Cabotegravir

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Strukturformel
Strukturformel von Cabotegravir
Allgemeines
Freiname Cabotegravir[1]
Andere Namen
  • (3S,11aR)-N-[(2,4-Difluor­phenyl)methyl]-6-hydroxy-3-methyl-5,7-dioxo-2,3,5,7,11,11a-hexa­hydro[1,3]oxa­zolo[3,2-a]pyrido[1,2-d]pyrazin-8-carboxamid
  • GSK744
  • S/GSK1265744
Summenformel C19H17F2N3O5
Kurzbeschreibung

Weißes bis fast weißes, kristallines Pulver[2]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1051375-10-0
EG-Nummer (Listennummer) 855-453-4
ECHA-InfoCard 100.306.452
PubChem 54713659
ChemSpider 30829503
DrugBank DB11751
Wikidata Q15411012
Arzneistoffangaben
ATC-Code

J05AJ04

Wirkstoffklasse

Virostatikum

Wirkmechanismus

Integrase-Inhibition

Eigenschaften
Molare Masse 405,35 g·mol−1
Aggregatzustand

Fest[2]

pKS-Wert
  • 7,7 (OH-Gruppe; gemessen)[2]
  • 11,1 (NH-Gruppe; berechnet)[2]
Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]

Achtung

H- und P-Sätze H: 302​‐​410
P: 264​‐​273​‐​301+312[3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Cabotegravir ist ein Arzneistoff, aus der Gruppe der INSTIs (englisch integrase strand transfer inhibitor), welcher bei Personen mit einer HIV-Infektion zur Vorbeugung eines Erkrankungsausbruchs im Rahmen einer antiretroviralen Therapie eingesetzt wird.

Cabotegravir wird ausschließlich als Depotpräparat zusammen mit dem nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Rilpivirin verabreicht (Cabotegravir plus Rilpivirin Long Acting, CARLA). Beide Substanzen stören also für die Vermehrung des HI-Virus notwendige Enzyme und verstärken sich gegenseitig in der Wirkung.

Cabotegravir und Rilpivirin wurden zur Behandlung infizierter, aber in Remission befindlicher Patienten in der Europäischen Union im Dezember 2020 zugelassen.[4] Die Therapie ist für Erwachsene verfügbar, die auf einem stabilen retroviralen Regime virologisch supprimiert sind und deren Erreger keine Resistenzen gegen die beiden antiviralen Substanzen entwickelt haben.

Es gibt Filmtabletten zur täglichen Einnahme (Cabotegravir-Natrium[5]) oder eine Suspension zur intramuskulären Depotinjektion, die zuerst monatlich, nach 5 Monaten dann jeden zweiten Monat gegeben werden muss. Die Substanz wird nicht verstoffwechselt, sondern unverändert überwiegend über Galle und Stuhl ausgeschieden. Die Halbwertszeit im Körper beträgt 41 Stunden, für die Depotspritze bis zu 3 Monate.

Das IAS-USA Leitliniengremium empfiehlt seit 2024 CARLA auch bei virämischen Patienten, bei denen keine anderen (oralen) Therapien aufgrund Adhärenzproblemen effektiv sind.[6] Sie kann unter intensiver Nachversorge und Fallmanagement erwogen werden, wenn folgende Kriterien zutreffen: trotz großer Bemühungen und Unterstützung können jene Patienten eine orale ART nicht zuverlässig einnehmen; es besteht ein hohes Risiko einer Progredienz zu AIDS (Zahl der CD4-Zellen < 400/µl oder AIDS in der Vorgeschichte), und Empfindlichkeit der HI-Viren auf Cabotegravir und Rilpivirin.

