Jatwinger
Die Jatwinger (Jadwinger, Jadwingen, Jotwinger/jotvingiai, Jatwägen) oder Sudauer (sudūviai) oder Pollexaner waren ein westbaltischer Stamm im Sudauen (altpreußisch sudawa, sudowia). Das Gebiet ist heute geteilt zwischen Polen, Litauen und Belarus.
Die jatwingische Sprache war eng verwandt mit der altprußischen.
Gebiet
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der später masurische Teil des Territoriums der Jatwinger wurde vom Deutschritterorden als letztes prußisches Stammesgebiet im 13. Jahrhundert erobert.
Name
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den schriftlichen Quellen wird der Stamm Jatwinger oder Sudauer genannt. Da die Bezeichnungen nie nebeneinander erscheinen, ist davon auszugehen, dass es sich um ein und denselben Stamm handelt. Im Breslauer Urteil des Kaisers Sigismund von Luxemburg von 1325 heißt es dafür Suderlandt alias Jetuen.
Jadwinger
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schriftliche Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bezeichnung Jatwjagy oder ähnlich erscheint in den russischen Quellen des 12. bis 14. Jahrhunderts. In der Ipatjew-Chronik wechseln die Schreibweisen: Jatvjagy, Jatveze, Jatvjažin, zemlja Jatveskaja, na zemlju Jatvjažskuju und andere.
Polnische Quellen übernahmen die russischen Bezeichnungen: Jazviagi, Iazvizite, Jazvizite, Yazvizite usw. Im Vertrag mit dem Ritterorden von 1260 heißt es terre Getuizintarum. Diese Bezeichnung kam über die Polen nach Westeuropa und zur Kurie in Rom. So ist in päpstlichen Dokumenten von terra Jatwesouie, Gretuesia, Gzestuesie, Getuesia und Getvesia zu lesen.
Erklärung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Name Jatwinger leitet sich wahrscheinlich vom skandinavischen Personennamen Játvígr ab.[1][2]
Sudauer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schriftliche Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Name Sudauer leitet sich von der Landschaft Sudauen her und wird in deutschen Quellen benutzt. Erstmals erscheinen Sudinoi im 2. Jahrhundert beim byzantinischen Gelehrten Ptolemäus. Peter von Dusburg verwendet im 13. Jahrhundert in seiner Chronica Terrae Prussiae die Bezeichnung Suduwite. Der Deutsche Orden bezeichnete den Stamm als Sudowite, das Land als Sudowia, in qua Sudowite (Sudowia, wo die Sudowiten (sind)).
1325 heißt es in der Urkunde von Kaiser Sigismund von Luxemburg Suderlandt alias Jetuen.
Simon Grunau präsentiert im 16. Jahrhundert die sagenhafte Geschichte von Sudo, dem dritten Sohn des Königs Widowuto. Er bekam das Land zwischen Crono (Kurland), Skara (Pregel) und Curtono. Er baute sich eine Feste Perpeylko. Das Land ward nach ihm Sudauen genannt.
Erklärung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bezeichnung Sūduva für Sudauen ist baltischen Ursprungs und leitet sich möglicherweise von der baltischen Wurzel *sū- = fließen ab.[3]
Polexiani
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Schriftliche Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den Quellen des benachbarten Herzogtums Masowien wird ein Stamm Polexiani genannt. Bei Wincenty Kadłubek heißt es: sunt autem Pollexianni, Getarum seu Prussorum genus („es gibt außerdem die Pollexiani, welche getischer (jatwingischer) oder prussischer Herkunft sind“). Möglicherweise handelt es sich um nach Osten abgewanderte Bevölkerung.
Erklärung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Name Polexia bezieht sich auf die Landschaft Polesien und leitet sich wahrscheinlich von slawisch po lesie, am Wald(rand) her.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im 2. Jahrhundert werden durch Ptolemäus in der Geographike Hyphegesis erstmals Sudinoi genannt (mit den benachbarten Galindai).
Zum Jahr 944 werden erstmals Jatwjagi anlässlich eines Friedens zwischen der Kiewer Rus und dem Byzantinischen Reich erwähnt. Zu 983 wird von Kämpfen zwischen Bolesław Chrobry und dem Kiewer Fürsten Wladimir I. um dieses Gebiet berichtet. 1038 zog der Kiewer Fürst Jaroslaw der Weise in das Gebiet der Jatwinger, ebenso 1044 und 1048. Für 1112/13 ist Jaroslaw Swjatopolitsch überliefert, im 12. Jahrhundert die Fürsten von Halytsch-Wolhynien Roman und Daniel. Ein Teil gehörte zu dieser Zeit zum Großfürstentum Litauen, ein westlicher Teil stand unter dem Einfluss des Herzogtums Masowien.
