Gelatine
Gelatine ist geschmacksneutrales tierisches Eiweiß denaturiertes bzw. hydrolysiertes Kollagen, das aus dem Bindegewebe von vor allem Schwein und Rind stammt. Gelatine fehlt die essentielle Aminosäure Tryptophan, es gilt nicht als vollwertiges Eiweiß.
Da Hydroxyprolin nur in Gelatine in nennenswerten Mengen enthalten ist (ca. 13%), lässt sich durch quantitative Bestimmung dieser Aminosäure die Menge der zugesetzten Gelatine errechnen.
Zur Gewinnung wird das zunächst unlösliche Bindegewebe von (vor allem) Haut und Knochen von Schweinen und Rindern aber auch von Geflügel und Fischen einem Aufschlussverfahren (Hydrolyse) unterworfen, das Peptid-Bindungen aufspaltet, sodass sich das so wasserlöslich gemachte Kollagen extrahieren lässt. Der Aufschluss kann durch Kochen (Herstellung einer Bouillon in der Küche) oder durch Behandlung mit Säuren und Basen und anschließender Extraktion (industrielle Herstellung) erfolgen. Gelatine kann 1–2 % anorganische Stoffe und bis zu 15 % Wasser enthalten.
Gelatine quillt in Wasser und löst sich beim Erwärmen ab etwa 50 °C auf. Sie ist das einzige Hydrokolloid, bei dem das (beim Abkühlen) gebildete Gel beim Erwärmen wieder flüssig wird. Dieser temperaturabhängige Gel/Sol-Übergang ist reversibel und ist auch verantwortlich dafür, dass Gummibärchen im Mund schmelzen (und nicht kleben wie z. B. Stärkeprodukte). Gelatine ist temperaturempfindlich. Wird sie längere Zeit über 80 °C erhitzt, wird sie hydrolysiert und verliert damit mehr und mehr ihre Gelierkraft (gemessen in Bloom).
Wie alle anderen Proteine besitzt auch Gelatine amphotere Eigenschaften. Deshalb gibt es einen pH-Wert, an dem die (positive) elektrische Ladung der Aminogruppen so groß ist wie die (negative) Ladung der Carboxylgruppen. Dieser isoelektrische Punkt der Gelatine ist von der Herstellungsart abhängig (saurer Aufschluss: pH-Wert 5, alkalischer Aufschluss: pH-Wert 7–9). Am isoelektrischen Punkt ist Gelatine am unlöslichsten, was als Bestimmungsmethode dienen kann (stärkste Trübung des Gels).
Für eine vegetarische Ernährung ist Gelatine nicht geeignet, weil sie aus Bindegewebe (das nur in Tier und Mensch vorkommt) hergestellt wird. Vegetarische Alternativen zu Gelatine sind Agar-Agar sowie Pektin und Carrageen. In der Lebensmitteltechnologie können diese Substanzen jedoch nicht immer Gelatine ersetzen. Koschere Gelatine wird auf Fischbasis hergestellt.
Von der Gelatine abgegrenzt wird Kollagen-Hydrolysat, welches durch Enzyme hydrolysiert wird und als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wird.
Herstellung
Rohstoffquellen
In Europa verwendete Speisegelatine wird zu ca. 70 % aus Schweineschwarten hergestellt (ca. 5 kg Schweineschwarten ergeben 1 kg Gelatine). 18 % des Rohstoffs besteht aus Tierknochen, weitere 10 % aus Häuten. Für die Herstellung des restlichen Anteils (2 %) der Gelatine werden andere Rohstoffe verwendet.[1]
Wegen der BSE-Krise wurden im Jahr 1999 von der EU-Kommission strenge Richtlinien für die Herstellung von Gelatine festgelegt.
Fischgelatine wird aus dem in Fischhäuten enthaltenen Kollagen hergestellt, u.a. um damit jüdischen und islamischen Speisegesetzen zu entsprechen (siehe Koscher und Halal). Fisch stellt allerdings eines der allergensten Lebensmittel dar und es können allergische Reaktionen auf Fisch ausgeprägt sein. Allerdings liegen keine Berichte über klinische Reaktionen auf Gelatine in handelsüblichen Lebensmitteln vor. Da aber ausreichende Daten aus Provokationsstudien mit Personen fehlen, die eine Fischallergie haben und spezifisches IgE gegen Fischgelatine aufweisen bzw. positiv auf einen Pricktest mit Fischkollagen oder Fischgelatine reagieren, wurden 2004 die vom schweizerischen Duft- und Aromahersteller Givaudan vorgelegten Daten anlässlich eines Antrags auf Zulassung von Fischgelatine zur Verkapselung von Aromastoffen von der EFSA als unzureichend bewertet. Andererseits wurde aber auch die Meinung geäußert, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist, dass Fischgelatine unter den vom Antragsteller spezifizierten Verwendungsbedingungen eine schwere allergische Reaktion bei der Mehrzahl der Personen mit Fischallergie auslösen wird.
