Neue Welt (Berlin)
Die Neue Welt ist ein ehemaliger Bierpalast und liegt am östlichen Ende der Straße Hasenheide im Berliner Bezirk Neukölln. Das Außengelände am Fuß des Rollbergs wurde seit 1867 als Standort für Bierausschank-Gärten genutzt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Neue Welt wurde zum ersten Mal in der Vossischen Zeitung vom 23. April 1880 erwähnt, als bekanntgegeben wurde, dass der Gastronom Rudolf Sternecker das Etablissement übernommen hat. Schon zwei Tage später wurde in der gleichen Zeitung das erste große Konzert angekündigt. Die Musik kam in jenen Jahren von zahlreichen Militärkapellen.[1] Neben den sonstigen Volksbelustigungen gab es auf dem Gelände die sogenannte „Indische Halle“, davor eine große Teichanlage mit Springbrunnen und Kaskaden, ein Hippodrom, eine Freiluftmanege sowie eine Halle für den „Ball champetrie“ – den „Ländlichen Ball“. Eine besondere Attraktion des Parks war die elektrische Eisenbahn, die Werner von Siemens schon 1879 auf der Gewerbeausstellung in Moabit vorgeführt hatte.
Kurz nach der Jahrhundertwende wurde ein erster großer Saal fertiggestellt, der knapp 2000 Personen Platz bot. Damit wurde die Neue Welt auch zum Ort für Theater-Aufführungen. Daneben war sie als politischer Versammlungsraum beliebt. Vor allem die SPD und die Gewerkschaften führten zahlreiche Versammlungen und Kundgebungen im Saal der Neuen Welt durch. Viele Vereine und Verbände richteten dort Weihnachtsfeiern, Sommerfeste und Branchentreffen aus.
Im Jahr 1910 wurde die Neue Welt weiter zum Vergnügungspark ausgebaut. Attraktionen waren eine Wasser-Rutschbahn, ein Marionettentheater, ein Photographen-Atelier und eine Wellenbahn. Schon einige Jahre zuvor war mit dem Bockbierfest eine weitere Veranstaltung etabliert worden, die sich zum Publikumsrenner entwickelte. Neben dem Getränkegenuss waren Wettbewerbe wie die Prämierung des schönsten Damenbeins verantwortlich für den Erfolg.
Während des Ersten Weltkriegs diente die Neue Welt als Lazarett. Danach wurde die Tradition der politischen Versammlungen wieder aufgenommen. Dabei waren nicht nur KPD und Gewerkschaften zu Gast, sondern auch rechte Gruppierungen wie der Stahlhelm im Jahr 1927. Mit dem Aufstieg der NSDAP wurde die Neue Welt vermehrt zum Ort nationalsozialistischer Propaganda-Veranstaltungen, bei denen auch Joseph Goebbels auftrat. In der Zeit des Nationalsozialismus war Staatstreue angesagt, so wurden Konzerte mit deutschen Swing-Kapellen, wie Otto Kermbach, immer seltener.
Nach einem alliierten Luftangriff im Frühjahr 1945 konnte die Neue Welt nicht mehr für Veranstaltungen genutzt werden. 1946 wurde der große Saal nach einem Umbau wieder in Betrieb genommen. Er wurde nun vor allem für Filmvorführungen und Boxkämpfe benutzt. Das Bockbierfest hatte nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt.
Nach zahlreichen Eigentümer- und Pächterwechseln übernahm 1956 Karl-Heinz Kuhnert die Regie. Der Geschäftsführer der Stadion-Terrassen am Olympiastadion, später auch der Deutschlandhalle, sollte die Geschicke der Neuen Welt bis 1982 bestimmen. Neben dem Bockbierfest waren Catchveranstaltungen ein wichtiges Standbein in den nächsten Jahrzehnten. 1964 wurde eine Bowlinghalle gebaut, die zusätzliche Besucher anziehen sollte.
Mit den 1960er Jahren hielten Beat, Pop und Rock Einzug in die Neue Welt: Geno Washington and the Ram Jam Band, André Brasseur, Lee Curtis & the All-Stars, Sandie Shaw, Manfred Mann, Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, The Walker Brothers, nicht zu vergessen die ersten Auftritte von Jimi Hendrix in Berlin. Veranstalter war oft der Starclub Hamburg.
Auch die Berliner Linken entdeckten die Neue Welt wieder als Versammlungsort. Die SEW veranstaltete regelmäßig das Pressefest ihrer Zeitung Die Wahrheit, Parteitage sowie Veranstaltungen des Jugendverbandes der Partei. Besonders kurios war ein Auftritt von Rudi Dutschke im November 1966, als er seine Rede vor der auf bayerisch getrimmten Dekoration des Bockbierfestes hielt.
Ende der 1970er bot der kleine Saal der Neuen Welt einigen international bekannten Künstlern wie Elvis Costello, Patti Smith, Graham Parker, Willy DeVille und den Dire Straits eine Bühne für ihre Auftritte. Im großen Saal traten Rockmusiker wie Bob Seger, Scorpions (1979 und 1980) und Ted Nugent auf. Im Sommer 1979 fand das Festival of Fools[2] in der Neuen Welt statt. Es ist ein Berliner Ableger der Veranstaltung aus Amsterdam. 1980 fand auch Udo Lindenberg den Weg nach Neukölln.
Im Frühjahr 1982 wurde die Neue Welt geschlossen. Jetzt setzte die Spekulation um das Grundstück ein. Es dauerte zwei Jahre, bis eine Renovierung begann. Der Versuch, das historische Erscheinungsbild zu erhalten, scheiterte. Zusammen mit einem Supermarkt entstand ein Saal, der von 1985 bis 1990 eine Rollschuhdisco, Roller Skate Center Neue Welt, beherbergte und seither unter dem Namen Huxleys Neue Welt für Konzerte (mit bis zu 1600 Besuchern) genutzt wird.
Die Vielzahl der Veranstaltungen in der Neuen Welt, in Huxleys Neuer Welt und in Huxleys Junior ist kaum zu rekonstruieren. Mehr als 900 Rock-Konzerte seit 1966 werden bei RockinBerlin [3] mit verlinkten Hintergrundinfos dargestellt.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Lothar Uebel: Die Neue Welt an der Hasenheide: Über hundert Jahre Vergnügen und Politik. Hrsg. Bezirksamt Neukölln von Berlin, Berlin 1994.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Berliner Biographien (B). In: Berlinische Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein). Heft 3, 1998, ISSN 0944-5560, S. 94 (luise-berlin.de – Becker, Adolf).
- ↑ Kant-Kino; Reinhard Konzack, Fred Baumgart: Gigs im Kant-Kino: 5 Jahr Konzerte, Ein Fotobuch. Berlin 1980, S. 75
- ↑ RockinBerlin, abgerufen am 1. Februar 2024.
Koordinaten: 52° 29′ 10,7″ N, 13° 25′ 17,4″ O