die Internationale Psychoanalytische Vereinigung, die sich zu einer global verbreiteten Institution entwickelt.[251]
Der österreichische Arzt und Psychotherapeut Alfred Adler begründete 1907 die Denkschule der Individualpsychologie in Wien, welche das Individuum im Kontext seiner sozialen menschlichen Beziehungen und dessen Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und den daraus resultierenden Folgen für das Individuum in den Mittelpunkt stellt.
Rechtswissenschaft
Der österreichische Staatsrechtler Georg Jellinek veröffentlichte 1900 sein Hauptwerk Allgemeine Staatslehre, das heute als Meilenstein der deutschen Staatslehre gilt. Das Werk beinhaltet seine Drei-Elemente-Lehre, nach der zur Anerkennung eines Staates als Völkerrechtssubjekt die drei Merkmale „Staatsgebiet“, „Staatsvolk“ und „Staatsgewalt“ erforderlich sind. Jellineks Werk Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1895 gilt als wichtige Schrift zur Geschichte der Menschenrechte.
Meilensteine des (positiven) Völkerrechts sind:
- die Genfer Konvention vom 22. August 1864
- die Petersburger Erklärung vom 11. Dezember 1868
- der Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878
- die Kongo-Akte vom 26. Februar 1885
- die Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907
- die Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907
Im Jahr 1886 wurde die Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst in Bern angenommen. Sie begründete zum ersten Mal die Anerkennung des Urheberrechts zwischen souveränen Nationen. Sie war auf Veranlassung von Victor Hugo erarbeitet worden. Vor ihrer Ratifizierung lehnten es Staaten häufig ab, Werke anderer Nationen als geschützt zu behandeln.
Im Deutschen Reich trat 1900 das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft. Der Jurist Bernhard Windscheid hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Zivilrechtswissenschaft. Auf Vorschlag Badens wurde Windscheid im Sommer 1874 zum Mitglied der Ersten Kommission für die Abfassung eines Entwurfs zu einem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) gewählt, der er bis zum 30. September 1883 angehörte. Wenn auch Windscheid der Ansicht war, das römische Recht sollte als Ganzes für das Deutsche Reich übernommen werden, so hat sein Hauptwerk, das ab 1862 erschienene dreibändige Lehrbuch des Pandektenrechts, den ersten Entwurf des BGB entscheidend beeinflusst. Er stellte darin das römische Recht seiner Zeit so anschaulich dar, dass dieses Lehrbuch bis 1900 das fehlende Bürgerliche Gesetzbuch weitestgehend ersetzte. Windscheid kam in seiner streng systematisch geprägten Darstellung der Pandekten den Bedürfnissen der Praxis weit entgegen, da er anders als die konservativen Anhänger der historischen Rechtsschule ganz auf die historische Behandlung der Quellen verzichtete und nur nach der für die Gegenwart praktikablen Einordnung suchte, so dass sein Buch einen Stellenwert für die juristische Arbeit hatte, der höher war als heutzutage der des Grüneberg. Es wurde nach 1900 von Theodor Kipp noch zweimal neu aufgelegt.
Auch der deutsche Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Privatrechts. In Wien hielt er 1868 seinen berühmten Vortrag „Der Kampf ums Recht“,[252] der in zwei Jahren zwölf Auflagen erlebte und in 26 Sprachen übersetzt wurde. Über das Recht heißt es dort:
„Das Leben des Rechts ist ein Kampf – ein Kampf der Völker, der Staatsmacht, der Klassen und Individuen. In der Tat hat das Recht eine Bedeutung nur als Ausdruck von Konflikten und es stellt die Anstrengungen der Menschheit dar, sich selbst zu zähmen. Aber leider hat das Recht versucht, der Gewalt und dem Unrecht mit Mitteln zu begegnen, die in einer vernünftigen Welt dereinst als ebenso befremdlich wie schändlich gelten werden. Denn das Recht hat niemals wirklich versucht, die Konflikte der Gesellschaft zu lösen, sondern nur sie zu lindern, indem es Regeln niederlegte, nach welchen sie ausgefochten werden sollen.“
Geschichtswissenschaft
Die Geschichtsschreibung als „sprachliche Vermittlung historischer Erkenntnis“[253] war bis ins 19. Jahrhundert primär eine Personen- und Staatengeschichte. „Männer machen die Geschichte“, wie Heinrich von Treitschke es ausdrückte. In den 1890er Jahren kam es zu einem Methodenstreit zwischen führenden deutschen Historikern. Der Leipziger Historiker Karl Lamprecht hielt Personen und Staaten für das Sekundäre, kultur- und sozialgeschichtliche Prozesse hingegen für das Primäre in der Geschichte. Gegenüber den Anhängern Leopold von Rankes, den sogenannten „Rankeanern“ (Georg von Below, Max Lenz, Felix Rachfahl), die zu jener Zeit das akademische Leben in Deutschland prägten, betonte Lamprecht die Bedeutung von Kulturgeschichte, sowie von materiellen Faktoren und von Gruppen (Assoziationen) in der Geschichte. Der Satz, es komme nicht darauf an, zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen ist“ (Leopold von Ranke), sondern wie es geworden sei, fasste Lamprechts Einstellung treffend zusammen.
Der Methodenstreit entzündete sich ab den 1890er Jahren im Zusammenhang mit Lamprechts Deutscher Geschichte, allerdings nicht so sehr an der Tatsache, dass sein Werk primär eine Abhandlung der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte war. Wesentlich bedeutsamer war die Frage, welche Art von Geschichtsschreibung den neuen Anforderungen sowohl aus der Gesellschaft, als auch aus der Naturwissenschaft gerecht werden konnte. Im Grunde stellten die erkenntnistheoretischen Ansätze der Naturwissenschaften, die deskriptive Methode, wie sie in der Geschichtswissenschaft angewandt wurde, infrage. Die deutsche Historikerin Luise Schorn-Schütte spricht in diesem Zusammenhang von der „Krise der Geschichtswissenschaft“. Die bisherige Methode der Geschichtsschreibung konnte den neuen sozialen Anforderungen der Industrialisierung nicht entsprechend Rechnung tragen. Lamprecht suchte daher nach methodischen Alternativen. Er wollte, unter dem Einfluss des Psychologen Wilhelm Wundt und dessen Völkerpsychologie, die Kulturzeitalter von der psychischen Beschaffenheit des Volkes abhängig machen.
Die Geschichtswissenschaft fand in weiten Kreisen Anerkennung. Im Jahr 1902 erhielt der deutscher Historiker und Altertumswissenschaftler Theodor Mommsen für seine Römische Geschichte, eine mehrbändige Darstellung der Geschichte des Römischen Reichs, den Nobelpreis für Literatur.
Der erste Lehrstuhl für Religionsgeschichte wurde 1912 für den schwedischen Religionsphänomenologen Nathan Söderblom in Leipzig eingerichtet, obwohl die Kirchen eher an einer konfessionell gebundenen Theologie als an der damals wenig beliebten Religionsgeschichte interessiert waren. Dies bedeutete eine grundlegend neue Entwicklung hinsichtlich der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen.
Wissensorganisation
Das 19. Jahrhundert insgesamt und die Belle Époque im Besonderen waren eine Zeit der schnellen Industrialisierung und Modernisierung in vielen Bereichen. Mit dem exponentiellen Wachstum des wissenschaftlichen und technischen Wissens wurden daher auch effektive und effiziente Methoden zur Organisation und Kategorisierung von Wissen immer dringlicher.
