Ignazio Cassis
Ignazio Daniele Giovanni Cassis (erster Vorname, italienische Aussprache: [13. April 1961 in Sessa; heimatberechtigt in Biasca und Sessa) ist ein Schweizer Politiker (FDP). Am 20. September 2017 wählte ihn die Vereinigte Bundesversammlung als Nachfolger von Didier Burkhalter (FDP) in den Bundesrat. Seit seinem Amtsantritt am 1. November 2017 ist er Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA. Cassis war im Jahr 2022 Bundespräsident der Schweizerischen Eidgenossenschaft.
]; *Leben
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ignazio Cassis’ Grosseltern väterlicherseits waren vom grenznahen Luino (Italien) in die Tessiner Nachbargemeinde Sessa eingewandert. Der Vater Luigi Daniele (Gino) Cassis war zuerst Bauer, bevor er für die Baloise Versicherung arbeitete, seine Mutter Mariarosa kümmerte sich um den Haushalt.[1][2] Bei seiner Geburt hatte Ignazio Cassis die italienische Staatsangehörigkeit seines Vaters. Zusammen mit seinen drei Geschwistern erhielt er 1976 auf Antrag seines Vaters das Schweizer Bürgerrecht, nachdem der Kanton Tessin kurz zuvor die erleichterte Einbürgerung für Jugendliche eingeführt hatte.[2] Da Cassis als Minderjähriger die italienische Staatsbürgerschaft nicht ablegen konnte, war er fortan Doppelbürger, was die Schweizer Gesetze bis 1992[3] nur in Ausnahmefällen zuliessen.[2] Im Rahmen seiner Bundesratskandidatur 2017 verzichtete er erneut auf die italienische Staatsbürgerschaft.[4]
Ignazio Cassis studierte Medizin an der Universität Zürich (Arztdiplom 1987). Er spezialisierte sich anschliessend in Innerer Medizin und Public Health (Master in Public Health 1996).[5] 1998 wurde er bei Fred Paccaud an der Universität Lausanne zum Dr. med. promoviert.[6] Von 1996 bis 2008 war er Tessiner Kantonsarzt.[5] Im Militär wurde er, nach einer Gebirgsinfanterie-Rekrutenschule als Trompeter, aufgrund seines Medizinstudiums Bataillonsarzt (Major) im Stab des Tessiner Gebirgsschützenbataillons 9, danach war er im Stab des Oberfeldarztes tätig.[7]
Politik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Cassis war von 2004 bis 2014 Gemeinderat in Collina d’Oro. Im Juni 2007 rutschte er in den Nationalrat nach als Nachfolger von Laura Sadis, die in die Tessiner Regierung gewählt wurde. Als Nationalrat war er unter anderem Mitglied der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit. Bei den eidgenössischen Wahlen 2011 und 2015 schaffte er die Wiederwahl problemlos. Seit 2015 bis zu seiner Wahl in den Bundesrat präsidierte er die FDP-Bundeshausfraktion. Von 2008 bis 2012 war er Vizepräsident der Schweizer Ärztevereinigung FMH.[8] Während seiner Zeit als Nationalrat präsidierte Cassis zudem den Heim-Verband Curaviva, die Equam-Stiftung zur Qualitätsförderung von Hausarztpraxen und die Gesundheitsstiftung Radix. Zudem war Cassis von Ende 2015 bis zu seiner Wahl in den Bundesrat Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura.[9] Er wurde daher auch als «Lobbyist der Krankenkassen» bezeichnet.[10]
Nach der Rücktrittsankündigung von Bundesrat Didier Burkhalter wurde Cassis am 20. September 2017 im zweiten Wahlgang in den Bundesrat gewählt. Schon zuvor galt er als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge von Didier Burkhalter, insbesondere deshalb, weil der Kanton Tessin 18 Jahre nach dem Rücktritt von Flavio Cotti auf eine erneute Vertretung in der Landesregierung drängte und der Sitz der FDP.Die Liberalen im Bundesrat unbestritten war.[11] Seinen Sitz im Nationalrat erbte Rocco Cattaneo.