Industrieller Herstellungsprozess
Beschrieben wird das von den meisten Herstellern praktizierte Verfahren zur Herstellung von Gelatine:[2]
Ausgangsmaterialien: Bindegewebe (Häute und Knochen) von Rindern, Schweinen, Fisch oder Geflügel.
Vorbehandlung: Zunächst werden Fett und anorganische Bestandteile vom Ausgangsmaterial grob entfernt und das Material zerkleinert (Knochen werden geschrotet, entfettet und während der Mazeration von Calciumcarbonat, Calciumphosphat und Calciumfluorid befreit; diese entmineralisierte Substanz nennt man Ossein). Abhängig vom Ausgangsmaterial wird eine von zwei verschiedenen Behandlungsmethoden gewählt: (A) Basische Behandlung: Material mit stark quervernetztem Kollagen (z. B. aus Rind) wird über einige Wochen (bis mehrere Monate) mit Kalkmilch behandelt (unter Bildung von Ammoniak). (B) Säurebehandlung: Material mit weniger quervernetztem Kollagen (z. B. aus Schweineschwarte) wird einen Tag lang mit Säure (Schwefel- oder Salzsäure) behandelt, dann neutralisiert und nach intensiver Auswaschung der Salze wird das Kollagen extrahiert.
Extraktion: Das vorbehandelte Material ist nun in warmem Wasser löslich (Bouillon) und wird über bis zu 5 Stufen mit steigender Temperatur extrahiert. Die Temperatur ist für die Gelierungsstärke (Bloom Wert) bestimmend: Je niedriger sie ist, desto höher ist die Gelierungsstärke, die zuletzt mit höchster Temperatur gewonnenen Extraktionsfraktionen ergeben die minderwertigsten Gelierungsstärken.
Reinigung: Die Extrakte werden von verbliebenem Fett und Fasern separiert und filtriert. Zuletzt werden Calcium, Natrium, verbliebene Säurereste und andere Salze entfernt.
Eindickung: In Vakuumtrocknern wird die dünnflüssige Gelatinelösung zu einer honigähnlichen Konsistenz eingedickt.
Trocknung: Der hochkonzentrierte Gelatinebrei wird sterilisiert, abgekühlt und unter strengen Reinheitsbedingungen getrocknet, wobei sie gelieren und die gelierte Masse in Nudelform auf ein Trockenband extrudiert werden kann. Das Band durchläuft dann einen Trockentunnel, an dessen Ende die Gelatine bis auf einen Wassergehalt von 10–15 % getrocknet ist und noch zu Partikel gewünschter Größe gemahlen wird. Zur Herstellung von Blattgelatine wird entsprechend nicht in Nudelform extrudiert, sondern ein Gelatinefilm erzeugt, für den als Trockenband ein weitmaschiges Netz dient.
Verwendung
Lebensmittel
Gelatine wird teilweise in Halbfettprodukten und Lightprodukten wie Halbfettmargarine, Halbfettbutter und fettreduzierten Käsesorten verarbeitet, außerdem als Geliermittel zur Herstellung von Süßwaren wie Gummibärchen, Weingummis, Weichkaramellen, Marshmallows, Schaumwaffeln, Lakritz oder Schokoküssen. Des Weiteren kann sie in Backwaren, Milchprodukten (etwa Quark, Kefir und Joghurt) und Desserts (z.B. Götterspeise, Jelly Pudding vulgo Wackelpudding, Mädchenröte), in Fleisch-, Fisch- und Wurstwaren wie zum Beispiel Sülze und Aspik, Pfefferminzbonbons und Weihnachtskonfekt, aber auch als Schönungsmittel in Getränken wie Wein, Apfelwein, Essig und allen nicht naturtrüben Fruchtsäften sowie in manchen Ländern sogar im Bier zum Einsatz kommen.
Auch als Mittel zur Einkapselung von Vitaminzusätzen (z.B. in Lebensmitteln oder Brausetabletten) kann Gelatine zum Einsatz kommen. Die Vitamine werden somit wasserlöslich eingeschlossen und lösen sich bei Kontakt mit Flüssigkeit wieder.
Pharmazeutische Technologie
Gelatine wird in der pharmazeutischen Industrie zur Herstellung bzw. in der Apotheke zur Weiterverarbeitung von Hart- und Weichkapseln und in geeigneten Fällen zur Viskositätserhöhung von Lösungen als Gelatine A (saurer Aufschluss) bzw. Gelatine B (alkalischer Aufschluss)(s. Verdickungsmittel) eingesetzt. Obwohl es noch mehr Arten von Gelatine gibt, finden praktisch nur diese beiden dort Anwendung. In der Medizin dient Gelatine unter anderem zur Beschichtung von Implantaten wie beispielsweise Gefäßprothesen.