Bibliotheken und Dokumentation
Die Dokumentationswissenschaft beschäftigt sich mit der Dokumentation als „Sammlung, Ordnung und Nutzbarmachung von Dokumenten aller Art“. Diese Definition stammt wie auch der Begriff „Dokumentation“ von Paul Otlet einem Pionier des Informationsmanagements. Die Dokumentationswissenschaft ist eng verwandt mit der Bibliothekswissenschaft, aus der sie hervorgegangen ist, und der Informationswissenschaft, die unter anderem von dem Informationswissenschaftler Rainer Kuhlen als ihr Nachfolger angesehen wird. Eine anerkannte Definition der Dokumentationswissenschaft, die über Otlets allgemeine Definition hinausgeht, existiert nicht.
Der Ende des 19. Jahrhunderts sprunghaft ansteigende Informationsbedarf in den Bereichen Naturwissenschaft und Technik konnte von herkömmlichen Bibliotheken immer weniger bewältigt werden. Es bildeten sich deshalb Spezialbibliotheken und andere Einrichtungen wie beispielsweise das Concilium Bibliographicum in Zürich, deren Ziel die gezielte Beschaffung von Informationen waren. Der theoretische Überbau der Dokumentationswissenschaft entstand Anfang des 20. Jahrhunderts mit Henri La Fontaine und Paul Otlet. Ihre weitreichenden Ideen einer Universellen Bibliothek stießen jedoch auch auf Ablehnung. Zwischen Bibliothekswesen und Dokumentationsbewegung kam es zu Spannungen, die vor allem in Deutschland bis Ende des 20. Jahrhunderts weiter fortbestanden. Mit dem Aufkommen kommerzieller Datenbanken und Methoden des Informationsmanagements verlor die Dokumentationswissenschaft an Bedeutung und ging weitgehend in anderen Fachdisziplinen auf. Die beiden aus Belgien stammenden Paul Otlet und Henri La Fontaine spielten eine entscheidende Rolle bei der Modernisierung des Bibliotheks- und Dokumentationswesens.[254][255] Sie führten die Universelle Dezimalklassifikation (UDK) ein, eine erweiterte Version der Dewey-Dezimalklassifikation. Das Ziel der UDK war es, alles menschliches Wissen in einem koordinierten System zu organisieren.
Die Library of Congress Subject Headings (LCSH) ist ein kontrolliertes Vokabular von Schlagwörtern zur Verwendung in bibliographischen Einträgen und wurde erstmals 1898 von der Library of Congress in den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Ein Jahr vorher war bereits die Library of Congress Classification veröffentlicht worden.
In Deutschland wurde die bereits im 16. Jahrhundert gegründete Universitätsbibliothek Leipzig während der Belle Époque modernisiert und erweitert, um der zunehmenden Menge an veröffentlichtem Wissen Rechnung tragen zu können.
In Großbritannien war die Einführung des Public Libraries Act 1850, der die Gründung von öffentlichen Bibliotheken ermöglichte, von zentraler Bedeutung. In der Belle Époque waren öffentliche Bibliotheken im ganzen Land etabliert und ermöglichten einer breiten Bevölkerungsschicht den Zugang zu Wissen und Literatur. 1884 erschien unter der Leitung des britischen Lexikografen und Philologen James Murray die erste Ausgabe des Oxford English Dictionary, des umfangreichsten Wörterbuchs in englischer Sprache.
Wilhelm Ostwald
1911 gründeten Wilhelm Ostwald sowie Karl Wilhelm Bührer und Adolf Saager die Vereinigung Die Brücke – Internationales Institut zur Organisation der geistigen Arbeit mit dem Ziel, das gesamte bekannte Wissen der Welt zu katalogisieren und zu organisieren. Für eine Weltregistratur als Generalbibliographie allen bestehenden menschlichen Wissens wurde die von Melvil Dewey in den USA entwickelte Decimal Classification benutzt. Die Brücke propagierte außerdem das Weltformat für Druckerzeugnisse. Es bildete später die Grundlage für das in der Norm DIN 476 festgelegte Papierformat. Die Brücke trat darüber hinaus für die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten, die Einführung eines Weltgeldes auf der Basis von Gold, eine Kalenderreform und die Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung ein.
Seit seiner Studienzeit in Dorpat befasste sich Wilhelm Ostwald mit der rationellen Gestaltung der geistigen Arbeit nach wissenschaftlichen und effektiven Kriterien. Die zunehmende Differenzierung in den Wissenschaftsdisziplinen und die Funktionsteilung der Wissenschaften erforderten aus seiner Sicht den Wissenschaftsorganisator, um Energievergeudung zu vermeiden.
Ostwald befasste sich zunehmend mit der Wissenschaft von der Wissenschaft und mit Wissenschaftsgeschichte, die er beispielsweise mit der Reihe „Ostwalds Klassiker der exakten Naturwissenschaften“ bekanntmachte und in einigen Schriften analysierte. Er befasste sich eingehend mit den Beziehungen zwischen den Wissenschaftsdisziplinen und präsentierte dazu seine „Pyramide der Wissenschaften“, deren Basis die Mathetik (Logik, Mengenlehre, Mathematik) bildete, auf der nach oben erst Physik, dann Chemie, Biologie, Medizin, Psychologie, Soziologie, Technik und ganz oben die Ethik mit dem „energetischen Imperativ“ aufbauen. Die Philosophie steht bei ihm über allem und stellt die Einheit her.[256] Dieses System ist Gegenstand auch neuerer Betrachtungen.[257]
Entdeckungen und Forschungsexpeditionen
Das 19. Jahrhundert war auch die Zeit großer Forschungsexpeditionen und Entdeckungen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Archäologie zunehmend zu einer ernstzunehmenden Wissenschaft. Zuvor unterschieden sich die Ausgräber archäologischer Funde kaum von Schatzsuchern und Grabräubern. Grabungstechniken wurden von nun an verfeinert, eine gute Dokumentation und exakte Einordnung der Funde wurden immer wichtiger.
Der Geschäftsmann und „Hobbyarchäologe“ Heinrich Schliemann, der u. a. die Städte Troja und Mykene entdeckte, gilt als Begründer der Vorgeschichtsarchäologie Griechenlands und des ägäischen Raumes.
Im Jahr 1879 wurden in der Höhle von Altamira in Nordspanien altsteinzeitliche Höhlenmalereien entdeckt. Die gelehrte Fachwelt bezweifelte allerdings die Echtheit der Höhlenmalereien, bis 1901 ähnliche Malereien in der Höhle von Font-de-Gaume bei Les Eyzies-de-Tayac-Sireuil im Département Dordogne (Frankreich) entdeckt wurden.
Der österreichische Prähistoriker Moritz Hoernes gründete das Institut für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien und erhielt 1892 die erste das Gesamtgebiet der Prähistorischen Archäologie umfassende Lehrbefugnis Europas.
Der Ägyptologe Sir William Matthew Flinders Petrie leistete ab 1880 in Ägypten als Forscher und Ausgräber Pionierarbeit. Ein Meilenstein der archäologischen Forschung stellen seine Methoden und Ziele der Archäologie dar, die er 1904 veröffentlichte. Obwohl Petrie nie vollständig die ägyptische Sprache erlernte, gilt er trotzdem als Pionier sowohl der Ägyptologie, Archäologie und Paläopathologie.
Am 18. April 1881 wurde mit dem Natural History Museum in London eines der größten naturhistorischen Museen der Welt eröffnet.
Am 23. Januar 1895 betrat der Polarforscher Carsten Egeberg Borchgrevink als erster Mensch das antarktische Festland.
1899 begann die Deutsche Orient-Gesellschaft mit Ausgrabungen in Babylon, die von dem deutschen Architekten und Bauforscher Robert Koldewey geleitet wurden, der einer der bedeutendsten deutschen Vertreter der Vorderasiatischen Archäologie war. Zusammen mit dem deutschen Archäologen Wilhelm Dörpfeld gilt er als Begründer der modernen archäologischen Bauforschung. Die Ausgrabungen in Babylon liefen 18 Jahre fast ohne Unterbrechungen und kamen erst gegen Ende des Ersten Weltkrieges 1917 zum Erliegen als britische Truppen gegen Bagdad vorrückten.