Am 9. Dezember 2020 wurde Cassis mit 162 gültigen Stimmen der Vereinigten Bundesversammlung für das Jahr 2021 zum Vizebundespräsidenten gewählt.[12] Am 8. Dezember 2021 wählte ihn die Vereinigte Bundesversammlung mit 156 von 197 gültigen Stimmen für das Jahr 2022 zum Bundespräsidenten.[13]
Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Waffenlobby
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Neun Tage vor der Bundesratswahl 2017 trat Cassis der Waffenlobby Pro Tell bei.[14] Dies sei «naiv» (Kathy Riklin) und «peinlich» (Eric Nussbaumer), sagten Aussenpolitiker, da der Verein den Austritt aus dem Schengen-Raum in Kauf nimmt.[15] Aufgrund der Kritik trat Cassis aus der Lobby-Organisation aus.[16]
EU-Rahmenabkommen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Cassis wird vorgeworfen, bei den Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein Rahmenabkommen viel Zeit und Vertrauen verloren zu haben.[17] Er wurde insbesondere vom Bundesrat und Gewerkschaften kritisiert, weshalb er letztlich seinen treuen Weggefährten und EU-Chefunterhändler Roberto Balzaretti durch Livia Leu ersetzte, da man diesem nicht zutraute, mit der Europäischen Union hart und erfolgreich genug zu verhandeln.[18]
Tabak-Sponsoring
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Schweizer Pavillon bei der Expo Weltausstellung in Dubai sollte vom Tabakkonzern Philip Morris gesponsert werden. Cassis verteidigte dies, bis er der Empörung nachgab und den Konzern wieder auslud. Unklar blieb, wie stark Cassis selber von Beginn an über die Pläne mit Philip Morris informiert war. Gemäss Nicolas Bideau, Direktor von Präsenz Schweiz, war die Partnerschaft mit Cassis abgesprochen worden. Cassis hingegen erklärte, nichts davon gewusst zu haben.[19]
Foto mit Lawrow
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Anlässlich der UNO-Generaldebatte im September 2022 traf Ignazio Cassis den russischen Aussenminister Sergei Lawrow. Daraufhin veröffentlichte das russische Aussenministerium ein Foto, auf welchem die beiden Politiker händeschüttelnd posieren und Cassis gutgelaunt in die Kamera lächelt. Dieses Bild sorgte für Kritik, da es am Tag der Bekanntgabe der russischen Teilmobilmachung entstand.[20]
Russland-Sanktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gab Cassis keine klare Antwort auf die Frage nach einer Beteiligung der Schweiz bei Sanktionen gegen Russland. Cassis überliess Nachfragen überforderten Beamten. Erst nach Kritik im In- und Ausland schloss sich die Schweiz den Sanktionen der Europäischen Union an.[21]
Arbeitskultur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Eine Betriebsärztin untersuchte 2019 die Arbeitskultur im EDA und kam zur Schlussfolgerung, dass «Die Arbeitskultur im EDA [...] – aus medizinischer Sicht – schlecht» sei. Es würde zudem «Günstlingswirtschaft und Intransparenz» geben und «Führung [werde] durch Machtzirkel ersetzt.» Ebenso wird kritisiert, dass «Viele Vorgesetzte [...] eine Führungskultur des Wegschauens, Aussitzens und des Opportunismus [praktizieren], um Probleme zu kaschieren, die auf sie selbst als Vorgesetzte zurückfallen würden».[22]
Privates
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Cassis wohnt in Montagnola und ist mit Paola Rodoni Cassis verheiratet.[23] Zu seinen Hobbys zählen Trompete und Laufsport.[24]
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Mit Ivo Giulietti: Il medico cantonale. Dalla sua istituzione ai giorni nostri 1924–2008. Storia Medica Ticinese, Cadenazzo 2009.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Oscar Mazzoleni: Ignazio Cassis. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 25. November 2022.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Portrait Ignazio Cassis auf der Website des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten
- Ignazio Cassis auf der Website der Bundesversammlung
- Persönliche Website (Archiv)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Bilanz. 1. Oktober 2017, S. 36.
- ↑ a b c Henry Habegger: Bundesrat Cassis: Archivdokumente enthüllen Details zu seiner Einbürgerung. In: aargauerzeitung.ch. 9. Februar 2019, abgerufen am 10. Februar 2019.
- ↑ Oliver Hämmig: Zwischen zwei Kulturen: Spannungen, Konflikte und ihre Bewältigung bei der zweiten Ausländergeneration. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-663-11932-6, S. 28 (google.ch [abgerufen am 4. September 2017]).
- ↑ Markus Häfliger: Cassis gibt italienischen Pass zurück. In: Tages-Anzeiger. Abgerufen am 26. August 2017.
- ↑ a b Ignazio Cassis ( vom 18. Juni 2011 im Internet Archive) auf fmh.ch.
- ↑ Titelaufnahme der Dissertation. In: Katalog des Bibliotheksverbunds Renouvaud, abgerufen am 26. August 2017.
- ↑ Bekenntnis zur Armee. In: Schweizer Soldat. September 2017, S. 7 (PDF).