Rindergelatine in Form von Polygelin als Stabilisator ist bzw. war in mehreren Impfstoffen enthalten, so in jenen gegen FSME, Japan-Enzephalitis, Tollwut, Varizellen und im MMR-Impfstoff. Obwohl allergische Reaktionen auf Impfstoffe mit einer Häufigkeit von etwa 1 Reaktion zu 500.000 Impfdosen insgesamt selten sind, spielt die Allergie gegen Gelatine (in Kombination mit Thiomersal) als allergische Reaktion vom Soforttyp (bis hin zur Anaphylaxie) eine wichtige Rolle und gilt für etwa die Hälfte aller diesbezüglichen Komplikationen verantwortlich, sodass diese nun zunehmend aus Impfstoffen entfernt wird.
Medizin
In der Medizin wird Gelatine als Arzneistoff zur Behandlung eines Volumenmangelschocks verwendet.
Technische Anwendungen
Gelatine ist auf den üblichen fotografischen Filmen und Fotopapieren enthalten, in den meisten fotografischen Edeldruckverfahren stellt sie den Träger der Pigment- bzw. Chemikalienschicht dar.
In der Maskenbildnerei in Film und Theater oder auch bei Rettungsübungen dient gefärbte Gelatine zur realistischen Wunddarstellung. Die Organe, wie man sie zum Beispiel in Krankenhausserien zu sehen bekommt, sind auch oft aus Gelatine gefertigt. Zudem wird sie bei der Sportart Paintball als Hülle für biologisch abbaubare Munition verwendet. Zur Bestimmung von Schusskanälen bzw. der Eindringtiefe eines Projektils wird Ballistische Gelatine verwendet.
Nebenprodukte
Bei der Gelatineherstellung entstehen außer der Gelatine Nebenprodukte, die weiter genutzt werden: Fleischknochenmehl (zum Beispiel als Tierfutter oder Dünger), Knochenfett (zum Beispiel zur Seifenherstellung) und Calciumcarbonat (zum Beispiel für die Zahnpastaherstellung). Auch Metalle, Klebstoffe und besonders festes Papier können mit Hilfe von Gelatine hergestellt sein.
Alternativen
Tierkrankheiten wie BSE haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass viele Verbraucher Gelatine (insbesondere als Nahrungsmittel) meiden. Auch für Menschen, die aus ethischen Gründen auf tierische Stoffe im Alltag verzichten, sind Alternativen zu Gelatine von Bedeutung.
Im Nahrungsmittelbereich gibt es zahlreiche Alternativen. Pflanzliche Dickungs- und Geliermittel sind: Alginate (aus Algen, z. B. Agar-Agar), Pektin (aus Früchten), Gummi arabicum, Stärke (mit Essigsäure modifiziert, z. B. Guarkernmehl und Johannisbrotkernmehl). Auch die Klärung von Flüssigkeiten lässt sich mit nicht-tierischen Hilfsmitteln durchführen (z. B. Ton, Tannin, Kieselgur, Asbest). Statt Gelatine werden hier jedoch auch Casein (aus Milch), Chitin (aus der Fischerei-Abfallproduktion und der Biotechnik) und Hausenblase (Schwimmblase einer Störart) verwendet. Wenn Gelatine als Hilfsmittel bei der Herstellung benutzt wird, muss sie nicht als Inhaltsstoff deklariert werden. Ihre Verwendung lässt sich in diesen Fällen nur durch direkte Produktanfragen an den Hersteller klären.
Bei Produkten der Pharmaindustrie und anderer Industrien kann zum Teil auf gelatinefreie Produkte zurückgegriffen werden. Wer die Verwendung von Gelatine ablehnt, sollte sich z. B. seine Fotos selbst auf festem Papier ausdrucken, um gelatinebeschichtetes Fotopapier zu vermeiden.
Literatur
- Wilfried Babel: Gelatine – ein vielseitiges Biopolymer. In: Chemie in unserer Zeit, 30 (1996), S. 86–95, ISSN 0009-2851
- Jörg Florian Liesegang: Die Gelatine in der Medizin. Dissertation, Universität Heidelberg 2007 (Volltext) – Geschichtliches zu der Verwendung in der Medizin des 17.–20. Jahrhunderts
- Reinhard Schrieber, Herbert Gareis: Gelatine Handbook. Theory and Industrial Practice. Wiley-VCH, Weinheim 2007, ISBN 978-3-527-31548-2
Einzelnachweise
- ↑ Gelatinemarktdaten (Gelatine Manufacturer of Europe)
- ↑ Gelatine Manufacturers of Europe: The Manufacturing Process http://www.gelatine.org/en/gelatine/production/138.htm