Der Brite Arthur Evans erwirbt am 16. März 1900 auf Kreta ein Gelände mit Ruinen von Knossós und legt in umfangreichen, mehrjährigen Ausgrabungen den minoischen Palast frei.
Im August 1900 wurde im Permafrostboden Sibiriens das Berjosowka-Mammut gefunden. Das außergewöhnlich gut erhaltene Exemplar eines Wollhaarmammuts lieferte der Wissenschaft neue Erkenntnisse über diese ausgestorbene Elefantenart.
Am 11. Oktober 1900 wurde durch Kaiser Wilhelm II. der Grundstein zur Rekonstruktion des Römerkastells Saalburg gelegt, bis etwa 1907 entstand so das am vollständigsten rekonstruierte römische Kastell am gesamten ehemaligen Limes. Bereits 1892 nahm unter der Leitung von Theodor Mommsen die Reichs-Limeskommission ihre Arbeit mit dem Ziel auf, den genauen Verlauf des Obergermanisch-Rätischen Limes und die Lage der dort befindlichen Kastelle zu erforschen.
Am 21. Oktober 1907 fand der Arbeiter Daniel Hartmann in einer Sandgrube in Mauer bei Heidelberg mit dem Unterkiefer von Mauer das bislang älteste Fossil der Gattung Homo, das in Deutschland geborgen wurde. Zuvor war bereits 1887 in der gleichen Sandgrube der gut erhaltene Schädel eines urzeitlichen Waldelefanten gefunden worden.
1908 wurde beim Bau der Donauuferbahn in Willendorf (Niederösterreich) die aus der Zeit um 25.000 v. Chr datierte Kalksteinfigur Venus von Willendorf gefunden.[258]
Am 24. Juli 1911 stieß eine von Hiram Bingham geleitete Expedition der Yale University in Peru durch Zufall auf die Ruinen der Inkastadt Machu Picchu.
Der norwegische Seemann und Polarforscher Roald Amundsen und seine vier Begleiter Helmer Hanssen, Olav Bjaaland, Oscar Wisting und Sverre Hassel erreichten am 14. November 1911 als erste Menschen den geographischen Südpol.
Die Büste der ägyptischen Königin Nofretete wurde am 6. Dezember 1912 bei Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft unter Leitung des deutschen Ägyptologen Ludwig Borchardt in Tell el-Amarna in Mittelägypten entdeckt.
1913 erschien der erste Band des von Heinrich Bulle herausgegebenen Handbuchs der Archäologie, einer Fachbuchreihe zu Themen des Altertums und der Altertumswissenschaften.
Das Ende der Belle Époque
Die Zeit eines weithin sorglosen Lebensgefühls endete spätestens 1914 mit Beginn des Ersten Weltkriegs.[259][260] Das Attentat von Sarajevo auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Frau Herzogin Sophie von Hohenberg am 28. Juni 1914 gilt letztendlich als Auslöser für den Ersten Weltkrieg, auch deshalb, weil alle nachfolgenden diplomatischen Bemühungen um eine Konfliktlösung auf Grund des unversöhnlichen Machtstrebens der europäischen Großmächte scheiterten. Der Schlusspunkt der Belle Époque kann nach Meinung einiger Historiker aber bereits 1912 gesetzt werden: Der Untergang der Titanic, eine Art „schwimmende Belle Époque in Miniatur“[261], so Dominique Kalifa, gab dieser Gesellschaft eine tragische Vorahnung der Katastrophe. Symbolisch ging mit dem Untergang der Titanic auch der naive Glaube an die Allmacht der Technik mit unter. Die erkennbaren Vorzeichen eines neuen, großen Krieges trugen dazu bei, dass aus dem Vertrauen in die Zukunft Unsicherheit und Angst wurden. Vereinzelte kritische Stimmen, etwa seitens der Lebensreform und in der Kunst[262] hatte es jedoch auch schon vorher gegeben.
Viele Historiker betrachten heute nicht nur einzelne, unmittelbare Anlässe wie das Attentat von Sarajevo am 18. Juni 1914 als Kriegsursache, sondern verweisen auf eine Vielzahl tieferer, struktureller Faktoren, die mit zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beitrugen:
- Nationalismus: Dies war eine dominierende Ideologie in vielen europäischen Ländern. Ein intensiver und übersteigerter Nationalstolz führte oft zu einem Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Nationen und trug zur Bildung von Spannungen bei. Dies galt nicht nur für die Großmächte, sondern auch für Nationalitäten innerhalb von Großreichen, die nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit strebten, wie die Slawen im österreichisch-ungarischen Reich.
- Imperialismus und Kolonialismus: Die Großmächte Europas befanden sich im Wettlauf um Kolonien in Afrika und Asien, was in der Folge zu Rivalitäten und Konflikten um Territorien und Einflusssphären führte.
- Militarismus: Es entwickelte sich ein Rüstungswettlauf zwischen den europäischen Großmächten, insbesondere zwischen Deutschland und Großbritannien. Große Armeen und Flotten wurden aufgebaut, und der Glaube an die Macht des Militärs prägte die politische Kultur und das Denken vieler Länder.
- Allianzsysteme: Die europäischen Mächte schlossen eine Reihe von Verteidigungsallianzen, die darauf abzielten, das Gleichgewicht der Macht zu erhalten, aber auch dazu führten, dass kleine Konflikte sich zu einem größeren Krieg ausweiten konnten. Zwei Hauptblöcke bildeten sich: die Triple Entente und die Mittelmächte.
- Krisen vor 1914: Es gab mehrere internationale Krisen in den Jahren vor dem Krieg, wie die Marokkokrisen (Erste Marokkokrise, Zweite Marokkokrise) oder die Balkankriege. Diese Krisen verschärften die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten und förderten ein Klima des gegenseitigen Misstrauens.
Die komplexe Interaktion all dieser Faktoren führte dazu, dass sich der Konflikt, als er schließlich ausbrach, schnell zu einem weltweiten Krieg ausweitete, einem Krieg, der nicht nur auf den europäischen Schlachtfeldern, den Kolonien in Afrika, im Nahen Osten und auf hoher See, sondern auch an der "Heimatfront" ausgetragen wurde.
Der Erste Weltkrieg wurde anfangs von vielen Intellektuellen und Künstlern in Europa begrüßt und als Befreiungsschlag angesehen.[263] Mit dem einsetzenden Krieg verband sich die Illusion eines reinigenden Fegefeuers, welches die Basis für eine neue Welt und eine neue Kunst sein sollte[264] oder wie es Max Liebermann ausdrückte:[265]
„Kriege scheinen nötig zu sein, um den im Frieden wuchernden Materialismus einzudämmen.“
Der deutsche Maler Franz Marc war wie viele Andere seiner Generation von der reinigenden Wirkung des Krieges überzeugt. 1915 schrieb er an seinen Künstlerkollegen Helmuth Macke:[266]
„La Bête humaine, – nun weiß man, was das ist. Ich gehöre aber durchaus nicht zu den Menschen, die den Krieg verurteilen.“
Bei einem Aufklärungs- und Erkundungsritt wurde Franz Marc am 4. März 1916 gegen 16 Uhr im Wald bei Herméville-en-Woëvre bei Braquis durch zwei Granatsplitter im Kopf tödlich verwundet.[267][268][269]
Mythos "Belle Époque"
Der französische Ausdruck „Belle Époque“ – und das damit assoziierte Lebensgefühl von Luxus, Eleganz, Romantik, Glamour und Bohème – hat bis in die Gegenwart nichts von seiner Anziehungskraft und Faszination eingebüßt. Museen, Ausstellungen und Ausstellungskataloge, sowie historische Romane, Filme und reich bebilderte „Coffee Table Books“ haben die schönen Seiten sowie Glanz und „joie de vivre“ der Belle Époque in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder thematisiert.[270] Das 2012 erschienene Buch 1913: Der Sommer des Jahrhunderts des deutschen Autors Florian Illies war 18 Wochen lang in den Jahren 2012 und 2013 auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.[271]
Im Kino der 1920er Jahre wurde der Stil der Belle Époque von den Wiener Regisseuren Erich von Stroheim und Joseph von Sternberg, die nach dem Ersten Weltkrieg in Hollywood arbeiteten, bevorzugt. Die Filme von Jean Renoir in Frankreich und später von Luchino Visconti in Italien bedienten sich ebenfalls der Bilder eines verlorenen Paradieses.