In der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) für HIV-negative Personen ist die Cabotegravir-Depotform Studien zufolge sehr wirksam. Sie wurde für diese Indikation von der WHO empfohlen[7] und in den USA Ende 2021 zugelassen (Handelsname: Apretude).[8] Im September 2023 ließ die Europäische Kommission Apretude zur PrEP für die EU zu.[9]

Häufige Nebenwirkungen sind Schmerzen an der Injektionsstelle, Fieber und Kopfschmerzen. Die Verkehrstüchtigkeit kann herabgesetzt sein. Gleichzeitig eingenommene Antiepileptika und Anti-Tuberkulose-Medikamente werden in ihrer Wirkung vermindert, es besteht dafür eine Kontraindikation. Die Anwendung während einer Schwangerschaft wird nicht empfohlen.[10]

Pharmakologische Eigenschaften

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Cabotegravir bindet in der aktiven Tasche der Integrase von HI-Viren. Im Fall von HIV-1 bindet es über zwei Metallionen (Mg2+, Mn2+) an die katalytische Triade, bestehend aus D64, D116 und E152. Die Triade aus zwei Asparaginsäureeinheiten (D) und einer Glutaminsäure (E) wird auch DDE-Motiv genannt.[11] Neben der Bindung über die Metallzentren gibt es auch eine Wechselwirkung der 2,4-Difluorbenzylgruppe mit einer hydrophoben Tasche des Enzyms.[12]

Bindung von Cabotegravir im aktiven Zentrum der Integrase

Cabotegravir ist ein weißes, wasserunlösliches Pulver.

Strukturell handelt es sich um ein trizyklisches Carbamoylpyridon, das mit einem Halbaminal anelliert ist. Im Hemiacetal-Fünfring (Oxazolidin) befinden sich zwei Stereozentren. Durch das zweite Stereozentrum kann das Molekül diastereoselektiv hergestellt werden, was die Aufreinigung erleichtert.[13]

Cabotegravir besitzt strukturelle Ähnlichkeit mit anderen Integrasehemmern wie Dolutegravir und Bictegravir und ferner mit Raltegravir und Elvitegravir.[12]

Für die Synthese von Cabotegravir sind verschiedene Routen bekannt.[12] In den meisten Fällen wird dabei zunächst ein Pyridon hergestellt, welches auch ein Schlüsselintermediat in verschiedenen Synthesen für Dolutegravir und Bictegravir ist. Die Reaktion kann sowohl als Eintopfreaktion als auch in Flow-Reaktoren durchgeführt werden. Die Synthese des Pyridons geht von 4-Methoxyacetessigsäuremethylester[14], einem β-Ketoester, aus, welches mit DMF-DMA zu einem Enamin kondensiert. Es folgt eine Transaminierung in Methanol mit 2,2-Dimethoxyethylamin[15] und eine Cyclisierung mit Oxalsäuredimethylester. Die Synthese des Schlüsselintermediats endet mit einer selektiven Hydrolyse mit Lithiumhydroxid. Die Synthese verläuft in vier Schritten in 61 % Ausbeute.[16]

Syntheseroute zum Schlüsselintermediat

Ausgehend vom Pyridon kann das Acetal zum Aldehyd entschützt werden und mit (S)-Alaninol, einem enantiomerenreinen Aminoalkohl, umgesetzt werden. Dabei kommt es zu einem Ringschluss, welcher durch den Einsatz des chiralen Aminoalkohols diastereoselektiv (34:1 dr) verläuft. Anschließend kann die freie Carbonsäure in einer Peptidkupplung mit CDI als Kupplungsreagenz mit 2,4-Difluorbenzylamin[17] umgesetzt werden. Durch Demethylierung mit Lithiumbromid in THF und Wasser wird das Produkt erhalten.[16]

Synthese von Cabotegravir ausgehend vom Schlüsselintermediat

Die diastereoselektive Cyclisierung zum Halbaminal kann durch Additive in Diastereomerenverhältnissen von bis zu 300:1 durchgeführt werden. In einer alternativen Synthese kann die Amidbindung vor der Cyclisierung zum Halbaminal gebildet werden.[16]

  • für die Kombinationstherapie mit Rilpivirin: Vocabria (USA, EU, CH, CA), Cabenuva, Kombipackung (USA, CA)
  • Präexpositionsprophylaxe: Apretude (USA und EU)

Hersteller ist GlaxoSmithKline, Zulassungsinhaber ViiV Healthcare.