- ↑ Legislatur 2012–2016: Erneuerung im Zentralvorstand ( vom 26. August 2017 im Internet Archive) (PDF; 61 kB). FMH. 26. November 2011 (Medienmitteilung).
- ↑ Andreas Möckli: Ignazio Cassis und der Krankenkassen-Knatsch zwischen Sanitésuisse und Curafutura. In: Aargauer Zeitung. CH Regionalmedien AG, 25. Juni 2017, abgerufen am 10. Februar 2019.
- ↑ Nicole Meier: Portrait: Ignazio Cassis: So tickt der neue Bundesrat. In: St. Galler Tagblatt. CH Regionalmedien AG, 20. September 2017, abgerufen am 4. Oktober 2023.
- ↑ Markus Brotschi: Fast alles spricht für Ignazio Cassis. In: Tages-Anzeiger. Tamedia Publikationen Deutschschweiz AG, 15. Juni 2017, abgerufen am 20. Juni 2017.
- ↑ 20.219 | Bundesrat. Wahl des Bundespräsidenten und des Vizepräsidenten des Bundesrates für 2021 | Amtliches Bulletin | Das Schweizer Parlament, 6. Januar 2021.
- ↑ Ignazio Cassis folgt auf Guy Parmelin: Der Bundespräsident der Schweiz für 2022 ist gewählt. In: Neue Zürcher Zeitung. Neue Zürcher Zeitung AG, 29. November 2021, abgerufen am 8. Dezember 2021.
- ↑ Aussenminister Ignazio Cassis ist Mitglied bei der Waffenlobby «Pro Tell». In: Neue Zürcher Zeitung. Neue Zürcher Zeitung AG, 14. Oktober 2017, abgerufen am 14. Oktober 2017.
- ↑ Eva Novak: Kontroverse: Ignazio Cassis gerät wegen Mitgliedschaft in Waffenlobby in die Schusslinie. In: St. Galler Tagblatt. CH Regionalmedien AG, 13. Oktober 2017, abgerufen am 24. September 2023.
- ↑ Manuela Nyffenegger: Ignazio Cassis verlässt die Waffenlobby Pro Tell bereits wieder. In: Neue Zürcher Zeitung. Neue Zürcher Zeitung AG, 16. Oktober 2017, abgerufen am 5. Oktober 2023.
- ↑ Kaspar Surber: EU-Rahmenabkommen: Chronik einer Irrfahrt. In: WOZ Die Wochenzeitung. Genossenschaft infolink, 19. Juni 2019, abgerufen am 4. Oktober 2023.
- ↑ Henry Habegger: Aussendepartement - Der «Putsch der Pensionäre» – warum Cassis seinen Staatssekretär Balzaretti durch eine Frau ersetzt. In: Aargauer Zeitung. CH Regionalmedien AG, 13. Oktober 2020, abgerufen am 4. Oktober 2023.
- ↑ Daniel Foppa, Markus Häfliger: Cassis bläst Tabak-Sponsoring ab. In: Der Bund. Tamedia Espace AG, 30. Juli 2019, abgerufen am 24. September 2023.
- ↑ Andri Rostetter: Cassis, der russische Aussenminister und ein Lächeln im falschen Moment. In: Neue Zürcher Zeitung. Neue Zürcher Zeitung AG, 22. September 2022, abgerufen am 5. Oktober 2023.
- ↑ Sanktionen: Bundespräsident Cassis räumt schlechte Kommunikation. In: Aargauer Zeitung. CH Regionalmedien AG, 6. März 2022, abgerufen am 24. September 2023.
- ↑ Raphael Rauch: Aussenminister unter Druck: Das verflixte siebte Amtsjahr. In: Blick. Ringier AG, Ringier Medien Schweiz, 8. Juli 2024, abgerufen am 1. August 2024.
- ↑ Sermîn Faki: Paola Cassis, die Frau des neuen Bundesrats: «Ein von Samt überzogener Diamant». In: Blick. Ringier AG, 23. September 2017, abgerufen am 24. September 2023.
- ↑ Nicole Meier / sda: Portrait: Ignazio Cassis: So tickt der neue Bundesrat. In: St. Galler Tagblatt. CH Regionalmedien AG, 20. September 2017, abgerufen am 4. Oktober 2023.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Didier Burkhalter | Mitglied im Schweizer Bundesrat seit 2017 | — |
Personendaten | |
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NAME | Cassis, Ignazio |
ALTERNATIVNAMEN | Cassis, Ignazio Daniele Giovanni (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Politiker (FDP) |
GEBURTSDATUM | 13. April 1961 |
GEBURTSORT | Sessa |