In verschiedenen europäischen Ländern wurden bereits Ende der 1920er Jahre und in den 1930er Jahren erste „Nostalgie-Bahnreisen“[272] mit dem Pullman-Express veranstaltet, die an die Tradition des Orient-Express aus der Zeit der Belle Époque anknüpften. Seit 2005 betreibt die schweizerische Montreux-Berner Oberland-Bahn zwischen Montreux und Zweisimmen den GoldenPass Belle-Époque.[273][274]
Einige Dampfschiffe aus der Zeit der Belle Époque werden heute auf dem Genfersee aus touristischen Gründen weiter betrieben und unterhalten (Italie, Vevey, Montreux, La Suisse, Savoie).
Der „Mythos Belle Époque“ wird im Tourismusmarketing gezielt von Orten und Regionen eingesetzt, die durch Architektur, Ereignisse, Traditionen oder Personen der Belle Époque geprägt wurden.[275] Die Côte Fleurie ("Blumenküste") in der französischen Region Normandie mit den Orten Honfleur, Deauville, Trouville und Cabourg entstand im Zusammenhang mit der touristischen Vermarktung dieser Küstenregion. Um sich gegenüber anderen touristisch attraktiven Küsten wie der Côte d’Azur, der Alabasterküste und der Côte d’Émeraude abzuheben wurde ein eigenes, von der Belle Époque geprägtes, touristisches Profil entwickelt.
Unter den heutigen Luxushotels der Welt sind nicht wenige, die in der Belle Époque gegründet wurden.
Siehe auch
- Zeitalter des Imperialismus (ca. 1870–1914)
- Zeitalter des Kolonialismus
- Belle Époque brasileira
- Langes 19. Jahrhundert
- Trente Glorieuses
Literatur
Einführungen
- Dominique Kalifa: The Belle Époque. A Cultural History, Paris and Beyond. Columbia University Press, 2021, ISBN 978-0-231-55438-1.
- Shearer West: Fin de Siècle, Gilded Age, or Belle Époque: Different Endings to the Same Century. In: Jane Desmarais, David Weir (Hrsg.): The Oxford Handbook of Decadence. Oxford University Press, 2020, ISBN 978-0-19-006695-6.
- Dominique Kalifa: «Belle Époque»: invention et usages d’un chrononyme. In: Revue d’histoire du XIXe siècle, 2016, 52, S. 119–132.
- Dominique Kalifa: La véritable histoire de la Belle Époque. Fayard, Paris 2017, ISBN 978-2-213-65529-1.
- Dominique Lejeune: La France de la Belle Époque: 1896–1914. 6., revidierte Auflage. Armand Collin, Paris 2011, ISBN 978-2-200-24892-5.
- Michel Winock: La Belle époque: la France de 1900 à 1914. Pour l’histoire, Paris 2002, ISBN 2-262-01667-4.
- Hermann Schreiber: Die Belle Époque. Paris 1871–1900, München 1990. ISBN 978-3-471-78747-2.
- Philippe Jullian, Diana Vreeland: La Belle Époque. The Metropolitan Museum of Art, 1982, ISBN 0-87099-329-1.[276][277]
- Willy Haas: Die Belle Epoque. Hueber, München 1977, ISBN 3-19-001306-3 (= Große Kulturepochen in Texten, Bildern und Zeugnissen. Band 8).
- Roger Shattuck, René Char (Fotos): Die Belle Epoque. Kultur und Gesellschaft in Frankreich 1885–1918. Originaltitel: The Banquet Years; übersetzt von Erich Krois. Piper, München 1963, DNB 454677294.
- Karl Epting: Frankreichs goldene Jahre. La Belle Époque. Steingrüben Verlag, Stuttgart 1962.
Ausstellungskataloge
- Wilfried Rosendahl, Christoph Lind, Eva-Maria Günther: Katalog zur Sonderausstellung Kinderträume. Spielen – Lernen – Leben um 1900 in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Nünnerich-Asmus 2023, ISBN 978-3-96176-235-4.
- Andreas Krock: Mannheims Belle Époque. Tanz und Taumel einer Epoche. Hrsg.: Hermann Wiegand, Alfried Wieczorek, Christoph Lind. Morio Verlag, 2019, ISBN 978-3-945424-80-3.
- Tobias Hoffmann (Hrsg.): 1914 – Das Ende der Belle Époque. Ausstellungskatalog Bröhan-Museum Berlin. Wienand Verlag, 2014, ISBN 978-3-86832-227-9.
- Gisela Vetter-Liebenow (Hrsg.): Zwischen Kaiserwetter und Donnergrollen. Die wilhelminische Epoche im Spiegel des Simplicissimus von 1896 bis 1914. Wilhelm-Busch-Gesellschaft e. V. 2013.
- Michael Buhrs: Jules Chéret. Künstler der Belle Époque und Pionier der Plakatkunst; Ausstellung „Jules Chéret (1836–1932). Künstler der Belle Époque und Pionier der Plakatkunst“ im Museum Villa Stuck, Arnold, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-89790-356-2.
- Jutta Zander-Seidel: Kleiderwechsel. Frauen-, Männer- und Kinderkleidung des 18. bis 20. Jahrhunderts. Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums. Band 1. Germanisches Nationalmuseum, 2002.
- Jürgen Schultze, Ursula Bode (Hrsg.): Paris – Belle Époque. Katalog zur Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, 16. Dezember 1994 bis 26. Februar 1995. Hirmer Verlag, 1994, ISBN 3-7774-6570-4.
- Catherine Join-Diéterle: Die Pariser Mode der Belle Époque. In: Paris – Belle Époque, Ausstellungskatalog Kulturstiftung Ruhr, Villa Hügel Essen. Recklinghausen 1994, S. 55–70.
- Michael Koch und Bayerisches Nationalmuseum (Hrsg.): Pariser Schmuck. Vom 2. Kaiserreich zur Belle Époque. Katalog zur Ausstellung des Bayerischen Nationalmuseums vom 1. Dezember 1989 bis zum 4. März 1990. Hirmer Verlag, München 1989, ISBN 3-7774-5220-3.
Historischer Kontext
- Christina B. Carroll: The Politics of Imperial Memory in France, 1850–1900. Cornell University Press, 2022, ISBN 978-1-5017-6312-0.
- Hedwig Richter: Aufbruch in die Moderne: Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich. Suhrkamp Verlag 2021, ISBN 978-3-518-12762-9.[278]
- Jürgen Kocka: Der Kampf um die Moderne. Das lange 19. Jahrhundert in Deutschland. Stuttgart Klett-Cotta 2021, ISBN 978-3-608-98499-6.
- Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent. Europa 1900–1914. München 2014, ISBN 978-3-446-23292-1.
- Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. 2. Auflage. München 2013, ISBN 978-3-570-55268-1.
- Frank-Lothar Kroll: Geburt der Moderne, Politik, Gesellschaft und Kultur vor dem Ersten Weltkrieg. Bonn 2013 (Bundeszentrale für politische Bildung, Band 1340).
- Frederic Delouche (Hrsg.): Das europäische Geschichtsbuch. Von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert. 2. Auflage. Stuttgart 2012 (bpb-Schriftenreihe, Band 1233).