Einzelnachweise

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  1. INN Recommended List 74, World Health Organisation (WHO), 8. Dezember 2015.
  2. a b c d e f Assessment Report – Vocabria , CHMP, 15. Oktober 2020.
  3. a b Eintrag zu Cabotegravir bei Toronto Research Chemicals, abgerufen am 12. Dezember 2022 (PDF).
  4. EPAR (European public assessment report) zu Vocabria. Europäische Arzneimittel-Agentur, 19. Oktober 2022, abgerufen am 12. Dezember 2022 (englisch).
  5. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu Cabotegravir-Natrium: CAS-Nr.: 1051375-13-3, PubChem: 46215800, ChemSpider: 32702138, DrugBank: DBSALT002064, Wikidata: Q27257476.
  6. Paul E. Sax et al.: Updated Treatment Recommendation on Use of Cabotegravir and Rilpivirine for People With HIV From the IAS-USA Guidelines Panel. In: JAMA. 1. März 2024, doi:10.1001/jama.2024.2985, PMID 38427337 (englisch).
  7. Guidelines on long-acting injectable cabotegravir for HIV prevention. Abgerufen am 12. Dezember 2022 (englisch).
  8. Office of the Commissioner: FDA Approves First Injectable Treatment for HIV Pre-Exposure Prevention. 20. Dezember 2021, abgerufen am 12. Dezember 2022 (englisch).
  9. Apretude auf der Website der europäischen Arzneimittelagentur, abgerufen am 8. Oktober 2023.
  10. Cabotegravir – Anwendung, Wirkung, Nebenwirkungen. In: Gelbe Liste Online. Abgerufen am 12. Dezember 2022.
  11. Jay A. Grobler, Kara Stillmock, Binghua Hu, Marc Witmer, Peter Felock, Amy S. Espeseth, Abigail Wolfe, Melissa Egbertson, Michele Bourgeois, Jeffrey Melamed, John S. Wai, Steve Young, Joseph Vacca, Daria J. Hazuda: Diketo acid inhibitor mechanism and HIV-1 integrase: Implications for metal binding in the active site of phosphotransferase enzymes. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 99, Nr. 10, 2002, S. 6661–6666, doi:10.1073/pnas.092056199, PMID 11997448.
  12. a b c David L. Hughes: Review of Synthetic Routes and Final Forms of Integrase Inhibitors Dolutegravir, Cabotegravir, and Bictegravir. In: Organic Process Research & Development. Band 23, Nr. 5, 2019, S. 716–729, doi:10.1021/acs.oprd.9b00031.
  13. Brian A. Johns, Takashi Kawasuji, Jason G. Weatherhead, Teruhiko Taishi, David P. Temelkoff, Hiroshi Yoshida, Toshiyuki Akiyama, Yoshiyuki Taoda, Hitoshi Murai, Ryuichi Kiyama, Masahiro Fuji, Norihiko Tanimoto, Jerry Jeffrey, Scott A. Foster, Tomokazu Yoshinaga, Takahiro Seki, Masanori Kobayashi, Akihiko Sato, Matthew N. Johnson, Edward P. Garvey, Tamio Fujiwara: Carbamoyl Pyridone HIV-1 Integrase Inhibitors 3. A Diastereomeric Approach to Chiral Nonracemic Tricyclic Ring Systems and the Discovery of Dolutegravir (S/GSK1349572) and (S/GSK1265744). In: Journal of Medicinal Chemistry. Band 56, Nr. 14, 2013, S. 5901–5916, doi:10.1021/jm400645w.
  14. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu 4-Methoxyacetessigsäuremethylester: CAS-Nr.: 41051-15-4, EG-Nr.: 255-188-9, ECHA-InfoCard: 100.050.154, PubChem: 123500, Wikidata: Q72492538.
  15. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu 2,2-Dimethoxyethylamin: CAS-Nr.: 22483-09-6, EG-Nr.: 245-026-5, ECHA-InfoCard: 100.040.917, GESTIS: 27580, PubChem: 89728, Wikidata: Q72467919.
  16. a b c Huan Wang, Matthew D. Kowalski, Ami S. Lakdawala, Frederick G. Vogt, Lianming Wu: An Efficient and Highly Diastereoselective Synthesis of GSK1265744, a Potent HIV Integrase Inhibitor. In: Organic Letters. Band 17, Nr. 3, 2015, S. 564–567, doi:10.1021/ol503580t.
  17. Externe Identifikatoren von bzw. Datenbank-Links zu 2,4-Difluorbenzylamin: CAS-Nr.: 72235-52-0, EG-Nr.: 276-502-0, ECHA-InfoCard: 100.069.526, PubChem: 2733244, Wikidata: Q72462642.