1260 erhoben sich die Litauer gegen den Deutschen Orden, der durch das polnische Teilherzogtum Masowien zur Niederwerfung der prussischen Widersacher in die Region geholt worden war. Die Sudauer unterstützten den Aufstand und fielen tief in Ordensland ein. 1277 wandte sich der Orden gegen die Sudauer, die nun ihrerseits weitere erfolgreiche Raubzüge in das Ordensland unternahmen. Ein angreifendes Sudauerheer wurde vernichtet. 1281 bekämpfte der Orden mit seiner gesamten militärischen Macht den Sudauerfürsten Skomand. Dieser musste 1283 kapitulieren und trat zum christlichen Glauben über.
Ein Teil der Sudauer wurde vertrieben und floh in den litauischen Teil. 1.600 wurden in den „Sudauerwinkel“ des Samlandes umgesiedelt. Dieser Teil des Samlands hieß bis 1945 Sudauerwinkel, obwohl die ehemaligen Sudauer zu dieser Zeit längst assimiliert waren. Skomand und seine Nachfahren bekamen Land übereignet und gehörten fortan zum hohen preußischen Adel. Ein anderer Teil verblieb auf ihrer Scholle.
Nach der Schlacht von Grunwald 1410 und dem Frieden vom Melnosee 1423 gehörte der nördliche Teil des ehemaligen Gebietes der Sudauer zum Ordensland Preußen, später Herzogtum Preußen, der südliche Teil zu Litauen. Diese Grenzen blieben bis 1918 unverändert.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Pietro U. Dini, Wojciech Nowakowski: Soudinoi. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 29, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-018360-9, S. 257–261. (online)
- Gerhard Lepa (Hrsg.): Die Sudauer. In: Tolkemita-Texte. Nr. 55. Dieburg 1998.
- Gerhard Lepa: Gedanken über die Prußen und ihre Lieder. In: 25 Lieder der Sudauer. Tolkemita-Texte. Nr. 56. Dieburg 1999.
- Litauische Enzyklopädie. Band XXVX. Boston 1963.
- Gerhard Salemke: Lagepläne altprußischer Wallburganlagen der ehemaligen Provinz Ostpreußen. Gerhard Salemke, Gütersloh 2005, Karten 19/7–19/13.
- Wolfgang P. Schmid: Baltische Sprachen und Völker. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 2, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1976, ISBN 3-11-006740-4, S. 14–20.
- В. В. Седов: Ятвяги. In: Л. А. Голубева, В. А. Могильников, В. В. Седов, Р. Л. Розенфельдт: Финно-угры и балты в эпоху средневековья (= Археология СССР). Наука, Москва 1987, S. 411–419.
- Johannes Sembrzycki: Die Nord- und Westgebiete der Jadwinger und deren Grenzen. In: Altpreußische Monatsschrift. Bd. 28, 1891, S. 76–89.
- Andreas Sjögren: Über die Wohnsitze und die Verhältnisse der Jatwägen. Ein Beitrag zur Geschichte Osteuropas um die Mitte des XIII. Jahrhunderts. In: Mémoires de l’Académie Impériale des Sciences de St.-Pétersbourg. Sciences Politiques, Histoire et Philologie. Série 6, Bd. 9, 1859, ZDB-ID 765610-5, S. 161–356, (Auch als Sonderabdruck: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg 1858, (Digitalisat)).
- Juozas Žilevičius: Grundzüge der kleinlitauischen Volksmusik. In: Tolkemita-Texte. 25 Lieder der Sudauer. Nr. 56. Dieburg 1999.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Knýtlinga saga, vgl. Алексей Сергеевич Кибинь: Ятвяги в X–XI вв.: „балтское племя“ или „береговое братство“? In: Studia Slavica et Balcanica Petropolitana. Nr. 2 (4), 2008, ISSN 1995-848X, S. 117–132, (Digitalisat (PDF; 395,12 kB) ( vom 3. Februar 2013 im Internet Archive)).
- ↑ Joseph Pashka: Virdainas. 1994
- ↑ Vytautas Mažiulis: Prūsų kalbos etimologijos žodynas (Etymologisches Wörterbuch der prußischen Sprache). Band 4. Vilnius 1997, ISBN 978-5-420-01406-6, S. 166–167.