- Domenico Losurdo: Freiheit als Privileg. Eine Gegengeschichte des Liberalismus. PapyRossa Verlag 2010, ISBN 978-3-89438-431-9.
- Franz J. Bauer: Das „lange“ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche. 3. Auflage. Reclam-Verlag, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-018770-8.
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- Lothar Gall: Europa auf dem Weg in die Moderne 1850–1890. 5. Auflage. München 2009, ISBN 978-3-486-58718-0 (Oldenbourg Grundriß der Geschichte, herausgegeben von Lothar Gall, Karl-Joachim Hölkeskamp, Hermann Jakobs, Band 14).
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- Jörg Fisch: Europa zwischen Wachstum und Gleichheit 1850–1914 (Handbuch der Geschichte Europas, Band 8), Ulmer Stuttgart 2002, ISBN 3-8001-2763-6.
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- Jean-Pierre Rioux: Chronique d’une fin de siècle. France (1899–1900). Seuil 1991, ISBN 2-02-012878-0.
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Kolonialismus
- Eva-Maria Schnurr, Frank Patalong (Hrsg.): Deutschland, deine Kolonien. Geschichte und Gegenwart einer verdrängten Zeit. DVA, München 2022, ISBN 978-3-421-07002-9.
- Jürgen Osterhammel, Jan C. Hansen: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. C.H. Beck 2021, ISBN 978-3-406-77341-9.
- Götz Großklaus: Das Janusgesicht Europas. Zur Kritik des kolonialen Diskurses. Transcript, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-8376-4033-5.
- Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Eine Globalgeschichte der europäischen Expansion 1450–2015. 4. Auflage. München 2016, ISBN 978-3-406-68718-1.
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- Joachim Mohr, Eva-Maria Schnurr (Hrsg.): Die Gründerzeit. Wie die Industrialisierung Deutschland veränderte. DVA, München 2019, ISBN 978-3-421-04843-1.
- Leon Fink: The Long Gilded Age: American Capitalism and the Lessons of a New World Order. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2018, ISBN 978-0-8122-2413-9.
- Zephyr Teachout: Corruption in America: From Benjamin Franklin’s Snuff Box to Citizens United. Harvard University Press, Cambridge 2014, ISBN 978-0-674-05040-2, S. 174–182 (= 8. The Gilded Age).
- Charles W. Calhoun (Hrsg.): The Gilded Age: Perspectives on the Origins of Modern America. 2. Auflage. Rowman & Littlefield, Lanham 2006, ISBN 0-7425-5038-9.
- Rudolf Rübberdt: Geschichte der Industrialisierung. Wirtschaft und Gesellschaft auf dem Weg in unsere Zeit. München 1972.
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- Jutta Zander-Seidel, Roland Prügel (Hrsg.): Wege in die Moderne: Weltausstellungen, Medien und Musik im 19. Jahrhundert. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2014, ISBN 978-3-936688-82-5.
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- Petra Krutisch: Aus aller Herren Länder. Weltausstellungen seit 1851. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2001, ISBN 3-926982-78-0.
Technischer Fortschritt
- Robin Kellermann: Im Zwischenraum der beschleunigten Moderne: Eine Bau- und Kulturgeschichte des Wartens auf Eisenbahnen, 1830–1935. transcript Verlag, Bielefeld, 2021, ISBN 978-3-8376-5589-6.
- Hollis Clayson: Illuminated Paris. Essays on Art and Lighting in the Belle Époque. The University of Chicago Press 2019, ISBN 978-0-226-59386-9.
- Tom Standage: The Victorian Internet. The Remarkable Story of the Telegraph and the Nineteenth Century’s On-Line Pioneers. Bloomsbury 2014, ISBN 978-1-62040-592-5.
- Alexander C.T. Geppert, Uffa Jensen, Jörn Weinhold (Hrsg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert. transcript Verlag 2005, ISBN 3-89942-312-7.
- Ralf Roth: Das Jahrhundert der Eisenbahn. Die Herrschaft über Raum und Zeit 1800–1914. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2005.
- Wolfgang Schivelbusch: Lichtblicke: Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert. Hanser, München / Wien 1983, ISBN 3-446-13793-9. Taschenbuch: Fischer-TB 16180, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-16180-0.
- Habbo Knoch, Daniel Morat (Hrsg.): Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880–1960. Wilhelm Fink Verlag 2003, ISBN 3-7705-3822-6.
- Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. 7. Auflage. Fischer Taschenbuch, 2000, ISBN 3-596-14828-6.
- Iris Kronauer: Zur Faszination von Technik. Elektrizität auf der Pariser Weltausstellung von 1900 und das Urteil deutscher Kommentatoren. MA, TU Berlin, 1993.
- Christophe Prochasson: Les années électriques (1880–1910). Suivi d’une chronologie culturelle détaillée de 1879 à 1911 établie par Véronique Julia. éditions La Découverte 1991, ISBN 2-7071-2006-5.
- Robert Wall: Die goldene Zeit der Ozeanriesen. Bertelsmann 1977, ISBN 3-570-06430-1.
- Ludwig Croon: Das Fahrrad und seine Entwicklung. Deutsches Museum, Abhandlungen und Berichte. VDI-Verlag, Berlin 1939.
Gesellschaft und Alltagskultur
- Dirk Liesemer: Café Größenwahn 1890–1915. Als in den Kaffeehäusern die Welt neu erfunden wurde. Hoffmann und Campe, 2023, ISBN 978-3-455-01656-7.
- Arnaud-Dominique Houte: Les peurs de la belle Époque. Crimes, attentats, catastrophes et autres perils. Tallandier, 2022, ISBN 979-10-210-5170-6.
- Alice Bravard: La vie mondaine à la Belle Époque. Nouvelle Monde, 2022, ISBN 978-2-38094-318-4.
- Jean-Louis Festjens (Hrsg.): L’Illustration. La Belle Époque 1889–1914: La Belle époque telle que les Français l’ont vécu. Michel Lafon, 2022, ISBN 978-2-7499-5136-2.[280]
- Julian Barnes: Der Mann im roten Rock. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021, ISBN 978-3-462-05476-7.
- Karl Schlögel: Der Duft der Imperien. Chanel. No. 5 und Rotes Moskau. Carl Hanser Verlag, 2020, ISBN 978-3-446-26582-0.
- Wilhelm Widenmann: Paris 1900. Schönheit und Artistik. Füsslin Verlag, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-940769-08-4.
- Marc Walter, Sabine Arqué: France 1900. Taschen Verlag, 2019, ISBN 978-3-8365-7850-9.
- Vincent Bouvet: Paris. De la belle époque aux années folles. Places des Victoires Edition 2012, ISBN 978-2-8099-0702-5.
- Kate Cambor: Gilded Youth. Three Lives in France’s Belle Époque. Farrar, Straus and Giroux, 2010, ISBN 978-0-374-53224-6.[281]
- Gunilla Budde: Blütezeit des Bürgertums. Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert. Darmstadt 2009, ISBN 978-3-534-15170-7.
- Patricia A. Tilburg: Colette’s Republic. Work, Gender, and Popular Culture in France, 1870–1914. Berghahn Books, 2009, ISBN 978-1-84545-571-2.
- Hans Peter Treichler: Die Löwenbraut. Familiengeschichte als Zeitspiegel der Belle Époque. Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2009, ISBN 978-3-03823-491-3.
- Bernard Michel: Prague Belle Époque. Aubier, 2008, ISBN 978-2-7007-2363-2.
- Willi Wottreng: Die Millionärin und der Maler. Die Tragödie Lydia Welti-Escher und Karl Stauffer-Bern. Orell Füssli, 2005, ISBN 978-3-280-06049-0.
