Bausünde
Als Bausünde (zu Sünde, Verfehlung) beschreibt man ein als misslungen empfundenes oder eingeordnetes Bauvorhaben. Der Begriff ist ein undifferenzierter Ausdruck der Architekturkritik und der Beurteilung der städtebaulichen Einordnung eines Bauwerks oder dessen Bauausführung und wird auch als politisches Schlagwort verwendet.
Erste Popularität erlangte er Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem „Neuen Bauen“, das von konservativen Kritikern als „Bausünde“ im Sinn einer „Sünde am deutschen Volk“ bezeichnet wurde.[2]
Einordnung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Begriff lässt sich auf drei Themenkomplexe eingrenzen:
- ästhetische Beurteilung eines Bauwerks oder einzelner Baugruppen: Das Ergebnis missfällt (Bauten, die sich nicht in das Orts- oder Landschaftsbild einpassen; Materialien, die als billig oder hässlich wahrgenommen werden; deplatzierter Stil oder mangelnde Stilsicherheit; abnorme Dimensionen usw.)
- funktionelle Beurteilung von Planung, Bauwerk oder Bauteilen (Entwurfs- und Baufehler aller Art mit Unbrauchbarkeit, Bauschaden oder fehlender Betriebssicherheit als Folge, öffentliche und Verkehrsbauten mit mangelnder Inanspruchnahme, Bauten ohne Amortisation, Bauleichen, negative Auswirkung auf das Wohnen und Sozialleben, Widersprüche zum Wirtschaftlichkeits- oder Umweltschutzgedanken in Fragen des finanziellen Bauvolumens, der Energie und des Naturschutzes usw.)
- Zerstörung vorhandener Werte (Abriss historischer Bausubstanz, Verbauung von Freiflächen, verstellte Sicht auf repräsentative Bauten oder reizvolle Landschaftsausschnitte, Zerstörung von unverbauten Naturarealen u. a.)
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als typische Bausünden betrachtet werden heute städtische Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre mit Tendenz zur Ghettoisierung, übermäßige touristische Erschließung im Bergraum (Hotelkomplexe)[3] und an Küsten weltweit, Zerstörung historischer Stadtkerne und denkmalwerter Gebäude, überdimensionierte Straßenbauten, aber auch bestimmte Über- bzw. Unterführungen, besonders im städtischen Bereich.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Turit Fröbe: Die Kunst der Bausünde. 1. Auflage. Quadriga, Berlin 2013, ISBN 978-3-86995-053-2 (179 S.).
- Turit Fröbe: Eigenwillige Eigenheime. Die Bausünden der anderen. 1. Auflage. DuMont, Köln 2021, ISBN 978-3-8321-9992-0 (155 S.).
- Sarah Retsch: Die Bausünde. Karriere eines Begriffs. (Disko; 14). a42.org / Akademie der bildenden Künste Nürnberg, Nürnberg 2009, ISBN 978-3-940092-03-8.
- Manfred E. Schuchmann: Architektursünden in Hessen: 25 Ortstermine von A wie Alsfeld bis W wie Wiesbaden. Jonas, Marburg 2009, ISBN 978-3-89445-424-1.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- René Zipperlen: Bausünden der 70er: Abreißen oder schützen?, in: Badische-zeitung.de, 4. Februar 2020.
- Turit Fröbe: PORTRÄT: Gute Bausünden, in: moderne-regional.de
- Turit Fröbe: „Ich liebe Bausünden!“, hr-INFO Interview 2022 (Webarchiv, 26 Min)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Tim Höhn: Marstallcenter in Ludwigsburg. Der große Wurf bleibt aus. In: Stuttgarter Zeitung. 7. Dezember 2013, abgerufen am 31. Oktober 2015.
- ↑ Sarah Retsch: Die Bausünde – Karriere eines Begriffs. (PDF; 858 kB) Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, abgerufen am 28. August 2010.
- ↑ Türkei: In der Geisterstadt Burj al Babas stehen 500 Schlösser leer. In: Der Spiegel. 29. Januar 2019, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 24. Juni 2024]).