- Mario Florin: Die Bündner Belle Epoque in Fotografien. Das Fotoatelier Lienhard & Salzborn in Chur und St. Moritz. Verlag Bündner Jahrbuch, 2004, ISBN 978-3-9521724-8-3.
- Amelie Soyka: Tanzen und tanzen und nichts als tanzen. Tänzerinnen der Moderne von Josephine Baker bis Mary Wigman. Berlin 2004, ISBN 978-3-932338-54-0.
- Günter Erbe: Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens. Böhlau, 2002, ISBN 978-3-412-05602-5.
- Martin P. Johnson: The Dreyfus Affair. Honor and Politics in the Belle Époque. Macmillan Education, 1999, ISBN 978-0-333-68267-8.
- Werner Ross: Bohemiens und Belle Époque. Als München leuchtete. Siedler Verlag, 1997, ISBN 978-3-88680-611-9.
- Ute Frevert (Hrsg.): Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988.
- Jeffrey D. Needell: A Tropical Belle Époque. The Elite Culture of Turn-of-the-Century Rio de Janeiro. Cambridge University Press, 1987.
- Leopold Reutlinger: Die Schönen von Paris. Fotografien aus der Belle Époque. Hrsg. von Robert Lebeck. Nachwort von Nicolaus Neumann. Hardenberg, 1981, ISBN 978-3-88379-227-9.
- Georg Ramseger, Michel Melot: Die Belle Époque und ihre Kritik. Die Karikatur schreibt Geschichte. Edition Andre Sauret, 1980, ISBN 978-3-295-00251-5.
- Albert Robida: Luftschlösser der Belle Époque. Die besten utopischen Bilder aus „Le Vingtième siècle (1883)“. Hrsg. von Winfried Petri. Harenberg Verlag, 1979, ISBN 978-3-88379-097-8.
- Gabriel Marcel Thomas: La Bretagne a la Belle Époque. s.p.r.l., Brüssel 1975.
- Jost Hermand: Der Schein des schönen Lebens. Studien zur Jahrhundertwende. Frankfurt am Main 1972 (Athenäum Paperbacks Germanistik, 12).
- Jürgen Osterhammel: Das 19. Jahrhundert (1800–1914). In: Informationen zur politischen Bildung, 2/2012, Nr. 315; bpb.de (PDF; 5,0 MB).
Kaufhäuser
- Geoffrey Crossick, Serge Jaumain (Hrsg.): Cathedrals of Consumption. European Department Stores, 1850–1939. Routledge Revivals, 2019, ISBN 978-0-367-13393-1 (Reprint from 1999).
- Jan Whitaker: Wunderwelt Warenhaus. Eine internationale Geschichte. Gerstenberg, Hildesheim 2013, ISBN 3-8369-2745-4.
- Jan Whitaker: The World of Department Stores. Vendome Press, 2011, ISBN 978-0-86565-264-4.
- Michael B. Miller: The Bon Marché. Bourgeois Culture and the Department Store, 1869–1920. Princeton University Press, 1994, ISBN 978-0-691-03494-2.
- William R. Leach: Land of Desire. Merchants, Power, and the Rise of a New American Culture. Vintage, 1994, ISBN 0-679-75411-3.
Tourismus
- Bertram M. Gordon: The Emergence of France as a Tourist Icon in the Belle Époque. In: Bertram M. Gordon: War Tourism. Second World War France from Defeat and Occupation to the Creation of Heritage. Cornell University Press, 2018, ISBN 978-1-5017-1589-1.
- Andreas Z'Graggen: Suvretta House St. Moritz. Geschichte des Hotels. NZZ Libro, Zürich 2012, ISBN 978-3-03823-819-5.
- Gabriele M. Knoll: Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-17676-6.
- Andreas Mai: Touristische Räume im 19. Jahrhundert. Zur Entstehung und Ausbreitung von Sommerfrischen. Essen 2004 (Werkstattgeschichte, Band 36).
- Arthur Schärli: Höhepunkt des schweizerischen Tourismus in der Zeit der „Belle Epoque“ unter besonderer Berücksichtigung des Berner Oberlandes. Kulturgeschichtliche Regionalstudie. Peter Lang, 1984, ISBN 3-261-03424-6.
Frauen
- Sonja Duska: Modegeschichten. Die Damenwelt des 19. Jahrhunderts. Morio Verlag, 2019, ISBN 978-3-945424-73-5.
- Ingo Rose, Barbara Sichtermann: Kurtisanen, Konkubinen & Mätressen. ebersbach & simon, Berlin 2016, ISBN 978-3-86915-133-5.
- Willi Wottreng: Lydia Welti-Escher. Eine Frau in der Belle Époque. Elster-Verlag 2014, ISBN 978-3-906065-22-9.
- Rachel Mesch: Having It All in the Belle Epoque. How French Women’s Magazines Invented the Modern Woman. Stanford University Press, 2013, ISBN 978-0-8047-8713-0.
- Paul Fryer (Hrsg.): Women in the Arts of the Belle Epoque. Essays on Influential Artists, Writers and Performers. McFarland & Co, 2012, ISBN 978-0-7864-6075-5.
- Diana Holmes, Carrie Tarr (Hrsg.): A Belle Epoque? Women and Feminism in French Society and Culture 1890–1914. Berghahn Books, 2006, ISBN 0-231-55438-9.
- Sabine Welsch: Ausstieg aus dem Korsett. Reformkleidung um 1900. 2. Auflage. Häußer, Darmstadt 2003, ISBN 3-89552-082-9.
- Marie Louise Roberts: Disruptive Acts. The New Woman in Fin-de-Siecle France. The University of Chicago Press, 2002, ISBN 0-226-72124-8.
- Anita Ulrich: Bordelle, Strassendirnen und bürgerliche Sittlichkeit in der Belle Epoque. Eine sozialgeschichtliche Studie der Prostitution am Beispiel der Stadt Zürich. In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft der Stadt Zürich, 1985, Band 52, Heft 3, ISBN 3-906399-00-1.[282]
Sport
- Philippe Gaboriou: The Tour de France and cycling’s Belle Époque. in: The International Journal of the History of Sport, Volume 20, Issue 2, 2003.
- Jean-Michel Barrault: Die Belle Époque des Segelsports. BLV Verlagsgesellschaft. München 2004, ISBN 3-405-16639-X.
- Renate Schuster, Ralf Michael Schupsky: Fußball und die Belle Époque. Entstehung der Fußballclubs und die Zeit des Jugendstils. Edo-Verlag, Saarbrücken 2015, ISBN 978-3-639-54952-2.
Kunst und Kultur
- Hollis Clayson: Illuminated Paris. Essays on Art and Lighting in the Belle Époque. The University of Chicago Press, 2019, ISBN 978-0-226-59386-9.
- Thomas Bauer-Friedrich, Robert Fajen, Ralph Ludwig (Hrsg.): Die schöne Zeit. Zur kulturellen Produktivität von Frankreichs Belle Époque. transcript Verlag, 2018, ISBN 978-3-8376-3901-8.
- Mary Mcauliffe: Twilight of the Belle Époque. The Paris of Picasso, Stravinsky, Proust, Renault, Marie Curie, Gertrude Stein and their Friends through the Great War. Rowman & Littlefield, 2017, ISBN 978-1-4422-7613-0.
- Mary Mcauliffe: Dawn of the Belle Époque. The Paris of Monet, Zola, Bernhardt, Eiffel, Debussy, Clemenceau and their Friends. Rowman & Littlefield, 2014, ISBN 978-1-4422-0928-2.
- Jacques Le Rider, Christian Winterhalter (Übersetzer): Arthur Schnitzler oder die Wiener Belle Époque. Passagen Verlag, 2013, ISBN 978-3-7092-0094-0.
- Marjan Sterckx, Leen Engelen: Between Studio and Snapshot. Belle Époque Picture Postcards of Urban Statues. In: History of Photography, 2013, Volume 37, Issue 4. doi:10.1080/03087298.2013.839532
- Davinia Caddy: The Ballets Russes and Beyond. Music and Dance in Belle-Époque Paris. Cambridge University Press, 2012, ISBN 978-1-139-02818-9.
- Werner Brunner: Wandbilder der Belle Époque in europäischen Wohn- und Geschäftshäusern. Deutscher Kunstverlag, Berlin / München 2011, ISBN 978-3-422-07001-1.
- Roy Johnston: Parisian Architecture of the Belle Époque. John Wiley, 2007, ISBN 978-0-470-01555-1.
- Jürgen Döring: Toulouse-Lautrec und die Belle Époque. Prestel 2002, ISBN 3-7913-2805-0.
- Thomas Hunkeler; Lucius Keller (Hrsg.): Marcel Proust und die Belle Époque. Beiträge des Symposions Proust und die Belle Époque der Marcel-Proust-Gesellschaft in Hamburg 1999. Insel-Verlag, Frankfurt am Main / Leipzig 2002, ISBN 3-458-17119-3.
- Renate Ulmer; Lee Traynor (Übersetzung); Annie Doehner (Übersetzung): Jugendstil in Darmstadt. Roether Verlag, Darmstadt 1997.
- Ursula E. Koch, Markus Behmer: Grobe Wahrheiten – Wahre Grobheiten, Feine Striche – scharfe Stiche. Jugend, Simplicissimus und andere Karikaturen-Journale der Münchner Belle Époque als Spiegel und Zerrspiegel der kleinen wie der großen Welt. Verlag Reinhard Fischer, 1996, ISBN 3-88927-198-7. Katalog zur Ausstellung des Instituts für Kommunikationswissenschaft (Zeitungswissenschaft) der LMU München.
- Andreas Lepik: Die Zurückführung der Kunst ins Leben: Karl Ernst Osthaus und das Museum Folkwang. In: Manet bis van Gogh, Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne. Ausstellungskatalog. Prestel, Berlin/München 1996, ISBN 3-7913-1748-2.
- Jean-Louis Ferrier: Fauvismus – Die Wilden in Paris. (Aus dem Französischen übersetzt von Diethard H. Klein), Editions Pierre Terrail, Paris 1992, ISBN 2-87939-053-2.
- Wolfgang Asholt: Gesellschaftskritisches Theater im Frankreich der Belle Époque (1887–1914). Carl Winter Verlag 1984, ISBN 3-533-03547-6.[283]
- Stephen Kern: The Culture of Time and Space 1880–1918. Harvard University Press 1983, ISBN 0-674-02169-X.
- Joachim Schultz: Literarische Manifeste der „Belle Epoque“ Frankreich 1886–1909. Versuch einer Gattungsbestimmung. Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft. Peter Lang 1980, ISBN 3-8204-5950-2.
- Hans Jürgen Hansen (Hrsg.): Das pompöse Zeitalter. Zwischen Biedermeier und Jugendstil. Oldenburg / Hamburg 1970.
- Gotthard Jedlicka: Der Fauvismus. Büchergilde Gutenberg, Zürich 1961.
- Jean Leymarie: Fauvismus. Aus dem Französischen übersetzt von Karl Georg Hemmerich. Editions d’Art / Albert Skira Verlag, Genève 1959.
Wissenschaftsgeschichte
- W. Boyd Rayward (Hrsg.): Information Beyond Borders. International Cultural and Intellectual Exchange in the Belle Époque. Ashgate 2014, ISBN 978-1-4094-4225-7.
- Olivier Jouanjan: Die Belle Époque des Verwaltungsrechts. Zur Entstehung der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft in Europa (1880–1920) In: Armin von Bogdandy, Peter Michael Huber: Handbuch IuS Publicum Europaeum. Band IV. C.F. Müller, 2011, ISBN 978-3-8114-4114-9, S. 425–459.
Weblinks
- Belle Epoque allgemein (Texte deutsch, französisch, englisch, italienisch; sehr umfangreiche Seite; ausführliche Synopsis 1870–1914, dreisprachig; Bildbeispiele für Architektur und Plakate; Darstellung der frühen Jahre des Films).
- The Dark Side of the Belle Époque, EU Projekt PREWArAs.
- 10 Fascinating Facts About the Belle Époque, fiveminutehistory.com.
- What was „La Belle Époque“? (Part 1), (Part 2), Paul Sargent, Youtube.
- A trip through Paris, France, late 1890s, Denis Shiryaev, Youtube.
Rundfunk:
- Die Belle Époque – Kulturphänomen Jahrhundertwende, Bayern 2 | radioWissen. Podcast von Michael Reitz, Ausstrahlung am 3. August 2021.
- Tanya Lieske: Von der Belle Époque zum großen Krieg. Deutschlandfunk, 5. Februar 2012. Über den Epochenroman „Das Buch der Kinder“ (2011) von A.S. Byatt.
- Thomas Migge: Die „Belle Époque“ in Italien, Deutschlandfunk vom 30. August 2006.
- Mit Marie Bäumer durch das Paris der Belle Époque. BR-Klassik, 13. Mai 2015.[284]
- Reisen-in-der-Belle-Epoque-das-musee-du-bagage-im elsässischen Hagenau. Deutschlandfunk, 15. Januar 2017.
- Beziehungskisten in den Pariser Salons der Belle Époque (1-5), SWR2 Musikstunde mit Katharina Eickhoff, 15. Mai 2023.
- Paris. So schön war das!, ARTE, 27. Dezember 2023.
Museen:
- Museum Zeughaus: Belle Époque. Tanz und Taumel einer Epoche[285] - Dauerausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim.
- Musée Fin-de-Siècle, Brüssel, Belgien.[286]
- Belle Époque Zentrum[287], Blankenberge, Belgien.[288]
- Belle-Époque-Museum[289], Waldhaus Flims.
Wechselausstellungen:
- La Bohème. Toulouse-Lautrec und die Meister von Montmartre[290], Ausstellung im Kurpfälzischen Museum Heidelberg vom 5. März 2023 bis 11. Juni 2023. La Bohème wurde in Zusammenarbeit mit dem Musée d’Ixelles, Brüssel, und dem Institut für Kulturaustausch in Tübingen organisiert. Exponate aus der Sammlung des Kurpfälzischen Museums und einer bedeutenden Heidelberger Privatsammlung ergänzten die Schau.
- 1914 – Das Ende der Belle Époque[291], Ausstellung im Bröhan-Museum vom 15. Mai 2014 – 31. August 2014.
- Mode-Paris-Ausstellung-Garderobe-der-Belle-Epoque. Zeit Online, 5. Dezember 2013.
- Belle Époque. Toulouse-Lautrec, Chéret, Steinlen und weitere Meister französischer Plakatkunst[292], Ausstellung im Buchheim Museum vom 21. Oktober 2007 bis 13. April 2008.
- La Belle Époque. Youtube, The Metropolitan Museum New York, 1983.
Einzelnachweise
- ↑ a b Eva-Maria Krech, Eberhard Stock, Ursula Hirschfeld, Lutz Christian Anders: Deutsches Aussprachewörterbuch. 1. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin / New York 2009, ISBN 978-3-11-018202-6, S. 362.
- ↑ a b Stefan Kleiner et al.: Duden Aussprachewörterbuch. Der Duden in zwölf Bänden. 7. Auflage. Band 6. Dudenverlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-411-04067-4, S. 226.
- ↑ a b Belle Époque, die. duden.de, abgerufen am 22. November 2023.
- ↑ Vanessa R. Schwartz: What’s in a 'Chrononyme'?, About: Dominique Kalifa, La véritable histoire de la Belle Époque, Fayard. In: booksandideas.net. 22. Januar 2018, abgerufen am 1. August 2023.
- ↑ Damaris Nübling: Zeitnamen. (PDF) In: Namenarten und ihre Erforschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik. Andrea Brendler und Silvio Brendler, 2004, abgerufen am 1. August 2023.
- ↑ Was the Belle Époque in France really that „belle“? In: offbeatfrance.com. Abgerufen am 25. Juli 2023.
- ↑ Ambivalenz und Verschmelzung im „Jugendstil“. Publikationsorgan des Monats „Jugend“ (1896–1940). Arbeitsstelle für Geschichte der Publizistik - Historisches Institut, Universität zu Köln, 2. Juni 2022, abgerufen am 28. Juli 2023.
- ↑ Belle Epoque oder wie schön ist es wirklich? In: zeitklicks.de. Abgerufen am 18. Juli 2023.
- ↑ Albert Tanner: Belle Époque. Historisches Lexikon der Schweiz, 23. Mai 2002, abgerufen am 18. Juli 2023.
- ↑ Die Zeit um 1900 oder Was ist Belle Époque? In: badnauheim.tour-de-kultur.de. Abgerufen am 18. Juli 2023.
- ↑ Dominique Kalifa: « Belle Époque »: invention et usages d’un chromonyme. In: doi.org. 2016, abgerufen am 29. August 2023.
- ↑ Dominique Kalifa: The Belle Époque.A Cultural history, Paris and Beyond. Columbia University Press, 2021, S. 3.
- ↑ Marie-Claire Bancquart: Paris „Belle Époque“ par ses écrivains. AdamBiro/Paris Musées, 1997, S. 10.
- ↑ Charles Péguy: L’Argent. Cahiers de la quinzaine, 1913.
- ↑ Matthias Schulz: Das 19. Jahrhundert (1789–1914). Hrsg.: Michael Erbe (= Grundkurs Geschichte). Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-17-018974-4, S. 198,201–202,210,227–230,239,258,267.
- ↑ Wilfried Rosendahl, Christoph Lind, Eva-Maria Günther: Katalog zur Sonderausstellung Kinderträume. Spielen - Lernen -Leben um 1900 in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Nünnerich-Asmus 2023, S. 45.
- ↑ Die Neuerfindung der Schweiz in 51 Tagen: Die Verfassung, die keiner wollte In: Neue Zürcher Zeitung vom 10. April 2023
- ↑ Andreas Kley: Bundesverfassung (BV). In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- ↑ Die Internierung der Bourbaki-Armee 1871. (PDF; 0,5 MB) Bourbakipanorama.ch
- ↑ Robin Schwarzenbach: Bundesrat gegen General: Mitten im Deutsch-Französischen Krieg kommt es in der Schweiz zu einem gefährlichen Machtkampf. In: NZZ, 27. Januar 2020.
- ↑ Robin Schwarzenbach: Der Deutsch-Französische Krieg und seine Folgen – und wie das Bourbaki-Panorama nach Luzern kam. In: NZZ, 30. Januar 2021.
- ↑ Robin Schwarzenbach: Die Bourbakis kommen! In: NZZ, 30. Januar 2021.
- ↑ Johann Langhard: Die anarchistische Bewegung in der Schweiz: von ihren Anfängen bis zur Gegenwart und die internationalen Führer. O. Häring Verlag, Berlin 1903 (Digitalisat online).
- ↑ Olson: Historical Dictionary of the British Empire. S. 285.
- ↑ Porter: The Nineteenth Century. S. 8.
- ↑ Jürgen Osterhammel: Die Welt 1880 bis 1914. Der Aufstieg der USA zur Weltmacht, In: Informationen zur politischen Bildung Nr. 315, Das 19. Jahrhundert. Bundeszentrale für politische Bildung, S. 80.
- ↑ Christopher Klein: How Gilded Age Corruption Led to the Progressive Era. Abgerufen am 13. April 2022 (englisch).
- ↑ Gerd Schneider, Christiane Toyka-Seid: Imperialismus, in: Das junge Politik-Lexikon, Bundeszentrale für politische Bildung, 2023.
- ↑ Lucien Sève: Freidenker und Barbaren. Le Monde diplomatique, 12. Juli 2013, abgerufen am 5. November 2013.
- ↑ Angelo Maiolino: Liberalismus: Die Freiheit des Geldes. In: woz.ch. 9. September 2010, abgerufen am 5. November 2023.
- ↑ Die Geschichte des Museums. In: africamuseum.be. Abgerufen am 25. August 2023.
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- ↑ Bernhard von Bülow, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes in einer Rede im Reichstag am 6. Dez.1897, zit. bei Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht 1871–1918, Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs. Frankfurt am Main 2013, S. 193. s. auch: M. Epkenhans: Wilhelminische Flottenrüstung. S. 15 ff., 36.
- ↑ Lewis M. Chere: The Diplomacy of the Sino-French War (1883–1885): Global Complications of an Undeclared War. 1988, S. 188–190.
- ↑ Loyd E. Eastman: Throne and Mandarins: China’s Search for a Policy during the Sino-French Controversy. 1967, S. 200–205.
- ↑ Lung Chang: 越南與中法戰爭. 1993, S. 6.
- ↑ Thoralf Klein: Die Hunnenrede (1900). In: Jürgen Zimmerer (Hrsg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt 2013, ISBN 978-3-593-39811-2, S. 164–176, S. 164.
- ↑ Albrecht Hagemann: Kleine Geschichte Australiens. (= Beck’sche Reihe. Band 1594), Verlag C. H. Beck, München 2004, ISBN 978-3-406-51101-1, S. 79–80, 137.
- ↑ Mark Peel: Kleine Geschichte Australiens. Ins Deutsche übersetzt von Elfriede Peschel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000, ISBN 978-3-423-30755-0, S. 116 (dtv 30755).
- ↑ Wie schön war die Belle Époque? Felsenweg. Lernpfad mit Aussicht. (PDF) Pädagogische Hochschule Luzern, Bürgenstock Kunst- und Kulturstiftung, abgerufen am 13. August 2023.
- ↑ Georg Erdmann, Peter Zweifel: Energieökonomik: Theorie und Anwendungen. Gabler Wissenschaftsverlag, 2008, ISBN 978-3-540-70773-8, S. 258 ff. (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Michael North: Kleine Geschichte des Geldes. C.H. Beck, München 2009, S. 150/151.
- ↑ Ralph Dietl: USA und Mittelamerika. Die Außenpolitik von William J. Bryan, 1913–1915, Franz Steiner Verlag Stuttgart, ISBN 3-515-06914-3, S. 231 (Google books)
- ↑ Geschichte des NOKK, auf wsa-nord-ostsee-kanal.wsv.de, abgerufen am 25. Februar 2024
- ↑ Kolonialwaren. In: kolonialgeschichtema.com. Abgerufen am 19. August 2023.
- ↑ Barbara Ritter: Vortragsreihe Kolonialismus: Feinkost aus „Übersee“. EDEKA und die Kolonialwarenhändler. Mannheimer Abendakademie, 13. Juli 2021, abgerufen am 19. August 2023.
- ↑ Für was steht eigentlich der Name Edeka? Eine Geschichte der Kolonialwarenläden und Einkaufsgenossenschaften am Beispiel von Deutschlands größtem Lebensmittelhändler. In: historischer-augenblick.de. 28. September 2021, abgerufen am 20. August 2023.
- ↑ Uwe Spiekermann: Die Edeka. Entstehung und Wandel eines Handelsriesen. In: Peter Lummel, Alexandra Deak (Hrsg.): Einkaufen! Eine Geschichte des täglichen Bedarfs. Freunde der Domäne Dahlem, Berlin 2005, ISBN 3-9802192-5-9.
- ↑ Der Beginn der Lebensmittelindustrie. Jagdmuseum und Landwirtschaftsmuseum Schloss Stainz, abgerufen am 19. August 2023.
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